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Minbar

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Minbar (arabisch منبر) Plural manabir / منابر / manābir ist die Kanzel in der Moschee, meistens neben der Gebetsnische mihrab an der qibla-Wand errichtet, auf der der Chatib (خطيب) am Freitag die Predigt hält. Früher wurden von der Kanzel auch die Erlasse der jeweiligen Herrscher verkündet.

Die Ursprünge des Minbars reichen in die Zeit des Propheten Mohammed zurück, der der Überlieferung nach aus Palmenstämmen zwei Stufen mit einem Sitz errichten ließ, damit seine Gläubigen ihn besser sehen konnten. In gleicher Weise ist das Minbar von den ersten Kalifen benutzt worden. Zunächst galt das Minbar also als Herrschersitz.

Nicht alle Moscheen hatten ursprünglich eine Kanzel; der ägyptische Lokalhistoriker al-Kindi al-Misri berichtet im 10. Jahrhundert über die umfassenden Erweiterungsarbeiten der großen Moschee in Fustat unter dem berühmten Steuerverwalter Qurra ibn Scharik, der die Kanzel im Jahre 94 (d.h.zwischen 712 und 713) in der Moschee aufstellen ließ. Bis in die Zeit von al-Kindi war sie die zweitälteste Kanzel in den Provinzstädten nach dem Prophetenminbar in Medina.

Der ersten Kalif der Umayyaden, Muʿāwiya b. Abī Sufyān, führte sein eigenes Minbar auf seiner Reise aus Damaskus nach Mekka mit. Somit waren die ersten Minbars beweglich. Der Stadtchronist von Mekka al-Azraqi († 865)berichtet, daß Muʿāwiya der erste gewesen ist, der in Mekka die Freitagspredigt von diesem Minbar aus, das nur drei Stufen hatte, gehalten hat. Das Minbar des Umayyaden al-Hakam II. in Córdoba war, andalusischen Historikern zufolge, ebenfalls beweglich und konnte auf Rädern geschoben werden. Der Abbasidenkalif al-Wāṯiq,(regiert zwischen 842-847), hat angeordnet, an drei wichtigen Stationen der Pilgerfahrt (haddsch) - Mekka, Mina und ʿArafāt - je eine Kanzel aufzustellen. Diese dienten, wie es bei al-Azraqi nachzulesen ist,zu kultischen Zwecken im Wallfahrtsritual, da an allen Stationen eine Predigt gehalten wird.

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Mihrab und Minbar in der Großmoschee von Kairouan. 9.Jahrhundert

Aber noch über die Umayyaden-Zeit hinaus hat man ein Minbar auch als Richtersitz benutzt, das der Richter selbst vor seinem Haus aufstellen ließ, um von dort aus Rechtsurteile zu verkünden. Die Kanzel als Einrichtung bei der Abwicklung öffentlich-rechtlicher Geschäfte ist in diesem Fall vom Minbar der Moschee losgelöst und ist Privatbesitz im profanen Bereich.

Die Verwendung des Minbars zu rein kultischen Zwecken in der Moschee ist erst unter den Abbasiden zu beobachten. Die archaische Form des Minbars ist im Original in der Hauptmoschee von Qairawān erhalten, errichtet vom Aghlabiden-Herrscher Abū Isḥāq Ibrāhīm II. (bis 902)

Ornamentik in der Kanzelwand

aus Zedernholz, das für diese Zwecke direkt aus Bagdad angeliefert wurde. Dieser elfstufigen Kanzel fehlt noch die ausgeprägte Struktur der späteren Holzminbars, denn das Eingangtor und der Dachaufsatz fehlen. Die gesamte Ornamentik ist umayyadisch (siehe auch: Kairouan).

Bereits während der Fatimiden hat sich die endgültige Gestalt der Kanzel, wie sie sich in der Aqsa-Moschee von Jerusalem präsentiert; von Nūr ad-Dīn im Jahre 1168 zugunsten der Moschee von Aleppo gestiftet, wurde sie von Saladin nach Jerusalem gebracht.Dieses Minbar besitzt schon ein Rahmentor und ein Kuppelgehäuse als Krönung. Ähnlich ist das Minbar in der Moschee und Madrasa des Sulṭān Ḥassān (1356-1363) in Kairo - nunmehr aus Stein gestaltet - konzipiert.

Die Prophetenkanzel von Medina als Stätte der Eidleistung

Unter den Minbars in der islamischen Welt nimmt selbstverständlich das Minbar des Propheten in Medina eine Sonderstellung ein: die Eidleistung am Prophetenminbar hat im Zuge der Urteilsfindung einen besonderen Stellenwert: ein neben oder auf dem Minbar des Propheten geleisteter Meineid führt in die Hölle.Ein in den einschlägigen Hadith-Sammlungen mehrfach zitierter Prophetenspruch hat in diesem Sinne normativen Charakter:

„Derjenige, der an meiner Kanzel (minbarī) Meineid leistet, nimmt seinen Platz im Höllenfeuer ein“.

Die Warnung vor der Strafe mit dem Höllenfeuer „...(er)nimmt seinen Platz im Höllenfeuer ein“ ist ein altes, in der Hadithliteratur in ähnlichen Zusammenhängen eingesetztes Motiv.Das älteste Werk, das diesen angeblichen Prophetenspruch verzeichnet, ist das Rechtswerk des Gelehrten Malik ibn Anas; als Kommentar dazu heißt es, daß die Aufforderung des Beklagten, am Prophetenminbar den Eid zu leisten, seit den Anfängen des Islams Rechtspraxis gewesen sei.Islamischen Überlieferungen zufolge soll der Propheten Mohammed die Eidleistung an seiner Kanzel bei Rechtsfragen als Sunna kanonisiert haben.Allerdings geht die Forschung heute davon aus, daß das Prophetenminbar in Medina zu Lebzeiten Mohammeds noch nicht zu den heiligen Orten - wie etwa die Kaaba in Mekka, wo man ebenfalls den Eid zu leisten pflegte - gehörte.Denn das älteste Dokument aus der Frühzeit, die sog. „Verfassung von Medina“,erwähnt nur die Siedlung von Yathrib als „heilig“ und „unantastbar“ (haram), nicht aber einen speziellen Ort, oder gar das Minbar selbst. Die Tabuisierung der Kanzel, an der man den Eid par excellence in Medina zu leisten hat, ist späteren Ursprungs als ihre Errichtung.Die Kanzel entwickelte sich allmählich zur „Tribüne für die Besprechung aller öffentlichen Angelegenheiten“ (Ignaz Goldziher).Sie war zunächst eine Art „Richterstuhl“, der allgemein bekannter Aufenthaltsort Mohammeds auch außerhalb der Gebetszeiten - wie dies Carl Heinrich Becker in seiner Untersuchung treffend beschreibt.Die Kanzel verstand man somit schon in der Frühzeit als Symbol der weltlichen, politischen Macht; sie ist der Ort für die Erfüllung und Bestätigung der politischen Legitimation. Bei der Wahl des ersten Kalifen Abu Bakr wurde dieser aufgefordert, auf die Kanzel zu steigen, damit die Leute ihm den Treueid leisten - heißt es in der Beschreibung des Ereignisses bei Buchari; bei Ahmad ibn Hanbal - in seinem „Musnad“ heißt es:„als die Menschen sich versammelt hatten, stieg Abu Bakr auf die Kanzel (minbar), auf etwas, was man ihm hergestellt hatte, worauf er dann die Ansprache hielt“. Auch beim Prophetenminbar ist nicht der Bau selbst und dessen Form oder Größe ausschlaggebend, sondern der Ort an sich, an dem man den Eid leistet bzw. die politische Legitimation empfängt.

Die Funktion des Minbar in Medina und später in den Provinzstädten als Stätte des öffentlichen Lebens und der Eidleistung bei Rechtsentscheidungen verstand man ursprünglich nicht als Parallele zum mekkanischen Heiligtum, wo das Ablegen des Eides schon in vorislamischer Zeit Sitte gewesen ist.Die Gleichschaltung beider Orte - die Kaaba in Mekka, die Prophetenkanzel in Medina - erfolgt erst in den Systematisierungsversuchen der frühen Jurisprudenz in der Zeit von Malik ibn Anas und asch-Schafii im späten 8. Jahrhundert. Durch die Gestaltung der Rechtsfindung bezeichnete man das Prophetenminbar als „Schiedsstelle“ des Rechts maqta' al-huquq / مقطع الحقوق / maqṭaʿu ʾl-ḥuqūq (siehe Lit.Dozy);in den Großmoscheen des islamischen Reiches - Damaskus,Kufa, Fustat, Córdoba - indes galt die Nähe des Mihrab als Ort der Eidleistung.

Das Prophetenminbar in Medina blieb als Reliquie aus der Frühzeit bis in die Gegenwart hinein unantastbar; dieser Gedanke ist, wie die Quellen darüber berichten, schon im ersten muslimischen Jahrhundert Teil der islamischen Tradition.Die Kalifen der Umayyaden - Muʿāwiya, ʿAbd al-Malik ibn Marwān und al-Walīd ibn ʿAbd al-Malik sollen die Absicht gehabt haben,die Prophetenkanzel nach Damaskus mitzunehmen, um dadurch der politischen Macht in der neuen Residenz der Umayyadenkalifen Nachdruck zu verleihen. Muʿāwiya konnte von seinem zweifelsfrei politisch motivierten Vorhaben zwar abgehalten werden, ließ aber die Kanzel von Medina an ihrem ursprünglichen Ort mit einem Stoff einhüllen - eine Handlung, wodurch ein Gegenstand - wie von Julius Wellhausen und nach ihm von C.H.Becker dargestellt - eine gewisse Heiligkeit erlangt und die bei der Kaaba in Mekka schon in der vorislamischen Zeit üblich gewesen ist.

Daß man gegen die Tabuisierung des Prophetenminbars auch Bedenken hegte, zeigen die bereits in der Mitte des 8. Jahrhunderts auf den Propheten zurückgeführten Aussagen in Form von Hadithen: „Gott, bewahre mich davor, daß man mein Grab als Götzen verehrt und meine Kanzel zu Festen benutzt“ (ʿAbd ar-Razzāq aṣ-Ṣanʿānī :al-Muṣannaf, VIII.Nr.15916).

Literatur

  • Carl Heinrich Becker: Die Kanzel im Kultus des alten Islam. In: Orientalische Studien Th. Nöldeke ... gewidmet. Giessen, 1906. Bd. I. S. 331-51. Auch in:Islamstudien. Bd.I. S.450ff.Leipzig 1924
  • R.Dozy:Supplément aux Dictionnaires Arabes.3. Auflage. Bd.II.347b: maqṭaʿ. Brill, Leiden 1967
  • Ignaz Goldziher: Der Chatib bei den Arabern.In: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 6 (1892)90-102
  • M. Muranyi: „man ḥalafa ʿalā minbarī āṯiman...“. Bemerkungen zu einem frühen Traditionsgut. In: Die Welt des Orients 18 (1987) 92-131; 20/21 (1989-1990)115-120 (Nachträge)
  • J. Pedersen: Der Eid bei den Semiten. Strassburg 1914
  • Julius Wellhausen: Reste arabischen Heidentums. (Nachruck), Berlin 1961
  • Ferdinand Wüstenfeld (Hrg): Die Chroniken der Stadt Mekka. Bd. I. Die Geschichte und Beschreibung der Stadt Mekka von al-Azraqi. Leipzig 1858. Nachdruck Beirut 1964
  • Encyclopaedia of Islam. New Editon. Bd. VII.73