Autobiografie
Eine Autobiografie (vom Griechisch autos, 'Selbst', (Biographie) (griechisch βιογραφία, von βíος - das Leben und γραφή - die Schrift) ist die Beschreibung der eigenen Lebensgeschichte.
Theorie der Autobiografie
Biografien berücksichtigen im Allgemeinen eine Vielzahl von Dokumenten, Geschichten und verschiedene Gesichtspunkte.
Eine Autobiografie hingegen kann allein auf der Selbsterkenntnis einer Person beruhen. Sie steht in einer doppelten Perspektive: die Chronik eines eigenen Lebens ist sowohl Subjekt als auch Objekt der Darstellung. Eine Autobiografie hat einen doppelten Anspruch: Einerseits soll sie die historische Wirklichkeit vermitteln, andererseits stellt sie ein literarisches Kunstwerk dar. Dieses Grenzgängertum zwischen Geschichte und Literatur verweist die Autobiografie auf eine Randposition der literaturwissenschaftlichen Fragestellungen. Gleichwohl betrifft sie aus systematischen Gründen die Kernbereiche der Literaturwissenschaft.
Autobiografien stellen den Anspruch auf die historische Realität, auch eine sogenannte "Wirklichkeit", dies macht die Autobiographie zu einem referentiellen Text. Andererseits ist es auch offenkundig, dass sie diesem Anspruch nicht genügen kann, da der objektiven Berichterstattung die subjektive Autorposition gegenübersteht. Es ist offensichtlich, dass niemand in der Lage ist, die subjektive Wahrnehmung hinter sich zu lassen. Bereits die Psychoanalyse bezeichnet die Selbsterkenntnis als Selbstverkenntnis.
Die Autobiografie ist, im Gegensatz zu den rein fiktionalen Gattungen, durch die strukturelle Offenheit zum Ende hin gekennzeichnet: Seinen eigenen Tod hat noch kein Autobiograf beschrieben.
Der Begriff der Autobiografie ist fließend. Ihre Abgrenzung zu den Memoiren erfährt sie folgendermaßen: Memoiren schildern das Erleben eines Individuums als Träger einer sozialen Rolle (zum Beispiel der Präsident). Die Autobiografie beschreibt das Leben des noch nicht sozialisierten Menschen, die Geschichten seines Werdens und seiner Bildung, seines Hineinwachsens in die Gesellschaft. Autobiografien führen in der Regel bis zu dem Punkt, an dem der Erinnernde seinen Platz in der Gesellschaft eingenommen hat (bzw. gefunden hat) und seine Rolle in ihr zu spielen beginnt.
In diesem Sinne schreibt Wilhelm II. seine Memoiren; Goethes Autobiografie 'Dichtung und Wahrheit' endet mit seinem ersten großen Bucherfolg.
Bekannte Autobiografien
Ein Name für solch ein Werk in der Antike war apologia. Es handelte sich dabei eher um eine Rechtfertigung als um Introspektion. John Henry Newmans Autobiografie ist eine Apologia pro vita sua. Augustinus benutzte den Titel Confessiones für sein autobiographisches Werk und Jean-Jacques Rousseau übernahm diesen Titel auf Französisch: Confessions. The Autobiography of Benjamin Franklin, die erste säkulare Biografie, die in den USA publiziert wurde, diente späteren US-amerikanischen Autobiografien als Modell. Die berühmteste deutschsprachige Autobiografie ist wohl noch immer Goethes 'Dichtung und Wahrheit'.
Paul Delaney hat den Ausdruck "Ad-hoc-Autobiograpie" geprägt, um Autobiografien zu beschreiben, die aus dem Wunsch heraus geschrieben werden, eine vorübergehende Berühmtheit kommerziell zu nutzen. Solche Autobiografien werden routinemäßig von Ghostwritern über das Leben von Sportlern und Medienberühmtheiten, zum Teil auch über Politiker verfasst. Manche Berühmtheiten haben gestanden, ihre eigenen 'Autobiografien' nicht gelesen zu haben.
Mark Twain war wahrscheinlich die erste Person, die Fotografien in ihre Autobiografie aufnahm.
Überblick
- Augustinus von Hippo, Confessiones
- Thomas Bernhard, Die Ursache - Der Keller - Der Atem - Die Kälte - Ein Kind
- Walter Benjamin, Berliner Kindheit um neunzehnhundert
- Bismarck, Gedanken und Erinnerungen
- Giacomo Casanova, Geschichte meines Lebens 1826.
- Benvenuto Cellini, Autobiografie des Benvenuto Cellini, 1728
- Marguerite Duras Der Liebhaber, 1984.
- Benjamin Franklin, Autobiografie des Benjamin Franklin, 1869
- Mahatma Gandhi, Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit 1927 und 1929
- Goethe, Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit
- Emma Goldmann, Living my life
- Ulysses S. Grant, Memoiren, 1885
- Günter Grass, Beim Häuten der Zwiebel 2006
- Max Hoelz - Vom weißen Kreuz zur roten Fahne 1929
- James Joyce, Ein Porträt des Künstlers als junger Mann
- Helen Keller, Die Geschichte meines Lebens, 1903
- Ruth Klüger, Weiter leben. Eine Jugend
- Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Memoiren eines Revolutionärs, 1899
- Selma Lagerlöf, Aus meinen Kindertagen", 1930, Tagebuch der Selma Ottilia Lovisa Lagerlöf
- Michel Leiris, Die Spielregel
- Nelson Mandela, Der lange Weg zur Freiheit" 1994
- Axel Munthe, Das Buch von San Michele
- John Stuart Mill, Autobiografie (Mill), 1873
- Vladimir Nabokov, Speak, Memory, 1966
- Anaïs Nin, Das Tagebuch der Anaïs Nin, 1966-76
- Shlomo Perel, Ich war Hitlerjunge Salomon (1989) ,
- Thomas de Quincey, Bekenntnisse eines englischen Opiumessers 1821
- Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben
- Ludwig Renn, Meine Kindheit und Jugend 1957
- Jean-Jacques Rousseau, Bekenntnisse
- Bertrand Russell, Autobiografie (Russell) 1967, 1969
- George Sand, Geschichte meines Lebens
- Jean-Paul Sartre, Die Wörter, 1964
- Albert Schweitzer, Aus meinem Leben und Denken, 1933
- Victor Serge, Erinnerungen eines Revolutionärs
- Nicholas Sparks Nah und fern – Die Reise unseres Lebens
- Gertrude Stein, Die Autobiografie der Alice B. Toklas, 1933
- Henry David Thoreau, Walden, 1854
- Anna Wimschneider Herbstmilch 1985.
- Malcolm X, Die Autobiografie des Malcolm X, 1965
- William Butler Yeats, Autobiografie (Yeats), 1936
- Carl Zuckmayer Als wär’s ein Stück von mir (1966)
Geschichte der Autobiografie
Autobiografie in der klassischen Antike
Bei der Feststellung der griechischen Autobiografie der klassischen Zeit stößt man auf Probleme. So gibt es zwar Texte mit autobiografischen Tendenzen, aber keine Autobiografie an sich. Ein Beispiel ist der nur in Fragmenten erhaltene Reisebericht des Ion von Chios (FGrHist 392 F 4-7). Auch in den nächsten beiden Punkten wird deutlich, dass man sich anderer Gattungen bedienen muss, um autobiografische Texte abzufassen.
Platons 7. Brief – sofern der denn nicht gefälscht ist – gibt uns Auskunft über die Erlebnisse auf Sizilien und damit verbunden über seine Entwicklung, die dorthin geführt hat.
Isokrates’ Antidosis ist eine 355/354 v. Chr. veröffentlichte Rede, die in enkomiastischen Tönen das Leben des Isokrates schildert. Der Text soll Zeugnis über seinen Charakter und seine Gesinnung ablegen, da seine guten Eigenheiten häufig verkannt würden, wie er selbst bekennt.
Im Hellenismus kam das Genre der politischen Autobiografie, die Hypomnemata, auf. Dies ist nicht zu verwechseln mit den Ephemeriden genannten Hofjournalen, die eher den Charakter einer Chronik hatten.
Aratos von Sikyon (271-213 v. Chr.) schreibt um 215 v. Chr. eine Autobiografie, in der er sein politisches Handeln rechtfertigt. Aratos befreite große Teile Griechenlands von der Makedonenherrschaft, schloss aber aufgrund des Erstarken Spartas ein Bündnis mit den Makedonen. Seine Schrift dient als Rechtfertigung hierfür.
Ptolemaios VIII. Euergetes II. (ca. 182-116 v. Chr.) schrieb eine 24-bändige Autobiografie, die uns in den Deipnosophistai (Gelehrten-Gastmahl) des Athenaios in Auszügen erhalten ist. Leider sind nur die Passagen der Autobiografie überliefert, die sich auf Essen und Trinken beziehen.
Siehe auch
Literatur
- Die Autobiographie : zu Form und Geschichte einer literarischen Gattung, hrsg. von Günter Niggl, Darmstadt : Wiss. Buchges., 1989
- Antike Autobiographien : Werke - Epochen - Gattungen, hrsg. von Michael Reichel, Köln [u.a.] : Böhlau, 2005
- Gebauer, Kerstin , Mensch sein, Frau sein : autobiographische Selbstentwürfe russischer Frauen aus der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs um 1917, Frankfurt am Main [u.a.] : Lang, 2004
- Kloth, Nicole: Die (auto-)biographischen Inschriften des ägyptischen Alten Reiches: Untersuchungen zu Phraseologie und Entwicklung, Hamburg: Buske-Verlag, 2002.
- Lejeune, Philippe: L'autobiographie en France, Paris: Colin, 1971.
- Lejeune, Philippe: Der autobiographische Pakt, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994
- Misch, Georg, Geschichte der Autobiographie, 4 Bände, 1949-1969
- Paulsen, Wolfgang: "Das Ich im Spiegel der Sprache. Autobiographisches Schreiben in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Tübingen: Niemeyer, 1991.
- Schneider, Manfred : Die erkaltete Herzensschrift. Der autobiographische Text im 20. Jahrhundert, München und Wien: Hanser, 1986.
- Smith, Robert: Derrida and autobiography, Cambridge University Press, 1995
- Stover, Johnnie M., Rhetoric and resistance in black women's autobiography. Gainesville, Fla. [u.a.]: Univ. Press of Florida, 2003.
- Wagner-Egelhaaf, Martina, Autobiographie, 2. Auflage Stuttgart: Metzler 2005
Weblinks