Zum Inhalt springen

Bedingungsloses Grundeinkommen

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 18. Oktober 2006 um 21:27 Uhr durch Red Grasshopper (Diskussion | Beiträge) (Erwartete Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein sozioökonomisches Modell, in dem jeder Mensch, unabhängig von Einkommen, Lebensalter und von Arbeits- bzw. Tätigkeitseinsatz, einen gesetzlichen Anspruch auf eine die Existenz und Teilhabe sichernde finanzielle Grundabsicherung durch den Staat bzw. das politische Gemeinwesen hat.

Die Idee

Das BGE soll ein steuerfinanziertes Basiseinkommen für alle sein, in Existenz und Teilhabe sichernder Höhe und ohne sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung (Einkommen/Vermögen) bzw. ohne Arbeits-/Tätigkeitsverpflichtung (bzw. ohne Zwang). Es kann aber soviel hinzu verdient werden, wie es jede/r einzelne für erstrebenswert hält und soweit dies am Markt aushandelbar ist. Je nach Modell des Grundeinkommens wird eine Zahlung in Höhe des Sozialhilfesatzes bzw. des Arbeitslosengeldes II bis hin zu 2.000 € vorgeschlagen. Einige Modelle sehen einen schrittweisen Ersatz der (versicherungsbasierten und steuerfinanzierten) Sozialleistungen durch das BGE vor.

Das Grundeinkommen unterscheidet sich damit von einer Grundsicherung, die nur gezahlt wird, wenn kein anderes ausreichendes Einkommen vorhanden ist und die mit einer Bedürftigkeitsprüfung und in der Regel mit Arbeitsverpflichtung bzw. dem Nachweis der Arbeitsbereitschaft verbunden ist.

Die Beweggründe für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens sind vielschichtig. Auf der einen Seite stehen ökonomische Aspekte, auf der anderen politische bzw. soziale.

Moralische Aspekte

Die Frage, ob ein BGE überhaupt anzustreben ist, ist zunächst eine moralische. Zwei Positionen stehen sich – unabhängig von der ökonomischen oder politischen Machbarkeit – gegenüber:

Befürworter leiten eine derartige Zielvorgabe aus der Menschenwürde ab: Das grundgesetzliche Verbot der Zwangsarbeit werde durch den ökonomischen Zwang, durch Arbeit zur Selbsterhaltung ausgehebelt. Die Befürworter möchten damit Freiheit für die persönliche Entfaltung des Individuums schaffen und somit neue Lebenskonzepte in sozialen und künstlerischen Bereichen ermöglichen.

Gegner halten es für ein moralisches Gebot, dass „jeder nach seinen Möglichkeiten“ zum Wohlstand der Gesellschaft beizutragen habe. Sie sehen in der durch das bedingungslose Grundeinkommen gewonnenen Freiheit eine Aufforderung zur Untätigkeit. Der (materielle) Anreiz zur Aufnahme einer Arbeit sinkt, so dass sich insbesondere für Menschen mit geringen Einkommen „Arbeit nicht mehr lohnt“.

Zitate zu dieser Auffassung:

  • Karl Marx fordert: "Jeder nach seinen Möglichkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen"
  • Paulus [1] formuliert in der Bibel drastischer „wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“. Dagegen Jesus: „Seht euch die Vögel des Himmels an, sie säen nicht, sie ernten nicht, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?“ [2]
  • Max Weber behandelte in seinem berühmten Werk Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus den Stellenwert von Arbeit und Leistung in der protestantischen Kultur: Arbeit ist hier ein Wert an sich und so verdienter Wohlstand Ausdruck eines gottgefälligen Lebens: Nicht Arbeit an sich, sondern rationale Berufsarbeit ist eben das von Gott verlangte.
  • der Volksmund überliefert: „Müßiggang ist aller Laster Anfang“.

Auswirkungen

Von den Befürwortern erhoffte Auswirkungen

Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens erhoffen sich folgende Effekte:

Reihenfolge ohne Wertung:

Erwartete gesamtwirtschaftliche und soziale Auswirkungen

  • Bürokratieabbau und Verhinderung verdeckter Armut (Nichtinanspruchnahme bedürftigkeitsgeprüfter Sozialtransfers)[3], da die Bedürftigkeitsprüfung entfällt.
  • Senkung der Lohnnebenkosten, da die Arbeitslosen- und Rentenversicherung entfällt bzw. auf eine freiwillige Vorsorge beschränkt werden kann. In einigen Modellen wird auch die Krankenversicherung vom Grundeinkommen bestritten. Dann entfallen die Lohnnebenkosten vollständig, was zusätzlich den Verwaltungsaufwand bei der Lohnauszahlung verringert.
  • Größerer Anreiz, Arbeit aufzunehmen, da das Grundeinkommen weiterhin unvermindert gezahlt wird.
  • Revision des Beamtenstatus notwendig (zu viele Beamte für zu wenige Aufgaben)
  • Höhere Bezahlungsmoral. Viele Schuldner haben nicht das Problem des Wollens, sondern des Könnens. Da die Existenz gesichert ist, werden Mitteln für das Tilgen erhöht.
  • Mitarbeiterwerbung wird nötig, dadurch bessere Arbeitsbedingungen
  • Stärkung der Binnennachfrage und Stabilisierung der Wirtschaft
  • Mehr Planungssicherheit für die Bevölkerung, dadurch geringere Sparquote, vor allem in Zeiten der Rezession. Dies könnte zu einer beständigeren Wirtschaftsentwicklung führen.
  • Konjunktur-Aufschwung. Durch die Rezession am Anfang dieses Jahrtausend und der soziale Wandlung durch Harz IV usw., konnte man im Gewerbe eine deutlich gefallene Konsumfreudigkeit feststellen. Auch in der Industrie waren Sparmaßnahmen und Rationalisierung im Trend.
  • Mehr Anreize zu Arbeitszeitverkürzung
  • Entlassung führt nicht zu Armut, weniger Streiks bei Entlassungen
  • Existenzgründung wird einfacher, da das Existenzminimum sicher ist.
  • Weniger Abhängigkeit vom Unternehmen, steigert die Motivation der Arbeiter.
  • Gerechterer Lohn. Ein größerer Spielraum für Arbeitgeber und Arbeitnehmer wäre vorhanden.

Mögliche gesellschaftliche Auswirkungen

  • Arbeitsstelle nicht mehr Existenzgrundlage
  • neue Anreize zur Arbeitsaufnahme nötig
  • ohne Bedürftigkeitsprüfung ist die Privatsphäre geschützt
  • transparente und für alle gleiche finanzielle Unterstützung
  • leichtere Familienplanung
  • höhere Effizienz der Geldverteilung
  • Wertewandel weg vom Geld
  • mehr Zeit und Muße für zivilgesellschaftliches Engagement und Bildung kommen auch der Demokratie zugute
  • Vermehrtes Engagement in Bereichen wie Vereine, Hobby, Sport und Kultur
  • flexiblere Zeiteinteilung, weg von Vollzeitjobs
  • Zurückdrängen des Lobbyismus und der Subventionswirtschaft, da die Politik nicht mehr mit potentiellen Arbeitsplatzverlusten erpressbar ist, bsp: Tabak-, Waffen-, Pharma-, Kohle-, Autolobby. Daher "bessere Politik" möglich.
  • Veränderung des Arbeits-Begriffes weg von enger Definition "Lohnarbeit" hin zu "Tätigkeit"

Politische/soziale Aspekte

  • kleinere Unterschiede zwischer Arm und Reich
  • Grundversorgung auf höherem Niveau, aber immer noch abhängig von Arbeitsstellen
  • weniger Kostendruck auf Ehrenämter
  • Abschaffung des Stigmas "arbeitslos"

Von den Gegnern befürchtete Auswirkungen

Gegner eines bedingungslosen Grundeinkommens befürchten demgegenüber folgende Effekte:

Reihenfolge ohne Wertung:

Erwartete Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen

  • Explosionsartige Erhöhung von Steuern
  • Massiv zurückgehendes Arbeitsangebot - andere Kritik: Arbeitszwang, also mehr Arbeitsangebot
  • Hierdurch Steigerung der Lohnkosten - andere Kritik: Da der Staat Löhne subventioniert ergeben sich niedrigere Lohnkosten
  • Hierdurch stark sinkende Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Wirtschaft und
  • schrumpfende Wirtschaftsleistung
  • Dadurch Bedarf einer weiteren Steuererhöhung (Teufelskreis)
  • Umfassende Kapitalflucht
  • Sinkende Sparquote
  • dadurch steigende Zinsen und
  • reduzierte Investitionen

Mögliche gesellschaftliche Auswirkungen

  • Entwicklung einer (Un-)Kultur der Faulheit
  • Erosion der Leistungsbereitschaft
  • Hierdurch vermindertes Engagement in Bereichen wie Vereine, Hobby, Sport und Kultur (trotz zusätzlicher Freizeit)
  • Flucht in Auswanderung aufgrund Steuerdrucks und Wirtschaftskrise
  • Ein solches System kann nicht funktionieren und führt sich alsbald selbst ad absurdum: wenn keiner mehr einen Anlass hat, zu arbeiten und Geld zu verdienen, gibt es auch sehr bald keinen mehr, der das Ganze finanziert; Folgen deshalb:
  • Neue (nicht-monetäre) Anreize zur Arbeitsaufnahme nötig. Hierdurch entsteht sozialer Druck oder Arbeitspflicht
  • Da eine für alle gleiche finanzielle Unterstützung keine Einzelfallgerechtigkeit bringt, wird es weiterhin zusätzliche Sozialleistungen und Subventionen geben

Abschätzung der Kosten

Ausgehend von 800 € monatlich für 80 Mio. Bürger/innen ergeben sich Kosten von 64 Mrd. € pro Monat. Davon würden durch Mehrwertsteuern vielleicht 8-10 Mrd. direkt zurück an den Staat gehen.

Eine stufenweise Einführung könnte mit 1 Euro pro Person und Tag (bzw 30 pro Monat) beginnen, die Kosten beliefen sich auf 30 Mrd. Euro jährlich. Nach obiger Abschätzung blieben davon noch 22,5 Mrd. Euro übrig, ein finanzierbarer Betrag der es zumindest zuließe, die Effekte auf die Wirtschaft, die Steuereinkommen etc. real zu überprüfen.

Nach dem Modell von Thüringens Ministerpräsident Althaus (CDU) entstehen dem Staat jährlich Kosten in Höhe von 583 Milliarden Euro. Das heutige System kostet den Staat dagegen 735 Milliarden Euro pro Jahr. Damit wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen nach Althaus günstiger als das heutige System. [4].

Finanzierung

Vorbemerkung

Die Finanzierungsgrundlage des Grundeinkommens ist eine Umverteilung von Reich zu Arm. Da das Geld wieder ausgegeben wird (also von „Arm zu Reich“ geht) ist die Rückverteilung und damit der Besitz gesichert (wenn auch dynamischer und weniger statisch). Die Wirtschaft ist von der Effizienz dieser Umverteilung abhängig. In der Wirtschaft ist ein Geldfluss (nicht das reine Vorhandensein von Geld!) eine notwendige Voraussetzung für viele Aktivitäten. Das Ziel der Finanzierung des Grundeinkommens ist somit nicht eine Ansammlung von möglichst viel Geld, das dann unter den Menschen verteilt wird (wie dies mit Nahrung oder Waren geschieht), sondern die Sicherstellung des Geldflusses von den Überschüssen der Unternehmen und Vermögenden zu den Konsumenten und von diesen wieder zurück zu den ersteren. Es geht dabei kein Besitz oder Vermögen verloren.

Finanzierungskonzepte

Steuerfinanzierte Sozialausgaben wie:

  • Sozialhilfe / Arbeitslosengeld II
  • Kindergeld, Erziehungsgeld
  • BAföG

werden überflüssig. Ob und in welchen Größenordnungen Wohngeld und Sozialversicherungsleistungen ersetzt werden, ist umstritten. Viele Modelle ersetzen weitere Sozialausgaben wie:

  • Arbeitslosengeld I
  • Rente, Pension
  • Wohngeld

durch das Grundeinkommen, bzw. reduzieren die erstgenannten um die Höhe des Grundeinkommens.

Es gibt 155 Sozialleistungen, die von 37 Stellen ausbezahlt werden [4]. Bürokratieabbau führt aber auch zu Entlassungen. Allein die Bundesagentur für Arbeit beschäftigt 95.000 Mitarbeiter [4], die sich nach der Einführung des Grundeinkommens um ihre eigentlichen Aufgaben, der Vermittlung von Arbeit, kümmern könnten.

Der Wegfall von Steuerfreibeträgen wie der

dient der Finanzierung sowie dem Bürokratieabbau.

Weitere Ansätze für die Finanzierung:

  • Ein fester Steuersatz ab dem ersten Euro für alle Einkünfte.
  • Erhöhung der progessiven Einkommensteuer bzw. Einkommensabgabe.
  • Erhebung einer Vermögensteuer
  • Besteuerung von Unternehmensgewinnen in kurzen (monatlichen) Intervallen damit schnellerer Geldumlauf, Voraussetzung ist, dass Gewinne, die Unternehmen im Inland (auch durch Export von Waren) erzielen, im Inland besteuert werden
  • höhere Mehrwertsteuer, mehr Konsum bringt dann mehr Steuern
  • Naturressourcenverbrauchsteuer

Zur langfristigen Finanzierung einer „Grundeinkommensgesellschaft“ sind insbesondere zu beachten:

  • Entwicklung der Wertschöpfung bzw. Einführung eines Distributionsgeldes (Neubewertung von Wertschöpfung)
  • Entwicklung des Anteils der Netto-Grundeinkommensempfänger
  • Kaufkraft der Bezieher
  • Angstsparen der Bezieher entfällt. Konsum steigt an.
  • Durch eine Kopplung des Grundeinkommens und des Steuersatzes an das Bruttosozialprodukt wird das Gesamtsystem stabilisiert.

An der Universität Ulm wurde das Ulmer Modell (Transfergrenzenmodell) erarbeitet. Aus der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Grundeinkommen in und bei der Linkspartei.PDS (auch mit Parteilosen und WASG-Mitgliedern) stammt das BGE-Finanzierungskonzept [5]. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen (BAG SHI) hat ebenfalls ein Finanzierungskonzept entwickelt [6]

Es ist allgemein unklar, ob die Steuermehreinnahmen eine Finanzierung gewährleisten, da deren Höhe zu einem wesentlichen Teil von der Entwicklung der Wirtschaft abhängig ist. Die genaue Entwicklung der Wirtschaft lässt sich dabei nur schwer vorhersehen.

Als Folge eines bedingungslosen Grundeinkommens wird kritisiert, dass Arbeit auch für geringeren Lohn angeboten wird,[7][8][9] da die Lebensgrundlage bereits gesichert ist. Ein BGE hat aber im Gegenteil die Verstärkung der Verhandlungsposition der Lohnabhängigen zur Folge. Denn es müsste nicht aus der Existenzsnot heraus eine Arbeit zu miserablen Bedingungen angenommen werden. Damit wären Niedriglöhne keinesfalls eine Wirkung des BGE (schon gar nicht wenn das BGE und ein Mindestlohn gemeinsam eingeführt wird). Ein niedriges Grundeinkommen (z. B. auf Sozialhilfeniveau) dagegen wäre wiederum kein bedingungsloses, da es aus der Existenznot heraus zur Erwerbsarbeit zwingt.

Die Folgen eines BGE auf das Wirtschaftswachstum sind spekulativ, da noch keine empirischen Daten vorliegen. [10] So wird von keiner Studie nachgewiesen oder widerlegt, dass bei einem hohen Grundeinkommen der Leistungsgedanke nicht untergraben wird und welche Auswirkungen dies auf die Wirtschaft hat.

Rechtslage in Deutschland

Nach heutiger Rechtslage besteht in der Bundesrepublik kein unbedingter gesetzlicher Anspruch auf ein Existenzminimum bzw. ein Grundeinkommen. Besondere verfassungsrechtliche Bedeutung bekommt hier die Selbsthilfekonzeption der Sozialhilfe (§§ 1, 2 BSHG). In ihrer Ausrichtung als „Hilfe zur Selbsthilfe“ und dem Prinzip des „Vorrang(s) der Selbsthilfe“ schließt die heutige Sozialgesetzgebung ein „Nicht-Arbeiten-Wollen“ von allen Existenz sichernden Ansprüchen an den Staat aus. Umgekehrt hat der Anspruchsteller die „Arbeitswilligkeit“ vielfältig zu erklären und glaubwürdig darzustellen. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass der so genannte „Nachrang der Sozialhilfe“ (oder „Nachranggrundsatz“) zwischen materiellen Mitteln, welche der Bürger zuerst einzusetzen hat, und seiner/ihrer Arbeitskraft nicht unterscheidet.

Geschichte

Aufgrund der Beschränkungen in der Produktion und der Notwendigkeit einer großen Anzahl von Arbeitern zur Grundversorgung der Gesellschaft ist ein Grundeinkommen als Rechtsanspruch für alle in keiner vormodernen Gesellschaft nachweisbar, auch nicht als Utopie.

Utopien wie PlatonsStaat“, Thomas MorusUtopia“, Francis Bacons „Neu-Atlantis“ oder der „Sonnenstaat“ von Tommaso Campanella, wie auch die verschiedensten Kloster-Bewegungen, den frühesten Enklaven des Gemeineigentums, beinhalten eine allgemeine Arbeitspflicht, wie sie besonders in der protestantischen Arbeitsethik deutlich wird.

In mittelalterlichen Volksmärchen wird meist gut mit fleissig und böse mit faul gleichstellt. Ein Beispiel ist das Schlaraffenland, wo es heisst, dass für solche Narren: „das Schlaraffenland gerade das richtige Land [ist]. Jede Stunde Schlafen bringt dort ein Silberstück ein und jedes mal Gähnen ein Goldstück. Wer gern arbeitet, das Gute tut und das Böse lässt, der wird aus dem Schlaraffenland vertrieben. Aber wer nichts kann, nur schlafen, essen, trinken, tanzen und spielen, der wird zum Grafen ernannt. Und der Faulste wird König im Schlaraffenland.

Den Hintergrund dazu bildete eine „plebejische Utopie“, die es damals moralisch zu bekämpfen galt. Der Marxismus sah kein bedingungsloses Einkommen vor. Die kommunistische Gesellschaft sollte radikal anders sein und einen neuen Menschen heranbilden. Auch der Sozialist August Bebel schreibt: „Sobald die Gesellschaft im Besitz aller Arbeitsmittel sich befindet, wird die Arbeitspflicht aller Arbeitsfähigen, ohne Unterschied des Geschlechts, Grundgesetz ... Die Gesellschaft kann ohne Arbeit nicht existieren. [Jeder muss Arbeit leisten um die Bedürftnisse anderer zu befriedigen, wenn er seine befriedigt haben will.]“ Die Verteilung der Güter sollte „nach der Arbeitsleistung“ und „nicht nach den Bedürfnissen“ geschehen ( wie es Lenin unter Berufung auf Marx ausdrückte). Faulheit sollte ohne die Entfremdung von der Arbeit nicht mehr existieren.

Es wird deutlich, dass sich damals die Frage der Arbeitslosigkeit und Mangel an Arbeitsstellen, wie heute in der westlichen Welt, nicht stellte. Mit der Industrialisierung, der immer steigen Arbeiterproduktivität und somit weniger benötigten Arbeitern zur Erfüllung der Grundbedürftnisse, änderte sich das.

So stellte Paul Lafargue im 19.Jh. die Frage nach der Gleichheit aller Bürger über die Besitzverhältnisse hinaus an die Arbeit selber. Nur wer „Das Recht auf Faulheit“ habe, kann gleich und frei sein. Er stellt somit erstmals eine Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen, ohne den Marxistisch/Leninistischen Umsturz der Besitzverhältnisse. Nach dem Zusammenbruch der Staaten des Ostblocks um 1989 fand eine Renaissance der Ideen Lafargues statt. Lafargue spekulierte in „Das Recht auf Faulheit“[11] über eine Selbstfinanzierung seiner Vorstellungen, indem man unproduktive Gesellschaftsmitglieder („die Menge von Soldaten, Beamten, Dienern, Kupplern usw., die sie der nützlichen Arbeit entzogen hatten“) dem Arbeitsmarkt zuführt und nur noch nutzbringende Tätigkeiten verrichten lässt. („keine Lakaien und Generäle mehr geschmückt, keine verheirateten oder unverheirateten Prostituierten mehr in Spitzen gehüllt, keine Kanonen mehr gegossen und keine Paläste mehr eingerichtet werden müssen“)

Bertrand Russell plädierte in Lob des Müßiggangs ebenso für ein Grundeinkommen. Konkrete Konzepte eines garantierten Grundeinkommens wurden ausformuliert von Joseph Carlier („Solution of the Social Question“, Brüssel 1848) und Josef Popper-Lynkeus („Die allgemeine Nährpflicht als Lösung der sozialen Frage“, Leipzig 1912). In Österreich wurde der erste Vorschlag von Lieselotte Wohlgenannt und Herwig Büchele vorgelegt.

In den USA existiert seit 1975 eine negative Einkommensteuer Earned Income Tax Credit, welche dort inzwischen zum größten Transferprogramm ausgeweitet wurde. Sie ist allerdings an eine Erwerbstätigkeit eines Familienmitgliedes gebunden, also kein Grundeinkommen. In Großbritannien generiert die negative Einkommensteuer ein zusätzliches Einkommen von bis zu 6150 €/Jahr. Sie ist ebenfalls an eine Erwerbstätigkeit gebunden, also auch kein Grundeinkommen.

Prominente Vertreter/innen der aktuellen Diskussion

Es finden sich Fürsprecher/innen aus Politik, sozialen Bewegungen, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft

Aus der Politik:

  • Thomas Straubhaar (Präsident des Hamburger Weltwirtschaftsinstitut) vertritt das Grundeinkommen zur Anpassung an die flexible Arbeitswelt (Kritik an womöglich zu hohem Grundeinkommen, da dies hohe Steuerlast bedeute)
  • Bundespräsident Horst Köhler sprach sich Ende 2005 für eine negative Einkommenssteuer nach US-Vorbild aus[22], dabei handelt es sich aber nicht um ein Grundeinkommen, da diese Negativsteuer nur an Erwerbstätige bzw. deren Haushalte gezahlt wird, also nicht arbeitsunabhängig ist
  • Katja Kipping (Linkspartei), eine Sprecherin des Netzwerk Grundeinkommen[23], sieht eine Verbindung von bedingungslosem Grundeinkommen, Mindestlohn und allgemeiner Arbeitszeitverkürzung vor
  • die Grüne Jugend hat ein bedingungsloses Grundeinkommen im Programm[24]
  • FDP: „liberales Bürgergeld“, kein Grundeinkommen, da mit Arbeitsverpflichtung[25]
  • Thüringer Ministerpräsident Althaus (CDU): „solidarisches Bürgergeld“ [26][27][28][29]
  • Kurt Biedenkopf (zum Thema): „in diese Richtung sollten wir weiterdenken“, aber nicht als bedingungsloses Einkommen[30].
  • Die Violetten, APPD, DAP, PsgD und viele andere kleinere Parteien haben ein Grundeinkommen im Programm
  • SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer gibt dem SPÖ-Anliegen der "bedarfsorientierten Grundsicherung" (die jedoch explizit kein bedingungsloses Grundeinkommen sein soll) höchste Priorität.[31]

Zitate

„Wir leben heute in einem Einkaufsparadies, das heißt, unsere Fähigkeit, Güter und Dienstleistungen hervorzubringen, ist größer als die Bedürfnisse der Menschen. (...) Die Produktivität hat die Bedürfnisentwicklung längst überholt, wir haben gesättigte Märkte, und wir brauchen immer weniger Menschen, um dieses Übermaß an Gütern zu produzieren. Jetzt ist der Moment gekommen, in dem wir uns vom Zwang der Arbeit befreien können. (...) Wenn aber die Menschen nicht mehr arbeiten müssen, weil Maschinen das zu einem immer größeren Teil erledigen - dann müssen wir sie eben mit Einkommen versorgen.“

Götz Werner: brand eins, März 2005 [32]

„Seit 15 Jahren diskutiert man verschiedene Modelle. Das radikalste stammt von dem französischen Denker André Gorz: Er spricht von einem »bedingungslosen Grundeinkommen« für alle Bürgerinnen und Bürger. Doch sein Ansatz erfordert harte Umverteilungsmaßnahmen, die in einer parlamentarischen Demokratie sehr schwer durchsetzbar wären.“

Peter Glotz: Brückenbauer Nr. 28, 11. Juli 2000

„Die Folge wäre, dass am Arbeitsmarkt der Kern aller Freiheit, nämlich die Freiheit Nein zu sagen, zur Geltung gebracht würde.“

„Wir müssen ... überlegen, wie wir einen sozialen Fußboden einziehen, der klare und verbindliche Grundlagen schafft. Das müssen wir, weil wir kein Interesse daran haben können, dass sich das untere Drittel der Gesellschaft mit den restlichen zwei Dritteln in die Haare gerät. Der Fußboden heißt übrigens staatliches Grundeinkommen. Es dient dazu, dass der Gutverdienende und Kapitalist in Ruhe seine Arbeit machen kann.“

Thomas Straubhaar: brand eins [33]

„De facto wäre das BGE nichts anderes als eine Lohnsubvention, die ein niedriges Lohnniveau absichert. Das BGE ist der konsequent zu Ende gedachte Kombilohn.“

Felix Klopotek: konkret 10 Oktober 2006

Siehe auch

Literatur

  • BAG der Sozialhilfeinitiativen (Hrsg.): Existenzgeld für alle. Antworten auf die Krise des Sozialen. Neu-Um 2000, ISBN 3-930830-14-0.
  • Zygmunt Bauman: Die Krise der Politik. Fluch und Chance einer neuen Öffentlichkeit. Hamburg 2000, ISBN 3-930908-60-3.
  • Herwig Büchele, Lieselotte Wohlgenannt: Grundeinkommen ohne Arbeit. Auf dem Weg zu einer kommunikativen Gesellschaft. Wien, München, Zürich 1985, ISBN 3-203-50898-2.
  • Ronald Blaschke: Garantiertes Grundeinkommen. Entwürfe und Begründungen aus den letzten 20 Jahren. Frage- und Problemstellungen. Dresden 2004 Blaschke Garantiertes Grundeinkommen
  • Ronald Blaschke: Garantierte Mindesteinkommen. Modelle von Grundsicherungen und Grundeinkommen im Vergleich. Meißen/Dresden 2005 Blaschke Synopse
  • Wolfgang Engler: Bürger, ohne Arbeit. Für ein radikale Neugestaltung der Gesellschaft. Berlin 2005, ISBN 3-351-02590-4.
  • Manfred Füllsack: Leben ohne zu arbeiten? Zur Sozialtheorie des Grundeinkommens. Berlin 2002, ISBN 3-930064-07-3.
  • Axel Gerntke, Werner Rätz, Claus Schäfer u. a. (Hrsg.): Einkommen zum Auskommen. Von bedingungslosen Grundeinkommen, gesetzlichen Mindestlöhnen und anderen Verteilungsfragen. Hamburg 2004, ISBN 3-89965-110-3.
  • André Gorz: Wege ins Paradies. Berlin 1983. ISBN 3-88022-279-7.
  • André Gorz: Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt/Main 2000, ISBN 3-518-41017-2.
  • André Gorz: Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie. Zürich 2004, ISBN 3-85869-282-4.
  • Michael Hardt, Antono Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-593-37230-4.
  • Bruno Kaltenborn: Modelle der Grundsicherung. Ein systematischer Vergleich. Baden-Baden: Nomos-Ver.-Ges. 1995, ISBN 3-7890-3960-8.
  • Hans Peter Krebs, Harald Rein (Hrsg.): Existenzgeld. Kontroversen und Positionen. Münster 2000. ISBN 3-89691-475-8.
  • Daniel Kreutz, „Bedingungsloses Grundeinkommen. Verwirrung, Fallen und Legenden“, in: Sozialismus, 10/2005 und 2/2006. Siehe auch [3] [4].
  • Tobias Lorenz: Bedingungsloses Grundeinkommen und Agent-Based Computational Economics – Eine Synthese, 2005 (Studienpreis der Körberstiftung)
  • Julia Müller und Joachim Bischoff: Allgemeines Grundeinkommen. Fundament für soziale Sicherheit?, Hamburg: VSA-Verlag 2006, ISBN 3-89965-186-3.
  • Helmut Pelzer: Bürgergeld. Rechenmodell zur aufkommensneutralen Finanzierung eines allgemeinen Grundeinkommens, Stuttgart: Stöffler & Schütz 1994.
  • Ulrich Oevermann: Kann Arbeitsleistung weiterhin als basales Kriterium der Verteilungsgerechtigkeit dienen?. Internetpublikation der Universitätsbibliothek Frankfurt, Frankfurt/M. 1983, [5]
  • Ulrich Oevermann: Die Krise der Arbeitsgesellschaft und das Bewährungsproblem des modernen Subjekts. In: Becker, Roland; Andreas Franzmann; Axel Jansen & Sascha Liebermann (Hg.). Eigeninteresse und Gemeinwohlbindung. Kulturspezifische Ausformungen in den USA und Deutschland. UVK, Frankfurt 2001, S. 19-38.
  • Michael Opielka: Die Idee einer Grundeinkommensversicherung: Analytische und politische Erträge eines erweiterten Konzepts der Bürgerversicherung. In: Strengmann-Kuhn, Wolfgang (Hrsg.): Das Prinzip Bürgerversicherung. Die Zukunft im Sozialstaat. Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14509-6
  • Michael Opielka und Georg Vobruba (Hrsg.): Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektiven einer Forderung. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch-Verlag 1986, ISBN 3-596-24109-X.
  • Werner Rätz, Dagmar Paternoga, Werner Steinbach: Grundeinkommen bedingungslos. Hamburg 2005, ISBN 3-89965-141-3.
  • Rainer Roth, Zur Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens, Frankfurt/M.: DVS, ISBN 3-932246-52-7.
  • Rainer Roth, Zur Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), Frankfurt/M., Feb. 2006, Internet [6].
  • Thomas Schmid (Hrsg.): Befreiung von falscher Arbeit. Thesen zum garantierten Mindesteinkommen. Berlin 1984, ISBN 3-8031-2109-4.
  • Philippe Van Parijs (Hrsg): Arguing for Basic Income. Ethical foundations for a radical reform. Verso, London, New York 1992, ISBN 0-86091-371-6.
  • Yannick Vanderborght, Philippe Van Parijs: Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags. Campus Verlag, Frankfurt 2005, ISBN 3-593-37889-2.
  • Georg Vobruba: Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Das Grundeinkommen in der Arbeitsgesellschaft. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006. ISBN 3-531-14934-2
  • Ralf Welter (KAB Aachen): Solidarische Marktwirtschaft durch Grundeinkommen. Konzeption für ein nachhaltige Sozialpolitik. Aachen 2003, ISBN 3-8322-1670-7.
  • Götz Werner (Hrsg.): Ein Grund für die Zukunft - Das Grundeinkommen. Interviews und Reaktionen. Stuttgart 2006, ISBN 3-7725-1789-7.
  • Lieselotte Wohlgenannt und Herwig Büchele: Den öko-sozialen Umbau beginnen. Grundeinkommen, Wien: Europaverlag 1990, ISBN 3-203-51101-0.

Grundeinkommen-Fokus, schweiz http://www.grundeinkommen.tv / Der Videoblog der Initiative Grundeinkommen Basel (Schweiz)

Quellen

  1. Paulus, 2. Thess. 3,10
  2. Bibel: Matthäus, Kapitel 6, 25 Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt, noch um euren Leib und darum, dass ihr etwas anzuziehen habt. (...) 26 Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen; euer himmlischer Vater ernährt sie. Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?
  3. spiegel.de: Armut: Millionen verzichten auf Unterstützung
  4. a b c Bürgergeld für alle fordert Thüringens Ministerpräsident Althaus (CDU)
  5. bag-grundeinkommen.de
  6. existenzgeld.de
  7. Rainer Roth, Zur Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), Frankfurt/M., Feb. 2006, Internet [1].
  8. Rainer Roth, Zur Kritik des bedingungslosen Grundeinkommens, Klartext e.V., Frankfurt/M.
  9. Daniel Kreutz, „Bedingungsloses Grundeinkommen. Verwirrung, Fallen und Legenden“ (Teil 2), in: Sozialismus, 2/2006. Siehe auch [2]
  10. „Dynamic Effects of a Basic Income“ (Kapitel 6.4)
  11. http://www.wildcat-www.de/material/m003lafa.htm
  12. die unabhängige Erwerbslosenbewegung
  13. Basic Income Earth Network
  14. grundeinkommen.at
  15. Freiheit statt Vollbeschäftigung
  16. Freiheit statt Vollbeschäftigung
  17. Netzwerk Grundeinkommen (Deutschland)
  18. BAG Grundeinkommen in und bei der Linkspartei
  19. Bundesjugendring: Grundeinkommen für alle, 3.12.2004
  20. attac.de: Grundeinkommen
  21. initiative-grundeinkommen.ch
  22. Stern: Interview mit Horst Köhler
  23. Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Linkspartei
  24. Grüne Jugend Bundesverband: das bedingungslose Grundeinkommen
  25. FDP: Das Liberale Bürgergeld
  26. presseportal.de: „Der thüringische Ministerpräsident sei ein Vordenker, sein Engagement beispielsweise für ein Bürgergeld und eine grundlegende Neuorientierung und Vereinfachung unserer sozialen Sicherungssysteme, belege seinen Mut neue Wege zu gehen.“
  27. tagesspiegel.de: Thüringens Ministerpräsident will dasselbe wie Politiker der Linkspartei: ein Bürgergeld für alle.
  28. wikinews: Bürgergeld für alle fordert Thüringens Ministerpräsident Althaus (CDU)
  29. d-althaus.de:
  30. Rheinischer Merkur: Autor Kurt Biedenkopf: STREITFALL GRUNDEINKOMMEN. In diese Richtung sollten wir weiterdenken.
  31. kurier.at: Grundsicherung kostet 660 Millionen Euro
  32. brandeins.de: Interview mit Götz Werner
  33. brandeins.de: Interview mit Thomas Straubhaar. 7/2005