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Bauernbefreiung

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Die Bauernbefreiung bezeichnet die (oftmals allmähliche) Auflösung der persönlichen Verpflichtungen von Bauern gegenüber ihren Grundherren (Leibeigenschaft) im 18. und 19. Jahrhundert. Der Begriff Bauernbefreiung wurde erst 1887 von Georg Friedrich Knapp ("Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens") als liberale Kritik an der Politik der preußischen Regierung geprägt.

Situation seit dem Mittelalter

Im Mittelalter und der frühen Neuzeit bestand der überwiegende Teil der europäischen Bevölkerung aus Bauern. Die Mehrzahl dieser Bauern waren aber nicht Eigentümer des von ihnen bestellten Landes. Das Land war stattdessen Eigentum eines Grundherrn. Die Bauern waren unfrei, persönlich abhängig vom Grundherrn, befanden sich im Zustand der Leibeigenschaft. Die leibeigenen Bauern bewirtschafteten Höfe, die ihren Grundherren gehörten, oder diesen als Lehen zur Verfügung standen. Die Bauern mussten Pacht bezahlen, daneben mussten sie noch einen Zehnt leisten, wenn der Grundherr dem Klerus angehörte. Die Bauern waren außerdem zu Frondiensten verpflichtet. Die damalige Gesellschaftsform wird heute als Feudalismus bezeichnet.

18. Jahrhundert

Einen entscheidenden Anstoß zur Bauernbefreiung gab die Französische Revolution, in deren Folge die feudalen Abhängigkeiten aufgehoben wurden. Die französische Nationalversammlung hatte bereits im August 1789 alle Fronen, Zehnten und sonstigen Feudalrechte, insoweit diese keine andere rechtliche Grundlage als gewaltsame Einführung hatten oder sonst mit dem Gemeinwohl unverträglich waren, ohne Entschädigung aufgehoben.

In Deutschland hatte es ebenfalls schon im 18. Jahrhundert erste Reformen gegeben (Aufhebung der Leibeigenschaft in Baden, Umwandlung der Frondienste in Geldzahlungen, das ökonomische Experiment des Hans Graf zu Rantzau), aber eine grundlegende Reform fand nicht statt.

19. Jahrhundert

In Preußen wurde 1799 die Leibeigenschaft der Domänenbauern aufgehoben. Zunächst gab es keine Reformanstrengungen bei den Privatbauern. Einen entscheidenden Schub gab es erst 1807 im Rahmen der Preußischen Reformen unter vom Stein und Hardenberg. Diese Stein- und Hardenbergschen Reformen waren unmittelbare Folge der Napoleonischen Kriege und der militärischen Niederlage Preußens gegen die französische "Revolutionsarmee".

  • das Oktoberedikt vom 9. Oktober 1807 hob die Erbuntertänigkeit für Bauern auf.
  • das Regulierungsedikt vom 14. September 1811 übertrug den Bauern das Eigentum an den von ihnen bewirtschafteten Höfen. Sie mussten sich von bisherigen Abgaben und Frondiensten durch eine Zahlung an den Gutsherrn freikaufen.
  • die Deklaration zum Regulierungsedikt (1816) regelte die Entschädigungen für die Gutsbesitzer.

Die Reformen von 1807 bis 1816 betrafen nur die Bauern, die in einem gutsherrlichen Verhältnis standen und besonders hohe Dienste zu leisten hatten. Nicht betroffen waren zunächst die mit einem besseren Besitzrecht ausgestatteten grundherrlichen Bauern. Außerdem wurde der Kreis der Bauern, die eine vollständige Aufhebung des Abhängigkeitsverhältnisses erreichen konnte, erheblich verkleinert. Durch hohe Landabtretungen wurden die Bauern zusätzlich belastet. Diese Reformen galten zudem nur für das Preußen im Gebietsstand von 1807 nach dem Frieden von Tilsit.

Die Bauernbefreiung in Preußen war 1816 noch nicht abgeschlossen. Die grundherrlichen Bauern konnten erst 1821 eine Geld-Ablösung beantragen; einen Abschluss erfuhren die Reformen erst nach 1848/49 mit dem Gesetz vom 2. März 1850.

Neben der Abschaffung der Erbuntertänigkeit und der Leibeigenschaft zählten dazu auch die Ablösung des Zehnt und weiterer Abgaben und Dienstleistungen, wofür den Grundherren hohe Entschädigungszahlungen zustanden. Da es in der Regel keine Stützungskredite von staatlicher Seite für die Bauern gab, blieben viele Höfe noch lange Zeit ihrem Grundherren verpflichtet oder waren über eine lange Zeit durch hohe Schulden belastet.

Über die Folgen der preußischen Bauernbefreiung gab es eine intensive Forschungsdebatte. Die ursprüngliche Annahme, durch die Landabtretungen wären die Bauernbetriebe erheblich zurückgegangen, ließ sich allerdings nicht bestätigen.

In den deutschen Staaten westlich der Elbe, die unter direktem oder indirektem französischen Einfluss standen, fanden ebenfalls Reformen statt, die eine Befreiung von feudalen Lasten ermöglichten, allerdings nur gegen finanzielle Entschädigung. Teilweise wurden diese Reformen nach dem Ende der französischen Herrschaft wieder zurückgenommen. Eine zweite Reformwelle setzte nach 1830 (Julirevolution) ein. Sie führte zu sogenannten Ablösungsgesetzen, die genau die Entschädigungsleistungen der Bauern an ihre Feudalherren regelten. In den südwestdeutschen Staaten verhinderten die Standesherren eine vollständige Umsetzung dieser Reformen, so dass dort erst die Märzrevolution von 1848 zu einem Durchbruch bei der Aufhebung bäuerlicher Abhängigkeit führte.

Seit den späten 1830er Jahren ermöglichten Ablösungstilgungskassen den Bauern eine finanziell günstige Ablösung, die aber immer noch auf Jahrzehnte höchst belastend blieb. Die Deutsche Inflation 1914 bis 1923 erleichterte den letzten, sich noch ablösenden Bauern die Tilgung ihrer Schulden enorm, und durch die Revolution 1918/1919 hörten auch die letzten halbfeudalen Strukturen auf zu bestehen.

Literatur

  • Dipper, Christof, Die Bauernbefreiung in Deutschland. 1790-1850. Stuttgart u.a. 1980.
  • Dipper, Christof, Landwirtschaft im Wandel. Neue Perspektiven der preußisch-deutschen Agrargeschichte im 19. Jahrhundert. NPL 38 (1993), S. 29-42.
  • Harnisch, Hartmut, Kapitalistische Agrarreform und industrielle Revolution: agrarhistorische Untersuchung über das ostelbische Preußen zwischen Spätfeudalismus und bürgerlich-demokratische Revolution von 1848/49 unter besonderer Berücksichtigung der Provinz Brandenburg. Weimar 1984 (Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam; 19).
  • Hippel, Wolfgang von, Die Bauernbefreiung im Königreich Württemberg. 2 Bde. (Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte) Boppard am Rhein 1977.
  • Knapp, Georg Friedrich, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Theilen Preussens. 2 Tle. Leipzig 1887.