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Polnischer Korridor

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Der Polnische Korridor war ein 30 bis 90 km breiter Landstreifen, der zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg Ostpreußen vom deutschen Kernland abtrennte. Er bestand aus der ehemaligen Provinz Westpreußen und Teilen der ebenfalls abgetretenen Provinz Posen.

Gründe für den Korridor

Mit dem Korridor wurde Polen ein Zugang zur Ostsee geschaffen, um dem nach dem Ersten Weltkrieg wieder unabhängig gewordenen Land die typischen wirtschaftlichen Probleme eines Binnenstaates (vgl. Schweiz, Luxemburg) zu ersparen. Ein weiterer Grund für die Abtrennung war eine durch die Sieger des ersten Weltkrieges, insbesondere Frankreich, gewollte Schwächung und Demütigung Deutschlands.

Bevölkerung

1910 war die gesamte Provinz Westpreußen, zu der der "Korridor" gehörte, 25 542 km² groß, mit 1,7 Millionen Einwohnern. Davon gaben 64,4% deutsch als Muttersprache an, im Regierungsbezirk Marienwerder 58,8% (Sprachenstatistik 1910) [1] [2]. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten 1919 durch den Vertrag von Versailles preußische Gebiete mit größerenteils deutscher Bevölkerungsmehrheit, und polnischer wie auch kaschubisch-sprachiger Bevölkerungsminderheit ohne Abstimmung der betroffenen Einwohner an Polen abgetreten werden. Zum Teil verstieß dies gegen das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts der Völker, wie es US-Präsident Woodrow Wilson gefordert hatte.

Dazu gehörte auch die Ostseeküste vom Flüsschen Piasnitz an über die Halbinsel Hela, die Putziger Wiek bis Zoppot (letzteres gehörte bereits zur Freien Stadt Danzig). Der bis dahin unbedeutende Fischerort Gdingen (poln. Gdynia) wurde von Polen in Konkurrenz zu Danzig zu einer Hafenstadt ausgebaut und durch eine Eisenbahnstrecke mit dem Industrierevier im polnischen Teil Oberschlesiens um Kattowitz (Katowice) verbunden.

Geschichtliche Entwicklung zwischen 1919 - 1945

Am 11. Juli 1920 wurden in den östlich der Weichsel gelegenen westpreußischen Kreisen und im südlichen Ostpreußen Volksabstimmungen über die Zugehörigkeit dieser Regionen zum Deutschen Reich oder zu Polen abgehalten. Es stimmten für den Verbleib bei Deutschland in Westpreußen 92 % und in Ostpreußen 98 % der Bevölkerung. Das Gebiet um Marienwerder wurde infolge der Abstimmung als "Regierungsbezirk Westpreußen" dem deutsch gebliebenen Ostpreußen angegliedert. Die Freie Stadt Danzig und Ostpreußen wurden durch den Korridor vom übrigen Deutschen Reich abgetrennt. Die in den abgetrennten Gebieten verbliebenen Deutschen waren in der Zwischenkriegszeit häufig Repressalien und Übergriffen ausgesetzt.

Langjährige Verhandlungen um Transitrechte Deutschlands insbesondere auf der Ostbahn durch den Korridor blieben erfolglos. Allerdings entspannte sich die Situation nach dem Abschluss des deutsch-polnischen Nichtangriffspaktes von 1934 scheinbar. Insgeheim wurde jedoch die Möglichkeit, den Korridor durch Krieg zurückzugewinnen, durch die nationalsozialistische Reichsregierung weiter verfolgt, wie etwa die Hoßbach-Niederschrift zeigt.

Erst nach dem Münchener Abkommen unternahm Hitler Ende 1938 einen neuen Anlauf zu einer Lösung der Frage des Korridors und Danzigs im deutschen Sinne. Unter anderem forderte Deutschland nun die Rückgängigmachung der Grenzziehung des Versailler Vertrages und - aufgrund der Übergriffe gegen die deutsche Minderheit in diesem Gebiet - eine Regelung der Rechte der dortigen Minderheiten. Es forderte eine Volksabstimmung über die staatliche Gebietszugehörigkeit der Gebiete und machte den Vorschlag, dem in dieser Volksabstimmung unterlegenen Staat als Ausgleich eine exterritoriale Autobahn durch den Korridor zu gewähren.[3] Da Polen auf die deutschen Vorschläge nicht einging, ließ Hitler seit dem Sommer 1939 die Spannungen zwischen beiden Ländern eskalieren. Der Streit um den Korridor war die Kulisse für den vorgetäuschten Überfall auf den Sender Gleiwitz am 31. August 1939. Der darauf folgende Angriff auf die Westerplatte bei Danzig mit den darauffolgenden Kriegserklärungen Großbritanniens (aufgrund der britischen Sicherheitsgarantie an Polen vom 31. März 1939)[4] und Frankreichs an Deutschland am 3. September 1939 markieren den Beginn des Zweiten Weltkrieges.

Mit dem Sieg über Polen im Herbst 1939 wurde das Gebiet des Korridors wieder an Deutschland angegliedert, um nach dessen Niederlage im Zweiten Weltkrieg 1945 zurück an Polen zu fallen, nunmehr unter anderem mitsamt dem südlichen Ostpreußen und Hinterpommern, womit sich die - nunmehr geschichtliche - Problematik des Korridors endgültig erledigt hat.

Literatur

  • Johannes Glöckner: Abgetrennt. Korridor nach Königsberg. In: LOK MAGAZIN. Nr. 258/Jahrgang 42/2003. GeraNova Zeitschriftenverlag GmbH München, ISSN 0458-1822, S. 82-83.

Anmerkungen

  1. Helmuth Fechner Deutschland und Polen, Würzburg, Holzner 1964
  2. Genealogienetz Westpreussen mit weiteren Quellenangaben
  3. Gordon Craig The Diplomats, Princeton NewYork 1953 sowie A.J.P.Taylor Die Ursprünge des Zweiten Weltkrieges, Mohn Gütersloh 1962
  4. Sidney Aster The Making of the Second WorldWar, London 1973