Geist
Geist (griech. pneuma, nous, lat. spiritus, mens, animus, anima, hebräisch ruach, arab. ruh, engl. mind, franz. esprit) ist ein uneinheitlich verwendeter Begriff vor allem der Philosophie (Deutscher Idealismus, Philosophie des Geistes), aber auch der Wissenschaften und der Religionen. Bei der Verwendung als deutsches Wort besteht die Besonderheit, dass mit Geist nicht nur allgemein das Mentale, sondern auch Gespenst und Heiliger Geist im Sinne einer Person gemeint sein kann.

Der Begriff des Geistes
Geist als Merkmal von Lebewesen
Im Zusammenhang mit einem Lebewesen wird als Geist dessen kognitive Existenz bezeichnet. Der Begriff Geist umfasst dabei alle mentalen (lateinisch mens = Geist) Fähigkeiten (des Menschen): Verstand, Intellekt, Intelligenz, Urteilskraft, Erfahrung sowie die Fähigkeit, Zusammenhänge aufzudecken.
Der Begriff des Geistes steht in einem umstrittenen Verhältnis zum Gehirn. Während die Theologie und die Philosophie in der Tradition René Descartes' und vieler seiner Vorgänger davon ausgeht, dass der Geist eine andere, immaterielle, d.h. nichtmaterielle Substanz sei, behaupten viele Naturwissenschaftler und Philosophen, der Geist sei nichts anderes als neuronale Aktivität. Die Natur des Geistes ist das Hauptthema der Philosophie des Geistes.
Geist in der Philosophie
Antike
- Allgemeines und Begriffliches
Die Frage, was „Geist“ in der Antike ist, ist bei einem begrifflich so vielschichtigen Wort problematisch. Die durch „Geist“ ausgedrückten Aspekte werden in der griechischen Antike vor allem durch pneuma und nous abgedeckt. (Weniger zentrale Aspekte von Geist beschreibende Wörter sind: psychê, thymos und teilweise auch logos). Pneuma wie auch nous bezeichnen jeweils teilweise ein menschliches Vermögen oder auch ein kosmologisches Prinzip. Pneuma ist dabei der Wortbedeutung nach ein materiell gedachter Körper bewegter Luft. Nous hingegen wird mitunter auch immateriell gedacht. Zumeist wird er bei menschlichen Aspekten rezeptiv gedacht, bei kosmischen anstoßend.
Der menschliche und der kosmologische Bereich werden zumeist getrennt voneinander behandelt, wobei es auch Vermischungen und Erklärungen von einem Bereich auf den anderen gibt. Vermutlich spielen bei diesen Übertragungen v.a. folgende zwei Aspekte eine Rolle:
- Bezüglich pneuma der Gedanke, dass bewegte Luft, Atem ein (notwendiger) Bestandteil von Leben ist.
- Bezüglich pneuma und nous die Übertragung von Eigenschaften eines Lebewesen auf den Kosmos:
- (a) bei pneuma insb. insofern es belebt ist.
- (b) bei nous insb. insofern es vernunftbegabt ist.
- pneuma
„Pneuma“ ist zuerst im 6. Jh. v. Chr. bei Anaximenes belegt. Hier findet sich eine Analogie, die pneuma als Lebensprinzip ausweist und auch den Kosmos selbst als belebt vorstellt:
- „Ebenso wie unsere Seele, welche Luft ist, uns mit ihrer Kraft zusammenhält, so umfaßt auch den ganzen Kosmos Wind [oder Atem] (pneuma) und Luft.“ [1]
Bedeutsam ist der pneuma-Begriff auch in der medizinischen Sprache, in die er durch Diogenes von Apollonia im 5. Jh. v. Chr. gelangt und durch Erasistratos und bis zu Galen im 2. Jh. n. Chr. weitere Ausprägungen erfährt.[2] Von Galen stammt eine – auch in der späteren, lateinischen Tradition – bedeutende Unterscheidung dreier pneumatischer Prinzipien, die aus dem Zusammenwirken von eingeatmeter Luft und der im Herzen hervorgebrachten Lebenswärme entstehen:
- ein physisches pneuma (spiritus naturalis), das die vegitativen Funktionen erhält;
- ein lebendiges pneuma (spiritus vitalis), ein Lebens- und Bewegungsprinzip;
- ein psychisches pneuma (spiritus animalis), die Seele.[3]
Seit dem Hellenismus und insbesondere in der Stoa vermischen sich die beiden Aspekte menschliches Vermögen und kosmologisches Prinzip im Begriff des pneuma. Pneuma bezeichnet hier die materielle Substanz - die Stoiker waren Materialisten - sowohl der Einzelseele als auch der Weltseele. Pneuma ist somit ein stoffliches und zugleich geistiges Prinzip, das den gesamten – als Lebewesen vorgestellten – Kosmos durchdringt und dessen Organisation bewirkt. Das Pneuma im Menschen ist zum Lebensanfang wie ein unbeschriebenes Blatt, das mit sinnlichen Eindrücken und Vorstellungen gefüllt wird. Es ist zudem der lenkende Seelenteil, der die für Stoiker zentrale Forderung „in Übereinstimmung (mit der – als vernünftig gedachten – Natur) leben“ zu erfüllen ermöglicht.[2] [3]
- nous
Menschliches Vermögen
Bei Homer und auch noch bei Xenophanes scheint nous ein Vermögen zu sein, dass sich sowohl auf sinnliche wie auch intelligible Gegenstände richtet und auch noch Empedokles setzt Denken und Wahrnehmen in eins. Für Parmenides hingegen hat der nous nur notwendig existierende und daher nur intelligible Gegenstände. Hinsichtlich der Funktionsweise ist von späteren Vorsokratikern (Empedokles, Anaxagoras, Demokrit) belegt, dass sie den Geist, das Denken als einen körperlichen Vorgang ansehen. Empedokles, der das Prinzip Gleiches wird nur von Gleiches erkannt, behauptet, das Blut sei der Sitz der Erkenntnis, weil es der am besten durchmischte Stoff sei.
Platon und Aristoteles fassen - im Gegensatz zu vielen Vorsokratikern - die Tätigkeit des nous, das Denken, als einen nicht-körperlichen Vorgang auf. Dieser kommt nur dem Menschen zu. Zudem unterscheidet Platon explizit auch sinnlich Wahrnehmbares von Intelligiblem und vertritt - in der Tradition von Parmenides von Elea - sehr deutlich die These, dass Wissen nur gegen die sinnliche Wahrnehmung und den Körper möglich sei.
Aristoteles definiert nous als „das, womit die Seele denkt und Annahmen macht[4].“ Er vergleicht den nous - analog wie bei der Wahrnehmung - mit einer leeren Schreibtafel aus Wachs. Er ist unaffiziert, unbestimmt, ein passives Vermögen, dessen Natur darin besteht, im Aufnehmen der Formen das aktual werden zu können, was er denkt. Er ist auch nicht einem bestimmten Organ zugeordnet, sondern körperlos.
Im Hellenismus wird das kognitive Vermögen nous sowohl von der Stoa als von Epikur materialistisch aufgefasst. Beide Schulen führen Erkenntnis vollständig auf materiell gedachte Wahrnehmung zurück.[5]
Kosmologisches Prinzip
Nachdem einige frühere Denker einem kosmologischen Prinzip entsprechende Eigenschaften zugeschrieben haben, bekommt der nous bei Anaxogoras eine tragende Rolle in der Welterklärung. Der nous ist für ihn ein Bewegungsprinzip, das er der Materie gegenüberstellt, obgleich er es nicht klarerweise als nicht-materiell beschreibt. Eine ähnliche Funktion weist der von Heraklit angenommene alles verwaltende logos auf, den er als vernünftig beschreibt.
Für Platon weist die Welt Eigenschaften eines beseelten und mit Vernunft ausgestatteten Lebewesens auf und er erklärt ihre Beschaffenheit mit Rückgriff auf eine göttliche Vernunft. Aristoteles nimmt einen unbewegten Beweger an, der die von ihm abhängige Welt und den Himmel als eine Finalursache, d.h. wie ein Geliebtes oder Erstrebtes bewegt. Dessen ununterbrochene Tätigkeit bestehe darin, den besten Gegenstand, sich selbst, zu denken (noêsis noêseôs). Diesen Gott fasst Aristoteles - im Gegensatz zu dem oben thematisierten menschlichen Vermögen – als rein aktual auf.
In der Spätantike weist Plotin dem nous die kosmologische Rolle zu, als Demiurg die sichtbare Welt nach Vorlage der Ideenwelt zu formen.[5]
Mittelalter
Augustinus unterscheidet zwischen Geist (mens, animus) und Seele (anima). Er fasst den Geist als eine an der Vernunft teilhabende Substanz auf, die zur Leitung des Leibes bestimmt ist („substantia quaedam rationis particeps regendo corpori accomodata“[6]). Dem Geist kommen wesensmäßig Vernunft (ratio) und Einsicht (intelligentia) zu. Er wird durch die Laster (vitium) geschwächt und muss um seiner Leitungsaufgabe gerecht werden zu können, durch den Glauben (fides) gereinigt werden.
Augustinus beschreibt den menschliche Geist als „Auge der Seele (oculus animae)“. Diesem ist die Erkenntnis ewiger Wahrheiten duch das unveränderliche Licht (lumen incommutabilis) des göttlichen Geistes möglich, das es und das ihr begegnende Seiende erleuchtet. Dieses Licht stellt das Innerste des Menschen selbst dar. Die Wendung (conversio) des Menschen zu diesem Innersten hin ist für Augustinus Selbstvollzug des Geistes und bedeutet die Rückkehr zu seinem eigentlichen Ursprung.
Thomas von Aquin fasst die menschliche Seele als eine geistige Substanz (substantia spiritualis) auf. Im Unterschied zur Tierseele hat sie einen rein geistigen Charakter und ist daher unsterblich.
Thomas vertritt eine strikte Leib-Seele-Einheit des Menschen. Die Seele ist Form des Leibes (forma corporis) und teilt ihm ihr Sein mit. Umgekehrt ist aber auch der Geist zur Erkenntnis auf den Leib und seine sinnliche Vermittlung angewiesen. Alle geistigen Erkenntnisse werden mittels des „tätigen Intellekts (intellectus agens)“ von den Sinneswahrnehmungen abstrahiert.
Der Mensch als schwächster Strahl der Geistigkeit vermag das rein Geistige nicht zu schauen. Die Erkenntnis vermag nur so weit zu reichen wie der geistige Gehalt des Sinnenfälligen, von dem sie ausgeht, es ihr gestattet. Eine unmittelbare Erkenntnis Gottes ist daher für Thomas ausgeschlossen.
Die menschliche Seele ist bei Thomas die niederste der geistigen Formen. Sie ist ein Vernunftprinzip, das notwendig eines Körpers bedarf, um tätig werden zu können. Sie stellt daher gegenüber der Seele der Engel, die in keinerlei Verbindung mit dem Materiellen steht, eine tiefere Stufe der Geistigkeit dar. Die Seele hängt zwar in ihrer Existenz nicht von der Materie ab, ragt aber doch tief in das Körperliche hinein, da sie ohne den Körper etwas Unfertiges ist. Sie wird bei Thomas zum äußersten und abgeschwächtesten Strahl des Verstandeslichtes, das in Gott aufleuchtet und im Menschen seine unterste Grenze erreicht wie das Sein bei der Materie. Sie steht daher auf der Grenze der geistigen und körperlichen Geschöpfe (in confinio spiritualium et corporalium creaturarum[7].).
Frühe Neuzeit
Bei René Descartes ist der Geist ontologisch von der Materie getrennt, die Wirklichkeit gliedert sich in eine materielle und eine nichtmaterielle Sphäre. Mit dieser Konzeption hat Descartes das philosophische Nachdenken maßgeblich beeinflusst: Philosophen, die den Geist als ein materielles Phänomen ansehen, müssen sich mit Descartes Argumenten für den Dualismus auseinandersetzen. Dualistische Philosophen wiederum sind bis heute mit den gleichen Einwänden wie Descartes konfrontiert. Insbesondere müssen sie erklären, wie die Interaktion zwischen der geistigen und der materiellen Sphäre vozustellen ist.
18. und 19. Jahrhundert
Bei Immanuel Kant geht das Nachdenken über den Geist jedoch zunächst in eine andere Richtung. Im Rahmen des transzendentalen Idealismus macht die dualistische Gegenüberstellung von Geist und Materie keinen Sinn, da der Geist selbst an der Konstitution der empirischen Realität beteiligt ist. Eine vom Geist und seiner Subjektivität freie Realität lässt sich nur als Ding an sich vorstellen. Doch auch mit Bezug auf das Ding an sich lassen sich keine konkreten Aussagen über eine vom Geist unabhängige Realität machen, da das Ding an sich nicht durch die menschlichen Kategorien zu fassen ist. Es lässt sich festhalten, dass mit der idealistischen Wende eine Aufwertung des Geistes stattfindet, da der Geist zu einem konstitutiven Element der Realität wird.

In der Philosophie des 19. Jahrhunderts, besonders im Deutschen Idealismus, setzt sich diese Tendenz fort. Hegel entwickelt eine Phänomenologie des Geistes und fasst die Denkgeschichte dialektisch als einen geschichtlichen Prozess der Entwicklung des Weltgeistes auf. Diese wird begriffen als die Rückwendung des Absoluten aus seinem Anderssein, der Natur, zu sich selbst. Sie konkretisiert sich in den drei Erscheinungsformen des Geistes: im subjektiven Geist des einzelnen Menschen, im objektiven Geist der menschlichen Gemeinschaftsformen von Recht, Gesellschaft und Staat und dem absoluten Geist, Kunst Religion und Philosophie. In der Philosophie vollendet sich die Rückkehr des Geistes zu sich selbst im absoluten Wissen.
Im deutschen Idealismus wurde das Kantische Programm unter Aufgabe der Idee des Dings an sich fortgeführt. Dies rückte den Geist noch weiter in den Fokus der philosophischen Aufmerksamkeit, da nun eine vom Geist unabhängige Wirklichkeit nicht einmal als Grenzbegriff vorhanden war. In der gegenwärtigen Philosophie des Geistes werden nur noch selten konsequent idealistische Theorien vertreten. Es gilt allerdings auch zu beachten, dass das Leib-Seele-Problem im Rahmen derartiger Konzeption eine klare Lösung hat: Wenn der Geist immer schon konstitutiv für die wissenschaftlich untersuchte Natur ist, so macht es keinen Sinn, zu fragen, ob und wo sich der Geist in dieser Natur zu lokalisieren sei.
Allerdings wird im 19. Jahrhundert der Geist nicht alleine unter idealistischen Vorzeichen untersucht. Insbesondere durch Darwins Entwicklung der Evolutionstheorie wird der Mensch zunehmend auch als ein biologisches System betrachtet. Dies führt dazu, dass viele Naturwissenschaftler den Geist als ein Produkt biologischer Prozesse betrachten. In Deutschland erregen insbesondere die Vulgärmaterialisten um Ludwig Büchner und Carl Vogt mit derartigen Behauptungen Aufsehen. Auch der Evolutionsbiologe Ernst Haeckel will den Geist zu einem wissenschaftlich erfassbaren Phänomen machen. Der Haeckelsche Monismus ist jedoch nicht als Materialismus zu begreifen, da Haeckel in der Tradition Spinozas von einer neutralen Substanz mit geistigen und materiellen Aspekten ausgeht. Allerdings gibt es auch unter den Naturwissenschaftlern des 19. Jahrhunderts ungleich skeptischere Stimmen. Der Elektrophysiologe Emil Heinrich du Bois-Reymond erklärt etwa 1872 in einem einflussreichen Vortrag:
- Welche denkbare Verbindung besteht zwischen bestimmten Bewegungen bestimmter Atome in meinem Gehirn einerseits, andererseits den für mich ursprünglichen, nicht weiter definierbaren, nicht wegzuleugnenden Tatsachen 'Ich fühle Schmerz, fühle Lust; ich schmecke Süßes, rieche Rosenduft, höre Orgelton, sehe Roth ...' (Du Bois-Reymond, 1872)
Der Begriff im 20. Jahrhundert
Im frühen 20. Jahrhundert war das philosophische Nachdenken über den Geist maßgeblich durch den Wiener Kreis geprägt. Der Wiener Kreis versuchte, philosophische Konsquenzen aus der Methodologie des psychologischen (methodologischen) Behaviorismus zu ziehen. Die klassischen Behavioristen hatten erklärt, dass sich introspektive Angaben über den Geist nicht verifizieren ließen und daher nicht Teil einer Wissenschaft sein könnten. Die Psychologie müsse sich daher auf Verhaltensbeschreibungen beschränken. Im Wiener Kreis wurden diese Annahmen mit dem Verifikationismus kombiniert, also der These, dass nur verifizierbare Aussagen eine Bedeutung haben. Als Konsequenz erschienen Aussagen über den Geist als sinnlos, sofern sie nicht nur von Verhalten handeln sollten.
Die behavioristische Tradition fand ihre Fortführung in Gilbert Ryles 1949 veröffentlichtem Werk The Concept of Mind (Der Begriff des Geistes), das für mehr als ein Jahrzehnt zur orthodoxen Interpretation des Themas „Geist“ in der angelsächsischen Philosophie wurde. Ryle erklärte, dass es ein Kategorienfehler sei, zu behaupten, dass der Geist etwas Inneres sei. In einer gewissen Spannung zum Behaviorismus steht hingegen das Werk Ludwig Wittgensteins. Zwar bestritt auch Wittgenstein, dass der Geist als ein innerer Zustand zu verstehen sei, grenzte sich jedoch zugleich vom Behaviorismus ab.
In den frühen sechziger Jahren fand auch in der Philosophie eine radikale Abkehr vom behavioristischen Paradigma statt. Durch die Erfolge der neurowissenschaftlichen Forschung inspiriert, versuchten Identitätstheoretiker den Geist auf das Gehirn zu reduzieren. Ein analoges Programm wurde von Funktionalisten vertreten, die sich jedoch auf Künstliche Intelligenz und Kognitionswissenschaft stützten. Diese reduktiven Bemühungen blieben allerdings nicht unwidersprochen, es wurde auf unüberwindbare Probleme des Reduktionismus hingewiesen. Mit den Qualia und der Intentionalität hat der Geist nach Meinung vieler Philosophen Eigenschaften, die sich nicht durch Naturwissenschaften erklären lassen.
Durch die Spannung zwischen den Erfolgen der empirischen Forschung und den Problemen des Reduktionismus ist in der Philosophie eine sehr differenzierte Debatte um die Natur des Geistes entstanden. Heute werden verschiedene Formen des Physikalismus, Dualismus und Pluralismus vertreten. Die Eliminativen Materialisten verzichten gänzlich auf die Annahme der Existenz von Geist.
Geist in den Naturwissenschaften
Geist und Gehirn
Das Phänomen des Geistes ist in der aktuellen Neurowissenschaft ein zentrales Problem der Grundlagenforschung. Zum einen scheint der Geist abhängig von den Hirnprozessen zu sein: Die Neurologie hat dargelegt, dass Schädigungen des Gehirns bestimmte geistige Prozesse unmöglich machen können. So führt etwa eine Zerstörung der Amygdala zu emotionalen Ausfällen. Eine Schädigung des Hippocampus kann zum Verlust des deklarativen Gedächtnisses führen. Zudem zeigen bildgebende Verfahren, dass Änderung im Geiste immer auch Änderungen im Gehirn bedeuten, viele Philosophen sprechen von der Supervenienz des Mentalen über dem Physischen.
Anderseits ist nicht klar, inwiefern die Neurowissenschaft eine Erklärung für den Geist anbieten kann. Zum einen gibt es das Problem der Qualia: Ein entscheidendes Element des Geistes ist die Empfindung. Nun wird oft eingewandt, dass die Neurowissenschaft nicht erklären könne, wieso bestimmte Hirnprozesse zu Empfindungen führen.
Die Neurowissenschaft geht davon aus, dass das komplexe geistige Gebilde eines Individuums im Lauf der Entwicklung, die im Fötus im Mutterleib beginnt, über eine Reihe von Prägungen (Verstärkung und Verkümmerung bestimmter Nervenstränge und -gruppen im Gehirn) entsteht. Der menschliche Verstand besitzt ein Bewusstsein seiner selbst. Er kann über sich selbst nachdenken. Ohne Zweifel besitzen Tiere ein ebenfalls oft hochentwickeltes Gehirn. Es ist jedoch noch nicht ausreichend erforscht, ob Tiere etwa Selbstbewusstsein haben (beispielsweise über den Tod, also das Ende ihrer Existenz nachdenken können). Man könnte etwa zunächst annehmen, dass im Hirn von Tieren 'Denkvorgänge' nicht an Sprache und deren Semantik und Grammatik gebunden sind. Wie auch immer der 'Geist' von Tieren geartet sein mag, er gestattet es dem Menschen bislang nicht, seinen Anspruch, sich mit einem Tier darüber zu verständigen, zu befriedigen.
Künstliche Intelligenz
Künstliche neuronale Netze versuchen, die vielfach vernetzten Lernprozesse des lebendigen Gehirns mit zunehmendem Erfolg nachzuahmen. Abgesehen davon, dass der Computer mit einem Bewusstsein seiner selbst immer wieder Gegenstand von Romanen und Filmen ist, stellt sich die Frage, ob in künstlichen neuronalen Netzen tatsächlich irgendwann ein Bewusstsein der Befindlichkeit des eigenen (künstlichen) Organs entsteht, ob ein künstliches neuronales Netz also etwa wird mitteilen können, dass es sich zufrieden oder unzufrieden fühlt.
Bildgebende Verfahren
Mittlerweile kann man durch neuroradiologische Untersuchungsmethoden wie Kernspintomografie und Positronenemissionstomografie in grober Vereinfachung dem menschlichen (oder tierischen) Geist im Gehirn beim Denken zuschauen. Es ist also eine Bildgebung der die einzelnen geistigen Funktionen begleitenden Stoffwechselvorgänge - nicht der Denktätigkeit oder der Gedankeninhalte selbst - möglich.
Die Funktion einzelner Nervenfasern am lebenden Menschen ist dabei schwer zu erfassen. Es gelingt, einzelne Gehirngebiete als aktiv oder inaktiv zu beschreiben; einzelne Gedanken kann man technisch bisher nicht aufschlüsseln und es ist fraglich, ob dies prinzipiell überhaupt möglich ist.
Einzelne Leistungen des Geistes lassen sich quantifizieren mittels psychologischer Tests.
Direkte Gehirnreizung
Bei neurochirurgischen Eingriffen zur Ausschaltung von Epilepsieherden führt man direkte Reizversuche am wachen menschlichen Gehirn durch, um die Schädigung wichtiger Gebiete zu vermeiden. Die Erfahrungen mit dieser Operationsmethode zeigen, daß durch elektrische Reizungen bestimmter Gehirnareale Gefühle und Gedanken ausgelöst werden können.
Geist in den Religionen
Judentum und Christentum
Altes Testament
Im Alten Testament entspricht am ehesten das hebräische Wort „rûah“ dem, was im Deutschen unter „Geist“ verstanden wird. Es bedeutet wie das griechische „pneuma“ und das lateinische „spiritus“ zunächst die bewegte Luft, der Wind. Bei Mensch und Tier bezeichnet die rûah weiterhin den Atem, der den Geschöpfen Leben einhaucht. Als Lebensprinzip ist die rûah Gottes Eigentum; die Geschöpfe leben von ihr und sterben, wenn Gott sie entzieht. Im Menschen übt die rûah die verschiedensten Lebensfunktionen geistiger, willensmäßiger, sittlicher und religiöser Art aus und ist hier mit dem Begriff „næfæsch“ („Seele“) fast synonym.
Gott als die Quelle der rûah ist selbst Geistwesen. So schwebte am ersten Tag der Schöpfung der Geist Gottes über den Wassern (Genesis 1, 2) und im Buch der Weisheit heißt es „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis“ (Weish. 1,7). Gott teilt sich auserwählten Menschen mit, indem er den Geist über sie kommen lässt. Sie werden charismatisch begabt zu (kriegerischen) Heldentaten, prophetisch-ekstatischen Fähigkeiten und mit dem „Geist der Weisheit“ (Exodus 28,3) erfüllt.
Das Alte Testament kennt auch den bösen Geist, der von Jahwe als dem einzigen Gott ausgehen kann. Dies geschieht dann, wenn die Empfänger Unheil verdienen (vgl. z.B. Das Buch der Richter, 9,22f.: „Als Abimelech drei Jahre lang über Israel geherrscht hatte, sandte Gott einen bösen Geist zwischen Abimelech und die Bürger von Sichem, so dass die Bürger von Sichem von Abimelech abfielen“). Diese böse Geistesmacht, die dem strafenden Gott unterstellt ist, hat später in der Gestalt Satans eine selbständigere Funktion und sogar ihre eigene Personifikation bekommen.
Neues Testament
Im Neuen Testament wird „Geist“ mit dem griech. Wort „ pneuma“ bezeichnet. Er meint meist den Geist Gottes, der als „Heiliger Geist“ scharf vom Geist des Menschen unterschieden wird. Er wird noch nicht so deutlich wie später in der Trinitätslehre als personal angesehen, sondern als Medium des göttlichen Handelns. Für das personale Wesen sprechen jedoch Stellen wie die in der Apostelgeschichte 5,1-11, in der Hananias und Saphira bestraft werden, weil sie den Heiligen Geist belügen.
Pneuma und Jesus
Der Begriff des Pneuma spielt eine zentrale Rolle in der Person Jesu. Bereits seine Empfängnis geschieht unter Einwirkung des Heiligen Geistes (Matthäusevangelium 1,18-20). Vom Pneuma wird er in die Wüste getrieben, um dort den Versuchungen zu widerstehen (Markusevangelium 1,12). Als Geistträger übernimmt er sein öffentliches Amt (Lukasevangelium 4,14); auf ihm ruht nun das Pneuma des Herrn (Mt 12,18). Mit seiner Hilfe ist Jesus in der Lage, die Herrschaft des Satans zu brechen (Mt 12,28). Dies bedeutet allerdings nicht, dass Jesus dämonische Kräfte unterstellt werden dürften (Mk 3,29f). Die Auferweckung Jesu von den Toten bedeutet einen Übergang in die Seinsweise des Pneuma (Römerbrief 1,4), womit Jesus als Herr (Kyrios) identifiziert wird (2. Korintherbrief 3,17).
Das Pneuma in der christlichen Gemeinde bei Paulus
Für Paulus ist fast jede Lebensäußerung der Kirche Wirkung des Pneuma. Schon bei der Konstituierung der christlichen Gemeinde ist das Pneuma am Werk (1. Korintherbrief 12,13). Das Pneuma ist eine Gnadengabe (Charisma), die bei den Gläubigen unterschiedlich verteilt ist (Röm 12,6 ff.). Paulus stellt eine Rangfolge der Charismen auf und verlangt ihre Indienstnahme in den Aufbau der Gemeinde (1 Kor 12ff.).
Paulus kennt auch ein falsches Pneuma, dass die Gemeinde „aus der Fassung bringen und in Schrecken jagen“ kann (2. Thessalonicherbrief 2,2). Es ist daher „die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden“ (1 Kor 12,10) notwendig.
All das geistige Sein der Gläubigen vollzieht sich im Pneuma. Es wird im Glauben als eschatologische Segensgabe empfangen und mit ihr das „Leben“. Das Pneuma heiligt die Glaubenden; selbst ihr Leib ist ein „Tempel“ des Pneuma. Es bedeutet Freiheit von der Herrschaft der Sünde, des Todes (Röm 8,2) und des Gesetzes (Galaterbrief 5,18). Der Gläubige darf aber diese im Pneuma gewährte Freiheit nicht zum „Anlass für das Fleisch“ (Gal 5,13) nehmen, sondern soll sich in seiner sittlichen Existenz von Pneuma leiten lassen (Gal 5,16f). Das Pneuma ist zwar das Fundament des Heils, aber noch nicht dessen Erfüllung. Paulus bezeichnet es daher als „Erstlingsgabe“ (Röm 8,23) oder „Angeld“ (2 Kor 1,22) des Gesamtheils. Die Gläubigen erwarten kraft des Pneumas „die erhoffte Gerechtigkeit“ (Gal 5,5) und v.a die Auferweckung des Leibes (Röm 8,11).
Diese Theologie hat nach Einschätzung von Kritikern dualistisch gewirkt, weil die Unterscheidung zwischen dem Reich des Geistes (und der Liebe) und dem Reich des Fleisches (und der Sünde) sehr zentral für Paulus war.
Buddhismus
Mit dem Begriff des Geistes (citta) wird im Buddhismus etwas bezeichnet, was zur Körperlichkeit hinzutritt. Er wird in der buddhistischen Anthropologie synonym gebraucht zu Begriffen wie Denken (manas) und Bewusstsein (vijñana). „Geist“ wird unter zweierlei Aspekten betrachtet. Zum einen ist er eine Erscheinungsweise der menschlichen Existenz (samsara) und bedarf als solcher der Erlösung (nirvana); andererseits bezeichnet er genau das Instrument mittels dessen die Erlösung erst möglich wird.
Der Geist geht nach buddhistischer Lehre allem Reden und Handeln voraus. Oberste Aufgabe ist es daher, ihn durch die Übung der „Achtsamkeit“ (sati) - dem siebten Glied des achtfachen Pfades - unter Kontrolle zu bringen. Weiterhin ist die Ausrichtung des Geistes, seine Konzentration auf einen Punkt (samādhi) von Bedeutung.
In der mahayanischen Tradition – vor allem der Yogachara- Schule - des Buddhismus bildet sich ein radikaler Idealismus heraus, der das Wesen der Welt nur noch als Geist interpretiert, wohingegen die Vielheit der Erscheinungen als Trug und Illusion (māyā) betrachtet wird. Der Begriff des Geistes rückt hier in die Nähe des nirwana, das als göttliches Absolutes verstanden wird, das als Prinzip alles Seienden hinter dem Schleier der individualisierenden māyā liegt.
Siehe auch
- Portal:Geist und Gehirn
- Weltgeist, Zeitgeist,
- Idealismus, Georg Wilhelm Friedrich Hegel,
- Leib-Seele-Problem
- Philosophie des Geistes
Literatur
Quellen
- ↑ Anaximenes: DK 13 B 2
- ↑ a b G. Verbeke, Geist. II. Pneuma, in: Joachim Ritter u.a. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Basel 1974, Sp. 154-166
- ↑ a b Francesco Moiso: Geist. 2. Begriffsgeschichte. 2.1 'Pneuma' und die anderen griech. Wörter, in: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie, Hamburg 1999, S. 434 f.
- ↑ Aristoteles: De An. III, 4, 429 a 22 f.
- ↑ a b Christoph Horn/Christof Rapp: Vernunft/Verstand. II. Antike, in: Joachim Ritter u.a. (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 11, Basel 2001, Sp. 749-764
- ↑ Augustinus: De animae quantitate 13.
- ↑ Thomas von Aquin: Summa theologiae I, 76, 2.
Philosophie
- Noam Chomsky: Sprache und Geist. Suhrkamp, 1967 (3 Vorlesungen)
- Peter Düweke: Kleine Geschichte der Hirnforschung: Von Descartes bis Eccles. Beck, München 2001, ISBN 3-406-45945-5
- Kenneth A. Klivington: Gehirn und Geist. Spektrum Akademischer Verlag
- Gilbert Ryle: Der Begriff des Geistes. Reclam UB
- Michael Schneider: Rätselhafte Welt – Mysterien und Rätsel unserer Zeit. BOD, Norderstedt 2004, ISBN 3833420588
- Varda Hasselmann, Frank Schmolke: Welten der Seele. München 1993, S. 31–45
- Bertrand Russell: Die Analyse des Geistes. Philosophische Bibliothek Bd. 527. 2000. VII, ISBN 3-7873-1527-6 (407 S., Buchleinen)
- Was charakterisiert den Geist im Gegensatz zur Materie? Wodurch unterscheidet sich die Psychologie von der Physik? Ich werde Sie im Verlaufe dieser Vorlesungen zu überzeugen versuchen, dass der Geist nicht so geistig und die Materie nicht so materiell ist, wie man für gewöhnlich glaubt. (Bertrand Russell; aus Vorlesungen entstanden)
- Arno Ros: Materie und Geist. Eine philosophische Untersuchung. Paderborn: Mentis, 2005. ISBN 3-89785-397-3
- Freerk Huisken: Zur Kritik der Bremer "Hirnforschung". Hirn determiniert Geist. Fehler, Funktionen, Folgen. AStA Universität Bremen, ISBN 3-938699-00-0
- Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Suhrkamp (Taschenbuch, 383 Seiten)
- Schnittstelle Gehirn. Zwischen Geist und Welt.
- Neurowissenschaften und Philosophie. Eine Einführung. Mit Michael Pauen.
- Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert.
Religion
Judentum und Christentum:
- Artikel Geist und Pneuma. in: Lexikon für Theologie und Kirche.
- Artikel Geist. in: Religion in Geschichte und Gegenwart.
Buddhismus:
- Klaus-Josef Notz (Hrsg.): Lexikon des Buddhismus. Grundbegriffe, Traditionen, Praxis. Herder Freiburg 1998, ISBN 3451047004
Weblinks
- Kommentierte Linkliste zu Kognitionswissenschaft, Neurophilosophie, Philosophie des Geistes, Psychologie
- Sammlung verschiedener Internetquellen
- So wirklich wie die Wirklichkeit. Über Wahrnehmung und kognitive Verarbeitung realer und medialer Ereignisse.
- [http://www.ausbildungsportpsychologie.at Mentalcoaching im Leistungssport