Suella Braverman

Sue-Ellen Cassiana „Suella“ Braverman PC KC (geboren am 3. April 1980 in Harrow, London als Sue-Ellen Cassiana Fernandes) ist eine britische Politikerin der Conservative Party („Tories“). Vom 6. September bis zum 19. Oktober 2022 war sie britische Innenministerin im Kabinett von Liz Truss.[1] Zuvor amtierte sie im Kabinett Johnson zwischen 2020 und 2022 als Attorney General for England and Wales und Advocate General for Northern Ireland.
Leben
Kindheit, Studium und Karriere als Juristin
Sue-Ellen Cassiana Fernandes ist die Tochter von Christie und Uma Fernandes; die beide in den 1960er-Jahren unabhängig voneinander nach Großbritannien eingewandert waren. Ihr Vater stammt aus dem indischen Goa und lebte davor in Kenia, ihre Mutter gehörte einer tamilischen Familie auf Mauritius an.[2][3] Ein Onkel, Mahen Kundasamy, war von 2005 bis 2015 Hochkommissar von Mauritius im Vereinigten Königreich. Ihr Vater arbeitete bei einer Wohnungsbaugesellschaft, ihre Mutter wiederum als Krankenschwester.[4] Nebenher engagierte sich ihre Mutter auch in der Conservative Party und als Stadträtin und kandidierte in den frühen 2000ern zweimal erfolglos für das House of Commons.[5] Fernandes selbst wurde im Londoner Stadtteil Harrow geboren und wuchs im Stadtteil Wembley auf.[6] Dank eines Stipendiums konnte sie ein lokales Gymnasium besuchen,[2] die Heathfield School im Stadtteil Pinner.[6]
Anschließend studierte Fernandes Jura am Queens’ College der University of Cambridge. Dort war sie auch Vorsitzende der Cambridge University Conservative Association, einer konservativen Hochschulgruppe. Über das Erasmus-Programm studierte sie anschließend europäisches und französisches Recht an der Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne und schloss dort ihr Studium mit einem Master ab.[6] Nach dem Abschluss ihres Studiums ging sie zurück nach England und begann dort eine Karriere als Juristin. Ihre Spezialgebiete lagen im Planungsrecht und in Fragen von Handelsstreitigkeiten, Immigration und des richterlichen Prüfungsrecht. 2005 wurde sie Barrister am Middle Temple,[6] später wechselte sie in die Kanzlei No5 chambers.[7] Sie ist buddhistischen Glaubens. Der Guardian recherchierte, sie sei Mitglied in der Buddhistischen Gemeinschaft Triratna.[2] Ihren Amtseid legte sie später auf das Dhammapada ab.[8]
Politische Karriere
Anfänge und erste Jahre als Parlamentarierin
Gleichzeitig betätigte sich Fernandes immer aktiver in der Conservative Party, den Tories.[6] Schon 2003 war sie im Gespräch für die konservative Nominierung bei einer Nachwahl im Wahlkreis Brent East, zog sich aber zugunsten ihrer Mutter zurück.[5] Bei der Unterhauswahl 2005 kandidierte sie für die Tories im Wahlkreis Leicester East, unterlag aber Keith Vaz von der damals regierenden Labour Party. Vor der Unterhauswahl 2010 versuchte sie sich erfolglos, sich im Wahlkreis Bexhill and Battle aufzustellen zu lassen.[6] 2012 kandidierte sie für die London Assembly,[7] auf Platz 4 der konservativen Wahlliste.[9] Knapp verpasste sie den Einzug in die Versammlung, stellten die Tories doch am Ende drei Abgeordnete.[10] Vor der Unterhauswahl 2015 unternahm Fernandes einen erneuten Versuch, sich eine Wahlkreisnominierung zu sichern. Diesmal hatte sie Erfolg und wurde von den lokalen Tories im konservativ geprägten Wahlkreis Fareham rund um die gleichnamige Stadt nominiert.[6] Mit über 56 % der Stimmen konnte sie am Wahltag den Wahlkreis für sich entscheiden und zog so zum ersten ins House of Commons ein.[11] 2017 und 2019 konnte sie ihren Wahlkreis mit jeweils über 63 % der Stimmen verteidigen.[12]
In den ersten Jahren als Parlamentarierin gehörte Braverman einigen unterschiedlichen Parlamentsausschüssen an, unter anderem zum Thema Bildung und finanzielle Allgemeinbildung. Vor dem EU-Mitgliedschaftsreferendum im Vereinigten Königreich 2016 bewarb sie einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs.[6] Braverman profilierte sich im Laufe der Zeit als Vertreterin des rechten Flügel der Conservative Party. So wandte sie sich als Parlamentarierin unter anderem gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe und die Legalisierung der Sterbehilfe.[2] Nach dem aus ihrer Sicht erfolgreichen Referendum wurde sie für einige Monate Vorsitzende der European Research Group (ERG), einer euroskeptischen Gruppe konservativer Parlamentarier.[6] Zudem forderte sie, dass nach einer Umsetzung des Brexits EU-Bürger keine Sonderrechte haben dürften.[2] Den Vorsitz der ERG gab sie Anfang 2018 an Jacob Rees-Mogg ab, als sie erstmals in ein Regierungsamt berufen wurde.[6]
2018–2022: Erste Regierungsämter und Attorney General
Im Januar 2018 bildete die damalige konservative Premierministerin Theresa May ihr Kabinett um und ernannte dabei Fernandes zur Parliamentary Under-Secretary of State im Department for Exiting the European Union. Im gleichen Jahr heiratete sie den Unternehmensmanager Rael Braverman und nahm dessen Nachnamen an,[6] später wurden die beiden Eltern zweier Kinder.[8] Bereits im November 2018 trat Braverman aus Protest gegen Mays Brexit-Vorschlag von ihrem Posten zurück, neben anderen Regierungsmitgliedern wie dem damaligen Brexit-Minister Dominic Raab.[6]

Im Januar 2020 wurde Braverman vom neuen Premierminister Boris Johnson im Rahmen einer Umbildung seines Kabinetts als Nachfolger von Geoffrey Cox Attorney General for England and Wales, unterbrochen von einem halbjährigen Mutterschaftsurlaub 2021, in dem sie von Michael Ellis vertreten wurde.[6] Ex officio war sie damit auch Advocate General for Northern Ireland,[13] gleichzeitig wurde sie auch Mitglied des Privy Council[14] und zur Kronanwältin ernannt.[15] Insbesondere in ihren ersten Monaten als Attorney General wurde ihr vorgeworfen, zu unerfahren zu sein, um das Amt ausüben zu können. Auch im weiteren Verlaufe ihrer Amtszeit wurde sie regelmäßig kritisiert; Äußerungen Bravermans zu den Demonstranten, die im Juni 2020 ein Denkmal von Edward Colston in Bristol gestürzt hatten, zum Nordirland-Protokoll und zu den Plänen von Johnsons Innenministerin Priti Patel, Migranten aus Großbritannien nach Ruanda abzuschieben, wurden in der Öffentlichkeit als Einmischungen in andere Zugehörigkeitsbereiche wahrgenommen.[6] Unter anderen machte sie sich für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und den Bruch des Nordirland-Protokolls stark.[2] Weitere Äußerungen Bravermans – unter anderem unterstützende Kommentare zu Joanne K. Rowlings Aussagen über Transsexualität – wurden als Unterstützung des sogenannten konservativen culture wars interpretiert.[6]
Auch während der Regierungskrise im Sommer 2022, nach mehreren Skandalen Johnsons wie dem „Partygate“-Eklat und der Pincher-Affäre, blieb sie trotz zahlreichen Rücktritten anderer Regierungsmitglieder im Amt, forderte aber Johnson am 6. Juli 2022 öffentlich zum Rücktritt auf. Gleichzeitig kündigte sie an, sich für seine Nachfolge bewerben wollen zu würden.[16] Braverman war die erste, die ihren Hut für eine mögliche Nachfolge Johnsons in den Ring warf. Johnson musste schließlich am 7. Juli 2022 dem Druck seiner Partei nachgeben und kündigte seinen Rückzug an, was den Wettbewerb um seine Nachfolge auch offiziell eröffnete.[17]
2022: Kandidatur für Premierministeramt und Innenministerin

Vor der anschließenden Wahl von Johnsons Nachfolger schaffte es Braverman, die zwanzig nötigen Unterstützer aus der Parlamentsfraktion hinter sich zu scharen, um bei den fraktionsinternen Abstimmungen zu Johnsons Nachfolge kandidieren zu können.[18] Unterstützung erhielt sie insbesondere vom rechten Flügel der Partei, besonders von Brexit-Befürwortern und von Parlamentariern, die Bravermans Einstellung im sogenannten culture war unterstützten.[6] Ihre Kampagne wurde vom Hinterbänkler Steve Baker geleitet. Mit 32 Stimmen in der ersten Abstimmungsrunde qualifizierte sie sich auch für die zweite Runde, in der er sie mit 27 Stimmen unter den verbliebenen sechs Kandidaten die wenigsten Stimmen bekam und ausschied.[19] Anschließend verkündete sie ihre Unterstützung für Liz Truss, die damalige Außenministerin.[20] Truss konnte den Wettbewerb Anfang September 2022 tatsächlich für sich entscheiden und folgte Johnson am 6. September 2022 als Premierministerin nach. Noch am selben Tag ernannte sie Braverman zu ihrer Innenministerin.[3] Braverman galt zu diesem Zeitpunkt als eine der führenden Politikerinnen des rechten Flügels der Torys.[21]
Truss erlebte jedoch in den nächsten Wochen eine turbulente Zeit. Eine kontroverse Wirtschafts- und Steuerreform endete in einem Debakel, durch das Truss Kwasi Kwarteng als Wirtschaftsminister entließ.[22] Kwartengs Nachfolger Jeremy Hunt änderte die Wirtschaftspolitik in einer Art 180-Grad-Drehung. Braverman versuchte derweil als Innenministerin, die Ruanda-Abschiebepläne ihrer Vorgängerin Priti Patel fortzuführen bzw. praktisch umzusetzen.[21] Die illegale Migration über den Ärmelkanal wolle sie weiter eindämmen.[6] Gleichzeitig sprach sie sich aus Angst vor weiterer Zuwanderung gegen ein mögliches Handelsabkommen mit Indien aus und gab bekannt, die Anzahl der Visa für internationale Studierende begrenzen zu wollen. Öffentlich kritisierte sie zudem eine von ihr postulierte „woke“ „Koalition des Chaoses“ aus Oppositionsparteien, liberalen Medien und Aktivisten von Gruppierungen wie Just Stop Oil.[21] Sie befürwortete dabei besonders ein hartes Vorgehen gegen die Klimaproteste in Großbritannien, wie sie unter anderem von der Kampagne Just Stop Oil ausgegangen waren.[6] Zudem tat sie sich als Kritikerin der wirtschaftlichen Gradwende in Truss’ Regierungspolitik hervor.[21]
Am 19. Oktober 2022 trat Braverman als Innenministerin zurück, offenbar auf Druck von Premierministerin Truss. Als offizielle Begründung wurde angegeben, dass Braverman ein offizielles Regierungsdokument über einen persönlichen E-Mail-Account an ein anderes Parlamentsmitglied versendet habe. Dies habe einen Bruch des sogenannten Ministerial Code bedeutet.[21] Bei ihrem Rücktritt bezweifelte sie zudem den Kurs der Regierung, der sie den Bruch von Wahlversprechen vorwarf, insbesondere im Hinblick auf die Begrenzung der Einwanderung.[1] Mit einer Amtszeit von nur 43 Tagen war sie die am kürzestenden amtierende Innenministerin der britischen Geschichte. Der angegebene Grund für Bravermans Rücktritt wurde von Beobachtern wie von eigenen Parteifreunden allerdings eher als Vorwand gesehen. Ihr Nachfolger wurde Grant Shapps, ein innerparteilicher Kritiker von Truss, der eher liberalere Positionen vertritt. Vor diesem Hintergrund wurde Bravermans Entlassung auch als Truss’ Versuch gewertet, innerparteiliche Kritiker stärker in ihre Regierung mit einzubeziehen und so ihre angegriffene Stellung als Premierministerin zu stärken.[21] Die innerparteiliche Kritik konnte Truss allerdings damit nicht mehr abfangen. Noch am selben Abend wurde die Kritik sogar noch verstärkt, als es bei einer Abstimmung im House of Commons zu einem Gesetzesvorschlag der Opposition zu unklaren Handlungsvorgaben der Regierung und dadurch zu tumultartigen Szenen kam. Truss kündigte somit nur einen Tag nach Bravermans Entlassung ihren Rücktritt an.[22] Für die daraufhin erneut erfolgende Wahl eines neuen Premierministers gilt Braverman wieder als mögliche Kandidatin.[23]
Auszeichnungen
- 2020: Mitglied des Privy Council[14]
- 2020: Ernennung zur Kronanwältin[15]
Weblinks
- Suella Braverman auf der Website des britischen Parlaments (englisch)
- Suella Braverman auf der Website der Fareham Conservatives (englisch)
Anmerkungen
- ↑ a b Großbritannien: Innenministerin Braverman tritt zurück. In: tagesschau.de. 19. Oktober 2022, abgerufen am 19. Oktober 2022.
- ↑ a b c d e f Flora Mory: Suella Braverman: Anti-Woke-Kriegerin im britischen Innenressort. In: derStandard.at. 6. September 2022, abgerufen am 19. Oktober 2022.
- ↑ a b UK home secy and her remarks on Indian migrants: Who is Suella Braverman? In: Business Standard. 13. Oktober 2022, abgerufen am 19. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ Karen Walter: Royaume-Uni: Suella Braverman, d’origine mauricienne, aspirante PM. In: leexpress.mu. L’express Mauritius, 9. Juli 2022, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ a b Vgl.: Benedict Brogan: Mother goes first in race to become a Tory MP. In: telegraph.co.uk. The Daily Telegraph, 14. Juli 2003, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o p q r Joe Sommerlad: Who is Suella Braverman? Former Home Secretary who lasted just 44 days in the job. In: independent.co.uk. The Independent, 19. Oktober 2022, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ a b Alex Aldridge: Vote for me, I'm a lawyer. In: theguardian.com. The Guardian, 26. April 2012, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ a b Suella Braverman: A quick guide to the ex-home secretary. In: bbc.com. BBC News, 20. Oktober 2022, abgerufen am 21. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ London-Wide Assembly Member Candidates. In: londonelects.org.uk. London Elects, 2012, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 2. Mai 2012; abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ London assembly election results 2012. In: theguardian.com. The Guardian, 8. Mai 2012, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ 2015 general election results: Fareham. In: electionsresults.parliament.uk. UK Parliament, 2015, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ 2017 general election results: Fareham. In: electionresults.parliament.uk. UK Parliament, 2017, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
2019 general election results: Fareham. In: electionresults.parliament.uk. UK Parliament, 2019, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch). - ↑ Law officers. In: instituteforgovernment.org.uk. Institute for Government, 3. März 2022, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ a b Business Transacted At The Privy Council Held By The Queen At Buckingham Palace On 19th February 2020. (PDF) In: privycouncil.independent.gov.uk. Privy Council, 19. Februar 2020, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ a b Crown Office. In: The London Gazette. Nr. 62930, 27. Februar 2020, ISSN 2057-5327, S. 3802 (thegazette.co.uk).
- ↑ Attorney General Suella Braverman calls for Boris Johnson to 'step down' as position 'untenable'. In: itv.com. ITV, 6. Juli 2022, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ Grossbritannien: Weiterer Kandidat will Johnson-Nachfolge antreten. In: faz.net. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. Juli 2022, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ Heather Stewart, Jessica Elgot, Aubrey Allegretti: Wide-open race for Tory leadership lays bare party divisions. In: theguardian.com. The Guardian, 12. Juli 2022, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ Jessica Elgot: Penny Mordaunt’s Tory leadership bid boosted as Braverman exits. In: theguardian.com. The Guardian, 14. Juli 2022, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ Sophie Morris: Suella Braverman backs Liz Truss after exit from Conservative leadership race. In: news.sky.com. Sky News, 15. Juli 2022, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ a b c d e f Pippa Crerar, Peter Walker, Aubrey Allegretti: Suella Braverman forced to resign as UK home secretary. In: theguardian.com. 19. Oktober 2022, abgerufen am 19. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ a b Premierministerin Truss tritt zurück. In: sueddeutsche.de. Süddeutsche Zeitung, 20. Oktober 2020, abgerufen am 20. Oktober 2022 (englisch).
- ↑ Tory leadership: Hopefuls jostle for MPs' support. In: bbc.com. BBC News, 21. Oktober 2022, abgerufen am 21. Oktober 2022 (englisch).
Personendaten | |
---|---|
NAME | Braverman, Suella |
ALTERNATIVNAMEN | Braverman, Sue-Ellen Cassiana (vollständiger Name); Fernandes, Sue-Ellen Cassiana (Geburtsname) |
KURZBESCHREIBUNG | britische Politikerin der Tories |
GEBURTSDATUM | 3. April 1980 |
GEBURTSORT | Harrow, London |