Moorleiche

Als Moorleiche bezeichnet man menschliche Überreste oder vollständige Leichenfunde, die durch Weichteilkonservierung im sauren Milieu eines Hochmoores sowie durch Sauerstoffabschluss und die Wirkung der Huminsäuren erhalten blieben, während sich die mineralischen Anteile der Knochen oft auflösten.
Allgemeines
Moorleichenfunde sind seit Beginn schriftlicher Aufzeichnungen bekannt; meist wurden die Körper zufällig beim Torfstechen gefunden und rasch wieder beerdigt. Einmal dem schützenden Moor entnommen, trockneten die Körper rasch ein und verwesten.
Der jüngste Moorleichenfund ist eine mehr als 2.500 Jahre alte „Teenager“-Moorleiche. Das erste Körperfragment wurde 2000 gefunden, 2005 wurden weitere Körperteile im Uchter Moor bei Nienburg geborgen. Der Körper des 16 bis 20 Jahre alten Mädchens ist nahezu vollständig erhalten. Es handelt sich um eine der ältesten, jemals in norddeutschen Hochmooren gefundenen Leichen. Die Forscher erhoffen sich wichtige Aufschlüsse über die Lebensweise der Menschen vor 2.500 Jahren.
Die meisten Funde stammen aus dem 3. und 4. Jh. n. Chr., also aus der nordeuropäischen Eisenzeit. Als Moorleichen findet man in ganz Nordeuropa und den Britischen Inseln zwischen 650 v. und 500 n. Chr. den Göttern geopferte Menschen (in Irland über 100). Hingerichtete, im Moor versenkte „Verbrecher“ sind wohl allenfalls Ausnahmen. Besonders die Germanen versenkten Menschen im Moor, die meisten davon als Opfer für ihre Götter. Der römische Schriftsteller Tacitus beschreibt in seinem Buch über die Germanen Menschenopfer für die Erdgöttin Nerthus, die bevorzugt im Spätwinter oder frühen Frühjahr stattgefunden haben.
Für die germanischen Stämme bedeutete das Moor ein Grenzgebiet zwischen menschlicher und göttlicher Welt, daher fanden dort viele rituelle Opferdarbringungen statt. Aber auch „Feiglinge, Kriegsscheue und Unzüchtige“ wurden laut dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus von den Germanen im Moor versenkt.
Jedoch sind bei weitem nicht alle Moorleichen auf Opferungen oder die Bestrafung von Verbrechern zurückzuführen: Es wurden auch immer wieder unter natürlichen Umständen gestorbene regulär im Moor bestattet. Ein Beispiel dafür ist die Frau von Peiting, die bei der Geburt ihres Kindes oder im Kindbett starb.
Auch im Moor verunglückte Menschen blieben als Moorleichen ehalten, wie die Frau von Fraer Mose zeigt. Sie wurde ausgestreckt auf dem Bauch liegend gefunden, ein Fuß steckte in einer tieferen Moorschicht fest.
Wissenschaftliche Bedeutung
Moorleichen bieten aufgrund ihres oft ausgezeichneten Erhaltungszustands eine einmalige Gelegenheit, Menschen aus der Eisenzeit zu untersuchen. Es kann festgestellt werden, an welchen Krankheiten sie litten, sogar der Mageninhalt kann in Einzelfällen (Tollundmann, Grauballe-Mann) analysiert werden und gibt Aufschluss über den möglichen Todeszeitpunkt. Die meisten Moorleichen, die erkennbar als Menschenopfer sterben mussten, wurden demnach im Spätwinter getötet. Dies ist ein wichtiges Argument, das die Deutung der Moorleichen als Menschenopfer zulässt. Der ausgezeichnete Erhaltungszustand der Weichteile bis hin zu den individuellen Gesichtszügen erlaubt es, einem Menschen der damaligen Zeit „ins Gesicht zu sehen“. Diese Möglichkeit der Begegnung erklärt die Faszination, die Moorleichen auf viele Menschen ausüben.
Untersuchungen durch die kanadische Anthropologin Heather Gill-Robinsen in jüngerer Zeit ergaben an den Torfmumien von Schleswig-Holstein im Museum Gottdorf wertvolle Hinweise auf die Ernährungsweise der eisenzeitlichen Bevölkerung. Sie war sehr fleischarm und auch durch völligen Verzicht auf Meerestiere gekennzeichnet. Sie stellte auch fest, dass einige ältere Moorfunde manipuliert wurden.
Bekannte Moorleichen
- Frau von Arden
- Frau von Borremose
- Frau von Elling
- Grauballe-Mann
- Frau von Fraer Mose
- Frau von Haraldskaer
- Frau von Huldremose
- Mann von Kragelund
- Mann von Porse Mose
- Frau von Roum Mose
- Mann von Sogaards Mose eigentlich zwei Moorleichen...
- Tollund-Mann
- Mann von Dätgen
- Mann von Damendorf
- Mann aus Jührdenerfeld
- Junge von Kayhausen
- Mann von Osterby, Kopf mit Suebenknoten-frisur
- Mann von Rendswühren
- Frau von Peiting
- Roter Franz
- Mädchen aus dem Uchter Moor
- Mädchen von Windeby (nach neuesten Untersuchungen von 2006 ein Junge...)
- Mann von Windeby
diese Liste ist noch lange nicht vollständig.....
Literatur
- P.V. Glob: The Bog People. Iron Age Man preserved. Cornell University Press, Cornell 1969. ISBN 0801404924 (Grundlegende Arbeit über Moorleichen und ihre Deutung als Menschenopfer)
- Tacitus: Germania. Reclam, Ditzingen 1972, 2002 (lat./dt.). ISBN 3150093910
- M. Gebühr: Moorleichen in Schleswig-Holstein. Verein zur Förderung des Archäologischen Landesmuseums e.V., Schleswig 2002, Wachholtz, Neumünster 2005. ISBN 3-529-01870-8