Zum Inhalt springen

Hardy-Weinberg-Gleichgewicht

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 18. Oktober 2006 um 11:11 Uhr durch Saluk (Diskussion | Beiträge) (Revert auf Version vom 2006-09-28T13:21:55; 213.39.228.191. 0,405 * 2 = 0,81!). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Hardy–Weinberg-Gleichgewicht für zwei Allele: die horizontale Achse zeigt die beiden Allelfrequenzen p und q, die vertikale Achse zeigt die Genotypfrequenzen. Die drei möglichen Genotypen sind durch unterschiedliche Zeichen dargestellt.

Das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht (nach den Mathematikern Godfrey Harold Hardy und Wilhelm Weinberg) ist ein Begriff der Populationsgenetik.

Zur Berechnung dieses mathematischen Modells geht man von einer in der Realität nicht vorzufindenden idealen Population aus (bestehend aus isozygoten Individuen), in der sich weder die Häufigkeiten der Allele noch die Häufigkeiten der Genotypen verändern, da diese sich im modellierten Gleichgewicht befinden. Dies bedeutet, dass in einer idealen Population keine Evolution stattfindet, da keine Evolutionsfaktoren greifen und diese den hier konstanten Genpool verändern.

Das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht wird trotz seines modellhaften Charakters zum Ableiten von populationsgenetischen Gesichtspunkten vom Modell auf die Realität verwendet. Insbesondere bei sich im Gleichgewicht befindenden Populationen mit relativ großer Größe lässt sich dieses Modell realistisch anwenden. Ferner findet die Regel Anwendung zur Berechnung des Anteils von heterozygoten Individuen (hier im Beispiel: Aa) bei dominant-rezessiven Erbgängen, da heterozygote Organismen von homozygot dominanten (hier: AA) phänotypisch nicht zu unterscheiden sind, da sich das dominante Allel durchsetzt.

Kennzeichen einer idealen Population

  • Sehr große Individuenzahl: Der zufällige Verlust eines Individuums oder Gendrift verändert praktisch nicht die Häufigkeit der Allele, was bei einer kleinen Population relativ große Auswirkungen hätte.
  • Panmixie: Alle Paarungen, auch von Trägern verschiedener Genotypen, sind gleich wahrscheinlich und gleich erfolgreich.
  • Es gibt keine Selektion, somit also weder Selektionsvorteile noch -nachteile für die Träger bestimmter Gene (Genotyp), die sich phänotypisch auswirken.
  • Es finden keine Mutationen statt.
  • Es finden keine Zu- oder Abwanderungen (Migration) statt, die die Allelfrequenz verändern.

Die ideale Population ist ein theoretisches Konstrukt, da in der Realität mindestens eine der Bedingungen, welche mit Ausnahme der Individuenzahlen alles Evolutionsfaktoren sind, nicht erfüllt werden. Evolution findet also stets dann statt, wenn die obigen Voraussetzungen nicht gelten.

Berechnungsformeln

Tabelle 1: Punnett-Quadrat für das Hardy–Weinberg-Gleichgewicht
Weiblich
A (p) a (q)
Männlich A (p) AA (p2) Aa (pq)
a (q) Aa (pq) aa (q2)

Allelfrequenzen:

  • Die Allelfrequenz eines Genpools ist in einer Idealpopulation konstant.
  • Die relativen Häufigkeiten der betrachteten Allele sind zueinander komplementär.
  • p + q = 1
  • p: relative Häufigkeit des Auftretens des Allels A; q: Allelfrequenz des (zu A komplementären) Allels a

Genotypfrequenzen (relative Häufigkeit des Auftretens eines Genotyps):

  • Die Genotypenfrequenz eines Genpools ist in einer Idealpopulation konstant.
  • p2 + 2 pq + q2 = 1
  • p2 = h(AA)
  • 2 pq = h(Aa)
  • q2 = h(aa)

Mit Hilfe dieser Formeln lässt sich für die Häufigkeit eines Allels in einer Population berechnen, wenn die Häufigkeiten der Genotypen bekannt sind bzw. die Häufigkeit eines Genotyps, wenn die Allelfrequenz bekannt ist. Trotz des theoretischen Konstrukts der idealen Population, lassen sich die Formeln durchaus mit Erfolg in der Praxis einsetzen.

Beispiele

Beispiel Blutgruppe

Die Vererbung von Blutgruppen ist kodominant von A und B über 0. Nehmen wir an, die Häufigkeiten der Gene für A, B und 0 im Genpool seien r, s und t (mit r+s+t=1), dann hat ein Anteil von r² den Genotyp AA und ein Anteil von 2rt den Genotyp A0. Die bedingte Wahrscheinlichkeit p (Genotyp=AA unter der Bedingung Blutgruppe=A) ist also r²/(r²+2rt). Diese bedingte Wahrscheinlichkeit ist genau dann gleich 0.5, wie in einer idealen Population, wenn r²=2rt, also dann und nur dann, wenn r=2t. Dieselbe Überlegung für BB bzw. B0 liefert s=2t, also 1=r+s+t=5t, also t=0.2, r=s=0.4. Damit hätte dann ein Anteil von r²=0.16 Genotyp AA, 2rt=0.16 hätte A0, insgesamt also 32% Blutgruppe A. Genauso 32% Blutgruppe B. Für Blutgruppe 0 erhält man t²=0.04, also 4%, für AB 2rs=0.32, also 32%.

Die Werte einer idealen Population im Hardy-Weinberg-Gleichgewicht für den Erbgang kodominanter Gene (A, B, AB zu 32%, 0 zu 4%) tritt bei menschlichen Blutgruppen nicht auf - tatsächlich sind die Werte in den verschiedenen Populationen weltweit sehr ungleich verteilt. Bei Deutschen findet sich 41% "0" und 43% "A" bei nur 11% "B" und 5% "AB", was ähnlich auch in anderen westeuropäischen Völkern zu finden ist. Im Vergleich dazu tritt bei den zentralasiatischen Völkern der Kalmücken und Burjaten die Blutgruppe "B" zu etwa 40% auf, doppelt so hoch wie andere Blutgruppen. Weltweit ist "0" die häufigste Blutgruppe, die z.B. bei südamerikanischen Indianern bis zu 100% ausmacht.

Die Kenntnis des Erbganges und des Wertes einer idealen Population im Hardy-Weinberg-Gleichgewicht gibt einen Hinweis, dass bestimmte Gene in einem Genpool einem Selektionsdruck oder Migrationseinflüssen ausgesetzt waren - am stärksten für das rezessive Gen "0", dem man einen Schutz vor Syphilis zuschreibt.

Beispiel Phenylketonurie

Die Häufigkeit für das Auftreten der Erbkrankheit Phenylketonurie in der Bevölkerung beträgt 1:10000. Alle Kranken besitzen zwei (rezessive) Allele a; wer mindestens ein (dominantes) Allel A besitzt, erkrankt nicht. Die oben angegebene Häufigkeit ist somit identisch mit der Frequenz des Genotyps 'aa': h(aa) = 0,0001

Damit ist q = 0,01 (als Wurzel aus h(aa)) und p = 0,99 (wegen p + q = 1). D.h. auch: 1% aller Gene (zu den Allelen A und a) in der Bevölkerung sind 'defekt'.

Alle Träger des (heterozygoten) Genotyps 'Aa' sind Überträger des defekten Allels a. Ihre Häufigkeit in der Bevölkerung beträgt h(Aa) = 2 pq = 0,0198 - das sind annähernd 2%.

Von 10000 Individuen haben also (theoretisch)

  • 9801 den Genotyp AA und sind phänotypisch gesund;
  • 198 den Genotyp Aa und sind zwar phänotypisch gesund, können aber das krankmachende Allel an die nächste Generation weitergeben;
  • 1 den Genotyp aa und ist an Phenylketonurie erkrankt.

q²= 1:10000, damit q=1:100 Heterozygotenhäufigkeit: 2x1(=0,99)x0,01 = 0,02

Beispiel Rot-Grün-Sehschwäche

Die Rot-Grün-Sehschwäche wird X-chromosomal rezessiv vererbt. Die Krankheit tritt dann auf, wenn ein defektes X-Chromosom vorliegt, welches nicht durch ein nicht defektes X-Chromosom überdeckt wird. Es seien 9% der Männer von der Rot-Grün-Sehschwäche betroffen. Wieviele Frauen sind dann betroffen?

Lösung: Es gibt 2 Allele für das X-Chromosom:

X = keine Sehschwäche

x = defektes X-Chromosom => Sehschwäche

X ist dominant gegenüber x

  • 91% aller X-Chromosomen bei Männern haben das Allel X.
  • 9% aller X-Chromosomen bei Männern haben das Allel x

Bezogen auf beide Geschlechts-Chromosomen ergibt das folgende Häufigkeit bei Männern:

  • p = h(Y ) = 0.5
  • q1 = h(X ) = 0.5 * 0.91 = 0.455
  • q2 = h(x ) = 0.5 * 0.09 = 0.045
Mögliche Genotypen der Männer: XY und xY
Häufigkeit innerhalb der Population: 0,91 und 0,09
Mögliche Keimzellen: X Y bzw. x Y
Häufigkeiten dieser Keimzellen: 0.5*0,91 0.5*0.91 0.5*0.09 0.5*0.09

  • Häufigkeit des defekten x-Chromosoms im Frauengenpool = q = h(x) der Frauen
  • Bei einer idealen Population werden in der nächsten Generation wieder 9% kranke männliche Nachkommen geboren, das sind 4,5% bezogen auf alle Kinder. Da männliche Nachkommen das x- oder X–Chromosom nur von der Mutter erhalten, ist q = 9%.

Zusammenfassung Genotyp:

Frauen
X (p=0,91) x (q=0,09)
Männer Y (p=0,5) XY (p2=0,455) xY (pq=0,045)
X (q1=0,455) XX (p*q1=0,41405) xX (q*q1=0,04095)
x (q2=0,045) Xx (p*q2=0,04095) xx (q*q2=0,00405)

Die Rot-Grün-Sehschwäche tritt bei Frauen phänotypisch nur beim Auftreten von 2 defekten x-Chromosomen auf. Das sind 0,405% bezogen auf alle Kinder oder 0,81% bezogen auf die weiblichen Nachkommen.

Siehe auch

Zeittafel der Evolutionsforschung, Evolutionstheorie

Arbeitsmaterial und Berechnungen zur Populationsgenetik