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Neue Unterschicht

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Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 17. Oktober 2006 um 11:37 Uhr durch Hutschi (Diskussion | Beiträge) (Politische Debatte: abgehängtes Prekariat (Quelle: SZ, 17.10.2007). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der umstrittene Begriff Neue Unterschicht ist der kulturalistischen Klassentheorie zuzuordnen. Wichtigster Vertreter ist Paul Nolte, der in seiner Schrift "Generation Reform"[1] von 2004 eine kulturelle Spaltung der „Neuen Unterschicht“ von der Mehrheitsgesellschaft ausmacht.

Wichtige Eckpunkte dieser Theorie sind, dass extreme Vermögensunterschiede als gegeben betrachtet werden, die Angehörigen der „Neuen Unterschicht“ durch sozialstaatliche Alimentierung kulturell verwahrlost seien und sich der „bürgerlichen Leitkultur“ (Nolte) anzupassen hätten. Kritisiert wird an dieser neuen Klassentheorie, dass „eine Bedrohung für die Mehrheitsgesellschaft konstruiert würde“ und Personen, die zur Gruppe der „Neuen Unterschicht“ gerechnet würden, Diffamierungen ausgesetzt sind.[2] Seit Noltes Veröffentlichung wurde dem Begriff in allen größeren Magazinen Leitartikel gewidmet und es erschienen einige Fernsehreportagen zu diesem Thema.

Begrifflichkeit

In der Soziologie wird eine Schicht u.a. nach Einkommen und gesellschaftlichem Status definiert, die folgende Gemeinsamkeiten aufweisen:

  • breite Bevölkerungsgruppen sind betroffen
  • Dauerhaftigkeit
  • Weitergabe ("Vererbung") an die Nachkommen

In diesem Rahmen fasste die "Unterschicht" - oft auch noch unterteilt in "Untere" und "Obere Unterschicht" - Arbeiter, einfache Angestellte, Bauern, Seeleute u.a.m. zusammen. Unter der Unterschicht wurden gel. auch noch die "Sozial Verachteten" (Harriet S. Moore) bzw. das "Lumpenproletariat" platziert.

In jüngster Zeit [2006] wird jedoch in einigen Medien von der Herausbildung einer sogenannten "Neuen Unterschicht" berichtet.

Demoskopie

Nach der Studie „Gesellschaft im Reformprozess“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, die im Dezember 2006 veröffentlicht wird, gehören 6,5 Millionen Deutsche zum "Prekariat". Frank Karl von der Friedrich-Ebert-Stiftung betonte, dass der Begriff „neue Unterschicht“ in der Studie nicht vorkomme.

Charakterisiert wird diese Schicht durch Arbeitslosigkeit oder Niedrigsteinkommen, Verschuldung, mangelnde Bildung, fehlende Aussichten auf Verbesserung der Situation und häufig durch Resignation. Weiterhin zeichne sie sich durch geringen familiären Rückhalt und einem Hang zu autoritären politischen Verhältnissen aus.

Der Soziologe Christian Pfeiffer nannte insbesondere viele Jugendliche als überproportional unterprivilegiert. Dem Berliner Tagesspiegel sagte er, dass zehn bis 15 Prozent der unter 18-Jährigen in diese Kategorie gehörten, da sie über geringe Bildung verfügen und keine Aufstiegschancen für sich sehen. Für die Misere mitverantwortlich machte Pfeiffer das gegenwärtige Schulsystem in Deutschland.

Politische Debatte

SPD-Vorsitzender Beck, der diesen Begriff bereits vorher nutzte, rief aufgrund der Ergebnisse der Studie zu einem Bildungsaufbruch auf, mit dem die Bildung und damit die Aufstiegschancen der sogenannten „Unterschicht“ verbessert werden sollen. Einige CDU und SPD-Politiker lehnen die Formulierung „Unterschicht“ jedoch ab, da dieses Wort eine Bevölkerungsschicht abstemple bzw. ausgrenze. Franz Müntefering sagte am im Sender N24 und öfter, dies sei eine Formulierung "lebensfremder Soziologen, es gibt keine Schichten in Deutschland. Es gibt Menschen, die es schwerer haben, die schwächer sind. Das ist nicht neu. Das hat es schon immer gegeben. Aber ich wehre mich gegen die Einteilung der Gesellschaft." Abgesehen von dieser Formulierung eines wissenschaftsfremden Politikers zeichnete er damit Fronten eines tagespolitischen Begriffkampfes auf, wie ein solcher bereits zur "neuen sozialen Frage" oder zur "Zweidrittelgesellschaft" bekannt ist. In einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wird der Begriff euphemistisch ersetzt durch den Begriff des "abgehängten Prekariats".

Quellen

  1. Paul Nolte: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik, Bonn 2004
  2. Fabian Kessl: Das wahre Elend? Zur Rede von der „neuen Unterschicht“, in: Widersprüche. 25. Jg. Heft 98, 2005

Siehe auch

Literatur

  • Paul Nolte: Generation Reform. Jenseits der blockierten Republik Bonn 2004
  • Fabian Kessl: Das wahre Elend? Zur Rede von der "neuen Unterschicht", in: Widersprüche - Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich: Heft 98 Dezember 2005
  • Alex Klein, Sandra Landhäußer, Holger Ziegler: The Salient Injuries of Class: Zur Kritik der Kulturalisierung struktureller Ungleichheit, in: Widersprüche - Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich: Heft 98 Dezember 2005
  • Widersprüche - Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich: Heft 98: Klassengesellschaft reloaded - Zur Politik der "neuen Unterschicht" Kleine Verlag Dezember 2005 ISBN 3-89370-412-4

Kritik am Begriff