Esoterik

Esoterik (von griechisch εσωτερικός, esoterikós, „innerlich“), ist, in der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs, die Lehre oder Wissenschaft des Geheimen. Gegensatz: Exoterik (i.S.v. öffentlichem Wissen). Im allgemeinen ist damit die Wissenschaft über alles nicht-sinnliche, nicht-physikalische bezeichnet, im Gegensatz zur Naturlehre oder Naturwissenschaft, der 'Lehre der Natur'. Der Begriff 'Esoterik' ist heute zumeist ein Sammelbegriff für ein breites Spektrum verschiedenartiger Weltanschauungen, welche die spirituelle Entwicklung des Individuums betonen, jedoch durch keine organisierte Religion oder religiöse Konfession im engeren Sinn als Glaube vertreten werden. Häufig wird der Begriff synonym zu New Age verwendet.
Den sich teilweise deutlich unterscheidenden oder sogar widersprechenden Lehren, die unter den Begriff "Esoterik" fallen, ist gemeinsam, dass sie die Existenz von Phänomenen außerhalb des erfahrungswissenschaftlich messbaren postulieren und sowohl naturwissenschaftliche als auch konfessionell religiöse Betrachtungsweisen als nicht ausreichend ansehen, um die Welt vollständig erklären zu können.
Wortbedeutung und Etymologie
Wörtlich bedeutet der griechische Begriff mit dem Adjektiv εσωτερική [γνώση] „das innere, innerliche, verborgene, geheime Wissen“ und „zum inneren Kreis gehörig“ (esôteros – das Innere). Das Wort „Esoterik“ bezeichnet traditionell und nach seiner Etymologie demnach eine Geheimlehre, die nur Eingeweihten zugänglich gemacht wird; im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff der Exoterik eine offene und für jeden zugängliche Lehre. Im heutigen Sprachgebrauch wird die Bedeutung des Wortes aber meist übergangen, und das eigentlich Exoterische wird esoterisch genannt.
Esoteriker verstehen meist Esoterik als die auf das Innere bezogene Lehre, also auf seelische, spirituelle Ursachen. Exoterisch sind nach dieser Deutung Betrachtungsweisen, die sich auf die fünf Sinne des Menschen und den Verstand konzentrieren und spirituelle Zusammenhänge eher verneinen.
Geschichte
Die klassische Lehre der Esoterik wurde in der Tradition der auf Hermes Trismegistos zurückgehenden antiken Geheimlehre auch als Hermetik bezeichnet. Die klassische Esoterik war in Orden, Logen und esoterischen Schulen organisiert und machte ihre Lehren nur Mitgliedern zugänglich. Neben okkulter Praxis gab sie vor allem überliefertes Gedankengut in Bereichen wie Astrologie, Zahlenmystik oder Tarot weiter. Auch die Lehren der Gnosis, Hermeneutik, Kabbala, Alchemie und der Rosenkreuzer zählten neben zum Teil lokal bedeutenden Strömungen zu den esoterischen Überlieferungen.
Im viktorianischen Zeitalter erlebten Okkultismus und verschiedenste Formen von Orakeln eine Blütezeit. Etwas gemäßigter war demgegenüber die Bewegung des Spiritualismus, die auch eine Brücke zu den fernöstlichen Religionen schlug.
Es gibt breite Überschneidungen zwischen Esoterik im engeren Sinne und der Anthroposophie nach Rudolf Steiner im weiteren Sinne (s.u.).
In den letzten 150 Jahren hat sich die Esoterik inhaltlich zu einer Weltanschauung gewandelt, deren Anhänger sie oft als allumfassend und universalreligiös und als Vereinigung der "inneren Lehren" aller Religionen sehen (Theosophie, Neugeist-Bewegung). Seit den 1930er und in einer zweiten großen Welle seit den 1980er Jahren ist die Esoterik – insbesondere im westlichen Kulturkreis – zu einer Massenbewegung mit Breitenwirkung geworden, die viele teilweise widersprüchliche Teilströmungen umfasst.
Esoterische Weltanschauung
Da es sich, im Gegensatz zur Spiritualität, bei der Esoterik nicht unbedingt um ein persönliches religiöses Erleben handelt, sondern um eine Vielzahl einzelner Angebote und Wege zur Realisation einer individuellen religiösen Erfahrung, lässt sie sich kulturell und soziologisch nur sehr beschränkt festlegen.
Die traditionelle Aufteilung in eine öffentliche und eine geheime Lehre, wie sie zum Beispiel von den Rosenkreuzern praktiziert wird, gilt für die heutige Esoterik meist nicht mehr. Allerdings wird von vielen Esoterikern behauptet, man könne esoterische Lehren nur nach langjährigem Studium verstehen und beurteilen.
Verbreitung heute
Esoterik ist der Überbegriff für eine Reihe unterschiedlicher Lehren und Traditionen, die von der Naturwissenschaft nicht anerkannt sind, jedoch als Ausdruck individueller Spiritualität gesellschaftlich teilweise akzeptiert sind. Eine gewisse Bedeutung für die Entwicklung in der Nachkriegszeit hatte hier die Vereinigung OARCA (Omnia Arkana), die Zeitschrift esotera sowie die Veröffentlichungen der Psychotherapeuten Thorwald Dethlefsen und Rüdiger Dahlke. In der Schweiz üben das Medium Oskar Rudolf Schlag, der Ex-Pfarrer Hans-Dieter Leuenberger sowie die Zeitschrift Spuren mit dem Herausgeber Martin Frischknecht Einfluss aus. Esoterik ist nicht unbedingt deckungsgleich mit einer Parawissenschaft, da die verschiedenen Disziplinen üblicherweise keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben (strenge experimentelle Richtlinien etc.) und nur über gewisse weltanschauliche Gemeinsamkeiten verfügen. Viele esoterische Angebote wie beispielsweise die Astrologie sind von stark pseudowissenschaftlichem Charakter geprägt. Einzelne esoterische Heilmethoden werden auch als Erfahrungswissenschaften bezeichnet. Gesondert, aber dem Begriffe nach inhaltlich und formell verbunden, wird in der Wissenschaft der esoterische Buddhismus (z. B. Mikkyo und hier insbes. z. B. die Shingon-shū) betrachtet.
Richtungen und Praktiken
Es gibt zahlreiche unterschiedliche Strömungen der heutigen Esoterik, die sich teilweise überlappen, teilweise nicht viel miteinander zu tun haben. Nicht alle von ihnen können vollständig zur Esoterik gerechnet werden. Die meisten esoterischen Richtungen betonen eine spirituelle Entwicklung des Menschen.
Esoterische Weltanschauungen beziehen sich meist auf fünf Bereiche:
- Praktische Entscheidungshilfen für die Lebensplanung, teilweise auch für Alltagsentscheidungen. In diesen Bereich fallen vor allem Techniken wie Astrologie, Tarot, Pendeln oder Handlesen.
- Selbsterkenntnis. Manche Anhänger der Esoterik versuchen, ihren Charakter und ihre Bedürfnisse mithilfe esoterischer Welterklärungskonzepte zu bestimmen, vor allem mittels der verschiedenen Varianten der Astrologie.
- Medizinische Hilfe. Mit Techniken der alternativen Medizin wird versucht, das körperliche und seelische Wohlbefinden zu verbessern, zum Beispiel mit Aromatherapie, Bach-Blütentherapie, Reiki, Homöopathie oder der Feldenkrais-Methode. Die Esoterik nimmt sich dabei vor allem Bereichen an, die die klassische Medizin nicht abdeckt (zum Beispiel ‚Hilfe beim Wohlfühlen‘) oder in denen deren Erfolge als unzureichend empfunden werden, wie bei der Behandlung chronischer Schmerzen oder von Krebs, wobei vor allem bei letzterem die Gefahr schwerster irreversibler Gesundheitsschäden bis zum Tod bestehen, wenn versucht wird, eine Tumorbehandlung mit esoterischen/alternativmedizinischen Methoden zu ersetzen.
- Spirituelle Hilfe. Die meisten esoterischen Richtungen postulieren das Vorhandensein einer unsterblichen menschlichen Seele und befassen sich mit Wegen, deren Schicksal zu verbessern. Bei vielen dieser Richtungen kommen Konzepte indischer Religionen wie Karma und Reinkarnation vor. Häufig wird gelehrt, dass eine ‚Reinigung‘ oder eine ‚Erleuchtung‘ des Anhängers nötig sei, um in dieser Welt oder nach dem Tod einen besseren Zustand zu erreichen.
- Verbesserung der Welt insgesamt. Unter manchen esoterischen Richtungen ist die Ansicht verbreitet, dass man durch Verhalten entsprechend esoterischer Lehren die Welt insgesamt grundlegend verändern und somit verbessern könne. Solche Ansichten sind Grundlage der ‚New Age‘-Bewegung, die ein neues Zeitalter, etwa das ‚Wassermannzeitalter‘ angebrochen sieht oder erwartet. Entsprechende Auffassungen vertritt beispielsweise F.Capra.
Zu den esoterischen Richtungen und den zahlreichen Praktiken, die in der Esoterik aufgegriffen werden, gehören unter anderem:
Kritik
In einigen Religionen, wie im Christentum, im Islam oder im Judentum, werden esoterische Ansichten vielfach als Irrglauben abgelehnt. Auch von verstandesbetonten Menschen mit naturwissenschaftlicher Überzeugung oder atheistischer Lebensauffassung wird die Esoterik als rückschrittlich und Irrtum kritisiert, den die Aufklärung und die Wissenschaft eigentlich schon überwunden hätten.
Einige Kritiker, aber auch manche Esoteriker selber beklagen auch einen „Supermarkt der Spiritualität“:[1] Verschiedene, teils widersprüchliche spirituelle Traditionen, die über Jahrhunderte in unterschiedlichen Kulturen der Welt entstanden, würden in der Konsumgesellschaft zur Ware, wobei sich verschiedene Trends und Moden schnell abwechselten („gestern Yoga, heute Reiki, morgen Kabbala“), und als Produkt auf dem Markt ihres eigentlichen Inhalts beraubt würden (Lifestyle). Dieser Umgang sei oberflächlich, reduziere Spiritualität auf Klischees und beraube sie ihres eigentlichen Sinns.
Trotz Berufung auf ein „gemeinsames Urwissen“ werden einzelne Begriffe von einzelnen esoterischen Strömungen oft sehr unterschiedlich gebraucht.
Quellen
- ↑ Lau, Kimberley J. 2001. New Age Capitalism. Philadelphia: Univ of Pennsylvania Press.
Literatur
- Claudia Barth: Über alles in der Welt - Esoterik und Leitkultur Alibri Verlag Gunnar Schedel, 2002, ISBN 3932710363
- Margit und Rüdiger Dahlke: Die spirituelle Herausforderung. Eine Einführung in die zeitgenössische Esoterik. München, Heyne, 1990, ISBN 3453069382
- Thorwald Dethlefsen: Schicksal als Chance, (Esoterische Psychologie - das Urwissen zur Vollkommenheit des Menschen), erstmalig erschienen 1979 bei Bertelsmann
- Antoine Faivre: Esoterik im Überblick - Geheime Geschichte des abendländischen Denkens. Freiburg im Breisgau, Herder, 2001. ISBN 3-451-04961-9
- Georg Feuerstein: Heilige Narren - Über die Weisheit ungewöhnlicher Lehrer. Frankfurt 1996. ISBN 381050632X
- Colin Goldner: Die Psycho-Szene. Aschaffenburg, Alibri Verlag, 2000, ISBN 3-932710-25-8
- Marcus Hammerschmitt: Instant Nirwana Alibri, 2005, ISBN 386569005X
- Wouter J[acobus] Hanegraaff in collaboration with Antoine Faivre, Roelof van den Broek and Jean-Pierre Brach (Ed.): Dictionary of Gnosis & Western Esotericism. Vol. 1/ 2. Brill, Leiden, Boston 2005, ISBN 9004141871
- Gerhard Kern, Lee Traynor: Die esoterische Verführung – Angriffe auf die Vernunft und Freiheit. Aschaffenburg, IBDK, 1995. ISBN 3-922601-24-3
- Thomas Körbel: Hermeneutik der Esoterik. Eine Phänomenologie des Kartenspiels Tarot als Beitrag zum Verständnis von Parareligiosität. Reihe: Religion und Biographie Bd. 6, Münster; Lit, 2001; 456 S. ISBN 3825853780
- Martin Lambeck: Irrt die Physik? Über alternative Medizin und Esoterik, Beck, 2003, ISBN 3406494692
- Hans-Dieter Leuenberger: Das ist Esoterik, ISBN 3762607222
- Marc Roberts: Das neue Lexikon der Esoterik. München, Goldmann, 1995, ISBN 3442126657
- Hugo Stamm, Achtung Esoterik. Zwischen Spiritualität und Verführung. 2000, Pendo-Verlag, ISBN 3858423882
- Kocku von Stuckrad: Was ist Esoterik? - Kleine Geschichte des geheimen Wissens. München, C.H.Beck, 2004. ISBN 3406521738
- Helmut Werner: Lexikon der Esoterik. Wiesbaden, Fourier, 1991, ISBN 3925037578
- Religionsgeschichte der Neuzeit. Profile und Perspektivenzeitenblicke. Themenheft der Zeitschrift zeitenblicke, 5. Jg. 2006, Nr. 1, mit mehreren Beiträgen zur Esoterikgeschichte (alle Artikel im Volltext)
Weblinks
Pro
- Puramaryam.de, Esoterische Lehrseite mit weiterführenden Erläuterungen und Verweisen
- Alternative und ausführliche Erklärung der Esoterik
- Esopedia Wiki
Contra
- Informationen zur Esoterik von Relinfo
- Literaturliste der Gesellschaft für Anomalistik zu Esoterik und neuen religiösen Bewegungen
- GWUP - Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften
- Brennpunkt Esoterik: Okkultismus, Satanismus und Rechtsradikalismus, Broschüre der Arbeitsgruppe Scientology der Hamburger Behörde für Inneres (PDF, 852 KB)