Vortigern
Vortigern, ein britischer Warlord des 5. Jahrhunderts wird im allgemeinen bezichtigt, die Angelsachsen eingeladen zu haben, als Söldner nach Britannien zu kommen. Später hätten diese Söldner dann revoltiert und ihre eigenen Königreiche gegründet.
Die Details seiner überlieferten Lebensgeschichte variieren über die Jahre seit sie niedergeschrieben wurde – und ob es sich bei Vortigern um eine historische Figur handelt oder lediglich einen Versuch, zu erklären, wie es dazu kommen konnte, dass die Angelsachsen fortan die Geschichte der Insel mitbestimmten, hängt alleine davon aber, für wie glaubwürdig man die überliefernden Autoren hält: Gildas, Beda Venerabilis, die Anglo-Saxon Chronicle, die Historia Britonum, Geoffrey von Monmouth und Robert Wace, die alle unterschiedliche Details aus dem Leben Vortigerns berichten.
Der erste Schriftsteller, der die Geschichte von Vortigern erzählte, war im 6. Jahrhundert der Geschichtsschreiber Gildas. Er berichtet in Kapitel 23, wie „alle Ratsmitglieder, zusammen mit diesem stolzen Tyrannen“ den Fehler machten, „die stolzen und gottlosen Sachsen“ in Britannien anzusiedeln, um als Soldaten für die lokale römisch-britische Aristokratie zu dienen, denen die kaiserliche Regierung fehlte, um gegen die Pikten zu kämpfen. Eine kleine Gruppe kam zuerst und wurde „auf der Ostseite der Insel aufgrund einer Einladung eines Unglückskönigs“ angesiedelt. Diese kleine Gruppe lud mehr und mehr ihrer Landsleute ein, ihnen zu folgen, und die Kolonie wuchs. Am Ende beantragten die Sachsen, dass „ihre monatliche Zuteilung“ erhöht werden solle, und als dies schließlich abgelehnt wurde, brachen sie ihren Vertrag und plünderten das Land der Briten.
Gildas fügt zwei kleine Details hinzu, die nahe legen, dass entweder er – oder seine Quelle – einen Teil der Geschichte von den Angelsachsen erhielt. Zum einen: wenn er die Größe der ersten Sachsengruppe beschreibt, stellt er fest, dass sie in drei „cyulis“ oder „keels“ kamen, „wie sie ihre Kriegsschiffe nennen“ – wohl das erste bekannte englische Wort. Zum anderen: er wiederholt, dass den Sachsen als Besucher „durch einen bestimmten Wahrsager unter ihnen prophezeit wurde, dass sie das Land besetzen sollten, zu dem sie 300 Jahre gesegelt seien, um es die Hälfte der Zeit, 150 Jahre, zu plündern und auszurauben“. Beide Details werden kaum von einer römischen oder keltischen Quelle erfunden worden sein.
Moderne Forscher haben verschiedene Details von Gildas’ Geschichte diskutiert, und versucht, seine Sprache zu analysieren, um mehr Information zu gewinnen. Ein Punkt der Diskussion waren die Wörter, die Gildas benutzte, um die finanzielle Beihilfe der Sachsen zu beschreiben („annonas“, „epimenia“), und ob es sich um juristische Begriffe aus einem Unterstützungsvertrag handelt, eine spätrömische politische Praxis, um Alliierte aus „babarischen“ Völkern anzusiedeln, um innerhalb der Grenzen des Reichs die Truppen mit Soldaten zur Verteidigung auszustatten. Es ist nicht bekannt, ob Privatpersonen diese Praxis übernahmen. Ein anderer Punkt der Diskussion war, wo genau in Britannien Gildas die Ostseite der Insel sieht, in Kent, East Anglia, oder an der Küste von Northumbria? Die einzige Sicherheit, die man erhält nach dem Durcharbeiten der Sekundärliteratur, dass auch die Schriftsteller in Gildas Umgebung mit den Lücken bei diesen Angaben kämpften, die sie dann mit eigenen Ermittlungsergebnissen oder schlicht mit ihrer Phantasie füllten.
Der erste, der Gildas’ Darlegung prüfte, war Beda Venerabilis, der bei modernen Forscher hoch angesehen ist. Beda fügt einige Details hinzu, vielleicht als wichtigstes den Namen des „stolzen Tyrannen“, Vortigern (lateinisch „Uurtigernus“, altenglisch „Wyrtgern“). Beda kennt zudem das Jahr 499 - „Markian wurde zum Kaiser gemacht mit Valentinian, und der 46. (Kaiser) seit Augustus regierte das Reich sieben Jahre“ – das traditionell akzeptiert wurde, aber seit dem späten 20. Jahrhundert doch infrage gestellt wird. Beda bietet auch mehr Information über die Wilden, die Vortigern nach Britannien einlud: er gibt ihren Anführern Namen, Hengest und Horsa, und identifiziert ihre Stämme: Sachsen, Angeln und Jüten. (H.E., 1.14,15).
Die Darstellung in der Anglo-Saxon Chronicle wartet mit einer großen Menge an Details auf. Die Chronik liefert Daten und Orte von vier Schlachten, die Hengest und sein Bruder Horsa gegen die Briten im Südostens schlugen, in den historischen Grafschaften Kent und Middlesex. Vortigern soll der Anführer der Briten nur in der ersten Schlacht gewesen sein, die Gegner in den drei nächsten Treffen werden abwechselnd „Briten“ und „Waliser“ genannt – was nicht unüblich diesen Teil der Chronik ist – aber die sächsischen Invasoren tragen in jedem Aufeinandertreffen den Sieg davon.
Die Historia Britonum zählt die gleichen vier Schlachten im Südosten des Landes auf, behauptet aber, das Vortigern oder sein Sohn Vortemir alle vier Schlachten gewonnen hätten. Da das Entstehungsdatum der Historia Britonum nicht eindeutig ist und auch später als das der Chronik liegen könnte, wird argumentiert, dass die Historia Britonum ihr Material aus einer Quelle nahe der Chronik geschöpft haben könne, aber legt man beide Berichte nebeneinander, dann wundert man sich über die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede, und fragt sich, ob nicht beide auf eine ältere Überlieferung zurückgehen.
Die Historia Britonum liefert mehr Informationen über Vortigern als eine Auflistung der vier Schlachten, die sich aber in mehreren Punkten widersprechen. Diese Widersprüche lassen sich aber verstehen, wenn man die Teile der Historia eingruppiert, die ihren möglichen Ursprung widerspiegeln. Außer dem was von Gildas übernommen wurde, ergeben sich fünf Stränge:
- Material aus dem Leben des Sankt Germanus. Diese Auszüge beschreiben Sankt Germanus' Zusammentreffen mit einem Benlli, einem ungastlichen Gastgeber, der zu einem unziemlichen Ende kommt, während sein Knecht, der Gastfreundschaft ausübt, zum Vorfahren der Könige von Powys wird; Vortigerns Sohn von seiner eigenen Tochter, den Germanus am Ende fördert, und Vortigerns eigenes Ende durch ein vom Himmel fallendes Feuer durch Germanus’ Gebete.
- Erzählungen, die erklären, warum Vortigern den Sachsen Land in Britannien versprach – erstens Thanet im Austausch für den Dienst in der Armee, dann den Rest von Kent gegen Hengest’s Tochter, dann Essex und Sussex nach einem Bankett, bei dem die Sachsen heimtückisch alle britischen Anführer töteten, aber Vortigern verschonten, um eben dieses Lösegeld zu erhalten.
- Die Zaubererzählung von Ambrosius und den beiden Drachen, die bei Dinas Emrys (walisisch für "Festung des Ambrosius") gefunden wurden.
- Eine Anzahl von Berechnungen zum Versuch, das Jahr festzulegen, in dem Vortigern die Sachsen nach Britannien einlud (was danach um 429 gewesen sein soll); und
- Genealogisches Material über Vortigerns Ahnen, die Namen seiner drei Söhne Vortimer, Pascent und Catigern, das ihn mit Gloucester in Verbindung bringt.
Die Geschichten der Historia Britonum offenbaren den Versuch eines oder mehrerer anonymer britischer Schreiber, mehr Detailreichtum unterzubringen und die Texte gleichzeitig an die Tatsachen der britischen Überlieferung anzupassen. Dies ist ein wichtiger Punkt, als dass deutlich wird, dass in dieser Zeit einer oder mehrere walisische Könige versuchten, ihre Genealogie zurück bis zu Vortigern zu verfolgen.
Es war dann Geoffrey von Monmouth, der die Geschichte von Vortigern in ihre bekannteste Form brachte. Geoffrey – oder die mündliche Überlieferung, die er aufgeschrieben hat – versuchte, das widersprüchliche Material der Historia Britonum in eine stimmige Erzählung umzuformen. Zwei der neuen Elemente können aus zeitgemäßer mündlicher Überlieferung stammen: das Bankett, bei dem die Sachsen die Briten überfielen, und das im modernen Wiltshire lokalisiert wird, und die Figur des Grafen Eldol von Gloucester, der sich aus der Falle freikämpft, um Aurelius Ambrosius als Dienstmann zur Verfügung zu stehen (Geoffrey formt den Namen aus der Figur des Ambrosius Aurelianus bei Gildas). Die vielen Schlachten mit Hunderten und Tausenden von toten Soldaten sind sicher Ausfluss von Geoffreys phantasielosem Gehirn.
Nach Geoffrey, nahm sich Robert Wace des Materials an und fügte weiteres über Vortigern hinzu, und die Forschung konzediert ihm weitaus glaubwürdigere Aufzeichnung der mündlichen Überlieferung gemacht zu haben als Geoffrey von Monmouth. Vortigern erscheint auch in den späteren Erzählungen der Artussage, aber wenn, dann wird er üblicherweise so beschrieben wie bei Geoffrey oder Wace.
John Henry Ireland, ein notorischer Fälscher von Shakespeares Manuskripten, behauptete ein verlorenes Stück von ihm wiedergefunden zu haben, betitelt Vortigern und Rowena, das am 2. April 1796 in der Drury Lane aufgeführt wurde. Aber schon die Uraufführung ging im Gelächter des Publikums und der Schauspieler unter...