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Der Westfale

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Der Westfale, Verlag und Druckerei

Briefkopf. "Der Westfale, Verlag und Druckerei Kettler und Co.".png
Rechtsform Aktiengesellschaft
Gründung 1894
Auflösung 1948
Auflösungsgrund Kriegsschäden, Schädigung während der NS-Zeit, Übersiedlung in die SBZ
Sitz Münster, Deutschland Deutschland
Leitung
Branche Verlagswesen, Druckwesen, Agrarpublizistik

Der Westfale, Aktiengesellschaft für Verlag und Druckerei zu Münster i. W. (auch „Der Westfale“, Verlag und Druckerei Kettler und Co.) war ein Zeitschriften-, Buch- und Formularverlag mit Sitz in Münster. Das 1894 gegründete Unternehmen aus christlich-konservativem Milieu geriet mit den Nationalsozialisten in Konflikt, bis es geschlossen wurde. Nach Kriegsende näherte es sich dem Marxismus an, konnte aber nicht mehr Fuß fassen, und wurde 1948 aufgelöst.

Geschichte

Der Westfale wurde 1894 von den führenden Organisatoren des Westfälischen Bauernvereins gegründet, um die Interessen der westfälischen Landwirtschaft zu vertreten. Das Unternehmen stand der Zentrumspartei nahe. Bis zu seinem Tod 1933 war der Vorsitzende des Westfälischen Bauernvereins, Engelbert von Kerckerinck zur Borg, im Firmenvorstand.[1] Hauptaufgabe des Verlags seit Bestehen 1894 war die Herausgabe und der Druck von Broschüren und Zeitschriften für die Landwirtschaft. Zu den Kunden gehörten u. a. der Verband ländlicher Genossenschaften, die Landwirtschaftskammer Westfalen, das Bischöfliche Generalvikariat Münster, der Oberpräsident der Provinz Westfalen. Gedruckt wurden auch Bücher, Dissertationsschriften, Formulare, Kalender u. a. m.[2] Bis 1933 erschienen bei Der Westfale u. a. die Zeitschriften Der westfälische Bauer (Organ des Westfälischen Bauernvereins) und die Landwirtschaftliche Zeitschrift für Westfalen und Lippe.

Letzter Inhaber war Karl Kettler, der als Mitarbeiter beim Westfalen angefangen hatte, 1916, durch Aktienankauf, der Direktor, und 1932 der Hauptinhaber der Firma wurde.

Zeit des Nationalssozialismus

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurden bereits 1933 die christlich orientierten Bauernvereine verboten und im selben Jahr war mit der Gründung des Reichsnährstandes die Gleichschaltung abgeschlossen. 1933 erging von der Gauleitung der NSDAP Münster ein Bericht an das Propagandaministerium und von dort an alle Instanzen der Partei und Behörden, dass Der Westfale staatsfeindlich sei. Daraufhin war das Unternehmen vogelfrei und der Reichsnährstand nahm ihm seinen vierzigjährigen Auftragsbestand an Zeitschriften und anderen Vertragsarbeiten weg und übertrug ihn der NSDAP-Parteidruckerei in Bielefeld. Vergeblich strengte Kettler einen Prozess gegen Walther Darré und den Reichsnährstand an, denn Max Amann und Gauleiter Alfred Meyer waren im Vorstand und Aufsichtsrat jener Parteidruckerei. Für eine Klage gegen das Propagandaministerium fand sich kein Rechtsbeistand. Dann stellte Kettler eine genaue Schilderung der Vorgänge zusammen und verteilte sie in 3000 gedruckten Exemplaren unter dem Titel "Unser Kampf". Der Protest wurde von der Gestapo unterdrückt.

Die Druckerei weigerte sich NS-Artikel anzunehmen, zahlte keine Adolf-Hitler-Spende, bevorzugte Mitarbeiter, die politischen Schwierigkeiten mit der NSDAP hatten.[3] Karl Kettler legte 1934 u. a. sein Amt als Bezirksvorsitzender des Deutschen Buchdruckervereins nieder und verteilte, um den Nationalsozialisten zuvorzukommen, das Vereinsvermögen. Versuche, Mitarbeiter aus ihrer Stellung zu entfernen, wurden von Kettler energisch abgewehrt.

Karl Kettlers Tochter, die Linguistin und Ethnologin, Gertrud Kettler, der man wegen ihrer politischen Haltung jede wissenschaftliche Arbeit unmöglich machte, verdiente sich im Verlag ihren Lebensunterhalt, zuerst als Prokuristin, dann als Mitinhaberin in der Verlagsleitung. Sie wurde aus politischen Gründen nicht in den Zeitschriften-Verleger-Verband aufgenommen.

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v. Galen, Bischofsgruß zu Pfingsten 1940

1938 erwarb der Verlag die Rechte an der naturheilkundlichen Zeitschrift Gesundheit, Kraft, Schönheit, deren Verleger Curt Tränkner aus politischen Gründen zum Verkauf gezwungen worden war. Der Verlag machte neben dem Kaufvertrag einen Arbeitsvertrag, um Tränkner indirekt die Zeitschrift und deren Einnahmen zu überlassen.[3] Als Tränkner von der Gestapo in Halle verhaftet wurde, fand man bei einer Hausdurchsuchung diesen Arbeitsvertrag. Die Reichspressekammer drohte mit allen möglichen Strafen gegen das Unternehmen, deswegen übernahm Gertrud Kettler als Einzelperson die Zeitschrift. Nachdem Gertrud Kettler dann in Halle gewesen war, um mit dem verhafteten Tränkner zu sprechen, wurde der Kauf der Zeitschrift nicht genehmigt und dem Hüthig-Verlag in Heidelberg zugesagt.[3] Gertrud Kettler galt als verdächtig und an einer volksfeindlichen Verschwörung beteiligt.[3] Die Zeitschrift konnte man noch infolge der Kriegsverhältnisse und durch andauernde Protestbriefe halten, bis sie 1942 verboten wurde.[3]

Der Westfale half aus, nachdem die Druckerei der Regensbergschen Verlagsbuchhandlung 1937 durch die Gestapo enteignet worden war, u. a. wurden Veröffentlichungen des NS-kritischen Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, gedruckt. Obersturmführer Otto Kieser, dem man die Regensbergsche Buchdruckerei überschrieben hatte, sorgte dafür, dass Der Westfale schließlich als nicht kriegswichtig geschlossen wurde.[4]

Die Firmengebäude, die sich in Münster in der Graelstrasse 4 und 6 befanden, wurden 1944 durch Bomben total zerstört.

Zeit nach 1945

Datei:Landwirtschaftlicher Anzeiger.jpg
„Landwirtschaftlicher Anzeiger“ 1948

Verzögerungen bei der Erteilung von Lizenzen brachten den Verlag, angesichts der Kriegsschäden und der erlittenen Schädigung durch das NS-Regime, in Existenznot. Der Landwirtschaftliche Anzeiger erschien ab Dezember 1947 vorerst wieder als Anzeigenblatt. Nach dem Krieg hatte der Verlag Schwierigkeiten, Lizenzen zu erhalten, sowohl für den alten Bestand als auch für neue Zeitschriften. So war eine Zeitschrift Kulturpolitische Blätter geplant, die als Organ des Kulturbundes Münster erscheinen sollte,[3] der von Gertrud Kettler gegründet worden war und im November 1947 verboten wurde.

Eine Zeit lang wurde Karl Kettler von der Britischen Militärverwaltung als Treuhänder der Regensbergschen Buchdruckerei eingesetzt, die 1938 wegen des Drucks eines Rundschreibens des Bischofs von Galen, enteignet worden war. Der neue Inhaber, Otto Kieser, versuchte mit allen Mitteln, zu vertuschen, Nationalsozialist gewesen zu sein und sich mit Hilfe der Gestapo die Druckerei der Regensbergschen Verlagsbuchhandlung angeeignet zu haben. Es war u. a. dem Engagement Karl Kettlers zu verdanken, dass die Druckerei ihrem Inhaber, Bernhard Lucas, zurückgegeben wurde.

Kettler siedelte mit seiner Familie 1948 in die Sowjetische Besatzungszone über, womit Der Westfale faktisch aufgelöst war. Karl Kettler starb 1950 in Jena.

Literatur

  • Wilhelm Kisky: Rheinland-Westfalen im Deutschen Buchdrucker-Verein : Geschichte des Kreises II des DBV 1869-1929. 1869 Deutscher Buchdrucker-Verein Kreis II J.P. Bachem G.M.B.H, Köln 1929.
Commons: Der Westfale – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Erste Zentralhandelsregisterbeilage zum Reichs- und Staatsanzeiger Nr. 97, vom 26. April 1933.
  2. Landwirtschaftsrat Franz. B. Wiemers: Erklärung in Sachen der Druckerei Der Westfale in Münster Westf. 27.6.1948 (im Landesarchiv NRW).
  3. a b c d e f Landesarchiv Nordrhein-Westfalen: Akten zum Entnazifizierungsverfahren von Karl Kettler und Gertrud Kettler
  4. Firmenarchiv Regensberg-Verlag im Stadtarchiv Münster