Zum Inhalt springen

Außer sich

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 31. Juli 2022 um 11:51 Uhr durch Marieke Winterson (Diskussion | Beiträge) (Geschlechtliche Identität). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Diese Baustelle befindet sich fälschlicherweise im Artikelnamensraum. Bitte verschiebe die Seite oder entferne den Baustein {{Baustelle}}.

Außer sich ist das 2017 bei Suhrkamp erschienene Romandebüt von Sasha Marianna Salzmann. Salzmanns weitere Arbeitsbereiche umfassen Dramaturgie, Essayistik und Kuration. Es erzählt die vier Generationen umspannende Familiengeschichte einer jüdischen Familie aus dem post-sowjetischen Russland und ihrer Migration nach Deutschland.

Inhalt

Handlung

EINS

Ali kommt am Flughafen in Istanbul an und wird an die Flucht der Familie in ihrer Kindheit erinnert. Onkel Cemal, eigentlich der Onkel ihres Freundes Elias, nimmt sie in Empfang und in seine Wohnung. Ziel ihrer Reise ist, ihren aus unbekannten Gründen verschwundenen Zwillingsbruder Anton in Istanbul wiederzufinden. Dieser hatte ihrer Familie zuvor eine wortlose Postkarte zukommen lassen. Eines Abends geht Ali mit Cemals Freund Mustafa in einen uClub, in dem sie den Tänzer Katharina kennenlernt. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht erzählt Katharina ihr, dass er ein Mann ist und Katho heißt. Ali weiß keine Antwort auf Kathos Frage, wer und was sie sei.

Eine Rückblende schildert die Zugfahrt von Moskau nach Berlin, auf der Alis Eltern mit den Zwillingen und Valentinas Vater die ... verlassen. Bei ihrer Ankunft in Deutschland übergibt sich Ali wegen eines fettigen Hähnchens auf die Schuhe von Onkel Leonid, der sie . Sie lernt auf diese Weise ihr erstes deutsches Wort, 'Entschuldigung'.

Nach einer ersten hastigen und von häuslicher Gewalt geprägten Ehe, aus der Valentina von ihrer Großmutter Etina zur Scheidung verholfen wird, wurden Valentina und Konstantin einander über ihre Eltern zugeführt. Kostja hatte eigentlich die Nachbarstochter heiraten und Musiker werden wollen, stattdessen wird er

Noch vor der Hochzeit ist Valentina schwanger und zieht bei Konstantin und seinen Eltern in die Chruschtschowka. Ihr Fleiß im Medizinstudium, wegen dem sie häufig bis zu später Stunde der Wohnung fernbleibt, sorgen für Spannungen zwischen ihr und ihrer Schwiegermutter. Kostja entwickelt sich bald darauf zum Alkoholiker und wird gegenüber Valentina gewalttätig, wofür sie von ihrer Schwiegermutter verantwortlich gemacht wird.

Schon in der Kindheit lehnt Ali die ihr aufgezwungenen Weiblichkeitsvorstellungen ab, sehr zum missfallen ihrer Mutter.

Ihre Kindheit in Deutschland ist von dem Druck geprägt, als Migranten und 'Kontingentflüchtlinge' in der deutschen Leistungsgesellschaft standhalten zu können. Immer wieder wird die Familie von einem Asylantenheim in das nächste verwiesen, in denen nicht zumutbare Zustände herrschen und die keine Stabilität bieten. Ali und Anton sind in dieser Zeit buchstäblich unzertrennlich. Ihre russische und jüdische Herkunft macht die Kinder zu Angriffszielen anderer Kinder. Die gemeinsam erfahrene Gewalt schweißt die beiden noch enger zusammen. Die Familie zieht in eine Dachgeschosswohnung um. Auf dem verengten Raum nimmt die Beziehung der Zwillinge körperliche Züge an. Während Anton ein Leben außerhalb der Familienwohnung führt, erfährt inzwischen auch Ali die häusliche Gewalt ihres Vaters.

Noch als Minderjährige zieht Ali aus der Wohnung der Familie aus. Ihre Frustration über die politische Lage in sowohl der Sowjetunion als auch in Deutschland entladen sich in einem Streit mit Valentina.

In der Gegenwart assistiert Ali Katholischen das erste Mal bei der Zufuhr einer Testosteronspritze. Katho kam zunächst noch als Frau lebend aus Odessa nach Istanbul, um zu professionell zu tanzen. Er lernt die Sängerin Aglaja kennen und lieben, die ihm zu den ersten Testosteronspritzen verhilft.


Ali kehrt nach Deutschland zurück und beschäftigt sich mit der Familiengeschichte mütterlicherseits. Zusammengesetzt aus Gesprächen mit ihrer Mutter, den Großeltern und Schriften ihres Ur-Großvaters verfolgt Ali die Geschichte der Familie entlang des Zerfalls der Sowjetunion, Antisemitismus und Flucht.

[1]

ZWEI

[2]

Wichtige Figuren

Ali/Alissa

Ali ist das Kind von Valentina und Kostja und der Zwilling von Anton, der zu Beginn des Romans als Frau lebt und im Laufe des Geschehens transitsioniert. Weitere Lesarten verstehen Ali als eine nicht-binäre Person.

Anton

Valentina

Kostja

Etja

Schura

Katho

Aglaya

Motive

Migration und Jüdische Identität

An der Idee einer 'Muttersprache' verhandelt der Roman die Unmöglichkeit einer eindeutigen Bestimmung Herkunft und Heimat. Die 'Muttersprache' sei kein Ausdruck von Authentizität, sondern Ausdruck einer Weltanschauung, die sich selbst durch die Verwendung der gesprochenen Sprache erschafft. [3] Ali kann seine eigene Geschichte erst erzählen, indem er sich die Überlieferungen seiner Verwandten zusammensetzt. Die Grenze zwischen Erfundenem und Wahrem ist undeutlich,

Anhand des Romans wird außerdem das literarische Label 'post-migrantisch' im deutschsprachigen Raum debattiert. Zahlreiche zeitgenössische Romane, die von jüdischem Leben in Deutschland handeln, werden ohne den post-sowjetischen migrantischen Hintergrund der verfassenden Schriftsteller und Schriftstellerinnen diskutiert. In einem Einwanderungsland wie Deutschland verzerrt dies entsprechende Diskurse. In Außer sich steht das Thema jüdischer Identität in einem intersektionalen Bezug zu Migration und Queerness. [4] Sasha Marianna Salzmann verfasste außerhalb des Romans zahlreiche Beiträge zu diesen Themen.

Geschlechtliche Identität

Durch das Zuführen von Testosteron unternimmt Ali eine physische Transition zu einem Mann, einige Lesarten verstehen ihn als eine Transperson. Dies wird von niemandem in seinem Umfeld negativ bemerkt. Andere Lesarten des Romans deuten Ali als eine nicht-binäre Person. [5] Dabei wird argumentiert, dass Ali sein ganzes Leben lang im 'Dazwischensein' verbracht hat: In der Kindheit tauschte er Kleidung mit Anton und band seine Brüste ab, verweigerte jedoch die spezifische Benennung als 'männlich' oder 'weiblich'. Der formale Aspekt der Mehrsprachigkeit (siehe Form) illustriert dies am Beispiel des russischen ja, das auf deutsch Ich bedeutet. Der sprachliche Doppelboden, durch den die eigene Benennung als ein Ich immer auch eine Bejahung ist,

Ali beschreibt sich mehrmals als körperlich außer sich, Die Festgeschriebenheit auf einen Körper wird so subvertiert.

Das 'Ich' ist eine Konstellation aus dem Versuch, eine familiäre Herkunftshistorie zu formen, und der Aneignung von Anton. Diese Narration eines 'Ich' kann nur jenseits von binären Kategorien existieren. [5] Die Verwendung der unzuverlässigen Ich-Perspektive ist Ausdruck dieser Pluralität.


it has no denotation outside of the situation of enunciation. As Außer Sich shows, this pronoun can also cover that which is not fixed, “festgeschrieben”.

Form

Die Handlung setzt sich aus Erzählungen, Mythologisierungen und Erinnerungen zusammen. Diese werden oft auch nicht von den jeweiligen Protagonisten und Protagonistinnen selbst erzählt, sondern aus zweiter oder sogar dritter Hand, immer jedoch durch die Perspektive von Ali/Anton. Die Zeitstruktur verläuft nicht linear zum Geschehen , sondern wird durch den häufigen Perspektivwechsel immer wider durchbrochen. Mehrere Kapiteltitel beziehen sich zudem auf zeitliche Abläufe, mit Ausnahme des Datums des Militärputsches beziehen sich diese jedoch auf erlebte Zeit anstatt auf Chronologie. [5] Alis Erzählperspektive ist unzuverlässig, da seine Erinnerungen ihm immer wider entfallen oder nur bruchhaft vorhanden sind. Auch die Möglichkeit, dass die beiden aus Antons Perspektive erzählten Kapitel Erfindungen von Ali sind besteht.

Außer sich eine Dekonstruktion des Familienromans, da der Versuch einer zuverlässigen Herkunftsgeschichte ultimativ scheitern muss. Auch wenn deutsch die Originalsprache des Textes ist, werden russische oder anderssprachige Ausdrücke nicht durchgehend übersetzt. Dies illustriert die Unmöglichkeit, eine eindeutige Geschichte der Figuren in Worten erzählen zu können. Außerdem können Teile der Leserschaft, die entsprechende Sprachen nicht beherrschen, die Desorientierung der Protagonisten nachempfinden. [3]

Rezeption

Der Roman wurde bei Erscheinen überwiegend positiv rezipiert. Hervorgehoben wurden oftmals die Erzählform, die herkömmliche Interpretationen eines " 'Großvater erzählt'-Duktus" [6] subvertiert. Mit Verweisen auf Salzmanns dramatische und dramaturgische Arbeit wird auch die sprachliche Ausdruckskraft und inhaltliche Ambivalenz gelobt. [7] [8] Auch wenn zeitgenössische Diskurse in den Roman einfließen, wolle dieser keine konkreten Fragen und Antworten verhandeln, keine Erwartungen erfüllen wollen. Stattdessen existiere der Roman aus seinem grenzüberschreitenden sprachlichen Vermögen heraus. [6]

Auszeichnungen

Der Roman gewann den Preis der Jürgen Ponto-Stiftung[9] und den Mara-Cassens-Preis[10] 2017. Des Weiteren stand er auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises[11] und des "aspekte"-Literaturpreis des ZDF [12] im selben Jahr. Nominiert wurde er außerdem für Premio Strega Europe 2019.

Theateradaption

Die Premiere der Theateradaption am Gorki Theater in Berlin fand am 12.10.2018 statt. Regie führte Sebastian Nübling [13] Auch die Adaption wurde überwiegend positiv rezensiert, sie bringe die fragmentarische Erzählung des Romanes erfolgreich auf die Bühne, ohne jedoch einen klaren Fokus zu setzen. Diese Umsetzung mache den Stoff jedoch auch schwer fassbar. [14] Im 'Tagesspiegel' lobt die Reszendentin Christine Wahl insbesondere die Schauspielleistungen. [15]

Literatur

Textausgaben

Sasha Marianna Salzmann: Außer sich Suhrkamp Verlag, Berlin 2017 ISBN 978-3-518-42762-0 [16]

Sasha Marianna Salzmann: Außer sich Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Berlin 2018 ISBN 978-3-518-46926-2 [16]

Weiterführende Literatur

Einzelnachweise

  1. Sasha Marianna Salzmann: Außer Sich. 1. Auflage. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-518-46926-2, S. 11–275.
  2. Sasha Marianna Salzmann: Außer Sich. 1. Auflage. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, ISBN 978-3-518-46926-2, S. 279–365.
  3. a b Maria Roca Lizarazu: Ec-static Existences: The Poetics and Politics of Non-Belonging in Sasha Marianna Salzmann's Außer sich (2017). In: Rethinking 'Minor Literatures' - Contemporary Jewish Women's Writing in Germany and Austria. Liverpool University Press, Liverpool 4. Juni 2020, doi:10.3828/284.
  4. Maria Roca Lizarazu: “Integration Ist Definitiv Nicht Unser Anliegen, Eher Schon Desintegration”. Postmigrant Renegotiations of Identity and Belonging in Contemporary Germany. MDPI AG, Basel 2020, doi:10.3390/042.
  5. a b c Annette Bühler-Dietrich: Relational Subjectivity: Sasha Marinna Salzmann's Novel Außer Sich. In: Rethinking 'Minor Literatures' - Contemporary Jewish Women's Writing in Germany and Austria. Nr. 01. Liverpool University Press, Liverpool 4. Juni 2020, doi:10.3828/287.
  6. a b Christoph Schröder: Wenn sich das Ich auflöst. 18. September 2017, abgerufen am 16. Mai 2022.
  7. Michael Wurlitzer: "Außer sich": Suche nach sich selbst mit Testosteronspritzen. 8. Oktober 2017, abgerufen am 16. Mai 2022.
  8. Hubert Winkels: Verwandlungsstress. 10. September 2017, abgerufen am 16. Mai 2022.
  9. Jürgen Ponto-Stiftung Literatur. Jürgen Ponto-Stiftung, abgerufen am 30. Juli 2022.
  10. Mara-Cassens-Preis. Literaturhaus Hamburg, abgerufen am 31. Juli 2022.
  11. Deutscher Buchpreis 2017 Shortlist. Abgerufen am 31. Juli 2022.
  12. Sechs Bücher im Finale. ZDF aspekte, 15. September 2017, abgerufen am 16. Mai 2022.
  13. Ausser sich - Nach dem Roman von sasha Marianna Salzmann. Gorki Theater, abgerufen am 17. Mai 2022.
  14. Falk Schreiber: Identitäts-Migration. 12. Oktober 2018, abgerufen am 16. Mai 2022.
  15. Christine Wahl: Ich bin drei Alis. 13. Oktober 2018, abgerufen am 16. Mai 2022.
  16. a b Außer sich. Suhrkamp Verlag, abgerufen am 16. Mai 2022.