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Der Westfale

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Briefkopf. "Der Westfale, Verlag und Druckerei Kettler und Co."

„Der Westfale“, Aktiengesellschaft für Verlag und Druckerei zu Münster i. W. (auch „Der Westfale“, Verlag und Druckerei Kettler und Co.) war ein Zeitschriften-, Buch- und Formularverlag mit Sitz in Münster. Das Unternehmen aus christlich-konservativem Milieu geriet mit den Nationalsozialisten in Konflikt, bis es geschlossen wurde. Nach dem Krieg näherte es sich dem Marxismus an, konnte aber nicht mehr Fuß fassen.

Geschichte

"Der Westfale" wurde 1894 von den führenden Organisatoren des Westfälischen Bauernvereins gegründet, um die Interessen der westfälischen Landwirtschaft zu vertreten. Das Unternehmen stand der Zentrumspartei nahe. Bis zu seinem Tod 1928 war der Vorsitzende des Westfälischen Bauernvereins, Engelbert von Kerckerinck zur Borg, im Firmenvorstand.[1] Letzter Inhaber war Karl Kettler, der als Mitarbeiter beim "Westfalen" angefangen hatte, durch Aktienankauf, 1916 der Direktor, und 1932 der Hauptinhaber der Firma wurde.

NS-Zeit

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurden bereits 1933 die christlich orientierten Bauernvereine verboten und im selben Jahr war mit der Gründung des Reichsnährstandes die Gleichschaltung abgeschlossen. 1933 erging von der Gauleitung der NSDAP Münster ein Bericht an das Propagandaministerium und von dort an alle Instanzen der Partei und Behörden, dass "Der Westfale" staatsfeindlich sei. Daraufhin nahm der Reichsnährstand dem Unternehmen den vierzigjährigen Auftragsbestand weg und übertrug ihn der NSDAP-Parteidruckerei in Bielefeld. Kettler strengte vergeblich einen Prozess gegen Walther Darré und den Reichsnährstand an, denn Max Amann und Gauleiter Alfred Meyer waren im Vorstand und Aufsichtsrat der genannten Parteidruckerei. Für eine Klage gegen das Propagandaministerium fand sich jedoch kein Rechtsbeistand. Dann stellte Kettler eine genaue Schilderung der Vorgänge zusammen und verteilte sie in 3000 gedruckten Exemplaren. Dieser Protest wurde von der Gestapo unterdrückt.

Die Druckerei weigerte sich NS-Artikel anzunehmen, zahlte keine Adolf-Hitler-Spende, bevorzugte Mitarbeiter, die politischen Schwierigkeiten mit der NSDAP hatten.[2] Karl Kettler legte 1934 u. a. sein Amt als Bezirksvorsitzender des Deutschen Buchdruckervereins nieder und verteilte das Vereinsvermögen.

Karl Kettlers Tochter, die Linguistin und Ethnologin, Gertrud Kettler, der man wegen ihrer politischen Haltung jede wissenschaftliche Arbeit unmöglich machte, verdiente sich im Verlag ihren Lebensunterhalt, zuerst als Prokuristin, dann als Mitinhaberin.

1938 erwarb der Verlag die Rechte an der naturheilkundlichen Zeitschrift Gesundheit, Kraft, Schönheit, deren Verleger Curt Tränkner aus politischen Gründen zum Verkauf gezwungen worden war. Der Verlag machte neben dem Kaufvertrag einen Arbeitsvertrag, um Tränkner indirekt die Zeitschrift und deren Einnahmen zu überlassen.[2] Als Tränkner von der Gestapo in Halle verhaftet wurde, fand man bei einer Hausdurchsuchung diesen Arbeitsvertrag. Die Reichspressekammer drohte mit allen möglichen Strafen gegen das Unternehmen, deswegen übernahm Gertrud Kettler als Einzelperson die Zeitschrift. Nachdem Gertrud Kettler dann in Halle gewesen war, um mit dem verhafteten Tränkner zu sprechen, erfolgten weitere Restriktionen. Der Kauf der Zeitschrift wurde nicht genehmigt und die Rechte dem Hüthig-Verlag in Heidelberg zugesagt.[2] Gertrud Kettler galt als verdächtig und an einer volksfeindlichen Verschwörung beteiligt.[2] Die Zeitschrift konnte man noch infolge der Kriegsverhältnisse und durch andauernde Protestbriefe halten, bis sie 1942 verboten wurde.[2]

"Der Westfale" half aus, nachdem die Druckerei der Regensbergschen Verlagsbuchhandlung 1937 durch die Gestapo enteignet worden war, u. a. wurden Veröffentlichungen des NS-kritischen Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, gedruckt. Obersturmführer Otto Kieser, dem man die Regensbergsche Buchdruckerei überschrieben hatte, sorgte dafür, dass "Der Westfale" schließlich als nicht kriegswichtig geschlossen wurde.[3]

Die Firmengebäude, die sich in Münster in der Graelstrasse 4 und 6 befanden, wurden 1944 durch Bomben total zerstört.

Nachkriegszeit

Nach dem Krieg hatte der Verlag Schwierigkeiten, Lizenzen zu erhalten, sowohl für den alten Bestand als auch für neue Zeitschriften. So war eine Zeitschrift "Kulturpolitische Blätter" geplant, die als Organ des Kulturbundes Münster erscheinen sollte,[2] der von Gertrud Kettler gegründet worden war und im November 1947 verboten wurde.

Eine Zeit lang wurde Kettler von der Britischen Militärverwaltung als Treuhänder der Regensbergschen Buchdruckerei eingesetzt, die 1938 wegen des Drucks eines Rundschreibens des Bischofs von Galen, enteignet worden war. Der neue Inhaber, Otto Kieser, versuchte mit allen Mitteln, zu vertuschen, Nationalsozialist gewesen zu sein und sich mit Hilfe der Gestapo die Druckerei der Regensbergschen Verlagsbuchhandlung angeeignet zu haben. U. a. war es dem Engagement Karl Kettlers zu verdanken, dass die Druckerei ihrem Inhaber, Bernhard Lucas, zurückgegeben wurde.

Kettler siedelte mit seiner Familie 1948 in die Sowjetische Besatzungszone über. Damit hatte sich "Der Westfale" aufgelöst. Karl Kettler starb 1950 in Jena.

Einzelnachweise

  1. Erste Zentralhandelsregisterbeilage zum Reichs- und Staatsanzeiger Nr. 97, vom 26. April 1933.
  2. a b c d e f Landesarchiv Nordrhein-Westfalen: Akten zum Entnazifizierungsverfahren von Karl Kettler und Gertrud Kettler
  3. Firmenarchiv Regensberg-Verlag im Stadtarchiv Münster