Polenmarkt

Ein Polenmarkt (auch: polnischer Grenzmarkt) ist ein Markt oder Basar auf der polnischen Seite der deutsch-polnischen Grenze.
Geschichte


Nach dem Ende des Sozialismus in Polen entstanden sogenannte „Polenmärkte“ ab 1989 zunächst in verschiedenen europäischen Städten, etwa in Berlin am ehemaligen Potsdamer Bahnhof[1][2] (auch „Krempelmarkt“ am Reichspietschufer)[3] und in Wien im Prater als Schwarzmarkt.[4] Der in Frankfurt (Oder) lehrende Osteuropahistoriker Karl Schlögel bezeichnete die Entstehungszeit der Polenmärkte als „Basarphase“, die jedes osteuropäische Land im Zuge der postsozialistischen Transformation durchlaufen habe.[5]
Im Zuge des Grenz- und Tanktourismus entstanden Polenmärkte in verschiedenen Orten an der deutsch-polnischen Grenze, die dort bis heute angesiedelt sind, insbesondere in geteilten Orten zwischen Polen und Ostdeutschland (Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen). Es entstanden Märkte in Świnoujście/Ahlbeck, Lubieszyn/Linken, Krajnik Dolny/Schwedt, Frankfurt/Słubice, Osinów Dolny/Hohenwutzen.[6] In Gubin hatte es bereits vor der Wende einen Markt gegeben, der Waren für Touristen aus Guben anbot, die seit 1972 visafrei aus der DDR einreisen konnten.[7]
Der Markt in Osinów Dolny (offiziell „Oder Center Berlin“[8]), der nach der Wiedereröffnung der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Oderbrücke 1993 auf dem Gelände der ehemaligen Zellstoff- und Papierfabrik Niederwutzen entstand,[9] gilt als der größte Polenmarkt.[10][11] Dreimal am Tag fährt dorthin ein Shuttle-Bus ab Berlin-Marzahn.[12]
Außerdem gibt es Märkte tschechischer und vietnamesischer Händler („Tschechenmärkte“, „Vietnamesenmärkte“) an der deutsch-tschechischen Grenze.[13]
Angebot
Angeboten werden aufgrund des Preisgefälles insbesondere Zigaretten und alkoholische Getränke,[14] aber auch Kleidung, Kosmetik, Lebensmittel, Gartenzwerge,[15][16] CDs, DVDs, Garten- und Heimwerkerbedarf.[17] Das Angebot richtet sich überwiegend an deutsche Kunden, darunter auch Teilnehmer von Kaffeefahrten.[18] Kritisiert wurde der Handel mit in Deutschland verbotenen Waren, etwa mit verfassungsfeindlichen Symbolen,[19][20] illegalen Feuerwerkskörpern[21] sowie mit illegal gezüchteten Haustieren, insbesondere Welpen.[22]
Bezeichnungen
Die umgangssprachliche Bezeichnung „Polenmarkt“ wird häufig in Anführungszeichen verwendet,[23] aber auch offiziell von Händlern benutzt. Der erste Teil des Kompositums „Polenmarkt“ kann dabei sowohl das Land Polen als auch seine Bewohner, die Polen meinen.[24] Der Fachterminus ist „(polnischer) Grenzmarkt“. Im Polnischen wird das Wort „(przygraniczny) bazar“ /„(Grenz-)Basar“[25] oder der Germanismus „Polenmarkt“[26] verwendet. Durch den Sprachkontakt zwischen Deutsch und Polnisch hat sich unter den Händlern eine Mischsprache etabliert.[27]
In der Kultur
1997 drehten die Soziologen Jerzy Kaczmarek und Dominik Peitsch den Film Der Słubicer Polenmarkt: Auswirkungen auf Stadt und Mensch.[28] Seit 1997 findet in Greifswald das Kulturfestival polenmARkT statt. 2000 wurde der heutige Club der polnischen Versager als Bund der polnischen Versager – Polenmarkt e.V. gegründet.[29]
Literatur
Zum Markt in Berlin
- Karl Schlögel: „Ein Stück Stadtwüste lebt. Einzigartig in Europas Mitte: ein polnischer Markt weckt Berliner Hoffnungen“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Februar 1989, S. 27; wieder abgedruckt als: „Polenmarkt“. In: Ders.: Das Wunder von Nishnij oder die Rückkehr der Städte: Berichte und Essays, Frankfurt a. M.: Eichborn, 1991, S. 259–266.
- Karl Schlögel: „Das Neue Berlin: Polenmarkt plus Debis Tower“, in: Journal Das Neue Berlin 99/01. Heft 1/1998, S. 14–17.
- Roswitha Loew, Anke Pfeifer: Vom Berliner „Flohmarkt-Idyll“ zum „Labyrinth aus Bretterbuden“: Polenbilder im deutschen Pressediskurs (1989-1997). Ein interdisziplinärer Versuch. Scripvaz-Verlag, 1999, ISBN 978-3-931278-37-3
- Ursula Weber: Der Polenmarkt in Berlin: zur Rekonstruktion eines kulturellen Kontakts im Prozeß der politischen Transformation Mittel- und Osteuropas. Neuried: Ars Una, 2002.
Zu polnischen Grenzmärkten
- Joachim Pawlyta: Der grenznahe Handel zwischen Deutschland und Polen. GHS, 1995, ISBN 978-3-925327-29-2, S. 26–43.
- Dominik Peitsch: Globale Formen – lokale Märkte: eine empirische Zusammenhangsstudie von Martin Albrows „The Global Age“ und Florian Znanieckis „Modern Nationalities“ unter besonderer Berücksichtigung des Marktes am Beispiel der „Polenmärkte“. Univ. Diss., 1998
- Jerzy Kaczmarek: „Der Słubicer Polenmarkt: Eine visuell–soziologische Studie“. In: Helga Schultz: Grenzen im Ostblock und ihre Überwindung. Berlin Verlag Spitz, 2001, ISBN 978-3-8305-0081-0, S. 327–335.
- Uwe Rada: Zwischenland: europäische Geschichten aus dem deutsch-polnischen Grenzgebiet. Be.bra, 2004, ISBN 978-3-89809-045-2
- Peter Dannenberg, Lech Suwala: Entwicklung von konsumorientierten Handel und Dienstleistungen im deutsch-polnischen Grenzraum am Beispiel von Frankfurt (Oder) / Słubice, Arbeitsberichte Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, No. 153, Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin, 2009, PDF
- Barbara A. Jańczak: „German-Polish Border: Language Contact and Language Use on the Example of Forms of Address of Polish Vendors from Słubice Bazaar“. In: Rellstab, D./ Siponkoski N. (Hrsgg.): Rajojen dynamiikkaa, Gränsernas dynamik, Borders under Negotiation, Grenzen und ihre Dynamik. VAKKI-symposiumi XXXV 12.–13.2.2015. Vaasa: VAKKI Publications 4, 2015, S. 117–126, PDF
- Barbara A. Jańczak: „Deutsch-polnische Grenzschaft: Sprachgebrauch im transnationalen Raum der Grenzmärkte im deutsch-polnischen Grenzland“. In: Tölle, A./ Wehrhahn, R. (Hg.): Translokalität und lokale Raumproduktionen in transnationaler Perspektive. Berlin: Logos, 2016, S. 119–131.
- Florian Peters: „Vom ,Polenmarkt‘ zum Millionär? Der Markt als Erfahrungsraum und Ordnungsmodell der Transformationszeit in Polen“. In: Ulf Brunnbauer / Dierk Hoffmann (Hg.): Transformation als soziale Praxis. Mitteleuropa seit den 1970er Jahren. (Zeitgeschichte im Gespräch. 32). Berlin 2020, S. 108–124.
Weblinks
- Polenmarkt in Berlin, Spiegel TV, 1989, Beitrag von Maria Gresz
- Jacek Slaski: Der Polenmarkt in Berlin: Wilder Osten in der Wendezeit, Tip Berlin, 14. Juni 2021
- Abenteuer Polenmarkt, ZDF, 2017, Dokumentation von Britta Hilpert
Einzelnachweise
- ↑ Der „Polenmarkt“ am Potsdamer Platz in Berlin. Abgerufen am 17. Juli 2022.
- ↑ ulrike helwerth: Das Aus für den Berliner Polenmarkt. In: Die Tageszeitung: taz. 22. Juni 1989, ISSN 0931-9085, S. 3 (taz.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
- ↑ Stefan Himmer: West-Berlin für Ost-Berliner. Elefanten Press, 1989, ISBN 978-3-88520-343-8, S. 38 (google.de [abgerufen am 19. Juli 2022]).
- ↑ »Die san nur arme Würschtl«. In: Der Spiegel. 3. Dezember 1989, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
- ↑ Stefanie Peter: Alphabet der polnischen Wunder: ein Wörterbuch. Suhrkamp, 2007, ISBN 978-3-518-41933-5, S. 207 (google.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
- ↑ Matthias Diekhoff: Polenmärkte: Świnoujście/Ahlbeck, Lubieszyn/Linken, Krajnik Dolny/Schwedt, Osinów Dolny/Hohenwutzen. Centrum Kultury, 2006 (google.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
- ↑ Helga Schultz: Grenzen im Ostblock und ihre Überwindung. Berlin Verlag Spitz, 2001, ISBN 978-3-8305-0081-0, S. 286 (google.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
- ↑ Märkisches Medienhaus: Einkaufstourismus: Der Sprung auf den Polenmarkt von Hohenwutzen nach Osinów Dolny. 9. Juli 2020, abgerufen am 18. Juli 2022.
- ↑ Papierfabrik Niederwutzen / Stara fabryka papieru Osinów Dolny. Abgerufen am 17. Juli 2022.
- ↑ Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands: Polnische Grenzmärkte und Polenmarkt Osinow-Dolny ( des vom 25. Dezember 2008 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 10. Februar 2009.
- ↑ Deutsche Welle (www.dw.com): Biggest Polish bazaar for Germans reinvents itself | DW | 19.12.2019. Abgerufen am 17. Juli 2022 (britisches Englisch).
- ↑ hoerspielundfeature.de: Konsum und Kultur - Ein Besuch auf dem Polenmarkt Hohenwutzen. Abgerufen am 19. Juli 2022.
- ↑ Bernhard Köppen: „Auswirkungen des Einkaufstourismus im nordböhmischen Grenzraum: Beispiele zu Sonderformen des tertiären Sektors“. In: Europa Regional 8.2000(2), S. 19–31. PDF
- ↑ Helmut Schümann: Von polnischen Märkten und deutschem Kaffee. In: Der Tagesspiegel Online. 6. Mai 2013, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
- ↑ Dietmar Pieper: Der verfluchte Basar. In: Der Spiegel. 4. April 1993, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
- ↑ Büchse der Pandora. In: Der Spiegel. 10. Juli 1994, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
- ↑ Alles und billig. Abgerufen am 18. Juli 2022.
- ↑ michaela schießl: Psycho-Hartmuts Latex-Show. In: Die Tageszeitung: taz. 24. Februar 1993, ISSN 0931-9085, S. 11 (taz.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
- ↑ Hanna Kolb: Skinheads auf Schnäppchenjagd. In: DIE WELT. 8. August 1999 (welt.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
- ↑ Propaganda: Nazi-Rock vom "Polenmarkt". In: Der Spiegel. 17. August 2000, ISSN 2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 18. Juli 2022]).
- ↑ Pyro-Fans kaufen in Polen Feuerwerkskörper. Abgerufen am 17. Juli 2022.
- ↑ Sophie Krause: Wie Berlins Bezirke gegen illegalen Welpenhandel ankämpfen. In: Der Tagesspiegel Online. 2. April 2018, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 17. Juli 2022]).
- ↑ DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache. Abgerufen am 19. Juli 2022.
- ↑ Ursula Grawert: „Herbstromantik-Panoramafahrt oder: Bereichern Kaffeefahrten den deutschen Wortschatz?“. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge, Vol. 5, No. 3 (1995), S. 587–593; S. 590.
- ↑ Deutsche Welle (www.dw.com): Pogranicze. Trzy pogrzeby i wesele | DW | 27.09.2020. Abgerufen am 18. Juli 2022 (pl-PL).
- ↑ WDR: Jestem polonofilem jak wielu Niemców. 25. September 2021, abgerufen am 19. Juli 2022.
- ↑ Jańczak 2015; Jańczak 2016
- ↑ Kaczmarek 2001
- ↑ Magdalena Marszałek, Alicja Nagórko: Berührungslinien: polnische Literatur und Sprache aus der Perspektive des deutsch-polnischen kulturellen Austauschs. Olms, 2006, ISBN 978-3-487-13024-8, S. 315 (google.de [abgerufen am 20. Juli 2022]).