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Thyestes (Seneca)

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Thyestes (altgriechisch Θυέστης Thyéstēs) ist eine Tragödie von Seneca in 5 Akten.

Übersicht

Personen/ Personae Dramatis

Maske des Thyestes aus Pompeji
  • Thyestes, Bruder des Atreus
  • Atreus, Bruder des Thyestes
  • Tantali Umbra, Schatten (Geist) des Tantalus
  • Furia, Furie (Erinye)
  • Satelles, Diener des Atreus
  • Tantalus, Sohn des Thyestes
  • Nuntius, Bote
  • Chorus, Chor

Ort der Handlung

Ort der Handlung ist Mykene.

Einführung

House_of_Atreus_family_tree

Handlung

Die folgenden Versangaben beruhen auf der neuesten Übersetzung von Durs Grünbein.[1]

Akt I

  • Der Prolog des Dramas wird von Geistern gespielt. Der Schatten des Tantalus verlässt das Reich der Schatten und erscheint in Mykene. Misstrauisch schaut er sich um und erwartet eine weitere Strafe. Harte Behandlung ist er in seinem Gefängnis im Hades gewohnt, wo er in einem Teich steht und ohne Erfolg versucht zu trinken oder die Früchte der Äste über sich mit der Hand zu pflücken. Dann stellt er seine Nachkommen als Brut vor, die ihren Erzeuger weit übertreffe und Minos nicht mehr arbeitslos sein lasse.[2] Die Furie treibt ihn an, seine Familienbande in blinder Wut rasen zu lassen. Haß solle die Herrschaft übernehmen, Mord und Totschlag und auch der Hinweis auf Tantalus eigenes Verbrechen, das wiederholt werden solle, darf nicht fehlen. Tantalus' Schatten ist das zuviel, er will zurück in den ungastlichen Hades. Doch die Furie unterwirft sich Tantalus mitleidlos ihrem Willen. Irre soll das Haus des Tantalus werden, Glück im Blutrausch suchen. Wird der Sonnengott den Gang des Tages vollenden oder nicht?[3]
  • 1. Chorlied: Der Chor wendet sich an die Himmlischen, damit sie das drohende Unheil noch abwenden. Als abschreckendes Beispiel werden die Freveltaten des Tantalus rekapituliert, seine Leiden in der Unterwelt ausführlich erläutert.[4]

Akt II

  • Atreus räsonniert, wie er den treulosen Verrat seines Bruders, der ihn mit seiner Frau betrog, rächen kann. Er ergeht sich in wüsten Drohreden und läßt sich auch durch die rationalen Einwürfe eines dazu tretenden Gefolgsmannes nicht beruhigen. Er sinnt auf eine nie gekannte monströse Greueltat, die alles Bekannte in den Schatten stellen solle.[5].Als Köder dient ihm das Angebot, mit ihm zusammen König zu werden. Seine Söhne Agamemnon und Menelaos sollen in den Plan eingeweiht, wovor der Gefolgsmann warnt. Atreus nimmt es als Probe seiner Vaterschaft, unterstützen sie ihn, sind es seine Söhne, verraten sie ihn, die von Thyestes.[6]
  • 2. Chorlied[7]: Der Chor ist zufrieden über die scheinbare Versöhnung, die gemeinsame Herrschaft der Brüder.Ganz stoisch werden die Attribute wahrer guter Könige aufgezählt: von Angst befreit, nicht begierig auf Fremdes. Fragil ist Größe und Herrschaft.

Akt III

  • Während der 2. Akt von Atreus dominiert wurde, folgt jetzt ein Thyestes- Akt, der aus zwei Szenen besteht, die beide Thyestes zur Annahme der Herrschaft überreden sollen. Thyestes betritt mit seinen drei Söhnen die Stadt/ Bühne. In einem Eingangsmonolog schildert er seine zerrissene Seelenlage. Einerseits die erträumte Vaterstadt wieder zu betreten, dann aber auch die tiefen Zerwürfnisse mit seinem Bruder Atreus. Verwirrt hält er inne, was sein Sohn Tantalus bemerkt. Es entspinnt sich eine Debatte, ob Thyestes Atreus' Angebot annehmen soll oder nicht. Thyestes hält es für eine Falle und preist die Vorteile eines von Herrschaft freien Lebens in Zurückgezogenheit, der Sohn hält dagegen und fordert die Übernahme des Thrones. Der Vater habe auch an die Söhne zu denken. Letztlich findet er sich in sein Schicksal.[8]
  • In der zweiten Szene kommt es zur Begegnung der Brüder. Während Atreus sich zufrieden zeigt über die Erfüllung seines Planes, windet sich Thyestes unter der Last der Entscheidung. Er wirft sich Atreus sogar zu Füßen, als er den Bruderzwist beenden will. Atreus spielt den Großmütigen und läßt ihn aufstehen und fordert ihn auf, seinen Teil der Herrschaft anzutreten. Thyestes knickt ein und nimmt an, allerdings nur den Titel. Atreus verabschiedet sich, um - auf seine Weise - den Göttern zudanken.[9]
  • 3. Chorlied[10]: Im Stile des Sophokles drückt der Chor ahnungslos seine große Freude über die Versöhnung der Brüder aus. Eben noch drohte Unheil, dann schien ein Umschwung zu kommen, wie oft im menschlichen Leben, das mit einer Turbine gleichgesetzt wird.

Akt IV

  • Dieser Akt besteht aus einem dialogisierten Botenbericht, eine dramatische Form, die Seneca gerne in seinen Tragödien (Hercules furens und Troades) wählt. Ein Bote berichtet außer sich, was sich im Inneren der Königsburg abgespielt hat. Dabei wird er durch die weitertreibenden Fragen des Chors unterstützt. Atreus hat sein pervertiertes "Opfer" und seine Rache ausgeführt. Die drei Söhne seines Bruders führte er zum Altar und tötete sie einen nach dem anderen mit dem Schwert. Danach, ganz in der Tradition des Großvaters Tantalus, kochte er aus den Überresten ein „Mahl“, das er seinem zunehmend trunkenen Bruder als Speise vorsetzte. Ein so grauenhaftes Verbrechen, dass selbst die Sonne verschwand.[11]
  • 4. Chorlied[12]: Das plötzliche Verschwinden der Sonne beschäftigt auch den Chor, der aber noch nicht den Zusammenhang der Dunkelheit mit dem ungeheuerlichen Verbrechen des Atreus realisiert. Er raisoniert über einen möglichen Gigantenaufstand, die Aufhebung des natürlichen Tag- und Nachtwechsels oder einen nahenden Weltuntergang.

Akt V

  • Atreus sieht sich kurz am Ziel seiner Rache. Größenwahnsinnig schwadroniert er von seiner „Größe“. Doch schnell stellt sich das Gefühl ein, sich noch nicht genug gerächt zu haben. Er läßt die Tore zum Festsaal öffnen, um den nächste Teil einzuleiten. Der stark betrunkene Thyestes hebt an zu singen. Seine Sorgen sollen endlich vorbei sein, genauso wie die Scham, Unglück und Elend.(V 920-969). Seine schmerzende Aufregung steigt während des Liedes V. 920-969 an, dass er schließlich zu weinen anfängt. Atreus, ganz gravitätischer Herrscher, fordert ihn auf, den Festtag zu begehen. Doch Thyestes will seinenSöhne dabei haben. Atreus beruhigt ihn mit der Zusage, sie holen zu wollen V. 970-998. Thyestes, statt in Ruhe auf die Versöhnung trinken zu können, bemerkt nicht erklärbare Naturerscheinungen, selbst der Tag ist gegangen. Um so mehr sehnt er sich nach seinen Söhnen, die Atreus jetzt holt. Thyestes geht es derweil immer schlechter, alles dreht sich. Atreus kommt mit einem verhüllten Tablett zurück. Dann zeigt er ihm die abgetrennten Köpfe seiner Kinder. In seiner tiefen Verzweifelung wünscht sich Thyestes und seinen Bruder in die unterste Abteilung des Hades. Warum Erde und Götter ein so unfassbares Verbrechen geschehen ließen, versteht er nicht. Atreus verhöhnt ihn weiter, indem er ihm nun enthüllt, dass er seine eigenen Kinder kannibalisch verzehrt habe.V. 999-1034 Thyestes versteht jetzt die Verdunkelung der Welt bei solch unfassbarem Grauen. Atreus redet sich heraus, alles habe mit Thyestes Ehebruch begonnen, die Antwort sei nur eine nicht zu sättigende Rache. Thyestes kann die Welt und die ratlosen Götter nicht verstehen, sie müßten doch toben und ewige Nacht werden lassen. Angesichts von Thyestes' Verzweifelung zeigt sich Atreus zufrieden.V. 1035-1113

Literarische Vorlagen

Im Fall des Thyestes kann die literarische Vorlage nicht bestimmt werden, wenngleich es ziemlich sicher eine gab. Keine der vielen Tragödien, die Thyestes im Titel trugen, ist auf uns gekommen. Der Sagenstoff war bei den antiken Autoren ungemein beliebt. Sophokles hatte gleich drei "Thyestes"- Dramen geschrieben, aber auch Euripides und Agathon sowie Apollodoros, Kleophon und Diogenes von Sinope haben das Thema nicht ausgelassen. Allerdings ist ein Schauspiel von Euripides am wahrscheinlichsten, da er schon fünf seiner Dramen bearbeitet hatte. Auch bei den Römern war das Thema beliebt: Quintus Ennius, Accius, Varius, Gracchus, Mamercus Aemilius Scaurus, Curiatius Maternus, Bassus, Ligurinus und Rubrenus Lappa haben sich des Themas angenommen.[13]

Datierung

Keine Tragödie des Lucius Annaeus Seneca kann datiert werden.[14]

Aufführungsgeschichte

Wende durch Otto Regenbogen, Schmerz und Tod in den Tragödien Senecas

Textausgaben

Lateinische Text
  • Rudolfus Peiper, Gustavus Richter (Hrsg.): L. Annaei Senecae Tragoediae. (Bibliotheca Teubneriana), Leipzig 1902, S. 279-318
  • Tarrant, R. J. (Hrsg.): Senecas's Thyestes, edited with Introduction and Commentary, Scholars Press, Atlanta, Georgia 1985
Zweisprachige Ausgaben
  • Seneca: Thyestes, Franz Horn (Übersetzung, Einleitung, Anmerkungen), Penig, Ferdinand Dienemann 1802
  • Seneca: Thyestes, Durs Grünbein (Übersetzer), Frankfurt a. Main, Leipzig 2002
Deutsche Ausgaben
  • Wenceslaus Aloys Swoboda (Hrsg.): L. A. Seneca's Tragödien I., (Übersetzung, Einleitung, Anmerkungen), Wien, Prag 1825, S. 261-316
  • Ludwig Uhland, Thyest, in: Adelbert von Keller, Uhland als Dramatiker mit Benutzung seines handschriftlichen Nachlasses, Stuttgart 1877, S. 13-65
Englische Übersetzung
  • Seneca: Thyestes, in: Emily Wilson (Hrsg.): Six Tragedies, New York 2010, S. 179-211

Literatur

  • Regenbogen, Otto, „Schmerz und Tod in den Tragödien Senecas“, Vorträge d. Bibl. Warburg 7 (1927/1928), Leipzig — Berlin 1930, S. 167—218 (= Sonderausg.:Darmstadt 1963 = Kl. Schriften, München 1961, S. 409—462).
  • Klees, Christian, Kugelmeier, Christoph, Von der Rezitation auf die Bühne. Ein übersetzungstheoretischer Werkstattbericht zu zeitgenössischen deutschen Theaterversionen von Senecas Tragödien, in: Marco Agnetta, Larisa Cercel (Hrsg.): Textperformances und Kulturtransfer, St. Ingbert 2021, S. 303-323
  • Knoche, Ulrich: "Senecas Atreus, ein Beispiel" (zuerst 1941). In: Lefèvre, Senecas Tragödien (s. oben Nr. 44), 58-66, 477-489; auch in: Ulrich Knoche, Ausgewählte kleine Schriften, Frankfurt/M. 1986, 363-379
  • Lefèvre, Eckard: "Die philosophische Bedeutung der Seneca-Tragödie am Beispiel des ‘Thyestes’", ANRW II 32.2 (1985), 1263-1283
  • Ders.: "Senecas Atreus - Die Negation des stoischen Weisen?". In: Jerzy Axer / Woldemar Görler (Hrsg.), Scaenica Saravi-Varsoviensia, Warschau 1997, 57-74; und in: Bernhard Zimmermann (Hrsg.), Griechisch-römische Komödie und Tragödie, Bd. 2, Stuttgart 1997, 119-134
  • Lesky, Albin: "Die griechischen Pelopidendramen und Senecas ‘Thyestes’" (zuerst 1922). In: ders., Gesammelte Schriften, Bern / München 1966, 519-540
  • Pöschl, Viktor: "Bemerkungen zum Thyest des Seneca". In: Latinität und alte Kirche (FS Rudolf Hanslik, WS Beih. 8), Wien u. a. 1977, 224-234
  • Rossi, Elena: Una metafora presa alla lettera: le membra lacerate della famiglia - Tieste di Seneca e i rifacimenti moderni, Pisa 1989
  • Seidensticker, Bernd: "Maius solito: Senecas Thyestes und die tragoedia rhetorica", A&A 31, 1985, 116-136
  • Ders., Senecas „Thyestes“ oder die Jagd nach dem Außergewöhnlichen, in: Seneca, Thyestes (Deutsch von Durs Grünbein), ders.(Hrsg.), Frankfurt a. M., Leipzig 2002, S. 115-139

Anmerkungen

  1. Seneca: Thyestes. Hrsg.: Bernd Seidensticker. Insel, Frankfurt am Main, Leipzig 2002, ISBN 3-458-17114-2.
  2. Seneca, Thyestes, V. 1-25
  3. Seneca, Thyestes, V. 23-122
  4. Seneca, Thyestes, V. 123-175
  5. Seneca Thyestes, V. 176-285
  6. Seneca, Thyestes, V. 286-335
  7. Seneca, Thyestes, V. 336-403
  8. Seneca, Thyestes, V. 404-490
  9. Seneca, Thyestes, V. 491-545
  10. Seneca, Thyestes, V. 546-622
  11. Seneca, Thyestes, V. 623-788
  12. Seneca, Thyestes, V. 789-884
  13. Bernd Seidensticker: Senecas „Thyestes“ oder die Jagd nach dem Außergewöhnlichen. In: Durs Grünbein (Hrsg.): Seneca Thyestes. Insel, Berlin 2002, ISBN 3-458-17114-2, S. 116.
  14. Manfred Fuhrmann: Seneca und Kaiser Nero. Fest, Berlin 1997, ISBN 3-8286-0012-3, S. 199.
  15. Durs Grünbein: Im Gespräch mit Thomas Irmer. In: Durs Grünbein (Hrsg.): Seneca Thyestes. Berlin 2002, S. 111–114.