Schulmedizin
Mit Schulmedizin wird umgangssprachlich die Medizin bezeichnet, die an der Universität während des Studiums gelehrt wird und auch die meiste öffentliche Anerkennung geniesst. Ursprünglich handelt es sich bei dieser Bezeichnung um einen Abgrenzungsversuch der Alternativmedizin, die die Schulmedizin teilweise sehr stark kritisiert.
Einführung
Die Schulmedizin wird auch allopathische Medizin genannt. Sie fühlt sich der Naturwissenschaft, der Statistik, der Psychologie und dem kritischen Denken gegenüber den eigenen Methoden und Lehren verpflichtet. Historisch liegen in der universitären Ausbildung der Mediziner auch die Wurzeln für einen Teil der Fachdisziplinen der Biologie.
Auch die Schulmedizin kennt Moden und unbewiesene Lehrmeinungen. Es findet jedoch ein langsamer Prozess der Verbesserung statt, der zu diagnostischen und therapeutischen Methoden führt, die für jedermann nachprüfbare und wiederholbare Ergebnisse aufweisen sollten.
Ein neuer Begriff, der ähnliches meint und sich vor allem auf statistische Erkenntnisse stützt ist die evidenzbasierte Medizin.
Die Schulmedizin sollte eigentlich nur Medikamente und Behandlungsmethoden mit nachgewiesener Wirksamkeit anwenden. Sie umfasst einen Großteil des Wissens- und Erfahrungsschatzes der Medizin der westlichen Hemisphäre, der sich in vielen Jahrhunderten, vor allem aber in den letzten 200 Jahren angesammelt hat. Die schulmedizinischen Regeln sind nicht starr, sondern werden durch neue Entdeckungen, Entwicklungen, Untersuchungen, diagnostische Methoden oder durch die Einführung neuer Medikamente und Heilmethoden verändert und dem Stand des Wissens angepasst. Dieser Anpassungsprozess ist oft mühsam und langsam. Kostendruck, der Zwang zur statistischen Nachprüfbarkeit und Dokumentation, der internationale Erfahrungsaustausch, das Auftreten neuer Krankheiten und auch der wissenschaftliche Ehrgeiz bringen aber immer wieder Bewegung in das vermeintlich fest zementierte "Schulgebäude". Mit der Analyse der "Schulmedizin" befasst sich auch die Medizinsoziologie (siehe auch medizinisches Krankheitsmodell).
Zwei sehr angesehene medizinische Zeitschriften, die sich ganz der Schulmedizin verpflichtet fühlen sind der Lancet und das New England Journal of Medicine NEJM.
Kurze Meilensteine der Schulmedizin
(ohne antike Vorläufer und arabische Medizin)
1140 König Roger II. von Sizilien genehmigt die erste überlieferte Studienordnung für Medizin
1231 Edikt von Salerno (auch "Constitutiones" oder Medizinalordnung) durch Kaiser Friedrich II, die Berufe Arzt und Apotheker werden getrennt
1543 erster belegter Kaiserschnitt; A. Vesal veröffentlicht das erste vollständige Lehrbuch der Anatomie
1628 Entdeckung des Blutkreislaufes durch William Harvey (1578-1657)
1661 Entdeckung der Blutkapillaren durch Marcellus Malpighi (1628-1694)
1673 Antonie van Leeuwenhoek (1632-1723) beginnt mit selbstgebauten Mikroskopen verschiedene Untersuchungen. Er entdeckt Bakterien, Spermien und rote Blutkörperchen
1761 Giovanni Battista Morgagni (1682-1771) begründet die pathologische Anatomie als Lehre von Organveränderungen
1796 erste Pockenimpfung mit Kuhpocken durch Edward Jenner (1749-1823)
1844 erste Narkose mit Lachgas durch Horace Wells (1815-1848)
1846 erste Narkose mit Ether durch William Thomas Green Morton (1819-1868)
1847 das Kindbettfieber wird erstmalig durch Ignaz Philipp Semmelweis (1818-1865) durch Einsatz von desinfizierendem Chlorwasser erfolgreich bekämpft
1854 Louis Pasteur (1822-1895) stellt Mikroorganismen als Ursache der alkoholischen Gärung und von Krankheiten fest
1858 Rudolf Virchow (1821-1902) nimmt als Ursache von Krankheiten Veränderungen der Zellen an, er begründet die Zellularpathologie
1882 Robert Koch (1843-1910) entdeckt den Tuberkelbazillus und wird zum Begründer der Bakteriologie, weitere Erreger Cholera, Pest oder Milzbrand folgen
1884 Elie Metchnikoff (1845-1916) findet weiße Blutkörperchen, die Bakterien fressen
1890 Emil Adolf von Behring (1854-1917) entwickelt ein Serum gegen Diphtherie und erhält dafür 1901 den Nobelpreis für Medizin
1895 Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) entdeckt die nach ihm benannte Strahlung
1896 Ludwig Rehn gelingt die erste erfolgreiche Herznaht
1901 Konstruktion des Saitengalvanometers durch Willem Einthoven (1860-1927), Beginn der Elektrokardiographie, 1924 erhielt er dafür den Nobelpreis für Medizin
1902 Karl Landsteiner (1868-1943) entdeckt Blutgruppen A, B, und O sowie den Rhesusfaktor; Landsteiner erhält dafür 1937 den Nobelpreis für Medizin
1903 Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) führt erstmalig Lungenoperationen in Unterdruckkammern durch
1910 Der Nobelpreisträger Paul Ehrlich (1854-1915) entwickelt Salvarsan gegen Syphilis
1911 Begründung der Neurochirurgie durch O. Förster
1921 erstmalige Isolation von Insulin aus tierischen Bauchspeicheldrüsen durch Frederick Banting und Charles Best (1899-1978)
1929 Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming(1881 - 1955); Erprobung des ersten Herzkatheters durch Theodor Forßmann (1904-1979); Erstmalige Aufnahme von Hirnströmen (EEG) durch H. Berger
1934 Entdeckung der Wirkung von Sulfonamiden durch G. Domagk
1941 Einführung des Penicillins zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten
1954 Impfstoff gegen Kinderlähmung
1957 Einführung der Ultraschalluntersuchung bei Schwangerschaften
1967 Erste Herztransplantation durch Christiaan Barnard (1922-2001)
1979 Einführung der Computertomographie
1980 Die WHO erklärt die Pockenviren für ausgerottet; in den USA wird das Auftreten der neuen Seuche AIDS bekannt
Kritik an der Schulmedizin
Kritikpunkte an der Schulmedizin, die vor allem aus den Reihen der Befürworter alternativmedizinischer Behandlungsmethoden vorgebracht werden:
- ihre Diagnose- und Behandlungsmethoden seien enorm kostenintensiv.
- ihre Form der Behandlung schließe viele unerwünschte Nebenwirkungen mit ein.
- sie unterdrücke allzu oft Symptome einer Krankheit, anstatt deren Ursache zu behandeln.
- sie mache die Richtigkeit ihrer Behandlungsmethoden von Studien abhängig.
- sie vernachlässige den psychischen Zustand des Patienten und dessen Auswirkungen auf die Organ-Ebene. Sie suche die Ursachen einer Krankheit rein im Organischen. Strikte Trennung von Psychiatrie und Organmedizin.
- die auf Tierversuchen beruhenden Ergebnisse seien nicht auf den Menschen übertragbar.
- sie werde beeinflusst von wirtschaftlichen Interessen der pharmazeutischen Industrie.
- sie versuche, den menschlichen Organismus mit Chemie zu steuern.
- sie erkenne die Wirksamkeit alternativer Behandlungsmethoden nicht an.
- sie unterdrücke neue Erkenntnisse über wirksame alternative Behandlungsmethoden.
- sie spezialisiere sich zu sehr auf einzelne Bereiche/Organe und verliere dadurch den Überblick über das Gesamte/Ganzheitliche.
- sie gewinne ihre Erkenntnisse aus den individuellen Einzelfall nicht berücksichtigenden Statistiken.
- sie beruhe auf einer Vielzahl Hypothesen.
Literatur
Schulmedizinische Literatur
Eine Einführung in die (Schul-)Medizin die hier als Buch empfohlen werden kann gibt es nicht. Die Zahl der medizinischen Fachgebiete ist zu groß um auch nur für jedes Gebiet hier ein einführendes Buch zu nennen.
Kritische Literatur
- Jörg Blech: Die Krankheitserfinder. Wie wir zu Patienten gemacht werden., ISBN 310004410X
- Ivan Illich: Die Nemesis der Medizin, ISBN 3406392040 +
- Herbert Immich: Medizinische Statistik ISBN 3794503155 (Lehrbuch der medizinischen Statistik, mit Beispielen von schulmedizinischen Fehlschlüssen. Nicht mehr neu aufgelegt)
- Kurt Langbein, Bert Ehgartner: Das Medizinkartell , ISBN 3492044077
- Petr Skrabanek, James McCormick: Torheiten und Trugschlüsse in der Medizin, Mainz ISBN 3874090949. Das Buch unterzieht die Medizin insgesamt einer sehr kritischen Würdigung aus naturwissenschaftlicher Sicht.
Weblinks
- Portal für Medizinstudenten
- Einstieg medizinische Fakultäten
- Startseite: Wikimed
- Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
Siehe auch
Liste medizinischer Fachgebiete
Links zum Verständnis der Schulmedizin: Arzt -- Doktor der Medizin -- Doppelblindversuch -- Gesundheitssystem -- Liste bedeutender Mediziner und Ärzte -- Liste der Nobelpreisträger für Physiologie oder Medizin -- Medizin -- Medizinische Wirksamkeit -- Neue Medizin -- Plazebo -- Randomisation -- Signifikanz --Therapie
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