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Dominique Jean Larrey

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Dominique Jean Larrey, Porträt von Anne-Louis Girodet-Trioson, 1804

Dominique Jean Larrey, auch (Baron) Dominique-Jean Larrey (* 8. Juli 1766 in Beaudéan (Hautes-Pyrénées); † 25. Juli 1842 in Lyon), war ein französischer Militärarzt und Chirurg.

Leben

Dominique Jean Larrey wurde als Sohn eines Schuhmachers in bescheidenen Verhältnissen geboren. Nach dem Tod des Vaters wuchs er bei seinem Onkel Alexis Larrey auf, der Chef-Chirurg an einem Krankenhaus in Toulouse war. Dominique Jean studierte an den Universitäten Toulouse und Paris. Ab 1787 war er als Chirurg bei der königlichen Marine tätig. Er nahm als Schiffsarzt („Ober-Schiffswundarzt“) an den Expeditionen mit der Fregatte Vigilante nach Neufundland teil, wo die dortigen Fischerei-Niederlassungen geschützt werden sollten.[1] Er diente ab 1792 in der Rheinarmee, brachte es bis zum Oberfeldscher der Großen Armee von Napoleon I. und wurde auch dessen persönlicher Leibarzt.

Stich nach dem Porträt von Girodet-Trioson

Als Feldchirurg befasste er sich hauptsächlich mit militärischen Entwicklungen. So führte er beispielsweise 1793 als Chirurg I. Klasse bei Luckners Heer gegen große Widerstände seine Idee der « Ambulance volante » (deutsch: „Fliegende Lazarette“) ein und organisierte Feldlazarette in Indien und Ägypten. 1796 wurde er zum Professor der Schule des Militärhospitals Val-de-Grâce ernannt. Er gilt als Schöpfer einer völlig neuen Kriegschirurgie. Vor Larrey bestand Militärchirurgie aus feldfernen Lazaretten, die viel zu spät an die Verwundeten kamen und oft nur noch die Leichen und Sterbenden einsammeln konnten. Larrey ging mit auf das Feld. Seine Hilfsbereitschaft und Hingabe waren legendär und brachten ihm von allen Seiten höchsten Respekt ein. Auch die Weiterentwicklung medizinischer Methoden, z. B. Resektionen und Amputationen, ist ihm zu verdanken. Er hatte die Idee, zurückgebliebene Muskeln nach einer Amputation für die willkürliche Bewegung einer Handprothese zu nutzen (konstruiert wurde eine solche künstliche Hand im 19. Jahrhundert durch den Techniker und Zahnarzt Peter Baliff und für Patienten realisiert nach dem Ersten Weltkrieg durch Ferdinand Sauerbruch).[2] 1810 veröffentlichte er in Paris seine drei Bücher Chirurgische Denkwürdigkeiten.

Am 4. März 1794 heiratete er die Malerin Marie-Élisabeth Laville-Leroux, die jüngste Tochter von René Laville-Leroux, kurzzeitig Finanzminister unter Ludwig XVI.[3] Sein Sohn Félix Hippolyte wurde am 18. September 1808 geboren und wurde Militärchirurg.[4][5]

Napoleon am 11. Februar 1808 beim Besuch eines Lazaretts, Gemälde von Alexandre Veron-Bellecourt

Am 12. Februar 1812 wurde Larrey zum Chef-Chirurgen für den Russlandfeldzug ernannt. Er wurde nach Magdeburg beordert, wo er den Chefarzt der Armee, Baron Desgenettes, traf. Von dort reiste er nach Berlin, wo er einen Operationskursus vor preußischen Ärzten abhielt, an dem Christoph Wilhelm Hufeland, Leibarzt des preußischen Königs, Johann Goercke, zu dem Zeitpunkt Generalchirurg der preußischen Armee, der Chefarzt der preußischen Armee Wibel und weitere Ärzte teilnahmen. Nach eigenen Angaben amputierte er nach der Schlacht von Borodino 200 Arme und Beine.

Beim Rückzug über die Beresina rettete Larrey viele Verwundete. In dem Durcheinander der Schlacht überquerte Larrey, der Chirurg der Garde, die Brücke sogar zweimal. Seine chirurgischen Werkzeuge waren noch auf einem Wagen an der Ostseite und er holte das Besteck, mit dem er noch viele Leben rettete, noch persönlich ab. Beim zweiten Mal – zuerst hatte er die Brücke mit der Garde Napoleons überquert – wäre er nicht mehr über die Brücke gekommen, wenn ihn nicht viele Soldaten erkannt und ihm geholfen hätten.[6]

Pioniere beim Bau der Behelfsbrücken über die Beresina, Gemälde von Lawrence Alma-Tadema

Am 6. Juli 1809 wurde er von Napoleon zum Baron ernannt.[7] Im September 1813 widerlegte er Soults Anschuldigungen der Selbstverstümmelung von jungen Rekruten. Napoleon gewährte ihm daraufhin eine Staatspension. Bei Dresden versorgte er den Sohn Blüchers nach dessen Verwundung. In der Völkerschlacht bei Leipzig verlor er beim Rückzug den gesamten Tross der Ambulanz, worauf die Sterblichkeitsquote bei den französischen Soldaten anstieg. Nach der ersten Verbannung Napoleons blieb Larrey Chefchirurg der Garde. Er erlebte die Schlacht bei Waterloo als Chefchirurg, Wellington wies seine Artillerie an, das französische Feldlazarett direkt im Zentrum der Schlacht nicht zu beschießen. Nach der Schlacht und der Versorgung aller Verwundeten wurde er von Marschall Blücher zum Essen eingeladen. Er war der einzige Soldat Frankreichs aus den Revolutionskriegen, dem Napoleon, Blücher und Wellington Hochachtung erwiesen.[8][9][10]

In der Zeit der Restauration verlor Larrey von 1815 bis 1817 alle Ämter und Pensionen. Er wurde am 9. April 1818 durch den König selbst rehabilitiert und wieder Oberwundarzt der königlichen Garde und Chef des Hotel des Invalides. Napoleon vermachte ihm in seinem Testament 1821 100.000 Francs und bezeichnet ihn nochmals als tugendhaftesten Mann, den er kennengelernt hat. Bei der Umbettung Napoleons von St.Helena nach Paris am 5. Dezember 1840 war Dominique Larrey einer der wenigen Weggefährten, die noch dabei waren, davon nur die drei von 26 Marschällen des Kaisers, die noch lebten: Jean-de Dieu Soult, Herzog von Dalmatien, als Premierminister, Nicolas Charles Oudinot, Herzog von Reggio als Großkanzler der Ehrenlegion und Adrien Moncey und Herzog von Conegliano als Gouverneur der Invalidenstiftung.[11]

Larrey mit Napoleon

Dominique Jean Larrey starb 1842 nach einer Inspektionsreise nach Algerien, die er zusammen mit seinem Sohn Hippolyte unternommen hatte.

Larrey in späteren Jahren

Marschall Soult, sein persönlicher Feind, verhinderte mit einer Intrige die Beisetzung im Invalidendom, eine späte Rache für die Niederlage bei dem Streit über die angebliche Selbstverstümmelung von jungen Rekruten 1813, die Soult fälschlicherweise dem Kaiser vorgetragen hatte.[12]

Larrey war einer der ersten Ärzte, der die lokalanästhetische Wirkung von Kälte beobachtete. Nach der bei grimmiger Kälte ausgefochtenen Schlacht von Preußisch Eylau am 7. und 8. Februar 1807 nahm er (bei minus 19° Kälte[13]) Amputationen vor, ohne dass einige der Verletzten Schmerzenslaute von sich gaben. Durch die durch Minustemperaturen erzeugte Unterkühlung waren die peripheren Nerven von Larreys Patienten weitgehend schmerzunempfindlich geworden.[14][15] Darüber hinaus beobachtete er, dass die Überlebenschancen Verwundeter, die auf dem Schlachtfeld liegen geblieben waren, größer waren als bei denen, die sofort ins Lazarett kamen. Der Grund waren Maden, die sich in den Wunden unbehandelter Soldaten festsetzten und viele Krankheitserreger abtöteten und so eine Blutvergiftung verhinderten.[16]

Larreys „fliegende Lazarette“ wurden später von vielen anderen Ländern kopiert. Zu seinen Zielen gehörte es auch, den verletzten feindlichen Soldaten umfassende Hilfe zukommen zu lassen.

Nach Larrey wurde die „Larrey-Hernie“ (Krankheit) benannt. Des Weiteren hat er die Bezeichnung Schock für die Symptome, die ein hoher Blutverlust mit sich führt, zum ersten Mal verwendet. Er hatte beobachtet, dass Soldaten, die einen Schlag (französisch choc) in den Bauch bekommen hatten, ganz ohne äußere Verletzungen blass und kaltschweißig wurden und schließlich starben. Er fand heraus, dass sie an inneren Blutungen gestorben waren, und stellte damit den Zusammenhang her, dass Soldaten mit großen äußeren Verletzungen nicht an den Verletzungen selbst, sondern am damit verbundenen Blutverlust starben. Er nannte das symptome de choque, Schocksymptomatik, wie man noch heute sagt.

„Larrey ist der redlichste Mann und der größte Freund der Soldaten, den ich je gekannt habe. Wachsam und unermüdlich in der Pflege der Verwundeten, sah man ihn auf dem Schlachtfeld nach einer Aktion, von einem Train junger Chirurgen begleitet, sorgfältig nachforschen, ob in den Körpern noch ein Lebenszeichen zu entdecken ist. In der rauesten Witterung, in der Nacht wie am Tage, wurde er so unter den Verwundeten gesehen. Selten erlaubte er seinen Gehilfen einen Augenblick auszuruhen. Er plagte die Generale und störte sie nachts auf ihren Betten auf, wenn irgendeine Anordnung oder Hilfe für die Verwundeten oder Kranken nötig war. Sie fürchteten ihn alle, denn sie wussten, dass er jeden Augenblick bereit war, zu mir zu gehen und mir die Klagen vorzulegen. Er war der unerbittliche Feind der Lieferanten.“

Napoleon Bonaparte[17]

Larreys Sohn Félix Hippolyte (Baron) Larrey (1808–1895) wurde Militärchirurg[18] und Leibarzt von Napoleons III.

Ehrungen

Sein Name ist am Triumphbogen in Paris in der 30. Spalte eingetragen. Eine von Pierre Jean David d’Angers geschaffenes Bronzedenkmal für Larrey steht im Hof der Pariser Kirche Notre-Dame du Val-de-Grâces.

Denkmal für Larrey im Hof von Notre-Dame du Val-de-Grâce

Im April 1806 wurde ein Kap im damals auf Französisch als Terre de Witt bezeichneten Westaustralien nach Larrey benannt.[19]

Seit 1806 war er korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. 1812 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Preußische Akademie der Wissenschaften aufgenommen.[20] 1822 wurde er zum Ehrenmitglied (Honorary Fellow) der Royal Society of Edinburgh gewählt.[21] 1829 wurde er Mitglied der Académie des sciences in Paris.[22] In einem damaligen Wohngebiet des französischen Militärs in Berlin-Tegel gibt es eine Rue Dominique Larrey.[23]

Schriften (Auswahl)

Literatur

chronologisch, fremdsprachlich

Belletristik

Commons: Dominique Larrey – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Peter Bergell, K. Klitscher: Larrey, ..., S. 18 ff.
  2. Ferdinand Sauerbruch, Hans Rudolf Berndorff: Das war mein Leben. Kindler & Schiermeyer, Bad Wörishofen 1951; zitiert: Lizenzausgabe für Bertelsmann Lesering, Gütersloh 1956, S. 185–193.
  3. Pierre Vayre: Les Larrey. ..., S. 31
  4. Pierre Vayre: Les Larrey. ..., S. 34
  5. Barbara I. Tshisuaka: Larrey, Félix Hippolyte Baron. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 826.
  6. Peter Bergell, K. Klitscher: Larrey, ..., S. 102 ff.
  7. Peter Bergell, K. Klitscher: Larrey, ..., S. 78
  8. Nathan D. Jensen: Doctor Dominique-Jean Larrey. In: French Empire. Nathan D. Jensen, Januar 2017, abgerufen am 2. Mai 2018.
  9. Reinhart T. Grundmann: Dominique-Jean Larrey. „revolutionärer“ Chirurg in Napoleons Diensten. In: medizingeschichte. 3/2011.
  10. W. U. Eckart: Ärzte Lexikon. Springer, Heidelberg 2006. doi:10.1007/978-3-540-29585-3
  11. Pierre Vayre: Les Larrey. ..., S. 211
  12. Pierre Vayre: Les Larrey. ..., S. 272
  13. Rudolf Frey, Otto Mayrhofer, mit Unterstützung von Thomas E. Keys und John S. Lundy: Wichtige Daten aus der Geschichte der Anaesthesie. In: R. Frey, Werner Hügin, O. Mayrhofer (Hrsg.): Lehrbuch der Anaesthesiologie und Wiederbelebung. Springer, Heidelberg/Basel/Wien 1955; 2., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Unter Mitarbeit von H. Benzer. Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 1971. ISBN 3-540-05196-1, S. 13–16, hier: S. 14.
  14. H. Orth, I. Kis: Schmerzbekämpfung und Narkose. In: Franz Xaver Sailer, Friedrich Wilhelm Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen. Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 1–32, hier: S. 24.
  15. M. A. Rauschmann: Der Schmerz und seine Therapie im Spiegel der Zeit. In: Der Orthopäde. Nr. 37, Okt. 2008, S. 1007–1015.
  16. Kai Kupferschmidt: Medikamente aus Maden. In: Der Tagesspiegel. 14. Dezember 2009 (tagesspiegel.de [abgerufen am 14. Juni 2019]).
  17. Wilhelm Ebstein: Die Krankheiten im Feldzug gegen Russland (1812). Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart 1902.
  18. Barbara I. Tshisuaka: Larrey, Félix Hippolyte Baron. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 826.
  19. Johann Jakob Egli: Nomina geographica. Sprach- und Sacherklärung von 42000 geographischen Namen aller Erdräume. 2. Auflage. Friedrich Brandstetter, Leipzig 1893, S. 526
  20. Mitglieder der Vorgängerakademien. Dominique Jean Baron Larrey. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 22. April 2015.
  21. Fellows Directory. Biographical Index: Former RSE Fellows 1783–2002. (PDF-Datei) Royal Society of Edinburgh, abgerufen am 30. Dezember 2019.
  22. Verzeichnis der Mitglieder seit 1666: Buchstabe L. Académie des sciences, abgerufen am 8. Januar 2020 (französisch).
  23. Rue Dominique Larrey. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert)
  24. Rezension: 117./118./119. Ergänzungsblätter der Allgemeine Literatur-Zeitung, October 1819, Spalte 929 ff. Digitalisathttp://vorlage_digitalisat.test/1%3D%7B%7B%7B1%7D%7D%7D~GB%3DYxw4AAAAMAAJ~IA%3D~MDZ%3D%0A~SZ%3DPA929~doppelseitig%3D~LT%3D~PUR%3D