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Herzchirurgie

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Die Herzchirurgie ist ein seit 1993 selbständiges Fachgebiet, das sich im 20. Jahrhundert aus dem Spezialgebiet Thorax- und Kardiovaskularchirurgie entwickelt hat. Sie befasst sich mit der operativen Behandlung von angeborenen und erworbenen Krankheiten und Verletzungen des Herzens und der herznahen Gefäße. Es ist damit ein der Kardiologie und Gefäßchirurgie nahestehendes Fach. Transplantationen spielen eine große Rolle; die häufigsten Operationen sind aber Koronararterien-Bypässe und Eingriffe an den Herzklappen. Eng verwandte Fächer sind die Thorax- und Gefäßchirurgie, Kardiologie und Kinderkardiologie. Im Rahmen der herzchirurgischen Intensivmedizin bestehen auch Überschneidungen zur Anästhesiologie.

Geschichte

Die Herzchirurgie gilt als vergleichsweise junge medizinische Disziplin. Voraussetzung für die heutige Herzchirurgie waren unter anderem die im 20. Jahrhundert erfolgten Fortschritte auf den Gebieten der Anästhesie, Kardiologie, Elektronik, Serologie und Immunbiologie. Theodor Billroth soll 1880 vor der Gesellschaft der Ärzte Wiens[1] noch gesagt haben, dass ein Chirurg, der die Naht einer Herzwunde versuchen wollte, den Respekt seiner Kollegen sicher verliere sollte. Im Jahr 1896 war Stephen Paget[2] der Meinung, dass „keine neue Methode und keine neue Entdeckung […] die naturgegebenen Schwierigkeiten überwinden [kann], die eine Herzwunde mit sich bringt“. Zu dieser Zeit ging man von der Vorstellung aus, dass eine durch die Herzmuskulatur gestochene Naht zu einem irreversiblen und damit tödlichen Kammerflimmern führt.[3] Im selben Jahr wurde, nachdem 1895 erstmals Herznähte bei Menschen durch Capellen und Farina vergeblich versucht worden waren, die erste erfolgreiche Herzoperation an einem Menschen vorgenommen, als der Arzt Ludwig Rehn einen 22-Jährigen Gärtnergesellen operierte, der bei einer Messerstecherei in Frankfurt am Main am Herzen verletzt worden war. Der Behandlung von menschlichen Herzen gingen Tierversuche (von 1882 bis 1895 etwa von H. Block,[4] Rosenthal, Del Vecchio und Salomoni durchgeführte Nähte an Herzwunden[5]) voraus, beispielsweise an herausgeschnittenen Kaninchenherzen.[6] Ferdinand Sauerbruch operierte 1934 ein Herzaneurysma.[7] Die chirurgische Therapie angeborener Herzfehler begann 1907 in Boston mit John C. Munro.[8] Herzchirurgische Eingriffe hatten zu Beginn ein grundsätzliches Problem: um erfolgreich am Herzmuskel operieren zu können, muss dieser blutleer sein und stillstehen. Dies wurde erst durch Einführung der extrakorporalen Zirkulation mittels einer Herz-Lungen-Maschine 1953 möglich.[9][10] Zuvor wurden, um am Herzen (kleinere) Operationen durchzuführen, kurzfristige Kreislaufunterbrechungen in Hypothermie (Unterkühlung) vorgenommen, so durch Wilfred G. Bigelow, Helen B. Taussig und Floyd J. Lewis.[11]

Herzchirurgie in Deutschland

Deutschland war mit und nach dem Zweiten Weltkrieg herzchirurgisch international zunächst weit zurückgefallen und hatte einen erheblichen Nachholbedarf aus der angloamerikanischen wie skandinavischen Herzchirurgie.[12] 1958 operierte Rudolf Zenker, Marburg, als Erster in Deutschland einen Patienten mit Vorhofseptumdefekt an der Herz-Lungen-Maschine.[13]

Noch 1977 wurde darüber vom Magazin Spiegel berichtet, dass die Bundesrepublik in der Herzchirurgie „Entwicklungsland“ sei, da man erhebliche Kapazitätsprobleme habe.[14]

Facharzt für Herzchirurgie

Um nach einem absolvierten Medizinstudium in Deutschland als Facharzt für Herzchirurgie bzw. Herzchirurg tätig zu werden, bedarf es einer sechsjährigen Weiterbildung. Hiervon sind 24 Monate chirurgische Basisweiterbildung (Common trunk). Darauf folgen 48 Monate fachspezifische Weiterbildung in der Herzchirurgie. Hierauf anrechenbar sind:

Nach abgeschlossener Facharztweiterbildung ist nach weiterer Fortbildungszeit der Erwerb von Zertifikaten in drei einzelnen Subdisziplinen der Herzchirurgie möglich. Aktuell sind dies nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie:

Statistik

Im Jahr 2014 waren 872 berufstätige Ärzte mit der Gebietsbezeichnung Herzchirurgie und 47 mit der Schwerpunktbezeichnung Thorax- und Kardiovaskularchirurgie bei der Bundesärztekammer registriert.[17]

2019 erfolgten knapp über 100.000 Herzoperationen in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt waren 980 Fachärzte für Herzchirurgie in 78 Fachabteilungen tätig.[18]

Literatur

Nach Erscheinen geordnet

Filme

Einzelnachweise

  1. Konrad Schwemmle: „Primum utilis esse“ in der Chirurgie. In: Leo Koslowski (Hrsg.): Maximen in der Medizin. Schattauer, Stuttgart/ New York 1992, ISBN 3-7945-1503-X, S. 51–68, hier: S. 62.
  2. S. Paget: The Surgery of the Chest. F. B. Treat, New York 1897.
  3. Friedrich Wilhelm Hehrlein: Herz und große Gefäße. In: Franz X. Sailer, F. W. Gierhake (Hrsg.): Chirurgie historisch gesehen: Anfang – Entwicklung – Differenzierung. Dustri-Verlag, Deisenhofen bei München 1973, ISBN 3-87185-021-7, S. 164–185, hier S. 164–166.
  4. H. Block: Über Wunden des Herzens. In: Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Band 1, 1882, S. 108 ff.
  5. Friedrich Wilhelm Hehrlein: Herz und große Gefäße. 1973, S. 169 f.
  6. Wiederbelebungsversuche an ausgeschnittenen Herzen (rechte Spalte, unten), Kurzbericht in Berliner Tageblatt, 9. Oktober 1902.
  7. Udo Benzenhöfer: Ferdinand Sauerbruch. In: Wolfgang U. Eckart, Christoph Gradmann (Hrsg.): Ärztelexikon. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. C. H. Beck, München 1955, S. 317; 3. Auflage 2006, Springer-Verlag, Heidelberg/Berlin/New York, S. 288.
  8. Friedrich Wilhelm Hehrlein: Herz und große Gefäße. 1973, S. 172.
  9. Joachim Mohr: Was wäre die Kardiologie ohne... Herz-Lungen-Maschine. In: Deutsche Herzstiftung (Hrsg.): HERZ heute. Nr. 2/2020, S. 70.
  10. Vor 70 Jahren - Erste Operation mit einer Herz-Lungen-Maschine. Abgerufen am 18. April 2021 (deutsch).
  11. Friedrich Wilhelm Hehrlein: Herz und große Gefäße. 1973, S. 166 f.
  12. Ziemer, Gerhard, Haverich, Axel Hrsg=: Herzchirurgie. Hrsg.: Ziemer, Gerhard, Haverich, Axel Hrsg=. 3. Auflage. Springer, Berlin Heidelberg New York 2010, ISBN 978-3-540-79712-8.
  13. Die Geschichte der Herzchirurgie | Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Abgerufen am 18. April 2021.
  14. DER SPIEGEL: Schlimme Frist. Abgerufen am 18. April 2021.
  15. Bundesärztekammer: Musterweiterbildungsordnung. Abgerufen am 20. Februar 2019.
  16. Zertifikate der DGTHG | Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie. Abgerufen am 20. Februar 2019.
  17. Ärztestatistik 2014 der Bundesärztekammer, Tabelle 3 auf S. 11f., abgerufen am 5. November 2015.
  18. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/114838/Mehr-als-100-000-herzchirurgische-Eingriffe-in-Deutschland