Emil Kraepelin
Emil Kraepelin (* 15. Februar 1856 in Neustrelitz; † 7. Oktober 1926 in München) war ein deutscher Psychiater, auf den bedeutende Entwicklungen in der wissenschaftlichen Psychiatrie zurückgehen.
Von Kraepelin stammen die Grundlagen des heutigen Systems der Klassifizierung psychischer Störungen. Er führte experimentalpsychologische Methoden in die Psychiatrie ein und gilt als Begründer der modernen empirisch orientierten Psychopathologie, mit der in ersten Ansätzen ein psychologisches Denken in der Psychiatrie üblich wurde. Auch die Entwicklung der Psychopharmakologie geht auf ihn zurück. Diese Zuschreibung als Begründer der Psychopharmakologie rechtfertigen aber weder seine Forschungsarbeiten noch seine Publikationen. Im wesentlichen beruht diese Zuschreibung auf dem schmalen Werk "Über die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel" von 1892.
Leben
Kraepelin wurde als letztes von drei Kindern eines Musiklehrers geboren. Die vielleicht engste Beziehung hatte er zu seinem neun Jahre älteren Bruder Karl (1847–1915), der Botaniker wurde. Von ihm angeregt studierte er ab 1874 Medizin in Leipzig und Würzburg. Hier konnte er schon 1875 bei Franz von Rinecker an der psychiatrischen Uniklinik tätig werden, der ihn nach einem nochmaligem kurzen Aufenthalt in Leipzig, wo er Wilhelm Wundt kennenlernte, Ende 1877 sogar als Assistenten einstellte. 1878 schloss Kraepelin sein Studium mit der Promotion ab, wechselte für vier Jahre zu Bernhard von Gudden an die Kreis-Irrenanstalt in München, und ging 1882 nach Leipzig zu Paul Flechsig, wo er den Unmut Flechsigs auf sich zog und "in hohem Grade" dessen "Unzufriedenheit" erregte, weil Kraepelin seinen ärtzlichen Aufgaben in der Klinik nicht nach kam und schließlich gekündigt wurde (Kündigungsschreiben: "... behandelt ... den Dienst für die Klinik thatsächlich als ... Nebensache"). Mit Unterstützung seines Mentors Wilhelm Wundt gelang es ihm dennoch, mit einigen, gerade eben ausreichenden Publikationen - ohne eine eigene Habilitationsschrift zu verfassen - seine Habilitation zu erlangen.
Seit 1871 war er mit der um sieben Jahre älteren Ina Schwabe verlobt, die er 1884 heiratete. Mit ihr hatte er 8 Kinder, von denen 4 bereits im Kleinkindesalter starben. 1885 wurde seine erste Tochter geboren.
Nach verschiedenen weiteren Tätigkeiten erhielt er 1886 seine erste Professur in Dorpat, bevor er 1891 für zwölf Jahre die Leitung der Großherzoglich Badischen Universitäts-Irrenklinik in Heidelberg übernahm, an der er entscheidende Neuerungen einführte. Aus Unzufriedenheit mit den geringen Möglichkeiten des Ausbaus der Klinik nahm er 1903 einen Ruf nach München an. Am 21. Dezember 1903 unternahm Kraepelin zusammen mit seinem Bruder Karl von Heidelberg aus eine Reise, die ihn über Genua nach Südostasien führte. In Buitenzorg auf Java führte Kraepelin Studien an der dortigen, einheimischen Bevölkerung durch. Diese veröffentlichte Kraepelin u.a. unter dem Titel "Psychiatrisches aus Java", 1904. Das machte ihn wiederum zum Begründer der "vergleichenden" oder auch "transkulturellen Psychiatrie". In München beschäftigte sich K. bereits vor dem 1. Weltkrieg mit dem Gedanken, eine Forschungsstätte für Psychiatrie zu gründen. Das gelang ihm 1917, als er die Deutsche Forschungsanstalt für Psychiatrie eröffnen konnte, die Vorgängerinstitution des heutigen Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Die Forschungsanstalt hatte folgende Abteilungen: Klinische Abteilung (J. Lange), hirnpathologische Abteilung (Brodmann, Nißl, Spielmeyer), serologische Abteilung (Plaut, Jahnel) und die genealogische Abteilung (Rüdin, ein Anhänger der Degenerationslehre). 1920 erhielt Kraepelin ehrenhalber den Doktortitel der philosophischen Fakultät der Universität Königsberg. Weniger rühmlich ist Kraepelins persönliche Einstellung zur Degenerationslehre, was er zum Beispiel in dem Werk von 1908 "Zur Entartungsfrage" oder 1918 in dem Werk "Geschlechtliche Verirrungen und Volksvermehrung" dargelegt hat. Der Psychiater Kurt Kolle bezeichnete in einem seiner Werke (Große Nervenärzte, 1956/1970) diese Kraepelinsche Einstellung als "betont völkisch".
Werk
Auf Kraepelin geht die Entwicklung von Begriff und Konzept der Dementia praecox (vorzeitige Demenz) zurück, das sich allerdings als zu eng erwies und von Eugen Bleuler durch das der Schizophrenie ersetzt wurde. Bedeutsam ist jedoch Kraepelins Vorgehensweise, die heute selbstverständlich erscheint: Statt wie zuvor üblich psychische Störungen allein nach der von aussen feststellbaren Ähnlichkeit ihrer Symptome einzuteilen, berücksichtigte er bei seinen Forschungen auch die Veränderung der Symptome im Laufe der Zeit und damit den Verlauf eines Krankheitsbildes. Damit gewann er ein weiteres Kriterium zur Differenzierung, Einschätzung und Beurteilung krankheitswertiger Symptome und Symptomkomplexe (Syndrome) bei psychischen Ausfällen, das zudem in der Lage war, auch andere als zeitliche, nämlich kausale Zusammenhänge näherungsweise einzugrenzen. Er gelangte auf diese Weise zu der im Grundsatz noch heute geltenden Zweiteilung der so genannten endogenen Psychosen; denn er konnte nunmehr von der, wie seinerzeit gesagt wurde, zur „Verblödung“ führenden Dementia praecox das manisch-depressive Irresein in seinen verschiedenen Verlaufsformen, die heute als Gruppe der Affektiven Psychosen zusammengefasst werden, abgrenzen, da die Symptome dieser Störungen sich stets vollständig zurückbilden.
Aufgrund seiner Forschungen konnte Kraepelin empirisch begründet postulieren, dass auch solche psychotischen Symndrome, die wegen ihrer noch nicht in den Einzelheiten aufgeklärten Entstehungszusammenhänge vage endogen genannten werden, körperliche Ursachen haben müssen. Es liegt nahe, sie in Veränderung der Funktionsweise des Gehirns zu suchen. Kraepelin förderte daher auch die Hirnforschung auf jede Weise. Dagegen scheint er an den Weiterentwicklungen psychopathologischen Denkens über seinen klinisch-deskriptiven Ansatz hinaus durch die mit dem Namen Jaspers verbundene methodisch genaue phänomenologische Erfassung der seelischen Zustände, die Kranke wirklich erleben, weniger interessiert gewesen zu sein und noch weniger an der Erforschung des Psychodynamik seelischen Geschehens, um die sich zur gleichen Zeit Forscher wie Freud, Adler, Jung und andere bemühten.
Werk Edition
Wolfgang Burgmair, Eric J. Engstrom und Matthias Weber (Hrsg.): Emil Kraepelin. belleville, München; bisher erschienen:
- Bd. I: Persönliches, Selbstzeugnisse. 2000, ISBN 3-933510-90-2
- Bd. II: Kriminologische und forensische Schriften: Werke und Briefe. 2001, ISBN 3-933510-91-0
- Bd. III: Briefe I, 1868–1886. 2002, ISBN 3-933510-92-9
- Bd. IV: Kraepelin in Dorpat, 1886–1891. 2003, ISBN 3-933510-93-7
- Bd. V: Kraepelin in Heidelberg, 1891–1903. 2005, ISBN 3-933510-94-5
Holger Steinberg (Hrsg.) Kraepelin in Leipzig. Eine Begegnung von Psychiatrie und Psychologie. Edition Das Narrenschiff, 2001.
Weblinks
- Vorlage:PND
- Kurzbiografie und Verweise auf digitale Quellen im Projekt VLP des Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (englisch)
- Portrait - Emil Kraepelin Tabellarischer Datenüberblick Ausführlichere Biographie
- Kraepelins erste Beiträge zur Etablierung psychologischer Forschung in der Psychiatrie
- Abhandlung zu Leben und Werk von Emil Kraepelin von Eric J. Engstrom
- Bibliographie Emil Kraepelin
- Int. Kraepelin-Gesellschaft
Personendaten | |
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NAME | Kraepelin, Emil |
KURZBESCHREIBUNG | bedeutender Psychiater |
GEBURTSDATUM | 15. Februar 1856 |
GEBURTSORT | Neustrelitz |
STERBEDATUM | 7. Oktober 1926 |
STERBEORT | München |