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Kirchenbauprogramme in der DDR

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Kirchenbauprogramme in der DDR – offiziell Sonderbauprogramm oder Bauprogramm „Kirchen für neue Städte“ genannt – gab es aufgrund offizieller Vereinbarungen zwischen der DDR-Regierung und westlichen kirchlichen Institutionen, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland.

Dabei ging es um den Erhalt und Umbau bestehender sowie die Errichtung neuer Kirchen und kirchlich genutzter Gebäude in der DDR. Mit diesen „Valuta-Sonderbauprogrammen“ erwirtschaftete die DDR seit den 1970er Jahren bis 1989 die Gesamtsumme von 220 Millionen D-Mark.[1]

Hintergrund

Die DDR-Führung war permanent auf der Suche nach neuen Devisenquellen. Der Umstand, dass wenige Jahre nach der Teilung Deutschlands die Kirchen der Bundesrepublik dauerhaft bedeutende finanzielle Unterstützung für Kirchgemeinden in der DDR leisteten, weckte Interesse. Diese D-Mark-Ströme machte sich die DDR mit folgendem Modell zunutze, das Ludwig Geißel 1965 mit seinem damaligen Verhandlungspartner Horst Roigk ausgearbeitet hatte: Die West-Kirchen, vertreten durch das Bonifatiuswerk für die katholische Kirche und das Diakonische Werk für Evangelische Kirche in Deutschland, lieferten Waren und Güter in die DDR. Das waren die sogenannten Kirchengeschäfte A und C; das Kirchengeschäft B handelte mit dem Freikauf von Häftlingen. Jenes System, koordiniert von Alexander Schalck-Golodkowski in der „Kommerziellen Koordinierung (KoKo)“, lief bis Ende der DDR 1990.[2] Im Bausektor entstanden zunächst Fertighäuser für kirchliche Mitarbeiter. Die Häuser wurden von DDR-Betrieben errichtet. Baumaterial und Projektierungsleistungen stammten ebenfalls überwiegend aus der DDR. Als Gegenleistung lieferte Diakonische Werk in Stuttgart Waren über Vertrauensfirmen in die DDR. Die erste Lieferung 1966 bestand aus Kaffee im Wert von 1,5 Millionen D-Mark.[3] Koordinator der Kirchengeschäfte auf DDR-Seite war ab 1966 Manfred Seidel.

Erstes Sonderbauprogramm

Dieses Programm beschloss das Präsidium des Ministerrates der DDR in seiner 42. Sitzung am 13. Dezember 1972. Sein offizieller Titel lautete „Beschluß über die Instandhaltung und Restaurierung von Kirchengebäuden und Neubau von Gesundheitserweiterungsbauten zur Pflege von schwerstgeschädigten und geistig behinderten Bürgern sowie Fertighäuser für medizinisches Personal“. Darin ging es um Hinweise und Richtlinien „zur Vorbereitung und Durchführung von Baumaßnahmen in den Jahren 1973–1975 für die evangelische und katholische Kirche in der DDR“.

Die evangelische Kirche in der DDR unterstützte mit diesem Programm viele denkmalpflegerisch bedeutende Kirchbauprojekte (so die Wiederherstellung des Berliner Doms). Die katholische Kirche in der DDR verwirklichte viele kirchliche Neubauten. Das Programm hatte den Gesamtumfang von 40 Millionen D-Mark, der jeweils etwa zur Hälfte einerseits zum Bau von Kirchen und andererseits zum Bau von karitativen und sozialen Einrichtungen verwendet wurde.

Zweites Sonderbauprogramm

Geplant im Winter 1976/1977, bekräftigte Erich Honecker in seiner Direktive vom 2. Februar 1978: „Den von den Leitungen der Evangelischen und Katholischen Kirche in der DDR unterbreiteten Vorschlägen zur Durchführung von speziellen Baumaßnahmen in den Jahren 1980–1985 wird prinzipiell zugestimmt. Die Bezahlung von diesen Bauvorhaben erfolgt ausschließlich gegen freie Devisen im Rahmen des Exportprogramms der DDR.“ Auf der Liste der evangelischen Bauvorhaben standen 35 Kirchen in den „neuen Städten“ (= neue DDR-Plattenbauviertel), auf der katholischen 12 Sakralbauprojekte.

Drittes Sonderbauprogramm

Das dritte Programm gab es in 1980er Jahren (genauere Datierung fehlt), sein Umfang ist nicht bekannt. Von den dort geplanten Kirchenbauprojekten konnten bis zum Ende der DDR am 2. Oktober 1990 nur wenige verwirklicht werden, so etwa die katholischen Kirchen in Lobenstein und in Schleiz.

Abwicklung

Die DDR-Kirchgemeinden konnten für dringend benötigte Kirchenneu- und -umbauten, Gemeindezentren und restauratorische Maßnahmen D-Mark mit dem Geld über den DDR-Außenhandelsbetrieb Limex Bauleistungen staatlicher Unternehmen bezahlen, dabei wurde 1:1 in DDR-Mark umgerechnet. Auf diese Weise waren sie in der Lage, im größeren Umfang als jemals zuvor sakrale Gebäude neu zu errichten.

Erleichternd kam hinzu: Bei dieser Abwicklung sank die Zahl der sonst üblichen DDR-Genehmigungsschwierigkeiten, die mitunter – wie bei Leipzigs katholischer Trinitatiskirche – die Kirchenbauplanung für mehrere Jahrzehnte behindert und verhindert hatten.

Die Bezahlung erfolgte auf der Verrechnungsgrundlage „1 D-Mark = 1 DDR-Mark“, also im von der DDR festgelegten Umtauschverhältnis von 1 : 1. Geschäftspartner auf DDR-Seite war Limex-Bau Export-Import, ein staatlicher Außenhandelsbetrieb (AHB) der DDR. Die DDR-Seite erhielt die Zahlungen in D-Mark, sie stellte daraufhin dieselbe Summe in DDR-Mark für die Bauvorhaben bereit.

Seit 1966 gab es ein immer weiter spezifiziertes Verfahren über Transferleistungen mit dem Ministerium für Außenhandel der DDR, Bereich Kommerzielle Koordinierung. So wurden beispielsweise vom Deutschen Caritasverband in der Bundesrepublik Elektrolyt-Kupferbarren (wire bars) und Elektrolyt-Kupfer aus westlicher Produktion im Wert von 12 Millionen D-Mark an die Intrac Handelsgesellschaft m.b.H. in Berlin-Pankow geliefert – als Gegenwert wurden dem Konto des Erzbischofs von Berlin bei der Deutschen Notenbank Berlin 12 Millionen Mark der Deutschen Notenbank (MDN) gutgeschrieben. Dieser Transferweg erfolgte auf Verlangen der DDR-Behörden anstelle des Bartransfers über Genex. Das bundesdeutsche Wirtschaftsministerium in Bonn stimmte dieser Vorgehensweise zu.[4]

Fazit

Damit wurden DDR-weit 140 katholische Kirchen, Gemeindezentren, Sozial- und Verwaltungsbauten errichtet, dazu zählen 34 Kirchen.

Die evangelischen Kirchen in der DDR – vereint im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, dessen Vorsitzender Albrecht Schönherr war – konnten bis 1988 in den Neubaugebieten der DDR 20 Kirchen und Gemeindezentren neu errichten; 107 Kirchen wurden rekonstruiert und instandgesetzt.[5]

Begleiterscheinungen

Seitens der Bewohner der DDR-Plattenbausiedlungen gab es vielerorts Diskussionen, wieso in ihrem neuen Wohnumfeld Kino, Schwimmbad, Café, Kioske und anderes mehr fehlten, doch Kirchen und kirchliche Gemeindezentren errichtet würden. Die Tatsache, dass der Staat damit Millionen D-Mark einnahm, wurde offiziell verheimlicht.

Beispiele (Auswahl)

Stephanus-Kirche Weimar-Schöndorf
Kirche St. Martin Leipzig-Grünau
Kirche von der Verklärung des Herrn Berlin

Anmerkung: Die Jahreszahl ist das jeweilige Jahr der Fertigstellung des Kirchenbauwerks.

Begriff

Der offizielle Name lautet Kirchensonderbauprogramme. Unklar ist, worauf sich dabei die Bezeichnung als Sonderbauprogramm bezieht; reguläre Kirchenbauprogramme in der DDR sind nicht bekannt.

Sonstiges

  • Die Erwartung der DDR-Oberen bei diesen Bauvorhaben war, dass in den sozialistischen Wohngebieten der Prozess der Säkularisierung – also der Lockerung und Auflösung kirchlicher Bindungen – schneller voranschreiten würde, so dass die neuen Kirchengebäude mittelfristig funktionslos werden würden.
  • Eingeweihte Kirchenleute nannten solcherart errichtete Sakralbauten aufgrund der DDR-vorgegebenen Prozedur der Geschäftsabwicklung „Limexkirchen“.

Siehe auch

Literatur

  • Verena Schädler: Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR. Schnell & Steiner, Regensburg 2013, ISBN 978-3-7954-2675-0 (352 S., zahlreiche Abbildungen und graphische Darstellungen, + 4 Karten-Beilagen und 1 CD-ROM; überarbeitete Fassung der Dissertation von 2010, Weimar, Bauhaus-Universität Weimar).

Einzelnachweise

  1. Verena Schädler: Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR. Schnell & Steiner, Regensburg 2013, ISBN 978-3-7954-2675-0, Kapitel 4: Staatliche Programme: Die 1970er und 1980er Jahre, S. 224 ff.
  2. monumente-online.de
  3. Deutscher Bundestag, Drucksache 12/7600, S. 298
  4. Verena Schädler: Katholischer Sakralbau in der SBZ und in der DDR. Schnell & Steiner, Regensburg 2013, ISBN 978-3-7954-2675-0, S. 185.
  5. Deutscher Bundestag, Drucksache 12/7600, S. 298