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Belagerung von Schloss Hohentübingen

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Schloss Hohentübingen

Chronologie der Belagerung von Schloß Hohentübingen durch die Franzosen im Jahre 1647
nach der "Gründ- und Ausführlichen Relation deßen, was sich zwischen der Vöstung Tübingen Belägerung, und Uebergaab, (...), verloffen, und zugetragen." (veröffentlicht in: EIFERT, M. & KLÜPFEL, K. [1849] "Geschichte und Beschreibung der Stadt und Universität Tübingen." [Anhang, S. 319]; Tübingen, Verlag Fues), sowie dem Bericht des bayerischen Kriegskommissars Gottfried Schweigkel (veröffentlicht durch Bibliothekar W. Göz [1931] in: "Tübinger Blätter" [22. Jahrgang, S. 37-43])

Das evangelische Herzogtum Württemberg erfuhr vor allem in der letzten Phase des Dreißigjährigen Krieges, zwischen 1635 und 1648, großes Elend und ungeheure Verluste an Menschenleben. Bevölkerungsrückgänge um bis zu 80% lassen sich nachweisen. Im Verlauf dieses Kriegsabschnittes kämpften die Heere der Schweden und Franzosen gegen Truppen des Deutschen Kaisers und der Katholischen Liga. Aus dem vor allem zu Beginn religiös gefärbten Konflikt zwischen verschiedenen Bekenntnissen (Lutheraner, Calvinisten bzw. Protestanten und Katholiken) innerhalb des Reiches war bis zu dieser Zeit ein erbitterter Kampf großer Herrschaftshäuser um die Vormachtsstellung in Europa geworden. Und während die zusammengewürfelten und heruntergekommenen Kriegsvölker nach dem Grundsatz "Der Krieg muß den Krieg ernähren" wie riesige Räuberbanden ständig umherziehend das Land verheerten, während seit 1644 die hohen Herren zu Münster und Osnabrück um einen möglichen Frieden in Verhandlungen standen, bekam die alte herzogliche Universitätsstadt Tübingen noch einmal die volle Wucht der Kampfhandlungen zu spüren.
Im Jahr 1647 also hielten bayerische (d. h. ligistische) Söldner den Hohentübingen besetzt, während die Armee der Franzosen näherrückten

  • Montag, 14. Januar:

Die französische Armee unter Marschall Turenne rückt von Trochtelfingen kommend auf Tübingen vor.
Bei Derendingen verhalten 800 Reiter und die Franzosen schicken 50 Mann auf dem Fahrweg entlang der Steinlach voraus. Diese Vorhut der Franzosen[1] versucht es im folgenden mit einer Kriegslist:
Während ihr Haupttrupp unter den Linden am Schützenhaus wartet, ziehen sechs Reiter weiter zum Tübinger Neckartor, wobei zwei von ihnen waffenlos und "halben ausgezogen" auf abgehalfterten Pferden vor den Schlagbaum[2] geführt werden. Von den Stadtwachen nach Herkunft und Begehr gefragt, geben sie an, sie seien Soldaten des kaiserlichen Obristen Sporck[3] und brächten diese unterwegs aufgegriffenen Franzosen auf das Schloß Hohentübingen, wo man um Einquartierung bitte. Zunächst glaubt die Wache diesen Angaben, öffnet die Schranke und lässt die Reiter näher an das Tor gelangen, dann aber schöpft man Verdacht ("alß aber dießer sein Unverstand Ihme durch einen wizigeren, verwißen worden") und macht Meldung beim Kommandanten der bayerischen Schloßbesatzung, Wolf Ulrich von Pürck, welcher sich zu dieser Zeit schon auf dem Weg zum Tor befindet.
Die französischen Reiter kehren "in großem Gelächter" um und die gesamte Vorhut zerstreut sich rasch, als von Hohentübingen aus mit einer Feldschlange auf sie geschossen wird. Noch zwei weitere Male nimmt man die Franzosen "aus einem Eißenen Stuckh" unter Beschuß, ohne ihnen allerdings Verluste zuzufügen. Turenne selbst macht sich indessen "einen starckhen Doppelhackhen[4] Schuß gegen Tübinger Schloß über" ein Bild von der Befestigung. Er fordert durch einen Trompeter als Unterhändler, welcher von den Bayern "(nach) militarischem Ritu" empfangen wird, die Besatzung zur Übergabe auf. Die Antwort Pürcks lautet: Man würde Hohentübingen "herzlich gern" an die Franzosen übergeben ("cediren"), wäre aber ohne Wissen, "Will und Meynung" des Kurfürsten zu Bayern dazu nicht befugt, darum wolle man "alßobalden" einen Kurier um Weisung abschicken und bis zu dessen Rückkehr dem kurfürstlichen Befehl zum Ausharren "strictissime" nachkommen.
Der Kommandant verbirgt erfolgreich, daß sich im Schloß zu dieser Zeit nur 26 Kriegsknechte befinden, weil der größte Teil der Besatzung, darunter 60 Musketiere, "an andere Orth" ausgeschickt wurde[5]. Anstatt also die Festung gegen Verstärkungen abzuriegeln, zieht sich Turenne auf Reutlingen und Pfullingen zurück, "alda in dem Nacht Quartier zuverbleiben".
Etwa eine Stunde nach Ihrem Abzug wird den Franzosen eine Abordnung ("Commission") von Stadt und Universität Tübingen nachgesandt. "Joh. Martin Rauscher, Hugo Maurique Ein MömpelGartischer Studiosus, (...), Und Herr Matheus Krämer Burgermeister" gelangen in Begleitung besagten französischen Trompeters bis nach Pfullingen und überbringen Turenne folgende Nachricht ("Postillion"): Tübingen habe sich gegenüber den Franzosen nie feindlich gezeigt, wolle dies auch in Zukunft nicht tun und man bitte daher, Stadt und Universität "in allen nach mügligkeit gndgst zuverschonen".

  • Dienstag, 16. Januar:

Die Abgeordneten aus Tübingen kehren am Nachmittag um vier mit einem Schutzbrief ("Salva Quardi") zurück, welcher sich allerdings nur auf die Universität bezieht.
In den darauffolgenden Wochen sind kaum französische Streifen anzutreffen; demnach verbreiten sich schon Gerüchte in der Stadt, daß Turennes Aufforderung zur Übergabe nicht mehr als ein bloßer Versuch ("tentement") gewesen sei.

  • Mittwoch, 10. Februar:

Gegen zehn Uhr vormittags erscheinen französische Reiter auf den Anhöhen um die Stadt.
An die 200 Mann streifen über den Galgenberg das Burgholz zur Lustnauer Neckarbrücke hinunter und auf der anderen Seite "in die Weinberg im Fehrenberg", bevor sie nach eineinhalb Stunden wieder abrücken. Erneut schickt man aus Tübingen eine Abordnung unter die weichenden Franzosen und erfährt dabei, daß am nächsten Tag sieben Regimenter "zu Pferdt und Fueß" unter Generalleutnant[6] d'Hoquincourt ("d'occencourt") vor der Stadt aufmarschieren würden. Der auf seinem Hof in Tübingen weilende Prälat von Bebenhausen schickt noch am gleichen Nachmittag einen Ochsen und ein Kalb "zur VerEhrung" an die Regimentsoffiziere und erlangt dadurch Sonderschonung ("Special Salva Quardi") der geistlichen Güter und ihrer Besitzer.
Während der Nacht bleibt es weitgehend ruhig; die Franzosen, die in den "Anliegenden Dorffschaften" wie Dußlingen und Nehren lagern, lassen nur wenige Wachfeuer sehen.

  • Donnerstag, 11. Februar:

Am frühen Morgen, gleich nach dem Aufbruch der Franzosen, kommt es "Wegen Unausgelöschter Wachtfeürer" zu einem Brand in Nehren, der von "aus Tübingen geloffenen" Bauern[7] jedoch gelöscht werden kann.
Nach acht Uhr befinden sich Generalleutnant Hoquincourt, Generalmajor du Tod und die Obristen Flueg, Schütz, Rauhaupt und R'cancourt mit vier Regimentern zu Pferd und vier weiteren zu Fuß[8] "(darunter doch das Schmidtbergische, und Buwinghaußische, deren Herrn Obriste für dißmalen nicht zugegen gewesen;)" auf ihrem Weg das Steinlachtal hinab. An Geschützen führen die Franzosen vier Kartaunen[9] mit sich, weiterhin ihre Munitions- und Troßwagen in der "Bagage".
Die Truppen ("Völckher") bewegen sich an Tübingen vorbei in Richtung von Lustnau, Pfrondorf und dem Bebenhäuser Tal. Zuvor erkundigt ("exmaniniert") ein Unterhändler nochmals eine mögliche kampflose Übergabe von Schloß und Stadt, wird aber von ihrer Verteidigungsbereitschaft überzeugt ("Resolvirt").
Im Weiterziehen der Franzosen gelingt es einem bayerischen Offizier, zwei zurückbleibende Troßweiber "deeren Einer der Gurt zerbrochen" mit ihren Kindern gefangenzunehmen und drei Pferde zu erbeuten. Die Frauen werden ausgezogen ("spoliert") und mit den Kindern zurückgeschickt. Derweil sperren Hoquincourts Söldner alle Zufahrtswege hinter sich mit "fassinen"[10] und flechten Schanzkörbe[11] für den Stellungsbau.
Nachmittags gegen drei Uhr schwärmen die ersten Feinde unmittelbar vor den Tübinger Mauern, "in den fürstl. tummel und die anligende Gärtten"[12], woraufhin Kommandant Pürck das "Lustnauer, Schmidt und Haagthor" durch seine Musketiere besetzen läßt. Der Versuch, den Feind mit Gewehrfeuer zurückzutreiben, schlägt fehl und "erbittert Hr. General Lieutenant nur über die Statt". Aus diesem Grund begeben sich der Fürstlich Württembergische Obervogt von Tübingen, "Herr von Croneckh", und andere Repräsentanten von Stadtrat und Universität auf das Schloß. Sie weisen Pürck darauf hin, daß die Franzosen schon dabei wären, ihre Geschütze aufzufahren, um "die Stattmauern zu brechen und die Stürmende hand walten zu laßen"[13]. Weiterhin versichern die Vertreter der Zivilbevölkerung dem "Commendanten", daß die Stadt unmöglich zu verteidigen sei und bitten ihn darum, die Schlüssel zu den Stadttoren herauszugeben ("deßwegen er doch die Thor Schlüßel ausfolgen"), seine Knechte auf die Festung zurückzuziehen ("salviren") und die Zugbrücke[14] einzuholen. Pürck läßt sich erweichen und gibt die Schlüssel heraus. Diese werden daraufhin dem französischen Befehlshaber überbracht, welcher das Lustnauer Tor umgehend mit 40 Musketieren besetzt.
Hoquincourt, nun Herr der Stadt, läßt noch an diesem Tag eine Anzahl von Bauern vorsorglich zur Zwangsarbeit abstellen. In der Nacht bringt man die französischen Kanonen über den Stadtzwinger nach dem Haagtor und weiter zu der dort liegenden Mühle[15].

  • Freitag, 12. Februar:

In der Nacht zum 13. werfen die Bauern unter scharfer Aufsicht ("in streichen streng") hinter der Mühle eine Schanze für die "Batterie" der Franzosen auf. Einer der Zwangsarbeiter wird "von dem Schloß herabgeschoßen", ein anderer von einem französischen Offizier ("CapiteinLieutenant") zusammengeschlagen, "Als er nur ein wenig ruhen wollte".

  • Samstag, 13. Februar:

Bis drei Uhr nachmittags haben die französischen Geschütz-Unteroffiziere ("Constabler") ihre Batterie übernommen. Die Belagerung von Hohentübingen beginnt.
Zunächst können die Franzosen eine Bresche ("Preß") in die Zwingermauer schießen, ohne allerdings weiteren Schaden anzurichten. Die Mauer, "obzwar (...) zimblich dünn und bald durchbrochen geweßen", wurde zuvor von innen bis auf halbe Höhe "mit einem Füllwerckh Von Fassinen und Grund" befestigt[16].
Die Schloßbesatzung erwidert die Kanonade und zerstört ein gegnerisches "Stuckh", bald darauf fällt unten an der Mühle ein weiteres französisches Geschütz aus[17]. An diesem Tag werden insgesamt 33 Kanonenkugeln auf das Schloß abgefeuert, wobei jedoch wenig Schaden an der Befestigung entsteht[18]; nur ein Schildhaus mit Wachglocke wird "weckgeschossen".
Als es dunkelt, beginnen die Franzosen damit, unweit ihrer Geschützstellung einen Laufgraben auszuheben, und sich dem Schloßberg zu nähern ("Aprochiren")[19]. Aus Furcht vor Gewehrfeuer und Granaten legen Hoquincourts Männer den Graben jedoch hastig und zu flach ("seych") an. Als die Kriegsknechte der Schloßbesatzung "nach Auswerffung etl. brennender Bechfäßlen"[20] im Feuerschein erkennen können, daß die gegnerischen Anlagen nur geringen Schutz bieten, pirscht sich ein bayerischer "FeldtWaibel mit etl. Musquetirern" in die am Schloßberg vorgelagerten "Pallisaden"[21] und nimmt von einem "Rundeel" aus den Feind unter Beschuß. Die Franzosen erleiden schwere Verluste: "über die 30 Mann für dißmahlen erschoßen und gequetscht."

  • Sonntag, 14. Februar:

Die zuvor angefangene Bresche im Burgzwinger wird durch gelegentliches Geschützfeuer erweitert und vertieft.
Am Nachmittag erhalten die Franzosen Verstärkung: 500 Reiter und drei Kompanien Fußvolk nebst zwei Halbkartaunen rücken von "Jeßingen" an. Die Kanonen werden am Lustnauer Tor abgeprotzt, die Schützen in die Stadt verlegt, und die übrigen Soldaten auf die umliegenden Ortschaften verteilt.
Diesmal ist es ein "Trommenschlager" ("Tambour"), den der französische Befehlshaber als Unterhändler schickt, um den bayerischen Kommandanten zu fragen "weßen er gesinnet". Pürck antwortet vollmundig: Vom Ergeben wolle man nichts wissen, die Besatzung sei entschlossen, zu leben und zu sterben "wie es rechtschaffenen Soldaten gebühre". Die kommende Nacht über wird das Schloß von außerhalb der Stadt mit Kanonen beschossen; weiterhin kommt es zu einem heftigen Feuergefecht ("ein abscheüliches Schießen") zwischen den in die Häuser der Neckarhalde abkommandierten französischen Musketieren und den Bayern auf der Burg. Einem anführenden Offizier ("General Adjutant") der Franzosen wird eine "Vergifften Kugel gefährlich durch die Hand geschoßen".

  • Montag, 15. Februar:

An diesem Morgen ist überall in der Stadt zu hören, daß es in der Nacht einen neuerlichen Ausfall vom Schloß auf den Laufgraben gegeben habe, und dabei 34 französische Söldner "zu Schanden gemacht" wurden. Später bewahrheitet ("verfificirt") sich das Gerücht, als sich viele Verwundete bei den "feldtschärern" einfinden, "etl. aber der Erden heimbgegeben worden."
Man erfährt dann, das französische Mineure im Weingarten zwischen Neckarhalde und Burg ein großes Loch "in ein Mäürlin"[22] gebrochen haben und "den Ganzen Tag über den Grund mit Schauflen herausgeworfen". Schwaigkel nennt als genaue Lokalität "ohnweit Dr. Lansen hauß"[23]. Die hier begonnene Mine der Franzosen zielt auf die beiden voreinandergelagterten südöstlichen Rundtürme des Hohentübingen.
Als die Schloßbesatzung diese neue Bedrohung gewahrt, werden Granaten und große Steine in die Halde geschleudert. Bayerische Posten halten "vleißige wacht" und schießen - "so man Jemanden (..) verspirt" - aus Arkebusen und Musketen. Auch befiehlt Pürck, von den Basen der beiden gefährdeten Türme aus Gegenminen anzulegen.
Mit Anbruch der Dunkelheit schleichen Kriegsknechte aus der Burg, "in den Rundeelen und Pastionen hin und her", und werden von den Franzosen unter Beschuß genommen. Aus dem Schloß antwortet man mit einer Kanone und "Doppelhackhen". Den im Laufgraben liegenden Franzosen sollen in dieser Nacht über 100 Granaten entgegengeschleudert worden sein, folglich kommt es zu Verlusten unter ihnen ("es haben aber solche Böße liechter etlichen in das Grab und die am besten darVon kommen, in das Barbierhauß gezündet").
Während die Franzosen solcherart abgelenkt sind, seilen sich "um halb 12. Uhr" drei "Verwegene Kerls" aus den Schloßfenstern zur Neckarhalde hinab und gelangen über eine Weinbergsteige ("Stäffelin") zur ehemaligen Tübinger Münze[24] wo sie zunächst versuchen, das Gebäude durch mitgebrachte Brandsätze ("feurwerckh") zu entzünden. Wohl aus Mangel an geeignetem Material "so gern gebronnen hette" kommt das Feuer in der "Müntz" jedoch nicht recht in Gang, während man von französischer Seite schon auf die Brandstifter aufmerksam wird. Als sich diese drei weiter in Richtung des gegnerischen Stollens bewegen, werden sie mit "Plötzlichen Schüeßen (ehe Sie zu der Mina Eingang kommen) empfangen". Mit knapper Not entgehen sie den Kugeln, stürmen die Staffel hinauf zu ihren Seilen und werden eiligst "gleichsam ob Sie Flügel bekommen" wieder ins Schloß hinaufgezogen. In den Berichte bleiben die Männer unversehrt[25].
Nach diesem mißglückten Anschlag werfen die Bayern brennende Pechfässer in den Weingarten oberhalb der Neckarhalde und zwei Granaten "in Hrn. Neüffers hauß, und die frst. Wttbg. Münz", wobei unter anderem die "treffl. Bibliothek" des Dr. Lansius in Gefahr gerät.

  • Dienstag, 16. Februar:

Französische "Cavallerie", bisher in Lustnau, Pfrondorf und Bebenhausen stationiert, überquert an diesem Tag den Neckar und zieht auf Derendingen, Weilheim ("Weyl"), Kilchberg ("Kilperg") sowie "Rothtenburg". Rottenburg allein muß zwei volle Regimenter aufnehmen und zwar aufgrund eines Vorfalls, der sich dort schon "3. Nacht hierVor" abgespielt hat: Die Bürger des "Stätlin", obgleich mit einem Schutzbrief der Franzosen und einer kleinen Besatzung von "6. Lebendige franz. Reütter" versehen, haben heimlich fast 80 bayerische Musketiere in ihre Mauern geholt, "Willens, selbige durch Verborgenen Paß[26] in das Schloß hohen Tübingen zu bringen". Ein Bürger Rottenburgs führt schon die bayerische Verstärkung in Richtung von Unterjesingen ("Jeßing"), als der Plan durch die plötzliche Attacke "einer franz. Parthey" scheitert. Wer von den bayerischen Musketieren nicht entfliehen kann, wird niedergemacht, "der Führer aber als Hochmeritirter Crucis Candidatus seiner erhöhung vorbehalten".[27]
Inzwischen gehen in Tübingen die Feuergefechte zwischen Belagerern und Belagerten weiter. Ein erst kurz zuvor angekommener französischer Offizier ("General Adjutant"), der im Auftrag des Turenne die Batterie und den Laufgraben inspiziert, wird "auf dem Ruckhweeg mit einer Trahtkugel[28] erschoßen. Die nacht hindurch, hat mit Schießen kein Theil dem andern waß bevor geben wollen."

  • Mittwoch, 17. Februar:

Die "Schloßbeschüzere" werfen weiterhin Handgranaten und "Bechring" in die Neckarhalde hinab. Ein Brandsatz gelangt durch die oberste Ladentür auf den Dachboden "eines Büxenschiffters Behaußung in der Neccarhalde"[29], entzündet dort herumliegende Hobelspäne und verursacht "nachMittag umb halb 2. Uhren ein Gefährliche und erbärmliche Brunst".
Herbeieilende Bürger und Bauern werden vom Schloß aus "mit graußamem Schießen und herabwerfung 6. Biß 8. Pfündiger Steinen" am Löschen gehindert, "dz (...) Jedermann GeGlaubt, (...), es nunmehr in zweyen Stunden um die halbe Statt geschehen seyn werde." Unverdrossen jedoch kämpft die Menge gegen "dreyen Feind, feyer, Schießen und werfen" und schafft es tatsächlich "Biß durch sonderbahres Mittlen Gottes" um 11 Uhr nachts den Brand einzudämmen.

  • Die bayerischen Gegenmineure haben sich mittlerweile "zwei Pickhen tief" unter den Fundamenten der Türme hindurchgegraben. Im Verlauf ihrer weiteren Arbeit kommen sich die verfeindeten Mineure so nahe, dass sie einander hören können, daraufhin ändern die Franzosen die Richtung einer ihrer Minen.
  • Die Schlossbesatzung sieht ein, dass sie gegen die feindlichen Minen machtlos ist. Heftige Feuergefechte finden dennoch statt; vom Schloss aus werfen die Bayern mehrere Brandsätze in die Stadt, Bürgerwachen können die Flammen jedoch rasch löschen.
  • 03./13. März: Die Franzosen schicken erneut einen Trommler als Unterhändler auf das Schloss, welcher Hauptmann von Pürckh mitteilt, dass ihre Mine fertig und eine Besichtigung derselben möglich sei. Geißeln werden ausgetauscht; der bayerische Unterhändler (Volontär) meldet bei seiner Rückkehr ins Schloss, die französische Mine wäre zwar fertig, aber augenscheinlich noch nicht mit Pulver gefüllt.
  • Die Schlossbesatzung fasst den Beschluss, weiter auszuharren. Zwei Sprengbomben werden in die Stadt geschossen, von denen eine ein Haus in Brand setzt (die andere explodiert noch in der Luft). Mittels eines Mörsers feuert man Steinladungen vom Schloss hinunter, was zu großer Aufregung unter den Tübinger Bürgern führt.
  • 04./14. März: Um 8:30 Uhr wird die französische Mine gezündet. Der hintere (größere) der beiden Rundtürme wird komplett zerstört, der vordere stark beschädigt und die Trümmer fallen auf die Neckarhalde nieder. Bis 11 Uhr stürmen die Franzosen, die Bayern können den Sturm unter Verlusten abwehren. Durch heftigen Artilleriebeschuss von der Neckarinsel aus wird u. a. die Schlosskapelle (welche der Besatzung als Proviantlager dient) schwer in Mitleidenschaft gezogen.
  • Eine dritte Mine wird in der Neckarhalde begonnen und erneut ein französischer Unterhändler auf das Schloss gesandt, um die Übergabe zu verlangen; man vereinbart einen zweitägigen Waffenstillstand.
  • Die Mannschaften der bayerischen Besatzung verlangen von ihren Offizieren die Übergabe der Festung, da ein neuerlicher Sturm kaum abgewehrt und im Falle einer gewaltsamen Einnahme kaum mit Schonung (Quartier) durch den Feind gerechnet werden könne.
  • Die Offiziere der Schlossbesatzung entschließen sich zur Übergabe unter folgenden Bedingungen: freier Abzug der Besatzung und ihres Trosses nach Heilbronn und Weil der Stadt mit allen Waffen und Geschützen (zwei Falkonetten), dem Gerät und Proviant. Unter der Begründung, Hohentübingen sei keine Festung[30], sondern ein Fürstliches Lusthaus (Schloss), verweigert der französische Befehlshaber die Mitnahme der Kanonen und verlangt weiterhin die Überstellung von Gefangenen und ehemaligen französischen Armeeangehörigen.
  • 05./15. März: Die Übergabe tritt in Kraft.
  • 06./16. März: Proviant und Munition der Bayern werden entgegen der Abmachung von den Franzosen beschlagnahmt.
  • 07./17. März: Der Abzug der bayerischen Soldaten verzögert sich durch die Fahndung nach Überläufern. Etliche Männer werden von den Franzosen festgehalten; weiterhin werden den Bayern vertragswidrig zwei Heerespauken weggenommen.
  • 12./22. März: Gottfried Schweigkel verfasst in Heilbronn den "Bericht über die Belagerung und Uebergabe von Hohentübingen" an seinen Vorgesetzten, den Kriegsrat und Generalkommissar Johann Bartholomäus Schäffer zu Ulm.
  • Die Franzosen bleiben als Besatzungstruppen bis 1649 in Tübingen. Etwas unterhalb des gesprengten Turmes wurde 1652 (nach anderen Angaben erst 1667) der markante Fünfeckturm errichtet.


Anmerkungen

  1. Die im folgenden als "Franzosen" oder "Bayern" bezeichneten Soldaten waren Söldner unterschiedlichster Herkunft, die in diesem Fall entweder dem König von Frankreich oder dem Kurfürsten zu Bayern und Anführer der "Katholischen Liga" dienten; wahrscheinlich sprachen die meisten von ihnen Deutsch
  2. Wahrscheinlich an der Neckarbrücke [1455-1489] gelegen
  3. Siehe Dr. Klaus Koniarek
  4. Hakenbüchse von doppeltem Kaliber
  5. Evtl. aufgrund der schlechten Versorgungslage in der Stadt
  6. Die Ränge vieler französischer Offiziere erscheinen zu hoch (siehe Dr. Klaus Koniarek)
  7. Die Bewohner umliegender Dörfer ("AmtsBaurschaft") befanden sich als Flüchtlinge in der Stadt
  8. In der zweiten Hälfte des Krieges stieg die Anzahl von Truppen zu Pferd deutlich an, einerseits, weil die Kavallerie raschere Manöver ausführen konnte, andererseits, weil Berittene auf der Suche nach Versorgungsgütern (= "furage") größere Gebiete abzudecken vermochten
  9. Schwaigkel spricht von vier Halbkartaunen (= Positionsgeschütze für 24pfündige Kugeln), die "Relation" dagegen von je zwei Halb- und zwei Viertelkartaunen (= Feldgeschütze für 12pfündige Kugeln)
  10. Wall aus Holzzaun sowie Reisigbündeln, feindseitig mit Graben und Erdwerk und rückseitig mit erhöhter Brustwehr versehen
  11. Überdimensionaler Korb, gefüllt mit Steinen und Erde
  12. Heutiger Alter Botanischer Garten
  13. Fiel im Zeitalter der Söldnerheere ein befestigter Ort durch Belagerung oder im Sturm, hatten die siegreichen Truppen meistens das Recht auf Plünderung; Brutalität und Zerstörungswut der Eroberer nahmen dabei immer wieder abscheuliche Ausmaße an, so etwa bei der "Sacco di Roma" [1527] oder der "Magdeburger Hochzeit" [1631]
  14. Am äußeren Schloßportal [1604-1607] befindlich
  15. Wohl eine am Ammerkanal liegende Getreidemühle ("Mahlmühlen")
  16. "(Welches ein Jesuiter, der zu Augspurg nachgehendts im Rausch zu todt gefallen, angegeben haben solle:)"
  17. Die Ursache hierfür scheint unbekannt
  18. Die Fortschritte der Artillerie wurden dadurch beeinträchtigt, daß ausgelernte Geschützmeister in der letzten Hälfte des Krieges fehlten; der größte Teil der Geschützmannschaften waren kommandierte Infanteristen
  19. Die beiden Aufzeichnungen weichen an dieser Stelle voneinander ab, insofern der bayerische Kriegskommisar von einer feindlichen Mine zu berichten weiß, die von "obbemelter Mühlin" aus gegen das Schloß vorgetrieben wird und gegen welche nacheinander zwei Ausfälle unternommen werden, was schließlich dazu führt, daß die Anlage von den Franzosen aufgegeben wird; es ist schwer vorstellbar, das Schweigkel der Unterscheid zwischen den verschiedenen Belagerungsvorgängen nicht bewußt gewesen sein sollte
  20. Die in der Relation erwähnten "Bechfäßlen" bzw. "Bechring" darf man sich wahrscheinlich als pechgetränkte Brandsätze vorstellen
  21. Die zeitgenössischen Abbildungen von Hohentübingen zeigen im Westen einen großen dreieckigen und von Palisaden gesäumten Wall, der als Vorwerk die gesamte Breite der Burg gegen den Schloßberg deckte; während der Belagerung von 1647 scheint dieser Teil der Anlage weitgehend unbesetzt zwischen den Fronten gelegen zu haben
  22. Wahrscheinlich graben sich die Belagerer zwischen den Trockenmauern der Weinbergterrassen am Schloßberg ein
  23. Thomas Lansius [1577-1657], Professor der Rechte; heutige Neckarhalde 15
  24. Fürstl. Württemberg. Münzstätte [nach 1472] beim alten Hirschauer Tor; Königl. Württemberg. Amtsgericht [1818-1906]; heutige Neckarhalde 30
  25. Ob von der den Bayern geplant worden war, erst das Haus in Brand zu setzen und anschließend den (mit Holz verschalten) Stolleneingang der Mine, bleibt ungewiß
  26. Damit kann fast nur der Weg über die Wurmlinger Kapelle und den heutigen Spitzberg gemeint sein; Eifert [1849] schreibt: "Auf der Westseite (der Burg; Anm. des Bearbeiters) .. sind auch tief im Boden die manchfachten Gewölbe und unterirdischen Gänge, (...) vor allem der alte 'tiefe Bronnen', über 300' tief, der sein Wasser aus dem Neckar schöpfte (...). Von hier aus endlich führte auch ein unterirdischer Gang, dessen nun vermauerte Pforte nur noch durch einen in der hinteren Grabenmauer eingefügten runden Stein angedeutet ist, durch den Schloßberg (...), entweder (...) nach Schwärzloch, dem alten pfalzgräflichen Besitzthum, oder wahrscheinlicher zu ihrer Warte, der Oedenburg auf dem Spitzberg." (S. 34/35)
  27. (Adelige) Offiziere wurden im 17. Jhdt. von ihresgleichen gefangengenommen, um anschließend gegen Lösegeld ("Ranzion") in ungefährer Höhe eines Monatssoldes wieder freigezulassen zu werden
  28. Diese bösartige Munition kostete Christian von Halberstadt einen Arm in der Schlacht bei Fleury [29.08.1622] und tötete Graf Pappenheim in der Schlacht bei Lützen [15.11.1632]
  29. "Wahrscheinlich Dr. Müllers Wohnung" (Eifert [1849], S. 325, Anm. 1)
  30. Dabei zählte Hohentübingen einst zu den sog. "Landesfestungen", zusammen mit dem Hohenasperg, dem Hohenneuffen, dem Hohentwiel, dem Hohenurach, der Feste Schorndorf und der Burg Teck