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Gedächtnissport

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Teilnehmertisch bei der Disziplin Hour Cards

Unter Gedächtnissport wird der sportliche Wettkampf im Auswendiglernen von abstrakten Datenmengen verstanden. In Wettkämpfen werden Gedächtnisleistungen, die durch gezieltes Gedächtnistraining erreicht wurden, miteinander verglichen. Das Ziel ist also nicht der Erwerb von neuem Wissen, sondern das möglichst schnelle Einprägen möglichst großer Datenmengen.

Allgemeines

Gedächtnissport versteht sich als eine Sportart, deren Focus auf mentalen Leistungen liegt. Ziel ist ein Vergleich im Wettkampf und nicht die Alltagsrelevanz der Gedächtnisleistungen. Das Training von Gedächtnissportlern besteht daher auch überwiegend aus einem gezielten Training der Turnierdisziplinen und der Erweiterung der Techniken.

In Abgrenzung zu Gedächtnissport wird unter Gedächtnistraining der Prozess verstanden, mit dessen Hilfe man eine eine gezielte Verbesserung der Gedächtnisleistung anstrebt. Neben einem Wettkampf-orientierten Training wird ein gezieltes Gedächtnistraining auch in weiteren Bereichen (z. B. Schule, Beruf, Demenz) unter dem Aspekt des praktischen Nutzens (Alltagsrelevanz) betrieben.

Gedächtnissportler greifen auf Mnemotechniken zurück, welche bereits die alten Griechen verwendeten. Diese Techniken sind in ihren Grundzügen leicht erlernbar. Um jedoch mit Mnemotechniken Leistungen zu vollbringen, mit denen man auch eine Gedächtnismeisterschaft gewinnen kann, müssen die Gedächtnissportler trainieren und die Techniken immer wieder verfeinern und ausbauen. Durch gezieltes Training und Spezialisieren der Techniken auf die Wettbewerbsdisziplinen erreichen sie Gedächtnisleistungen wie beispielsweise das Memorieren einer 1000-stelligen Zahl in 30 Minuten.

Organisationsstrukturen

Portal: Geist und Gehirn – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Geist und Gehirn

Deutschland

In Deutschland gibt es den 2002 in Weimar gegründeten Verein MemoryXL. Neben den Meisterschaften organisiert MemoryXL auch Seminare für Lehrer und Schüler und unterstützt Projekte in Zusammenhang mit Gedächtnistraining. Seit 2003 wird je eine Nord- und Süddeutsche Meisterschaft national ausgetragen. Dies soll mittelfristig auf Nord-, West-, Süd- und Ostdeutsche Meisterschaften ausgeweitet werden. Bei den Nord- und Süddeutschen Meisterschaften nehmen die allerbesten der letzten deutschen Meisterschaft nicht teil. Dies dient dazu, neue Teilnehmer nicht durch für sie unerreichbar hoch wirkende Ergebnisse abzuschrecken.

Die deutsche Meisterschaft wird von der Gesellschaft für Gedächtnis- und Kreativitätsförderung e. V. (GGK) seit 1997 organisiert. Seitdem es MemoryXL gibt, findet die Meisterschaft unter Organisations-Kooperation von MemoryXL und GGK statt. MemoryXL sieht sich dabei als europäische Gesellschaft und organisiert auch die National-Meisterschaften von Tschechien und Rumänien.

MemoryXL veranstaltet außerdem eine Landesmeisterschaft in Nordrhein-Westfalen für Kinder und Jugendliche. Einmalig fand eine solche Landesmeisterschaft auch in Baden-Württemberg statt. Eine ähnliche Landesmeisterschaft ist in Berlin geplant. Solche Landesmeisterschaften gibt es in Österreich schon länger. Diese Wettbewerbe dienen dem Gewinn neuer Schüler für Gedächtnistechniken.

International

Tony Buzan, der Organisator der Weltmeisterschaften

1990 wurde von Tony Buzan das World Memory Sports Council (WMSC) gegründet. Seit 1991 organisiert das WMSC die Gedächtnisweltmeisterschaften, welche bis 2002 immer in London stattgefunden haben. Wegen wachsender internationaler Beteiligung wurden diese in den folgenden Jahren an unterschiedlichen Orten ausgetragen. 2003 war die Weltmeisterschaft in Kuala Lumpur, 2004 in Manchester und 2005 in Oxford. Zum 15. Jubiläum der Meisterschaft kehrte sie im August 2006 wieder nach London zurück.

Im Jahr 2006 gab es Umstrukturierungen im Gedächtnissport. Um dem Ziel der offiziellen Anerkennung als Sportart z. B. bei dem IOC und dem Deutschen Sportbund Rechnung zu tragen, wurde der WMSC als Welt-Dachverband neuformiert. Die einzelnen Länder sind aufgefordert, nationale Gedächtnissportverbände zu gründen. Diese Rolle hat in Deutschland MemoryXL übernommen. Die Teilnahme an der Weltmeisterschaft ist ab 2006 nur noch möglich, wenn der Gedächtnissportler einem Verein angehört. Der Verein ist wiederum einem nationalen Verband zugeordnet. Ausnahmen sind nur für Sportler aus Nationen ohne eigenen Verband möglich. Mit diesem System werden die Organisationsstrukturen denen anderer Sportarten angelehnt.

Verbreitung

Gedächtnissport weist immer noch den Charakter einer Randsportart auf, so zählt man in Deutschland gerade einmal rund 100 Aktive. In der Altersklasse der Erwachsenen liegt Deutschland dabei international vorn. Bei den Kindern und Jugendlichen hebt sich Österreich hervor, was auf eine größere Verbreitung dieses Sports durch eine umfassende Basisarbeit mit einem speziell zugeschnittenen Kursangebot und eigenen Turnieren zurückzuführen ist. Die Weltspitze unter den Studenten stellt Malaysia. An der Weltmeisterschaft 2006 nehmen rund 50 Teilnehmer aus 15 Ländern, von allen fünf Kontinenten teil.

Disziplinen

Es gibt folgende Disziplinen, die je nach Meisterschaft über unterschiedliche Zeiten (5 Minuten, 10 Minuten, 30 Minuten oder 60 Minuten) stattfinden:

Geschriebene Dezimalziffern

Dies ist eigentlich die klassische Disziplin, die bei keinem Turnier fehlt. Die Aufgabe hierbei ist einfach, sich so viele Ziffern in der vorgegebenen Zeit zu merken wie möglich.

Gesprochene Ziffern

Diese werden im 1-Sekunden-Takt vorgelesen und haben die zusätzliche Schwierigkeit, dass sich der Sportler an den Takt halten muss. Der Sportler hat in dieser Disziplin keine Möglichkeit, die Ziffern zu wiederholen. Daher ist diese Disziplin eine der schwierigsten. Den Weltrekord hält Clemens Mayer mit 198 Ziffern.

Geschriebene Binärzahlen

Analog zu den geschriebenen Dezimalziffern, werden hier Binärziffern memoriert. Zum Einprägen erhalten die Gedächtnissportler nur einen Zettel mit Nullen und Einsen, deren Reihenfolge sie sich einprägen müssen. Bei dem Memorieren von Binärziffern in fünf Minuten liegt der Weltrekord bei 780, in einer halben Stunde bei 3710.

Könnten Sie sich die Reihenfolge merken?

Spielkarten

Spielkarten in vorgegebener Zeit

Hierbei geht es darum möglichst viele gemischte Pakete von Spielkarten (52er Blatt, Rommé) zu memorieren. Die Wiedergabe auf den Meisterschaften erfolgt in dieser Disziplin schriftlich. In eine leere Tabelle mit 52 Reihen ist jeweils einzutragen, welche Karte sich an dieser Stelle befindet.

Die Kartenspiele werden nicht untereinander, sondern nur einzeln gemischt, so dass bei der Wiedergabe ein Kartenspiel einen Wertungsblock bildet und jede mögliche Spielkarte genau einmal enthält. Der Weltrekord im Memorieren von möglichst viel Kartenstapeln in einer Stunde liegt 27 Stapeln, also 1404 Karten.

Speed Cards

Hauptartikel: Speed Cards

Andi Bell auf der Weltmeisterschaft, bevor er den Weltrekord aufstellt

Speed Cards ist die Königsdisziplin des Gedächtnissports. Es geht darum, die Reihenfolge eines gemischten Kartenstapels mit 52 Blatt auf Zeit einzuprägen.

Der Weltrekord liegt bei 31.16 Sekunden im Einprägen eines 52er Kartenstapels, gehalten von Andi Bell.


Die nachfolgenden Disziplinen werden auf Grund der Abhängigkeit von der Sprache des Sportlers nur bei einigen Meisterschaften durchgeführt:

Namen und Gesichter

Es sind eine fest definierte Anzahl Fotos (bei Erwachsenenmeisterschaften 100) mit Vor- und Nachnamen vorgegeben. Die Teilnehmer sollen sich möglichst viele Namen einprägen. Hinterher bekommen die Teilnehmer die Fotos in veränderter Reihenfolge und müssen die Namen dazu notieren. Der Weltrekord liegt bei 181 Punkten in 15 Minuten, aufgestellt von Clemens Mayer. Dabei zählt jeder richtige Vor- oder Nachname einen Punkt. Wenn zu einer Person Vor- und Nachname stimmen, gibt es für die Person zwei Punkte. Wird ein richtiger Name in falscher Schreibweise notiert(z. B. Schmitt statt Schmidt), so wird ein halber Punkt vergeben.

Wörter

Weltrekordhalter Boris Nikolai Konrad

Eine Liste mit Wörtern ist hierbei auswendig zu lernen und in der richtigen Reihenfolge wiederzugeben. Der Weltrekord liegt momentan bei 214 Wörtern memoriert in 15 Minuten von Boris Nikolai Konrad.

Diese Disziplin wird üblichweise in der Landessprache abgehalten. Auf Weltmeisterschaften erhalten alle Teilnehmer die gleichen Wörter, allerdings jeweils in der gewünschten Sprache.

Weltrekordhalterin Astrid Plessl

Text

Ein vorgegebener Text muss mit Satzzeichen, Zeilenumbrüchen, besonderen Schreibweisen etc. komplett richtig eingeprägt werden. Hierbei kommt es darauf an, dass auch das assoziative Gedächtnis sehr gut ist. Der Weltrekord liegt bei 345 Punkten in 15 Minuten, aufgestellt von Astrid Plessl. Hierbei wird pro Wort und Satzzeichen ein Punkt vergeben. Da Texte sehr unterschiedlich schwer sein können, schwanken die Ergebnisse relativ stark.

Fiktive Daten

Zu Jahreszahlen zwischen 1000 und 2099 werden fiktive Daten (z. B. „Krönung Kaiser Konstantin“, „Sinken der Queen Margot vor Grönland“ etc.) gegeben. Hinterher werden die Daten in anderer Reihenfolge vorgelegt und die Jahreszahlen sind dazu zu schreiben. Der aktuelle Weltrekord liegt bei 96 Daten in 5 Minuten, der deutsche Rekord bei 71. Aufgrund der Sprachabhängigkeit dieser Disziplin wird bei internationalen Meisterschaften mit Übersetzungen gearbeitet.

Abstrakte Bilder

Im Jahr 2006 neu eingeführt wurde die Disziplin abstrakte Bilder. Jeweils 5 kleine, schwarz-weiße Grafiken werden in einer Reihe abgebildet. Nach der Einprägezeit bekommen die Gedächtnissportler die selben Grafiken, allerdings ist die Reihenfolge innerhalb einer Reihe vertauscht. Durch die Angabe von Ziffern ist die ursprüngliche Reihenfolge anzugeben.

Wertungsystem

Hauptartikel: Wertungssystem im Gedächtnissport

In allen Disziplinen werden die einzuprägenden Inhalte in Gruppen vorgelegt. Also z. B. immer 40 Ziffern in einer Reihe oder 20 Wörter in einem Block. Ein Fehler in einem Block hat eine Reduzierung der Punktzahl für diesen auf die Hälfte, ein zweiter Fehler auf Null Punkte zur Folge. Wenn sich also ein Gedächtnissportler 120 Ziffern in 5 Minuten merken möchte, so wären dies drei 40er-Reihen. Hat er nun zum Beispiel die erste und die dritte Reihe korrekt wiedergegeben und im zweiten Block genau eine der 40 Ziffern falsch, würde dies wie insgesamt 100 fehlerfrei memorierte Zahlen gewertet. Hatt er in jedem Block genau zwei Ziffern falsch, so gibt dies keinen Punkt mehr, obwohl er 114 Ziffern richtig hatte.

Ausnahmen gibt es nur bei den gesprochenen Zahlen und bei der Disziplin „Speed Cards“, bei denen jeweils nur bis zum ersten Fehler gewertet wird.

Die Roh-Punktzahl wird mithilfe eines Schlüssels, dem Millennium-Standard, in Meisterschaftspunkte umgewandelt. Der Millennium-Standard ist so festgelegt, dass 1000 Meisterschaftspunkte für eine Disziplin in etwa dem Weltrekord entsprechen. Für das Gesamtergebnis werden die Punkte aus den einzelnen Disziplinen zusammengezählt.

Memoriersysteme

Hauptartikel: Memoriersysteme im Gedächtnissport

Die Gedächtnissportler verwenden verschiedene Gedächtnistechniken, um diese Memorierleistungen zu erreichen. Die unterschiedlichen Techniken haben jedoch alle einen gemeinsamen Kern und beruhen auf den selben Prinzipien. Die wichtigste und geschichtlich älteste Technik ist die Loci-Methode. Sie wird auch von allen Gedächtnissportlern verwendet. Das neurologische Prinzip, auf dem diese Methode aufbaut, ist das evolutionär-bedingt hervorragende Ortsgedächtnis des Menschen. Die Loci-Methode besteht aus mentalen Rundgängen durch zuvor festgelegte Routen. Diese Wege können aus realen Bauwerken bestehen oder aber auch rein fiktiv sein. „Reale“ Routen werden jedoch meist bevorzugt. Diese Wege bestehen dann aus vielen Punkten, auf denen dann die Informationen durch Verknüpfen von Bildern abgelegt werden. Gilt es beispielsweise das Wort „Freiheit“ abzuspeichern, dann würde man sich auf dem ersten Punkt der Route die Freiheitsstatue vorstellen. Das mag auf den ersten Blick viel komplizierter wirken, als sich einfach den Begriff Freiheit zu merken, jedoch ist das Anwenden der Technik nur eine Frage der Übung und das natürliche Gedächtnis würde bei Gedächtnisleistungen wie dem Memorieren von 214 Wörtern in 15 Minuten versagen.

Für das Memorieren von sehr abstraktem Material ist es wichtig, den abstrakten Zahlen oder Karten lebhafte und gut vorstellbare Bilder zu zuordnen, um diese dann auf Routen abzulegen. Bei dem Finden dieser Bilder gibt es zwei grundlegende Richtungen. Einige, eher wenige, Personen wählen die Bilder willkürlich oder mithilfe eines Wörterbuches aus. Auch wenn das ein wenig chaotisch ist, hat es den Vorteil wesentlich bessere Bilder zu haben. Die andere grundlegende Richtung, die die meisten Mnemotechniker gehen, ist das Finden der Wörter bzw. Bilder mithilfe eines alphanummerischen Codes. Dabei wird erst den Grundzahlen ein bestimmter Buchstabe zugeordnet, wobei jedoch gewisse Buchstaben freibleiben, um anschließend die Lücken zu füllen. Danach werden je nach Länge der Zahl (meistens zwei- oder dreistellig) die Buchstaben zusammengefügt und mithilfe der unvergebenen Buchstaben, die zwischen die bereits festgelegten Buchstaben eingefügt werden, ein Wort gebildet.

Transformiersysteme

Inspiration

Die meisten der Gedächtnissportler sind durch verschiedene TV-Shows (Wetten, dass..?, Die Grips-Show, Die Guinness-Show, etc.) zu ihrem Hobby gekommen. Das Gros der Übrigen hat durch Förderprogramme für Hochbegabte mit diesem Sport begonnen.

Aktuelle Meister

Literatur