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Erste Wiener Türkenbelagerung

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Die erste Belagerung von Wien durch die Osmanen fand vom 27. September bis zum 14. Oktober 1529 statt, wobei sich die Verteidiger der Stadt gegen die Belagerer behaupten konnten.

Hintergrund

Seit die türkischen Osmanen 1354 mit Gallipoli ihren ersten Stützpunkt auf europäischen Boden besetzt hatten, dehnten sie bis zum Ende des 15. Jahrhunderts das Osmanische Reich auf große Teile von Südosteuropa aus. Dabei vernichteten die Osmanen das Byzantinische Reich und unterwarfen einen Großteil von Griechenland, darüber hinaus Makedonien, Albanien, Bulgarien, Serbien und die Herzegowina. Zugleich wurden große Teile Kleinasiens dem Osmanischen Reich angegliedert. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts folgte eine weitere, massive Ausdehnung durch die Eroberung von Kurdistan, Syrien und Ägypten.

Unter dem seit 1520 herrschenden Sultan Süleyman I. wurde das Königreich Ungarn zum Ziel der osmanischen Expansionspolitik. 1521 gelang ihm die Eroberung der damals zu Ungarn gehörenden Stadt Belgrad, auf welche 1526 die entscheidende Schlacht von Mohács folgte. Der ungarische König Ludwig II. fiel in der Schlacht, so dass aufgrund eines 1515 mit den Habsburgern geschlossenen Erbvertrages Erzherzog Ferdinand von Österreich zum neuen Regenten von Böhmen und Ungarn gewählt wurde. Ein Teil des ungarischen Adels opponierte gegen diese Entscheidung und erhob den Fürsten von Siebenbürgen, Johann Zápolya, zum Gegenkönig. Zápolya stellte sich unter den Schutz des ihm wohlgesonnenen Osmanischen Reiches. Es kam zum Konflikt zwischen Ferdinand I. und seinem Gegenspieler Zápolya, was von Süleyman I. zu einem Feldzug gegen die österreichischen Erblande der Habsburger genutzt wurde. Die militärischen Kräfte der Habsburger waren zu dieser Zeit zu einem erheblichen Teil in Italien gebunden, wo sie gegen die Franzosen kämpften. Diese Situation stellte nach Süleymans Auffassung eine geeignete Gelegenheit dar, um Mitteleuropa zu erobern.

Verlauf

Beginn der Belagerung

Süleyman I. mobilisierte eine äußerst große Streitmacht, die am 10. April 1529 von Konstantinopel aus in Richtung Wien aufbrach. Auf dem Weg durch Südosteuropa wuchs das osmanische Heer durch den Anschluss zahlreicher Garnisonen immer stärker an. Nicht nur osmanische, sondern auch ungarische Kämpfer schlossen sich ihm an. Der türkische Vormarsch durch Ungarn wurde stark verlangsamt, da ein ungarisches Strassennetz praktisch nicht existent war und schwere Regenfälle den Boden aufgeweicht hatten. Deshalb trafen erst fünf Monate nach dem Aufbruch in Konstantinopel die ersten türkischen Einheiten in der Umgebung Wiens ein. Eine Truppe von etwa 20.000 Akinçi ("Plünderer") verheerte das Umland der Stadt, wobei die dortige Bevölkerung getötet oder versklavt wurde. Solche Truppen gingen üblicherweise der regulären osmanischen Armee voraus und hatten in der osmanischen Militärstrategie die Funktion, durch ihren Terror den Widerstandswillen der Bevölkerung zu lähmen. Am 23. September kamen die Türken in die Sichtweite der Stadt, die bis zum 27. September komplett eingeschlossen wurde. Die türkische Streitmacht umfasste möglicherweise über eine Viertel Millionen Menschen, die jedoch mehrheitlich dem Tross angehörten. Der wehrhafte Teil des Heeres umfasste etwa 80.000 osmanische und 6.000 ungarische Kämpfer. Neben zahlreichen anatolischen Reitern ("Sipahis") umfasste das Heer fast 20.000 Janitscharen. Der katastrophale Zustand der ungarischen Strassen hatte verhindert, dass das osmanische Heer seine schwersten Geschütze nach Wien transportieren konnten, so dass es nur 300 leichte Kanonen aufbieten konnte. Auf dem Weg nach Wien setzten die Osmanen etwa 22.000 Kamele als Lasttiere ein.

Wien wurde von der Stadtgarnison, einer städtischen Miliz und mehreren Hundert deutschen und spanischen Söldnern verteidigt. Insgesamt konnten die Verteidiger der Stadt etwa 22.000 Fußsoldaten und 2000 Reiter aufbieten. Insbesondere die Söldnertruppen waren mit Piken und Arkebusen bestens bewaffnet und hatten sich während der Italienkriege mit fortschrittlichen Taktiken vertraut machen können. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Türken war jedoch erheblich, zudem war der Schutzwert der im 13. Jahrhundert erbauten Stadtmauer Wiens mangelhaft. Erzherzog Ferdinand hatte das innerlich zerstrittene Heilige Römische Reich um personelle Unterstützung gebeten, die aber größtenteils ausblieb. Auch ein Hilfegesuch an seinen Bruder Karl V. war vergeblich, da Karl mit seinem Heer in Italien gegen französische Streitkräfte operierte. Die Verteidigung Wiens wurde von Graf Nikolaus zu Salm-Reifferscheidt und Wilhelm von Roggendorff organisiert. Graf zu Salm liess die Stadtmauern mit Erdbefestigungen verstärken und überwachte die Positionierung der 72 Kanonen, die den Verteidigern der Stadt zur Verfügung standen. Sämtliche Gebäude außerhalb der Stadtmauer wurden auf Befehl des Grafen abgerissen, um ein freies Schussfeld zu ermöglichen und um den Angreifern Möglichkeiten zur Deckung zu nehmen. Außerdem ordnete er die Evakuierung mehrerer Tausend Frauen und Kinder an, die aber auf ihrem Weg in sicheres Territorium osmanischen Truppen zum Opfer fielen und versklavt oder zu Tode gefoltert wurden. Noch am 27. September schickte Süleyman I. eine Delegation in die Stadt, welche den Wienern die Kapitulation nahelegte und ihnen für diesen Fall die Verschonung von Garnison und Bevölkerung garantierte. Bei einer Weigerung, zu kapitulieren, würde das türkische Heer die Stadt vernichten. Graf zu Salm schickte die Delegation in das türkische Feldlager zurück, ohne auf ihre Forderung einzugehen. Der Kampf um Wien begann.

Unterirdische Gefechte

Die osmanische Artillerie eröffnete ein schweres Feuer, das nahezu ohne Wirkung blieb, da es ihr an schweren Kanonen fehlte. Deshalb ging man auf osmanischer Seite dazu über, die Stadtmauern von Wien zu unterminieren, während die Kanonen zur Ablenkung permanent weiterfeuerten. Die osmanischen Unterminierungsversuche konzentrierten sich auf das so genannte Kärtnertor im Süden der Stadt, welches am stärksten geschützt war. Vereitelt wurde dieses Vorhaben durch einen Überläufer christlichen Glaubens, der die Verteidiger Wiens über die türkischen Pläne in Kenntnis setzte. Daraufhin ordnete Graf zu Salm das Ausheben von Gegenminen an, wobei man nach einiger Zeit auf die türkischen Mineure stiess. Es entbrannten brutale unterirdische Kämpfe, bei denen keine Feuerwaffen eingesetzt werden konnten, da die Mineure zur Durchführung ihres Auftrags Schießpulverfässer mit sich führten. Bei diesen Auseinandersetzungen gewannen die besser gepanzerten Verteidiger nach einiger Zeit die Oberhand, doch konnten nicht alle osmanischen Minen entdeckt werden. Deshalb gelang es den Mineuren, mehrere Breschen in die Wiener Stadtmauer zu sprengen, in denen es zu heftigen Kämpfen kam. Die Verteidiger errichteten Palisaden hinter den Breschen, hoben Gräben aus und bildeten dichte Formationen aus Pikenieren und Arkebusieren, gegen die die türkischen Janitscharen wenig auszurichten vermochten.

Osmanische Sturmangriffe

Am 12. Oktober sprengten die Osmanen eine besonders große Bresche in die Wiener Stadtmauer, worauf der bis dahin größte osmanische Angriff folgte. Auch bei diesen Gefechten konnten sich die osmanischen Truppen nicht durchsetzen und verloren allein 1200 Janitscharen. Am späten Abend des selben Tages berief Süleyman I. einen Kriegsrat in seinem Lager ein. Die Versorgungslage des osmanischen Heeres war zu diesem Zeitpunkt äußerst schlecht, da man das Umland von Wien bereits vollständig geplündert hatte und der Nachschub durch die völlig aufgeweichten Straßen aufgehalten wurde. Zudem stand der Wintereinbruch bevor, so dass eine längere Belagerung ausgeschlossen war. Erstmalig in der Geschichte des Osmanischen Reiches äußerten die Janitscharen dem Sultan gegenüber ihren Unmut, woraufhin sie von Süleyman durch die Zusicherung einer großen Belohnung zu einem letzten Sturmangriff überredet werden konnten, bevor man die Belagerung aufgrund der Wetterverhältnisse abbrechen würde. Am 14. Oktober sprengten die Osmanen eine Bresche in das Kärtnertor, doch fiel der Schutt nach außen, so dass die Erstürmung äußerst gefährlich war. Wieder bildeten die Verteidiger einen dichten Wall aus Piken, gegen den die Janitscharen machtlos waren und sich unter schweren Verlusten zurückziehen mussten.

Das Ende der Belagerung

Entgegen der Befehle ihrer Vorgesetzten beendeten die Janitscharen den Sturmangriff auf Wien und kehrten in das osmanische Feldlager zurück. In der Nacht auf den 15. Oktober begann der Abzug des osmanischen Heeres. Die osmanischen Truppen liessen alles zurück, was sie nicht tragen konnten und verbrannten ihre Gefangenen bei lebendigem Leibe. Aufgrund der allgemeinen Unordnung gelang es aber vielen, hinter die sicheren Mauern von Wien zu fliehen. Als die Osmanen ihr Zeltlager abgebaut hatten und am Morgen des 15. Oktober abzogen, begann es zu schneien. Auf dem Rückweg verhungerten Tausende, zudem überliessen die Osmanen zahlreiche Verwundete ihrem Schicksal. Hinzu kamen ständige Angriffe von österreichischen Reitern.

Resultat

Das osmanische Heer hatte fast 20.000 Todesopfer hinnehmen müssen, unter denen sich zahlreiche Janitscharen und Sipahis befanden. Die Verluste der Belagerten waren deutlich geringer, doch aufgrund der hohen Anzahl an Verletzten und Kranken waren die Mauern Wiens zuletzt nur noch von wenigen Tausend Soldaten bemannt worden. Erheblicher waren die Verluste im Umland von Wien, das die Türken gewaltsam entvölkert hatten.

Das Osmanische Reich hatte unter Süleyman I. seinen Zenit erreicht. Die erfolglose Belagerung Wiens leitete den allmählichen Niedergang der osmanischen Machtfülle ein, auch wenn es noch zu zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem christlichen Teil Europas kam. Süleyman wagte nach der gescheiterten Belagerung keinen weiteren Angriff auf die Hauptstadt der österreichischen Erblande mehr. Die erste Belagerung von Wien durch die Türken leitete zudem den militärischen Niedergang der Janitscharen ein, die verlustreiche Kämpfe eigenmächtig abbrachen und dem Sultan Bedingungen diktierten. In der Folgezeit weiteten die Janitscharen ihren Einfluss auf die Sultane stark aus, während ihr Ruf als militärische Elite-Einheit verkam. Die zweite Belagerung Wiens im Jahre 1683 war ein letzter großer Kraftakt der Osmanen, der ebenfalls scheiterte. Die Habsburger hatten Wien nach der ersten Belagerung zu einer zeitgemäßen Artilleriefestung ausgebaut, so dass die Wiener 1683 lange genug standhalten konnten, bis ein Entsatzheer eintraf und das osmanische Heer vertrieb.

Siehe auch: Liste von Belagerungen, Geschichte Österreichs, Geschichte Wiens, Türkenkriege