Postmoderne Architektur
Kritik an der Moderne
Jane Jacobs kritisierte in ihrer 1961 veröffentlichten Analyse "The Death and Life of Great American Cities" die Entwicklung der amerikanischen Großstädte hin zu seelenlosen Gebilden ohne erlebbare Dichte und menschliche Qualität. Etwa zeitgleich beschäftigte sich auch Robert Venturi mit der durch die Architektur der Moderne geprägten amerikanischen Stadt in "Complexity and Contradiction in Architecture" (1966). In diesem berühmt gewordenen Werk konzentriert sich seine Kritik vor allem auf die fehlende Ikonologie und die Sprachlosigkeit moderner Architektur, was von ihm als Grund für das Ausbleiben menschlicher Dimensionen in derartiger Architektur und den von ihnen geprägten amerikanischen Großstädten verstanden wurde. Ironie in der Architektur wird bei Venturi großes Gewicht beigemessen, was die von ihm geforderte erzählerische Komponente von Architektur beispielhaft deutlich macht.
Die Bedeutung der Theorie für die Praxis zeigt sich zeitlich recht dicht folgend in dem Abriss von einigen aus Plattenmodulen errichteten vierzehnstöckigen Appartmenthäusern in St. Louis im Jahre 1972. Sie waren gerade zwanzig Jahre zuvor durch den Architekten Minoru Yamasaki errichtet worden und hatten damals immerhin eine sehr positive Aufnahme unter den Architekten der fünfziger Jahre gefunden. Ähnliche Bauprojekte wurden in den fünfziger Jahren in Westeuropa und USA an vielen Stellen begonnen, das vielleicht berühmteste dieser modernen Experimente war Le Corbusiers unité d'habitation in Marseille. Der Ostblock folgte dieser Richtung in den späten sechziger Jahren mit der, vor allem im durch den Krieg immer noch gekennzeichneten Ostdeutschland, stark ausgeprägten Plattenbauweise. Im Gegensatz zur westlichen Welt folgte bis zur Auflösung der beiden politischen Blöcke in den Warschauer Paktstaaten keine der Postmoderne vergleichbare Entwicklung.
Die Theorie
Wenn der grosse Wendepunkt in der Architekturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts - weg von der Ideologie der Moderne ("Form follows Function"), hin zu der von Venturi propagierten erzählerischen Vielfalt - mit dem Abriss der Häuser von St. Louis gleichgesetzt wird, geht dies auf den amerikanischen Architekturtheoretiker Charles Jencks zurück. Jencks hat in seinem Buch "The Language of Postmodern Architecture" das Bild von der Zerstörung der Siedlung, welches seither um die Welt geht, genutzt, um symbolisch das Ende der klassischen Moderne zeitlich festzuschreiben.
Venturi war es wiederum, der hier weiterdachte und zusammen mit Denise Scott und Steven Izenour in "Learning from Las Vegas" (1972) auf die Verspieltheit der Architektur von Las Vegas als möglichen Ausweg verwies. Diese Auffassung von Venturi sollte sich auch in seiner Baupraxis niederschlagen. So nimmt das mit seinem Partner John Rauch 1976 errichtete Tucker House, Katonah/N.Y., historische Referenzen ebenso auf wie sein Brant-Johnson House in Vail, Colorado.
Der "dekorierte Schuppen" ist ein Thema von Venturi/ Scott-Brown, bei dem darauf hingewiesen wird, daß - wie in Las Vegas - einem Gebäude, das eigentlich eine banale Kiste ist, durch eine beliebige Fassade jegliches Aussehen gegeben werden kann. Der französische Philosoph Jean Baudrilliard liefert zu dem Phänomen des Simulierten und des "Simulacrum" den theoretischen Hintergrund, indem er erklärt, daß sich der Anschein - hier die Fassade - zunehmend nicht nur löst, sondern komplett verselbstständigt. Die Dekoration ist dabei beliebig - kann also auch über historische Motive versuchen, Geborgenheit zu simulieren oder gar in der menschlichen Wahrnehmung zu erzeugen.
Diese Spielart der architektonischen Postmoderne wird nicht von großen Architekten entwickelt, sondern von ihnen in der Alltagsarchitektur entdeckt und weiterverwendet.
In "The Language of Postmodern Architecture" hat Charles Jencks auch erstmals all jene verschiedenartigen Ansätze zusamengefasst, die Auswege aus der Krise einer von Bauträgern funktionalisierten Sprache der Moderne aufzeigten. Damit hatte der in London lebende Jencks entscheidend zur Popularisierung einer "neuen" Architektur beigetragen, als sein Buch in viele Sprachen übersetzt wurde (auch auf deutsch: "Die Sprache der postmodernen Architektur", DVA) und eine hohe Auflage erreichte.
Der Begriff der "Postmoderne" selbst geht jedoch zurück auf einen Diskurs, der unter Philosophen in Frankreich geführt wurde. Geprägt hat ihn dort Jean-François Lyotard ("Das postmoderne Wissen", "Postmoderne für Kinder"; Passagen, Wien), was Jencks geflissentlich verschwieg.
Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung postmoderner Architektur - mit der Motivik klassischer Architektur (Säulenreihen, Architrave und Gesimse) - seit der zweiten Hälfte der siebziger Jahre, hat Lyotard stets betont, dass es der Postmoderne darum gehen müsse, "einige Wesenszüge der Moderne zu re-digieren."
Ausschlaggebend für diese Neuformierung der Architektur war die Biennale von Venedig im Jahr 1980, wo eine Gruppe von amerikanischen und westeuropäischen Architekten Entwürfe für eine Ausstellung mit dem Titel "Die Gegenwart der Vergangenheit" anfertigten.
Architekten und Gebäude
Die historisierende Postmoderne, mit der sich Jencks befasst, treibt ihre skurrilsten Blüten in Großbritannien bei dem Architekten Terry Farrell. Ein formal wie intellektuell viel strengerer Ansatz findet sich bei dem deutschen Architekten Oswald Mathias Ungers sowie bei dem italienischen Architekten Aldo Rossi. Hier spielen auch vielfach urbanistische (als städtebauliche) Gedanken eine Rolle, wobei diese Überlegungen auch schon aus Zeiten stammten, da Vertreter der Moderne ihre eigene Zunft zu reformieren suchten, z. B. beim Team X.
Stark historisierende Ansätze findet man auch bei den Gebrüdern Rob und Leon Krier, die aus Luxemburg stammen. Rob Krier wurde zum Beispiel für seine Bebauung der Ritterstraße in Berlin-Kreuzberg zur Zeit der internationalen Bauaustellung (IBA) sehr bekannt.
Michael Graves wurde mit seinem "Portland-Building" in Portland, Oregon bekannt und baute lange für den Disney-Konzern.
Die Architekturdiskussion läßt sich seither auf die Polarität zwischen einem Rückgriff auf kulturelle Identitäten der Vergangenheit ('Giebelmoderne') und Vorgriffen auf Möglichkeitsformen ('Stil-Pluralismus') verkürzen. Der Stil-Pluralismus setzt (Dekonstruktivismus, 'Blobs' etc.) als Gegengewicht zum verbindlichen Kanon der Architekturgeschichte radikal auf das Neue, Experimentelle und jene Optionen, welche sich der Architektur durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse eröffnen.
Zum emblematischen Sinnbild postmoderner Architektur wurde das AT&T Building in New York City (1978-84), ein Wolkenkratzer, den Philip Johnson und sein Partner John Burgee mit zwei gegenläufigen, nach oben gestellten Voluten abschlossen. Die Staatsgalerie in Stuttgart von James Stirling und der Messeturm in Frankfurt/M. (Helmut Jahn) sind prominente Beispiele aus Deutschland.
Wie geht es weiter?
Nachdem sich die 1990er Jahre gestalterisch anscheinend von der dekorativen Postmoderne abgewandt hatten, scheint es nun eine Renaissance zu geben.
In den USA sehnt man sich zurück zu "Small Town America" des frühen 20. Jh. Der Disney-Konzern hat - neben vielen anderen Bauträgern - die bekannteste Siedlung des so genannten "New Urbanism" geschaffen: Celebration, eine Siedlung, die Kleinstadtleben simuliert, von der Umgebung eleganterweise nicht durch einen Zaun, sondern Wasserflächen getrennt ist und mit historisierenden Gebäuden im Stil des 18. und 19. Jh. bebaut ist.
In Deutschland sehnt man sich zurück, man vermißt alte Gebäude. So sollen in Berlin und Braunschweig die Schlösser wieder aufgebaut werden - bzw. moderne Gebäude mit den historisierenden Fassaden. Der "dekorierte Schuppen" begrüßt den Betrachter in dem alltäglichen Baugeschehen auch immer öfter. In stadtnahen Gewerbegebieten oder an den Autobahnen werden die großen "Trapezblechkisten" gerne dekoriert. Besonders, wenn Konsumerlebnisse erwünscht sind, kann wie z.B. beim CentrO, einem großen Einkaufszentrum in Oberhausen, eine komplette Phantasiestadt simuliert werden.
In den Niederlanden, lange das europäische "Labor" für moderne Architektur, ist anscheinend ebenfalls ein Wendepunkt erreicht; neue Wohnbauprojekte werden z.B. in Form eines Wasserschlosses gebaut.
Die Boomstädte Asiens bedienen sich bei ihren Großprojekten gerne im unbegrenzten Repertoire der Gestaltung: historisierende asiatische Elemente werden mit westlichen genauso kombiniert wie klassisch Moderne mit neuen High-Tech Fassaden. Bautechnisch sind Fassaden heute schlicht nicht mehr relevant, außer bei Klimatisierung und Isolierung.