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Anarchokapitalismus

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Der Anarchokapitalismus ist eine sozialphilosphische, politische Theorie, die eine staatsfreie, vom freien Markt, von freiwilliger Übereinkunft und von freiwilligen vertraglichen Bindungen geprägte Gesellschaft befürwortet.

Aus anarchokapitalistischer Sicht sind individuelle Freiheit, ein freier Markt und Privateigentum notwendig, um größtmöglichen Wohlstand in einer Gesellschaft zu erreichen. Anarchokapitalisten sehen Staaten als Aggressoren, die Gewalt gegenüber Mitgliedern einer Gesellschaft ausüben, sich fremdes Eigentum aneignen, ihre Macht dazu verwenden, einigen Mitgliedern einer Gesellschaft Vorteile gegenüber anderen Mitgliedern zu verschaffen und den freien Austausch von Waren und Dienstleistungen behindern.

Geschichte und Einflüsse

Der Begriff Anarchokapitalismus wurde erstmalig vom Wirtschaftswissenschaftler und Libertären Murray Rothbard verwendet, der in der Mitte des 20. Jahrhunderts Elemente der Österreichischen Schule, des klassischen Liberalismus und des amerikanischen individualistischen Anarchismus des 19. Jahrhunderts miteinander verband.[1] Zentral in Rothbards Theorie sind die Souveränität des Individuums und das Nichtaggressionsprinzip.


Klassischer Liberalismus

Gustave de Molinari (1819–1912)

Der klassische Liberalismus hatte großen Einfluss auf den Anarchokapitalismus. Klassische Liberale seit John Locke befassten sich mit zwei Hauptthemen: der Freiheit des Menschen und der Begrenzung der Macht, die Staaten innehaben.

Im 19. Jahrhundert führten Liberale den Angriff auf den Etatismus an. Der politische Ökonom Frederic Bastiat schrieb: "Der Staat ist die großartige Fiktion, durch die jeder danach strebt, auf Kosten der anderen zu leben." Der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau schrieb im Jahr 1849: "Von Herzen bejahe ich das Motto: 'Jene Regierung ist die beste, die am wenigsten regiert.' (...) Letztendlich läuft es auf folgendes hinaus, welches ich ebenso glaube: 'Jene Regierung ist ist beste, welche überhaupt nicht regiert.' Wenn die Menschheit bereit dafür ist, wird das die Regierung sein, welche sie haben wird." [2]

Die frühen Liberalen glaubten, ein Staat solle seine Rolle darauf beschränken, Freiheit und Besitz der Gesellschaftsmitglieder zu schützen und wandten sich gegen tiefgreifende, staatliche Eingriffe in die Gesellschaft. Manche sahen es es inkonsistent an, einerseits Eigentumsdelikte als verwerflich anzusehen und es andererseits einem liberalen Staat zu erlauben, sich unter Zuhilfenahme von Gewalt Mittel anzueignen, um die von ihm bereitgestellte Schutzdienstleistung zu finanzieren. Einer der ersten Liberalen, der die Möglichkeit der Privatisierung des Schutzes von Freiheit und Besitz diskutierte war der Franzose Jakob Mauvillon im 18. Jahrhundert. Später, in den 1840ern, traten Julius Faucher und Gustave de Molinari ebenfalls hierfür ein. Molinari schrieb 1849 in seinem Werk Über die Produktion von Sicherheit: "Keine Regierung sollte das Recht haben, jemand daran zu hindern, in Konkurrenz mit ihr zu treten oder von Käufern von Sicherheit zu verlangen, dieses Gut ausschließlich von ihr zu erwerben." Eine gewaltgestützte Monopolisierung von Gütern liege nicht im Interesse seiner Nutzer, da die Ausschaltung des Wettbewerbs diese verteuern und die Qualität verschlechtern würde.

Im Gegensatz zu Locke, welcher den Staat als aus der Gesellschaft hervorgehend ansah, gab es aus Sicht der dem Staat kritisch gegenüberstehenden Liberalen einen Widerspruch zwischen freiwillig interagierenden Menschen - der Gesellschaft - und der "Institution der Gewalt" - dem Staat.[3] Nach Molinari wurde die staatskritische, liberale Tradition in Europa und den Vereinigten Staaten vor allem in den frühen Schriften Herbert Spencers sowie von Autoren wie Paul Émile de Puydt ("Panarchie"), Auberon Herbert und Albert Jay Nock ("Our Enemy, The State") fortgeführt.

Individualistischer Anarchismus

Der Anarchokapitalismus wurde ebenfalls durch den amerikanischen individualistischen Anarchismus beeinflusst.

Der vermutlich bekannteste amerikanische individulistische Anarchist war der Journalist Benjamin Tucker. Tucker stand in der Tradition nordamerikanischer Freiheitsdenker wie Thomas Jefferson, Lysander Spooner, Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau, der europäischen Anarchisten Pierre Joseph Proudhon und Michail Bakunin sowie dem deutschen Philosophen Max Stirner. Anfänglich auf Kant zurückgehend betonte sein Konzept des Anarchismus die "gleiche Freiheit aller".

Tucker definierte Anarchismus als "die Lehre, daß alle Angelegenheiten des Menschen von Individuen oder freiwilligen Vereinigungen bewerkstelligt werden sollten und der Staat abgeschafft werden sollte".[4] Er glaubte, dass die "Unterdrückung und Einschränkung des Wettbewerbs" durch den Staat zur Konzentration von Reichtum, sowie der Unterdrückung und Ausbeutung von Gesellschaftsmitgliedern mit geringerem Wohlstand führe. Der Staat erreiche dies vor allem durch vier "Monopole":

  1. durch das Geldmonopol,
  2. das Landmonopol,
  3. durch Importzölle,
  4. sowie durch das Patentwesen.

Er trat dafür ein, Freiheit und Besitz durch private Institutionen zu verteidigen. Verteidigung sei eine Dienstleistung wie jede andere, die sowohl erwünscht sei, als auch für den, der sie in Anspruch nehme, einen Wert darstelle.[5]

Inhalte

Die Souveränität des Individuums und das Nichtaggressionsprinzip

Die Souveränität des Individuums und das Nichtaggressionsprinzip sind zentrale Prinzipien des Anarchokapitalismus.

Rothbard schreibt sinngemäß in „Law, Property Rights, and Air Pollution“ [6]

"Das zentrale Axiom der libertären Theorie bedeutet, dass jeder Mensch Eigentümer seiner selbst ist, mit absoluten Rechten über seinen eigenen Körper. Daraus folgt, dass es niemandem gestattet sein kann, in das gewaltlos geschaffene bzw. erworbene Eigentum einer anderen Person oder anderer Personen gewaltsam einzugreifen. Daraus folgt auch, dass jede Person rechtmäßig besitzen darf, was sie sich zuerst rechtmäßig, also ohne Aggression ausgeübt zu haben, angeeignet hat und durch ihre Arbeit und Investitionen aufgewertet hat. Von diesen beiden Axiomen - dem Eigentum seiner selbst und seiner gewaltlos erworbenen bzw. erschaffenen Güter - stammt die Begründung für das gesamte System von Eigentumstiteln in einer Gesellschaft mit freiem Markt. Dieses System etabliert das Recht jedes Menschen sich selbst zu besitzen, das Recht sein Eigentum zu verschenken, zu vererben oder vertragsgemäß zu tauschen."

Für Anarchokapitalisten bedeutet Souveränität des Individuums bzw. Selbsteigentum, dass jeder Mensch ein Recht zur Selbstbestimmung hat, dass er allein das Recht besitzt, über seinen Körper und seine Lebensweise zu bestimmen. Rothbard begründet die Souveränität des Individuums durch Falsifikation aller möglichen Alternativen.

Das Nicht-Aggressions-Prinzip wird als das grundsätzliche Verbot der Initiierung von Gewalt (und Drohungen von Gewalt) gegen Personen verstanden, also gegen ihren Körper (wie Körperverletzung und Mord) oder gegen ihr Eigentum (wie Betrug, Einbruch, Diebstahl und Steuern). [1] Die Initiierung von Gewalt ist üblicherweise als Aggression und Zwang bezeichnet. Der Unterschied zwischen libertären Anarchokapitalisten und libertären Minimalstaatlern besteht in erster Linie darin, wie weitgehend sie dieses Axiom anwenden. Die Minarchisten, wie sie z.B. in den libertären Parteien anzutreffen sind, möchten den Staat lediglich in eine kleinere und weniger in die Privatsphäre eingreifende Institution zurückdrängen, öffentliche Polizei, Gerichte und Militär jedoch beibehalten. Im Gegensatz dazu lehnen Anarchokapitalisten das Existenzrecht des Staates überhaupt ab, da jeder Staat per Definition als nach innen (Steuern und Regulierungen) und außen (externe Konflikte) aggressiv agierender territorialer Monopolist verstanden wird und somit gegen das Nicht-Aggressions-Axiom verstößt. Der Staat ist aus diesem Verständniss heraus die einzige Einheit in der menschlichen Gesellschaft, die ihre Einnahmen aus legalisierter Aggression bezieht, was von Natur aus das zentrale Axiom des Libertarismus verletzt. [2]

Einige wie Rothbard bejahen das Nicht-Aggressions-Prinzip als die wesentliche Moral oder die Basis natürlicher Rechte. Andere wie David Friedman nehmen als philosophischen Grundsatz das universale Selbstinteresse der Menschen keine Opfer von Aggression zu werden. Sie verurteilen weniger die inhärente Amoral aggressiver staatlicher Eingriffe, die es dem Staat als Machtmonopolisten erlaubt das Nicht-Aggression-Axiom zu beugen, sondern argumentieren, dass sich das Recht gegen Aggression aus dem gegenseitigen Selbstinteresse der jeweiligen Vertragsparteien ergäbe, weder Zwang und Gewalt zu initiieren, noch gegen sich selbst zu akzeptieren.

Stefan Blankertz schreibt über das Nichtaggressionsprinzip und das libertäre Recht: "Jemand, der einer anderen Person seinen Willen ohne deren Zustimmung aufzwingt, muss zustimmen, selbst einem beliebigen stärkeren Willen unterworfen zu werden. Das heißt: Wenn genügend viele Menschen erkennen, dass das libertäre Recht Freiheit, Sicherheit und Wohlstand bringt, können sie dies gegen Widerstand durchsetzen. (...) Als Illustration eine Anwendung als Beispiel: Der Dieb muss – logisch gesehen – zustimmen, dass ihm das geraubte Gut bzw. ein Äquivalent davon abgenommen wird. Denn entweder erkennt er das Eigentum an (dann muss er zugeben, ein Unrecht begangen zu haben) oder er leugnet das Recht auf Eigentum: dann kann er nichts dagegen einwenden, dass man ihm etwas wegnimmt." [7]

Privateigentum

Eigentum wird aus Sicht von Anarchokapitalisten durch "Vermischung der Natur mit der eigenen Arbeit" (John Locke) geschaffen, indem jemand sich einen Gegenstand, der von keinem anderen Menschen genutzt oder als Eigentum beansprucht wird, angeeignet und durch eigene Arbeit aufwertet. Rothbard schreibt: "In einer freien Gesellschaft, ist jeder Teil der Natur, der nie zuvor genutzt wurde, besitzerlos. (...) Wenn Kolumbus auf einem neuen Kontinent landet, ist es dann legitim für ihn ,den neuen Kontinent oder den Bereich soweit seine Augen sehen als sein Eigentum zu erklären? Dies wäre in der freien Gesellschaft, wie wir sie postulieren, eindeutig nicht der Fall. Kolumbus oder Krusoe müssten das Land nutzen, es in irgendeiner Weise kultivieren, bevor er behaupten könnte, es zu besitzen. (...) Ungenutztes Land müsste besitzerlos bleiben, bis ein erster Nutzer eintrifft. Jeder Versuch, einen Anspruch auf eine Ressource zu erheben, die jemand nicht nutzt, müsste als Angriff auf die Besitzrechte eines zukünftigen ersten Nutzers gewertet werden." [8]

Anarchokapitalisten leiten das Recht auf Eigentum aus dem Recht auf Selbsteigentum ab. Rothbard schreibt: "Falls jeder Mensch das Recht an seinem eigenen Körper hat und falls er Objekte der Natur benutzen und transformieren muss, um zu überleben, dann hat er das Recht das von ihm geschaffene Produkt zu besitzen." Nachdem Besitz durch Arbeit geschaffen wurde, kann er durch freiwilligen Handel oder als Geschenk an einen neuen Besitzer weitergegeben werden; ein erzwungener Transfer von Gütern wird als illegitim angesehen.

Rothbard schreibt weiterhin: "Probleme und Schwierigkeiten treten immer dann auf, wenn das Erstnutzer-Erstbesitzer-Prinzip nicht beachtet wird. In fast allen Ländern haben Regierungen Anspruch auf neues, ungenutztes Land erhoben. (...) Nehmen wir an die Regierung entledigt sich ihrem ungenutzten Land durch der Verkauf in einer Auktion an den Höchstbietenden. Da die Regierung keinen gültigen Besitzanspruch hat, hat der Käufer diesen ebenfalls nicht. Falls der Käufer, wie dies häufig passiert, das Land "besitzt" es aber nicht nutzt oder darauf siedelt, wird er zum Landspekulanten in einem abwertenden Sinne. Der wirkliche Nutzer ist (...) gezwungen, das Land vom Spekulanten zu pachten oder zu kaufen, obwohl dieser keinen gültigen Besitzanspruch hat."[9]

Gemäß Ludwig von Mises waren umfangreicher Landbesitz immer das Resultat von durch Staaten erzwungenen Landmonopolen und resultierten nicht aus der Kumulation kleiner Parzellen durch Marktprozesse. "Nirgends und zu keiner Zeit entstand umfangreicher Landbesitz durch das Wirken der ökonomischen Kräfte des Marktes. Er ist das Resultat militärischer und politischer Anstrengungen. Durch Gewalt begründet, wird er ausschließlich von Gewalt aufrecht erhalten."[10]

Dadurch, dass sich der Staat Teile des Landes aneignet, es dem Markt entzieht und damit das Angebot künstlich senkt, erzielen Landbesitzer laut Rothbard höhere Gewinne mit der Verpachtung und dem Verkauf von Land, als es in einem freien Markt möglich wäre. [11] Im Artikel "The Fine Art of Conservation" schreibt Bernie Jackson weiterhin, dass die Regierung der Vereinigten Staaten große Teile des Landes bestimmten Unternehmen der Holz-, Erdöl-, Bergbau- und Lebensmittelindustrie zu politisch festgelegten Preisen, welche sich unterhalb des Marktpreises befänden, zur Verfügung stelle. Umweltverschmutzung und ein Raubbau an der Natur werde für diese Unternehmen dadurch profitabel, dass sie keine Marktpreise für die von ihnen genutzten Ressourcen zahlen müssten.[12]

Falls Besitz von Staat gehalten wird, tritt Rothbard für die Konfiszierung und die Rückgabe an den privaten Sektor ein. "Jeder Besitz in den Händen des Staates ist in den Händen von Dieben und sollte so schnell wie möglich befreit werden." Rothbard unterstützt weiterhin die Expropriation von "nominellem Privateigentum", falls es das "Resultat von durch den Staat initiierter Gewalt" sei. Er schlägt vor, dass Unternehmen, die mindestens zu 50% durch den Staat finanziert wurden, von den Mitarbeitern konfisziert werden. Er schreibt: "(...) was wir beanstanden sind ungerechtfertigte Besitzansprüche. Wir sind nicht für Privatbesitz per se, sondern für unschuldigen, nicht kriminellen Privatbesitz." Karl Hess schreibt: "[Der] Libertarismus (...) wünscht in keiner Weise jeden Besitz, der heute Privatbesitz genannt wird, zu verteidigen. (...) Vieles Eigentum ist gestohlen. Viele Besitzansprüche sind fragwürdig. Alles davon ist verschlungen mit einem amoralischen Zwangsstaatssystem."[13]

Aus dem vom Recht auf Selbsteigentum abgeleiteten Recht auf Privateigentum folgt für Anarchokapitalisten auch die Illegitimität des Staates: "Außer dem Ausschluss von nicht gerechtfertigten Aktivitäten wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung, Hausfriedensbruch, Raub, Einbruch, Diebstahl und Betrug ist die Ethik des Privateigentums auch inkompatibel mit der Existenz eines Staates, definiert als einer Institution, die ein erzwungenes territoriales Monopol auf endgültige Entscheidung (Jurisdiktion) und/oder das Recht Steuern zu erheben besitzt."[14]

Private Hilfe für Bedürftige und freiwillige Vorsorge

Anarchokapitalisten setzen auf Nachbarschaftshilfe und mildtätige, private Institutionen oder Stiftungen, um bedürftigen Menschen zu helfen. Sie argumentieren, solche Institutionen seien aufgrund der Konkurrenz verschiedener Organisationen um private Spender unbürokratischer und effizienter als staatliche Institutionen. Zudem sind Anarchokapitalisten der Ansicht, dass Menschen mehr für wohltätige Zwecke spendeten, wenn die Belastung durch Abgaben an den Staat wegfiele. Bei zunehmendem Wohlstand steige weiterhin die Spendenbereitschaft an. Als Beispiel hierfür führen sie die Zunahme der Spendenbeträge während des Wirtschaftsbooms der 80er Jahre an, in dem sich die Spendenbeträge linear zum Einkommenswachstum vermehrt habe.

Weiterhin sehen sie die Möglichkeit, sich durch freiwillige, private Versicherungen gegen unvorhergesehene Notlagen abzusichern.

Kritik am Anarchokapitalismus

Zentrales Motiv des Anarchismus ist die Ablehnung der Herrschaft von Menschen über Menschen. Kritiker des Anarchokapitalismus werfen seinen Vertretern vor, sie verfolgten Ideen, die in letzter Konsequenz auf eine rein "sozialdarwinistische" Gesellschaftsordnung hinausliefen. Sie betrachten sozialdarwinistische Verhältnisse als logische Folge einer Gesellschaftsordnung, welche die Beziehungen zwischen Menschen mit unterschiedlichen Ausgangschancen allein über die Eigentumsverhältnisse regele. Besitz und Reichtum würden Machtstrukturen begründen, die allein auf dem Faustrecht des wirtschaftlich Stärkeren beruhten. Wirtschaftlich schwache Individuen seien in einer so organisierten Gesellschaft weitgehend schutzlos.

Markt-Anarchisten argumentieren dagegen, die wirtschaftliche Entwicklung bei einem völlig freien Markt werde die Armut fast gänzlich beseitigen. Zudem könnten private Wohlfahrtsorganisationen für die wenigen Ausnahmen ausreichende Fürsorge gewährleisten. Die Kritiker des Anarchokapitalismus halten das für eine trügerische Hoffnung.

Kritisiert wird ferner, dass die Anarchokapitalisten die Sozialbindung des Eigentums nicht akzeptieren. Murray N. Rothbard brachte dazu ein Beispiel: Wenn nach einem Schiffsunglück der Eigentümer eines Rettungsboots dieses ganz allein für sich nutze und andere ertrinken lasse, so bleibe die einzig entscheidende Frage: "Wem gehört das Rettungsboot?” Die Anarchokapitalisten verweisen darauf, dass auch für unterlassene Hilfeleistung informelle und zivilrechtliche Sanktionen möglich seien.

Kritik des Eigentumsbegriffs

Eine zentrale Frage des Anarchokapitalismus ist die nach der Entstehung und Durchsetzung von Eigentumsrechten, auf denen eine staatsfreie Gesellschaftsordnung beruhen soll: Wie kann gewährleistet werden, dass diese Eigentumsrechte anerkannt werden, wenn es keine dem Eigentum zugrundeliegende staatliche Rechtsordnung gibt? Mit ihren Antworten auf diese Frage widersprechen Anarchokapitalisten in vielen Punkten den Erkenntnissen der neuen Institutionenökonomik.Referenzfehler: Ungültige <ref>-Verwendung: „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben.

Sie argumentieren, Eigentum entstehe durch Konsens darüber, wie knappe Ressourcen sinnvoll zu verwenden seien.Referenzfehler: Ungültige <ref>-Verwendung: „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben. Eigentum sei daher zuerst eine praktische Frage, eine Verhaltensnorm, die verhindere, dass über jede Kleinigkeit gestritten werden müsse. Diese Verhaltensnorm entstünde durch vertragliche Bindungen. Es werde vereinbart, wie Konfliktfälle zu lösen seien. Der Sinn solcher Verträge sei es, sich bei Vertragserfüllung stark und bei Vertragsbruch schwach zu machen.Vorlage:Beleg Nach Meinung der Anarchokapitalisten hätten daher alle Vertragspartner ein ernsthaftes Interesse an der Erfüllung des ausgehandelten Vertrages, und Eigentumsnormen seien so durchsetzbar.

Aus Sicht der Kritiker ist diese Antwort nicht überzeugend, weil damit die Frage offen bleibe, wie in Konfliktfällen ein notwendiger allgemeiner Konsens über das Eigentum entstehen könne.Referenzfehler: Ungültige <ref>-Verwendung: „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben. Ein vertraglicher Konsens bestehe nur unter den Vertragspartnern, für eine Eigentumsordnung sei es jedoch notwendig, dass auch Dritte das Eigentum und seine Verteilung anerkennen.Vorlage:Beleg Aus diesem Grund ist es nach Ansicht der Kritiker nicht ausreichend, wenn die vertragsschließenden Parteien zustimmen, denn die Eigentumsrechte könnten immer noch durch Dritte bestritten werden.

Anarchokapitalisten sind der Meinung, die Durchsetzung des Rechts auf Eigentum könne auf vertraglicher Basis auch von privaten Sicherheitsdiensten wahrgenommen werden.Referenzfehler: Ungültige <ref>-Verwendung: „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben. Auch dafür, argumentieren die Kritiker, sei wiederum ein allgemein akzeptiertes Recht Voraussetzung.Referenzfehler: Ungültige <ref>-Verwendung: „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben. Wenn Recht nur durch Verträge zwischen Individuen und nicht durch einen "Gesellschaftsvertrag" zustande komme, seien nur die vertragschließenden Parteien an das durch sie geschaffene Recht gebunden. Solange es aber kein Recht gebe, das auch unbeteiligte Dritte mit einschließe, könne der Vertrag nicht wirkungsvoll durchgesetzt werden.Referenzfehler: Ungültige <ref>-Verwendung: „ref“ ohne Namen muss einen Inhalt haben.

Kritik am Verzicht auf das Gewaltmonopol

Anarchokapitalisten glauben, dass sich durch Verträge zwischen Individuen und juristischen Personen ein von vielen Menschen akzeptiertes Rechtsystem entwickeln könne. Daraus könnten sich auch staatsähnliche Gebilde konstituieren, allerdings ohne Gebietsmonopol oder Zwangsmitgliedschaft.

Die Anhänger des Anarchokapitalismus gehen von der Annahme aus, dass Individuen und juristische Personen im eigenen Interesse freiwillig vereinbarten Rechtsnormen zustimmen, die sich aus dem Wettbewerb verschiedener Sicherheitsdienstleister, also durch Angebot und Nachfrage, ergeben. Jeder werde freiwillig den Sicherheitsdienstleister wählen, der ihm am meisten zusage. Auf einem freien Markt, auf dem Staaten oder andere Rechtssysteme um Kunden werben müssten, werde Behördenwillkür oder Korruption auf ein Minimum absinken oder sogar ganz verschwinden.

Kritiker halten dies aus mehreren Gründen für lebensfremd: Zum einen setze das anarchokapitalistische Modell voraus, dass alle Menschen in etwa die gleichen Möglichkeiten und Fähigkeiten besitzen, ihre objektiven Interessen zu erkennen und zu wahren. Dies aber sei nicht der Fall.

Des weiteren könne in einem Gebiet, in dem aufgrund des Freiwilligkeitsprinzips mehrere Rechtssysteme nebeneinander existierten, kein allgemeingültiges Recht entstehen. Personen oder Institutionen, die mächtig genug seien, durch physische Gewalt auch unberechtigte Ansprüche gegen andere durchzusetzen, könnten in einem solchen System nicht zur Anerkennung von Rechtsprinzipien gezwungen werden. Es liege vielmehr in ihrem eigenen Ermessen, ob sie einem vertraglich geregelten Rechtssystem beitreten oder ganz darauf verzichten und Selbstjustiz üben. Für jeden, der Rechtsansprüche, etwa auf Eigentum, nur noch mit Hilfe privater Sicherheitsagenturen durchsetzen könne, reduziere sich das Problem auf die Frage, ob er sich dies finanziell leisten könne. Recht werde also wesentlich zu einer Frage materieller Stärke.

Eine weitere Gefahr sehen die Kritiker darin, dass Privatunternehmen auch im Sicherheitsbereich ein Interesse daran haben müssen, die Märkte für ihr Produkte zu vergrößern und die Nachfrage zu steigern. In einer anarchokapitalistischen Gesellschaft sei es nur eine Frage der Zeit, bis private, von keinerlei übergeordnetem Rechtssystem kontrollierte Sicherheitsdienste eben jene Bedrohungslage zu schaffen begännen, gegen die sie ihren Kunden Schutz anböten. Nach Meinung der Kritiker öffnet der Verzicht auf das staatliche Gewaltmonopol also dem Recht des Stärkeren und mafiösen Strukturen und damit dem Entstehen eines neuen Staates Tür und Tor.

Kritik am Verzicht auf sozialstaatliche Leistungen

Kritisiert wird auch, dass der Anarchokapitalismus einen völligen Verzicht auf sozialstaatliche Strukturen fordert. Für seine Anhänger gibt es unter Menschen weder eine Pflicht, sich gegenseitig zu helfen, noch ein Recht auf Unterstützung.

Kritiker sehen darin nicht zuletzt eine Verletzung der Menschenwürde: Denn in einem Sozialstaat seien Bedürftige durch einklagbare soziale und Menschenrechte geschützt, denen durch neutrale staatliche Instanzen Geltung verschafft werde. In einer anarchokapitalistischen Gesellschaft dagegen sei jeder, der unverschuldet seines Vermögens und seiner Arbeitskraft beraubt werde und gegen die Folgen nicht versichert sei - unabhängig davon, ob er dies selbst versäumt hat oder finanziell nie dazu in der Lage war - einzig und allein auf die Gnade seiner Mitmenschen angewiesen.

Dieses mögliche Ergebnis ist zwischen Anhängern und Gegnern des Anarchokapitalismus unstrittig. Es besteht ein Werturteilsstreit darüber, ob dies akzeptabel ist oder nicht.

Kritik in der Gewaltfrage

Anarchokapitalisten sind zwar grundsätzlich dagegen, in einem Konflikt zuerst zur Gewalt zu greifen, sehen allerdings die Anwendung von Gewalt als gerechtfertigt an, wenn sie der Verteidigung des eigenen Lebens oder Besitzes dient. In den USA gehören Anarchokapitalisten zu den Befürwortern eines Rechts auf Waffenbesitz.

Viele Anarcho-Kapitalisten bewundern die Amerikanische Unabhängigkeitsbewegung als legitimen Akt von Individuen, die gemeinsam gegen tyrannischen Restriktionen einer Kolonialmacht ihre Freiheit erkämpft hätten. Tatsächlich war der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg nicht von freiwillig miteinender verbundenen Individuen sondern von den staatlichen Institutionen der 13 britischen Kolonien erklärt und geführt worden. Dennoch war er nach Murray Rothbard der einzige gerechtfertigte Krieg der Vereinigten Staaten [1]. Gleichzeitig verurteilen er und viele seiner Anhänger die Mittel, die die Revolutionäre im Kampf genutzt hätten - die Eintreibung von Steuern, die Ausgabe von inflationärem Geld, Zwangsmusterung und -einziehung zum Militär - sowie das Ergebnis der Revolution: die Errichtung eines neuen, als Zwangsorganisation verstandenen Staates.

Die Haltung der Anarchokapitalisten in der Frage der erlaubten Gewaltanwendung sehen ihre Kritiker als besonders gefährlich an: Trotz vielfältiger Bekenntnisse zu prinzipieller Gewaltlosigkeit bestehen viele Anarchokapitalisten auf einem möglichst uneingeschränkten Recht auf Waffenbesitz und auf dem Recht, Leben und Eigentum auch gewaltsam schützen zu dürfen, wenn eines von beiden bedroht ist. Diese Haltung in Verbindung mit der weiten Auslegung dessen, was Gewalt überhaupt ist, ergibt in den Augen der Kritiker eine brisante Mischung: Sie führe unter Umständen dazu, dass Anarchokapitalisten mit physischer Gewalt auf staatliche Maßnahme reagieren könnten, sobald diese subjektiv als "Zwang" oder "Gewaltakt" empfunden würden.

Quellenangaben

  1. Rothbard, Murray N. (1988) "What's Wrong with Liberty Poll; or, How I Became a Libertarian", Liberty, July 1988, p.53
  2. Thoreau, Henry David (1849) Civil Disobedience
  3. Molinari, Gustave de (1849) The Production of Security (trans. J. Huston McCulloch)
  4. Benjamin Tucker: State Socialism and Anarchism
  5. Benjamin Tucker: "On Picket Duty." Liberty. Jul 30, 1887; 4, 26. p4.
  6. Rothbard, Murray N. (1982) "Law, Property Rights, and Air Pollution" Cato Journal 2, No. 1 (Spring 1982): pp. 55-99. Retrieved 20 May 2005
  7. Stefan Blankertz: Was hat es mit dem Naturrecht auf sich?, eigentümlich frei - Nr. 6 (2/99)
  8. Murray Rothbard, Man, Economy, and State: A Treatise on Economic Principles, Seite 147
  9. Murray Rothbard, Power and Market: Government and the Economy, Kansas City 1977, Seite 132
  10. Ludwig von Mises, Socialism ,Yale University Press, New York, 1951, Seite 375
  11. Rothbard, Power and Market, Seite 68
  12. Bernie Jackson, "The Fine Art of Conservation," The Freeman: Ideas on Liberty (October 1998)
  13. Hess, Karl (1969) Letter From Washington The Libertatian Forum Vol. I, No. VI (June 15, 1969)
  14. Hoppe, Hans-Hermann (2002) "Rothbardian Ethics"

Literatur

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