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Nationaltheatret

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Nationaltheatret in Oslo
Plakat vom Eröffnungsabend am 1. September 1899

Nationaltheatret („Das Nationaltheater“) ist das größte und bedeutendste Sprechtheater Norwegens, das 1899 in Oslo eröffnet wurde. Mit seinen Klassikerinszenierungen - vor allem der Stücke Henrik Ibsens - hat es sich einen internationalen Bekanntheitsgrad erworben. Zu bestimmten Zeiten, wie etwa in den sechziger und siebziger Jahren und seit etwa 1990, hat es auch systematisch die Gegenwartsdramatik gefördert.

Geschichte

Das Christiania Theater

Die Geschichte des Hauses geht bis auf das Christiania Theater zurück, das 1837 am Bankplassen eröffnet wurde. Aufgrund der über 400 Jahre währenden kulturellen Abhängigkeit Norwegens von Dänemark galt die norwegische Sprache zunächst noch als unfein und ungehobelt. Folglich führten überwiegend dänische Schauspieler vor allem dänische Dramen und Vaudevilles auf. Erst ab den 1860er Jahren, nachdem die Bühne eine Fusion mit dem Kristiania Norske Theater eingegangen war, hielt die norwegische Sprache Einzug auf der Bühne. Allmählich wurden immer häufiger norwegische Stücke inszeniert.

Eröffnung 1899

An diese Entwicklung schloss, wie der Name besagt, ganz bewusst das Nationaltheatret an. Es wurde im September 1899 mit gleich drei Festvorführungen eröffnet: am ersten Abend (1. September) wurden Auszüge aus zwei Komödien von Ludvig Holberg gespielt, am zweiten Abend (2. September) ging Henrik Ibsens Schauspiel Ein Volksfeind über die Bühne, am dritten Abend schließlich (3. September) stand Bjørnstjerne Bjørnsons Kreuzfahrer-Drama Sigurd Jorsalfar auf dem Programm. Ein besonderer Höhepunkt dieses dritten Tages war, dass Edvard Grieg die Aufführungsffassung seiner bekannten Bühnenmusik zu Bjørnsons Stück selbst dirigierte. An allen drei Abenden waren Bjørnson und Ibsen persönlich anwesend, am ersten auch der schwedisch-norwegische König Oskar II.

Das Nationaltheatret entstand auf private Initiative und wurde zunächst mit rein privaten Mitteln betrieben. Schon 1906, ein Jahr nach der Unabhängigkeit Norwegens von Schweden, erlebte es seine erste ökonomische Krise. Erst 1927 jedoch gewährte die Stadt Oslo der Bühne einen Zuschuss von relativ bescheidenen 123.000 Kronen. Der norwegische Staat beteiligte sich erstmals 1933 mit einer kleinen Summe an den Kosten, die seitdem jedoch kontinuierlich ansteigt. 1975 deckten die Zuwendungen der öffentlichen Hand bereits über 90 % des Etats ab.

Der erste Intendant: Bjørn Bjørnson (um 1900)

Die ersten Intendanten

Der erste Intendant des Hauses war Bjørn Bjørnson, ein Sohn des Dramatikers Bjørnstjerne Bjørnson, der seine umfassende Theaterausbildung unter anderem in Wien und Meiningen erhalten hatte. Für eine Art goldenes Zeitalter der neuen Bühne sorgten seine Nachfolger: der norwegische Autor Vilhelm Krag und der Schauspieler und Regisseur Halfdan Christensen. Zu den bedeutendsten Schauspielerinnen dieser Zeit gehörte Johanne Dybwad, nach der heute der Platz vor dem Theatergebäude benannt ist.

Das Nationaltheatret während der Besatzungszeit

Am 9. April 1940 wurde das Theater nur wenige Stunden nach der Okkupation Norwegens durch deutsche Truppen vorübergehend in eine Kaserne für Hitlers Soldaten verwandelt. Später erzwang die deutsche Besatzungsmacht mehrfach Gastspiele deutscher Theater, die Stücke mit faschistischer Tendenz aufführten. Der Intendant Axel Otto Normann wurde von dem deutschfreundlichen, parteikonformen Schauspieler Gustav Berg-Jæger abgelöst. Im Mai 1941 traten mehrere Schauspieler trotz massiver Drohungen des Reichskommissars Josef Terboven in einen Streik, der kurz darauf auch die Bühnen in Bergen und Trondheim erfasste; erst nach der Sommerpause dieses Jahres nahmen die Schauspieler - auf nachdrückliche Anordnung der Besatzungsmacht - ihre Arbeit wieder auf. Im Oktober 1943 geriet bei einer Sabotageaktion, die von der norwegischen Widerstandsbewegung koordiniert worden war, das Bühnenhaus und der Schnürboden in Brand. Das Nationaltheatret war daraufhin monatelang nicht bespielbar; die Proben und Vorstellungen mussten in das Gebäude von Det Nye Teater (Das Neue Theater) verlegt werden.

Theaterbrand 1980

Ein weiterer verheerender Brand, der die Theaterleitung zu allerlei Improvisationen zwang, ereignete sich im Jahr 1980. Bis zur Wiedereröffnung des Theaters im August 1985, mit einer Produktion von Ibsens Peer Gynt, fanden die Vorstellungen in einem Zelt vor dem Theater oder auf kleineren Spielflächen im Haus statt.

Profil

Anfänge als Drei-Sparten-Theater

In den ersten Jahren fungierte das Nationaltheatret nicht nur als Sprechtheater, sondern auch als Institution für Opern- und Operettenaufführungen. Die weltbekannte norwegische Sopranistin Kirsten Flagstad feierte hier 1913 ihre ersten Erfolge (als Nuri in Eugen d'Alberts Oper Tiefland). Vor allem in ökonomischen Notzeiten sorgten Inszenierungen z. B. von Lehars Die lustige Witwe für wichtige Einnahmen. Bis 1919 unterhielt das Theater ein eigenes Orchester, aus dem sich das heute noch existierende Oslo Filharmoniske Orkester entwickelte. Zwischen 1910 und 1922 war dem Theater darüber hinaus ein eigenes Ballettensemble angeschlossen. Erst im Lauf der zwanziger Jahre wurde aus dem klassischen Drei-Sparten-Theater (Schauspiel, Musik, Tanz) ein Sprechtheater.

Holberg, Bjørnson, Ibsen

Von Beginn an - und bis in die Gegenwart hinein - spielte das Werk der Autoren-Trias Holberg, Bjørnson und vor allem Ibsen eine große Rolle für das Repertoire des Nationaltheatret.

Henrik Ibsen

Bereits im März 1900 produzierte die Bühne Ibsens damals sehr umstrittenes Drama Gespenster, das zuvor erst zweimal in Norwegen aufgeführt worden war. Fünf Jahre nach Bestehen des Theaters hatte das Publikum nicht weniger als zwölf Ibsen-Premieren erleben dürfen; das Nationaltheatret schloss damit an die Tradition des Christiania Theater an, das für nationale Erstaufführungen zahlreicher Dramen Ibsens verantwortlich gezeichnet hatte. Während der Okkupationszeit galten Ibsen-Inszenierungen nach wie vor als Zankapfel. In einzelnen Fällen, z. B. anlässlich einer Produktion von Brand 1942, beriefen sich sowohl Funktionäre der Besatzungsmacht als auch die Widerstandsbewegung auf den norwegischen Nationaldichter.

Internationales Ibsen-Festival

Da die Wirkung der Texte Ibsens bis in die Gegenwart anhält, entschloss sich der damalige Intendant Stein Winge im Jahr 1990, ein jährliches Internationales Ibsen-Festival am Nationaltheatret zu veranstalten. Interessante Ibsen-Produktionen aus vielen Ländern der Welt, so aus Dänemark, Schweden, Deutschland, dem Baltikum, Frankreich, Großbritannien, USA, ja selbst aus Ländern wie Burkina Faso oder Nepal wurden seitdem - jeweils zum Beginn der neuen Saison - nach Oslo eingeladen. Diesen Gastspielen werden regelmäßig mehrere Eigenproduktionen von Ibsen-Dramen gegenübergestellt. Seit 2002 findet das Festival in zweijährigem Rhythmus statt. 2006, zum 100. Todestag Ibsens, waren 31 internationale Produktionen am Nationaltheatret sowie einigen kooperierenden Bühnen zu sehen. Begleitet werden die Festivals jeweils von internationalen Symposien zu Ibsens Dramatik.

Gegenwartsdramatik

Schon der erste Intendant Bjørn Bjørnson setzte sich sehr für die norwegische Gegenwartsdramatik seiner Zeit ein. So gelangten mehrere Stücke des damals renommierten Dramatikers Gunnar Heiberg zur Uraufführung am Nationaltheatret.

Gunnar Heiberg (Zeichnung von Erik Werenskiold, 1878)

Auch Schauspiele in der Minoritätensprache Nynorsk waren von Beginn an zu sehen, so etwa das überaus erfolgreiche Musiktheaterstück Fossegrimen von Sigurd Eldegard. Später jedoch erhielt die Nynorsk-Dramatik ihre Heimstatt am 1912 gegründeten Det Norske Teatret, auch wenn Nynorsk-Vorstellungen noch heute vereinzelt im Repertoire des Nationaltheatret zu finden sind.

Eine besondere Nähe zum Zeitstück hatte der Intendant Arild Brinchmann, der die künstlerische Leitung der Bühne 1967 mit dem Anspruch übernahm, ein politisch radikales Theater zu präsentieren. In Form einer Gruppenarbeit und mit den ästhetischen Mitteln von Revue und Dokumentartheater entstand z.B. 1974 die Produktion Jenteloven (wörtlich: Das Mädchengesetz, in Anlehnung an Aksel Sandemoses Begriff Janteloven). Auf der Grundlage von Interviews wurde in dem Stück vor allem die Situation von Frauen am Arbeitsplatz beleuchtet. Arbeiten dieser Art trugen dem Intendanten heftige Kritik selbst von der staatlichen Aufsichtsbehörde ein. Brinchmanns Renommé als Theatermacher litt darunter jedoch kaum, zumal er auch dafür gesorgt hatte, das norwegische Publikum mit Dramatikern wie Samuel Beckett, Harold Pinter oder Peter Weiss vertraut zu machen. Daneben gelang es ihm, bekannte Regisseure wie Ingmar Bergman oder Hansgünther Heyme für einzelne Inszenierungen zu verpflichten.

Das Theater hat seit Mitte der 1990er Jahre auch Anteil am internationalen Erfolg des norwegischen Dramatikers Jon Fosse, dessen Bühnenarbeiten weltweit rezipiert werden. Mehrere Fosse-Dramen, z.B. Das Kind (1996) und Traum im Herbst (1999), erlebten ihre Uraufführung am Nationaltheatret. Gleichzeitig standen Texte weiterer europäischer Gegenwartsdramatiker (z.B. von Sarah Kane, Michael Frayn, Robert Woelfl, Elfriede Jelinek oder Vassily Sigarev) auf den Spielplänen. 2005 wurde in Zusammenarbeit mit Det Norske Teatret erstmals das Samtidsfestivalen (Festival der Gegenwartsdramatik) ausgerichtet.

Gebäude und Bühnen

Architektur

Schon Ende der 1870er Jahre begannen die Planungen für einen Theaterneubau, der das Christiania Theater ersetzen sollte. Ein eigens ausgelobter Architekturwettbewerb brachte 14 Entwürfe zutage, von denen nach Ansicht der Jury zunächst keiner ganz zufriedenstellend war. Nach einigen Änderungen wurde der Vorschlag des damals erst 27jährigen Architekten Henrik Bull, der sein Studium in Berlin absolviert hatte, angenommen. Der erste Spatenstich erfolgte schon im November 1891, doch wegen ständiger Finanzierungsprobleme und aufwendiger Fundamentierungsarbeiten in einem weitgehend sumpfigen Gelände wurde das neue Haus am Studenterlunden, umweit von Schloss, Storting und dem historischen Universitätsgelände an der Karl Johans gate, erst 1899 fertiggestellt.

Bulls Entwurf orientierte sich an der damals gebräulichen deutschen Theaterarchitektur. Er kombinierte Elemente des Biedermeier und des Neorokoko und war auf ganzheitliche Wirkung angelegt. Das Interieur, z.B. die Einrichtung des Parketts und die Möblierung im Vestibül, sollte stilistisch mit dem Außeneindruck des Hauses harmonieren, wovon noch heute die Bestuhlung der ersten Reihe der Hauptbühne zeugt. An der Ausschmückung der Publiumsbereiche beteiligten sich neben Stukkateuren aus Deutschland und Italien zahlreiche bekannte norwegische Maler, z.B. Christian Krohg und dessen Sohn Per Krohg.

Vor der Frontseite des Theaters befinden sich seit dessen Eröffnung zwei vom Bildhauer Stephan Abel Sinding geschaffene Statuen der Dramatiker Bjørnstjerne Bjørnson und Henrik Ibsen. Sie stehen auf übereinandergeschichteten, kreisförmigen Fundamenten, die die Bevölkerung Oslos spöttisch als Käsesockel bezeichnet. An der Nordseite ist seit 1932 die Holberg-Statue des Bildhauers Dyre Vaa zu sehen. Neben Holberg stehen zwei seiner bekanntesten Bühnenfiguren: das aus der Commedia dell'arte entlehnte pfiffige Dienerpaar Henrik und Pernille. Letztere Figur ist Namenspatronin eines unweit des Theaters gelegenen Freiluft-Restaurants, das traditionell ein Künstlertreffpunkt sowie der Mittelpunkt sogenannter Russfeiern ist.

Hauptbühne

Die von einem Goldbogen umrahmte Hauptbühne von 1899, die nach diversen Umbauten und Modernisierungen noch heute genutzt wird, war als klassisches Guckkastentheater konzipiert. Ihr Orchestergraben bietet 45 Musikern Platz; schon seit 1917 ist sie drehbar. Ursprünglich war der Saal der Hauptbühne für 1268 Zuschauer ausgelegt; nach dem Bau der sogenannten Amfiscenen (Amphibühne) in der Rundkuppel des Gebäudes finden noch 741 Besucher Platz in dem prachtvoll dekorierten Raum. Auf der Hauptbühne werden nationale wie internationale Klassiker, regelmäßig aber auch Kinder- und Jugendtheaterstücke, gespielt.

Weitere Bühnen

Als die Amfiscenen 1963 im dritten Stock des Hauses eröffnet wurde, war sie die erste norwegische Nebenbühne, die sich im Hauptgebäude eines Theaters befand. Nach Umbauten in den Jahren 1980 (in Anschluss an den Theaterbrand) sowie 1999 ist der Raum aufgrund einer flexiblen Bestuhlung sehr variabel nutzbar. Je nach Raumlösung fasst der kleine Saal bis zu 200 Besucher. Die Amfiscenen beheimatet Theaterliteratur aller Genres und wird gerne auch für Gastspiele zur Verfügung gestellt. 2004 zeigte dort z.B. das Ensemble Mabou Mines aus New York eine spektakuläre Adaption des Stückes Nora von Ibsen.

1983 wurde ein Teil der Werkstätten in den Osten Oslos verlegt. Seitdem fungiert der ehemalige Malersalen (Malersaal) des Theaters als weitere Spielfläche. Der intime Raum, für den maximal 60 Zuschauer pro Vorstellung vorgesehen sind, hat sich zu einem wichtigen Forum für die norwegische und internationale Gegenwartsdramatik entwickelt. Auch Lyrikabende oder Autorenpräsentationen finden hier gelegentlich statt. Eher sporadisch zum Einsatz kommt die Bakscenen (Hinterbühne), die nur dann bespielt werden kann, wenn sie nicht als Lagerstätte für Kulissen und Requisiten in Zusammenhang mit materialaufwendigen Inszenierungen auf der Hauptbühne benötigt wird.

Torshovteatret

Ebenfalls dem Nationaltheatret angeschlossen ist das 1977 gegründete Torshovteatret, das sich in einer ehemaligen Bibliothek in der Vogts gate befindet. Die Vorstellungen auf der zirkusartigen, runden Bühne haben immer wieder zu künstlerischen und politischen Diskussionen provoziert.

Offizielle Webseite des Theaters

Literatur

Nils Johan Ringdal, Nationaltheatrets historie 1899-1999, Oslo: Gyldendal, 2000. ISBN: 82-05-26482-1