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Flugzeugkatastrophe von Teneriffa

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Die Flugzeugkatastrophe von Teneriffa auf dem Flughafen Los Rodeos im Norden von Teneriffa fand am 27. März 1977 um 17.06 Uhr Ortszeit statt. Bei dem Unglück kamen 583 Menschen um, als zwei Boeing 747 kollidierten. Es ist das bis heute schwerste Flugzeugunglück in der Geschichte der zivilen Luftfahrt.

Die beteiligten Flugzeuge waren eine Boeing 747 der PanAm (Taufname Clipper Victor) mit der Flugnummer 1736 unter dem Kommando von Flugkapitän Victor Grubbs und eine KLM-Boeing 747 (Taufname Rijn, niederländisch Rhein) mit Flugnummer 4805 unter dem Kommando von Flugkapitän und KLM-Chefpilot Jacob Veldhuyzen van Zanten. Der Unfall ereignete sich auf der Startbahn. Als die KLM-Maschine gerade am Abheben war, stieß sie mit der noch auf der selben Startbahn rollenden PanAm-Maschine zusammen. Die Aufprallgeschwindigkeit betrug etwas mehr, als 250 Stundenkilometer (s.u.)

Vorgeschichte

Der Flughafen Los Rodeos (damaliger IATA-Code TCI, heute TFN) befindet sich im Norden Teneriffas und wird hauptsächlich für Flüge zwischen den Kanarischen Inseln sowie dem Spanischen Festland verwendet.

Flug PanAm 1736 startete vom Los Angeles International Airport und flog anschließend zu einem planmäßigen Zwischenstopp zum New Yorker JFK International Airport. Das Flugeug war eine Boeing 747-121, Registrierung N736PA.
KLM-Flug 4805, ein Charterflug mit Passagieren aus den Niederlanden, startete vier Stunden zuvor vom Flughafen Schiphol. Das Ziel beider Flüge war Las Palmas auf Gran Canaria.

Während des Anfluges auf Gran Canaria International Airport wurde dem PanAm-Flug mitgeteilt, dass auf Grund einer Bombendrohung Kanarischer Separatisten der Flughafen zeitweise geschlossen ist. Eine Bombe war in der Wartehalle des Flughafens explodiert, wobei mehrere Menschen verletzt wurden. Eine weitere Drohung war eingegangen. Obwohl die Besatzung der PanAm es vorzog, zu kreisen, bis die Landefreigabe erteilt worden wäre, wurden sie, wie viele andere Flugzeuge, nach Los Rodeos auf der nahen Insel Teneriffa umgeleitet. Auch KLM Flug 4805 wurde nach Los Rodeos geschickt.

Alles in allem wurden mindestens fünf große Flugzeuge nach Los Rodeos umgeleitet. Da es sich um einen Regionalflughafen handelte, wurde es schwierig, die Maschinen aufzunehmen. Der Flughafen besteht aus einer Start-/Landebahn und einer Hauptrollbahn, die parallel zu ihr verläuft, außerdem mehreren kleineren Rollbahnen, welche die beiden verbinden. Die umgeleiteten Flugzeuge mussten auf der langen Rollbahn parken, so dass diese nicht mehr zum Rollen genutzt werden konnte. Stattdessen mussten abfliegende Maschinen die Start-/Landebahn herunterrollen, um auf die Startposition zu gelangen.

Unfallhergang

Positionen der beiden Flugzeuge kurz vor dem Zusammenstoß

Aufgrund schlechter Sichtverhältnisse (einfallender Nebel), mangelhafter Kommunikationseinrichtungen sowie technischer und menschlicher Probleme bei den beteiligten Maschinen und der Flugsicherung kollidierten eine startende Boeing 747 der KLM sowie eine von der Startbahn wegrollende Boeing 747 der PanAm.

Bei dieser bisher größten Flugzeugkatastrophe der zivilen Luftfahrt kamen 583 Menschen ums Leben. Aus den Flugunfalluntersuchungsberichten geht hervor, dass keinem der Verantwortlichen im Tower und auch in den beiden Maschinen eine eindeutige Hauptschuld an der Katastrophe zuzuweisen war. Alle Beteiligten begingen schwerwiegende Fehler. Der amerikanische und spanische Untersuchungsbericht sah die Hauptschuld allerdings bei der KLM, während der niederländische Untersuchungsbericht keinen Hauptschuldigen nannte.

Zum Zeitpunkt des Unfalls herrschten auf dem Flughafen Los Rodeos schwierige Bedingungen: Es gab eine unüblich hohe Verkehrsdichte - die beiden Unglücksmaschinen und viele andere wurden wegen eines Bombenanschlags kanarischer Separatisten auf den Flughafen von Gran Canaria umgeleitet, eine Nebelbank zog über der Startbahn auf; darüberhinaus fand nur mangelhafte Kommunikation statt. Außerdem verfügte Los Rodeos nicht über Bodenradar, so dass die Kommunikation eine noch wichtigere Rolle spielte, als auf anderen Flughäfen.
Folgender Sachverhalt ist besonders hervorzuheben: der Tower wies die PanAm-Maschine an, die Ausfahrt 3 auf der Startbahn zu nehmen. Die Maschine wäre allerdings technisch nicht in der Lage gewesen, diese Ausfahrt zum Verlassen der Startbahn zu benutzen. Die Flugsicherung hatte jedoch nur Erfahrung mit wesentlich kleineren Maschinen, die üblicherweise diesen Flughafen benutzten und diese Ausfahrt problemlos hätten passieren können. Die PanAm-Maschine übersah aufgrund des Nebels diese Ausfahrt und konnte somit den Tower nicht darauf hinweisen, dass sie diese Ausfahrt nicht passieren konnte.

Hinzu kam, dass die Piloten der KLM-Maschine unter hohem Zeitdruck standen. Sie waren startbereit und konnten wegen des Nebels die PanAm-Maschine nicht sehen. Als die KLM-Maschine um die Startfreigabe bat, kam es auf der Funkfrequenz zu einem Überlagerungseffekt, als der Tower die Freigabe verweigerte und die PanAm-Maschine gleichzeitig warnte, dass sie sich noch auf der Startbahn befinde. Der KLM-Kapitän meinte jedoch, die Startfreigabe verstanden zu haben und beschleunigte seine Maschine. Als die beiden Maschinen Sichtkontakt hatten, versuchte die PanAm-Besatzung auszuweichen, zugleich versuchten die Piloten der KLM-Maschine, ihr Flugzeug hochzuziehen. Die Ausweichmanöver scheiterten.

Bei der Flugzeugkollision starben 335 Menschen an Bord der PanAm-Maschine (61 Überlebende) sowie alle 248 Passagiere und Besatzungsmitglieder an Bord der KLM-Maschine, unter anderem der Chefpilot, Flugkapitän Jaap van Zanten. Beide Maschinen brannten vollständig aus.

Als die Feuerwehr eintraf und immer noch starker Nebel herrschte, begann sie, nur die Wrackteile der KLM-Maschine zu löschen; die PanAm war noch nicht bemerkt worden, da sie sich weiter hinten auf der Startbahn befand. Auch der Tower wusste nicht, dass die Maschine mit einer anderen kollidiert war. So wurde die PanAm-Maschine, in der Überlebende noch mit dem Feuer zu kämpfen hatten, erst später gefunden.

Auszug des Kommunikationsprotokolls

Dieser Auszug ist eine deutsche Übersetzung aus dem Originalprotokoll des Stimmenrekorders.

Nachdem die niederländische 747 die Startposition erreicht und die 180°-Drehung
vollzogen hat, lockert der Nebel ein wenig auf und die Sicht erreicht ca. 700m. Diese
Gelegenheit möchte der KLM-Kapitän nutzen ...

17:05:45 (KLM 1. Offizier)
Äh, die KLM ... vier acht null fünf ist jetzt bereit zum Abheben ...
äh und und wir warten auf unsere ATC Freigabe.

17:05:53 (TENERIFFA TOWER)
KLM acht sieben null fünf äh Sie haben Freigabe zum  Funkfeuer Papa
steigen Sie bis und halten Sie Flughöhe neun null Rechtskurve nach dem Start
Weiterflug Richtung vier null bis zum Strahl drei zwei fünf vom Las Palmas Funkfeuer.

17:06:09 (KLM 1. Offizier)
Äh Roger. Sir, wir haben Freigabe zum Funkfeuer Papa Flughöhe neun null Rechtskurve nach
null vier null bis zum Auffassen des drei vier fünf und wir sind jetzt (am Startpunkt ??).

Die KLM-747 erhält die Freigabe, darf jedoch noch nicht abheben. Der Kapitän ist jedoch
in Eile und erhöht die Schubkraft. Er vergisst, dass sich ein anderes Flugzeug nach wie vor
auf der Rollbahn befindet.
17:06:13 (KLM Kapitän)
We gaan. (Wir gehen) 17:06:19 (TENERIFFA TOWER) OK Gleichzeitig spricht der erste Offizier der PanAm. Durch Überlagerung der beiden Signale des TENERIFFA TOWERS und der PANAM hört die Besatzung der KLM nur ein schrilles Rauschen
17:06:19 (PanAm 1. Offizer) Nein .. äh... 17:06:20.08 (TENERIFFA TOWER) Bereithalten für den Start, Ich werde Sie rufen. 17:06:20.3 (PanAm 1. Offizier) Und wir, Clipper eins sieben drei sechs, rollen immer noch die Startbahn herunter. 17:06:25.6 (TENERIFFA TOWER) Roger Alpha eins sieben drei sechs, benachrichtigen Sie uns, wenn die Rollbahn frei ist 17:06:29.6 (PanAm 1. Offizier) OK, benachrichtigen wenn die Rollbahn frei ist. TENERIFFA TOWER Danke 17:06:32.43 (KLM Flugingenieur) Is hij er niet af dan? {Ist er also noch nicht weg?} 17:06:34.1 (KLM Kapitän) Wat zeg je? {Was sagst Du?} 17:06:34.15 (KLM) Yup. 17:06:34.7 (KLM Flugingenieur) Is hij er niet af, die Pan American? {Ist er noch nicht weg, die Pan American?} 17:06:35.7 (KLM Kapitän) Jawel. {Na klar. - nachdrücklich} 17:06:40.0 Der Kapitän der PanAm sieht die Landelichter der KLM-Boeing in ungefähr 700m Entfernung 1706:44 KLM-Maschine PH-BUF beginnt abzuheben 1706:47.44 Schrei des KLM-Kapitäns
1706:50 Kollision

Ausweislich des o.a. Funk-Protokolls hatte die KLM-Maschine eine Startgeschwindigkeit von 70 Metern pro Sekunde (250 km/h) bevor sie auf die Pan Am - Maschine aufprallte. Die Aufprallgeschwindigkeit betrug also unter Berücksichtigung der nicht bekannten Rollgeschwindigkeit der Pan Am - Maschine etwas mehr, als 250 Stundenkilometer.

Mutmaßungen zur Unfallursache

Es gibt weitere Spekulationen über Unfallursachen, die jedoch nicht überprüfbar sind.

  • Van Zanten war bekannt als Top-Pilot und war außerdem der bevorzugte Pilot für Auftritte in der Öffentlichkeitsarbeit, wie beispielsweise in Zeitungsanzeigen der KLM. Dieser Flug war einer der ersten, nachdem van Zanten als Lehrer neuer Piloten auf einem Flugsimulator war. Einige Experten behaupten, dass er im Laufe der Zeit eine Führungshaltung für sich beanspruchte, da er im Simulator die Verantwortung für alles trug (auch simulierte Flugsicherung). Dies wird als möglicher weiterer Grund für van Zantens Entscheidung gesehen, die Anweisungen des Towers nicht zu bestätigen.
  • Der Flugingenieur unterließ es offensichtlich van Zantens Entscheidungen weiter in Frage zu stellen. Möglicherweise weil dieser nicht nur einen höheren Rang innehatte, sondern auch einer der fähigsten und erfahrensten Piloten der KLM war.
  • Die Möglichkeit, dass Flugkapitän van Zanten in Eile war, um den verspäteten Flug fortzusetzen, um die niederländischen Flugbestimmungen im Bezug auf die Flugzeiten einzuhalten.
  • Das sich verschlechternde Wetter hätte den Flug vollkommen vom Start abhalten können und das Flugzeug wäre gezwungen gewesen in Los Rodeos zu bleiben - mit den damit verbundenen Konsequenzen für die KLM.
  • Unsicheres Vorgehen: Eine Freigabe der Flugkontrolle, die bei schlechter oder nicht vorhandener Sicht vom Tower erteilt wird, ist unsicheres Vorgehen, da die Freigabe auf visuellem Kontakt basiert. Die meisten Behörden erlaubten jedoch die Fortsetzung der Flugkontrolle basieren auf Pilotenangaben, die ihrerseits keine Sicht hatten. Obwohl dieses Vorgehen in einigen Ländern noch praktiziert wird, wird es nach und nach verworfen und abgeschafft und durch den Bau von Bodenradaranlagen ersetzt. Es ist außerdem aufgedeckt worden, dass einige Länder nicht vollkommen mit internationalem Standardvorgehen bei schlechter Sicht vertraut sind. Einige Tower-Fluglotsen akzeptieren es unter der Sicherheitsmaßnahme, dass sich nur ein einziges Flugzeug auf dem Rollfeld befindet. Während es sich dorthin oder von dort weg bewegt wird es vom sogenannten "Follow-Me-Fahrzeug" geführt, welches langsam vor dem Flugzeug fährt und den Piloten leitet.
Die Unsicherheit des zu dem Unfall führenden Vorgehens in Teneriffa zeigte sich erneut bei dem traurigen Vorfall, der sich knapp 25 Jahre später, am 8. Oktober 2001, auf dem Internationalen Flughafen von Mailand. Flug SAS686, eine MD-87, hatte nach Berichten eines Piloten einer deutschen Cessna Citation die Startfreigabe erhalten. Der Pilot der Cessna befand sich irrtümlicherweise auf der falschen Rollbahn. Dem Tower war es nicht möglich dies zu bemerken, da auch hier die Wetterverhälnisse keine ausreichende Sicht ermöglichten.
Die MD-87 fiel auf das die Startbahn kreuzende Flugzeug und kollidierte anschließend mit einem Flughafengebäude. 130 Menschen starben bei diesem Unfall. [1]
  • Außerdem war die nicht-standardisierte Wortwahl und die Mischung verschiedener Sprachen ein allgegenwärtiger Faktor, durch den die Unfälle verursacht wurden. Dies war sowohl in Teneriffa als auch in Mailand der Fall.

Gedenkstätte

Eine Gedenkstätte und Ruheplatz für die Opfer aus der KLM-Maschine befindet sich in Amsterdam auf dem Westgaarde Friedhof.

Konsequenzen

Als flugbetriebliche Konsequenzen aus der Katastrophe gingen unter anderem neue, klarere und weiter gehend standardisierte Funkphrasen hervor. Darüber hinaus wurden Bodenradars Pflicht für internationale Flughäfen. Ein solches hatte in Los Rodeos gefehlt, so dass die Fluglotsen infolge des Nebels Rollfeld und Startbahn nicht hatten einsehen können. Die betroffene Airline KLM änderte ihre Dienstzeitvorschriften für das Personal, um den Stress durch Zeitdruck zu reduzieren.

Auch die Hierarchien im Cockpit wurden gelockert. Hauptmerkmal ist die einvernehmliche Entscheidungsfindung der Cockpitcrew, bei allen großen Airlines mittlerweile zum Trainingsstandard gehört.

Auf Grund häufig vorkommender, gefährlicher Nebel, die das Gebiet um den Flughafen Los Rodeos im Norden von Teneriffa beeinträchtigen können, wurde ein zweiter Flughafen im Süden der Insel gebaut: Reina Sofía Airport. Dieser wickelt nun die meisten kommerziellen In- und Auslandsflüge ab.