Johann Paul Kremer
Johann Paul Kremer (* 6. Dezember 1883 in Stellberg bei Köln, † 1965) war ein Universitätsprofessor, Anatom, Chirurg und KZ-Arzt in Auschwitz-Birkenau.
Hochschul-Karriere
Johann Paul Kremer wurde als Sohn eines Landwirt geboren und besuchte zunächst die Volksschule seines Heimatortes, anschließend die die Höhere Bürgerschule und später das Progymnasium in Wüpperfürth, das er mit der mittleren Reife verließ. Als Externer bestand er 1909 in Trier die Reifeprüfung und studierte in Heidelberg, Straßburg und Berlin Biologie, Mathematik und Philosophie. Nach der Promotion 1914 zum Dr. phil begann er ein Studium der Medizin und bestand 1918 das medizinische Staatsexamen. Danach promovierte er erneut, diesmal zum Doktor der Medizin. In der Folgezeit arbeitete er als Assistenzarzt und Oberarzt an der Charité . Nach Stationen in Bonn als Chirurg und Anatom, war er ab 1927 am Anatomischen Institut der Universität in Münster tätig und habilitierte sich 1929. 1936 wurde er zum außerordentlichen Professor für Anatomie und menschliche Vererbungslehre an die Universität in Münster berufen. Er hielt bis 1945 Vorlesungen in den Fächern Vererbungslehre, Sportmedizin, Röntgenologie und Anatomie.
KZ-Arzt
Am 30. Juli 1932 trat Johann Paul Kremer der NSDAP (Mitgliedsnummer 1 265 405) und 1934 der SS (Mitgliedsnummer 262 703) bei. Während der Semesterferien 1942 meldete er sich zum SS-Lazarett nach Prag und wurde am 29. August 1942 zum Konzentrationslager Auschwitz abgeordnet, wo er am 30. August 1942 eintraf. Er blieb dort bis zum 18. November 1942 aushilfsweise als Lagerarzt. In dieser Zeit war er stellvertretend bei Exekutionen zugegen. Außerdem selektierte er Häftlinge [1] und überwachte als Lagerarzt die Vergasungen der Opfer. Für Forschungen zu den Veränderungen im menschlichen Organismus als Folge von Hunger, insbesondere zur braunen Atrophie, ließ Kramer Häftlinge töten. Er untersuchte in der Ambulanz des Stammlagers Auschwitz Häftlinge, die sich zur Aufnahme in den Häftlingskrankenbau gemeldet hatten. Viele von ihnen waren extrem entkräftet und im Endstadium der Aushungerung. Er ließ sie durch eine Phenolspritze töten und entnahm den noch warmen Leichen Teile von Leber, Milz und Bauchspeicheldrüse. Über seine Zeit in Auschwitz verfasste er ein Tagebuch[2] über den Holocaust aus Sicht eines Täters, in dem Alltägliches neben Unvorstellbarem zu finden ist. Das Tagebuch gehört damit zu einem der furchtbarsten Prosatexte des letzten Jahrhunderts in deutscher Sprache. Es war Beweismittel in zahlreichen Prozessen und wurde sehr häufig zitiert (Auszug siehe unten).
Leben nach dem Krieg
Im August 1945 wurde Kremer von den Briten verhaftet und im ehemaligen NS-Konzentrationslager Neuengamme interniert. Bei einer Hausdurchsuchung wurde sein Tagebuch beschlagnahmt und später den polnischen Behörden zur Verfügung gestellt. Kremer wurde an Polen ausgeliefert und vom Obersten Polnischen Volkstribunal am 22. Dezember 1947 zum Tode verurteilt. Kremer sollte im Januar 1948 hingerichtet werden. Kurz vor dem Hinrichtungstermin wurde er zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe begnadigt und im Januar 1958 wegen guter Führung entlassen. Er wurde in die Bundesrepublik abgeschoben und die Universität Münster bereitete dem Spätheimkehrer' einen feierlichen Empfang.
Kremer wurde vom Schwurgericht in Münster wegen Mordes angeklagt. Am 29. November 1960 verurteilte ihn das Gericht wegen Beihilfe zum Mord in zwei Fällen zu einer Gesamtzuchthausstrafe von 10 Jahren. Die polnische Strafhaft wurde als hinreichende Sühne angesehen und Kremer war frei.
Als Greis sagte Kremer am 4. Juni 1964 im Frankfurter Auschwitz-Prozess aus, diesmal als Zeuge.
Tagebuch
Als Lagerarzt verfasste Kremer 1942 in Auschwitz ein ausführliches Tagebuch, in dem er 15 Selektionen und Vergasungen (Sonderaktion) andeutete.
Auszug:
17.Septb. 1942.
In Berlin bei der Kleiderkasse Allwettermantel bestellt nach Schneidermassen: Bis Taille 48, Ganze Länge 133, Halber Rücken 22, Bis Ellenbogen 51, Ganze Ärmellänge 81, Oberweite 107, Taillenweite 100, Gesäss 124. Uniformbezugsschein dafür beigegeben, d.h. für einen Uniform-Wetterschutzmantel. Heute mit Dr. Meyer das Frauenlager Birkenau besucht.
20.Septb. 1942.
Heute Sonntagnachmittag von 3-6 Uhr Konzert der Häftlingskapelle in herrlichem Sonnenschein angehört: Kapellmeister Dirigent der Warschauer Staatsoper. 80 Musiker, Mittags gabs Schweinebraten, abends gebackene Schleie.
...
17.Okt. 1942.
Bei einem Strafvollzug und 11 Exekutionen zugegen. Lebendfrisches Material von Leber, Milz und Pankreas nach Pilocarpininjektion entnommen. Mit Wirths nach Nikolai gefahren; vorher eröffnete er mir, dass ich länger bleiben müsse.
18.Okt. 1942.
Bei nasskaltem Wetter heute Sonntagmorgen bei der 11. Sonderaktion (Holländer) zugegen. Grässliche Scenen bei drei Frauen, die ums nackte Leben flehen.
19.Okt. 1942.
Mit Ostuf. Wirths und Frau Höss nach Kattowitz gefahren zum Einkauf von Schulterstücken für den Wettermantel. Zurück über Nikolai.
24.Okt. 1942.
6 Frauen von der Budyer Revolte abgeimpft (Anmerkung: ermordet,vermutlich durch bewusste Infektion) (Klehr). (Anmerkung: Budy war ein Außenlager des KZ Auschwitz, in dem 400 weibliche Häftlinge einer Strafkompanie 1942 Gräben ausheben mussten.
25.Okt. 1942.
Heute, Sonntag, bei wunderschönem Herbstwetter Radtour über Roisko nach Budy. Wilhelmy von seiner Fahrt nach Kroatien wieder zurück (Zwetschenschnaps).
31.Okt. 1942.
Seit etwa 14 Tagen wunderschönes Herbstwetter, welches tagaus tagein im Garten des Hauses der Waffen-SS zu Sonnenbädern Veranlassung gibt. Selbst die klaren Nächte sind verhältnismässig mild. Weil Thilo und Meyer auf Heimaturlaub, bin ich mit den Funktionen des Truppenarztes betraut. Wegen notwendiger Reise zu meiner Dienstbehörde 5-tägigen Urlaub zum SS-Lazarett Prag beantragt.
Quellen
- ↑ [1] Bericht eines Opfers
- ↑ Das TB wird genannt bei Fritz Bauer Institut und Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hrsg.): Der Auschwitz Prozess Tonbandmitschnitte, Protokolle und Dokumente. 2. A. 2004 - ISBN 3-89853-501-0, unter: Ausgewählte Beweismittel als Tagebuch von Johannes Paul Kremer (1940/1945) S. 138
Weblinks
- [2] Urteil des Schwurgerichts beim LG Münster 1960 vom 29. November in Auszügen
Personendaten | |
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NAME | Kremer, Johann Paul |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Anatom und KZ-Arzt |
GEBURTSDATUM | 6. Dezember 1883 |
GEBURTSORT | Stellberg bei Köln |
STERBEDATUM | 1965 |