Liliom
Liliom ist der Titel eines Theaterstücks von Ferenc Molnár - Vorstadtlegende in 7 Bildern und einem szenischen Prolog von Franz Molnár. Für die deutsche Bühne bearbeitet von Alfred Polgar.
Inhalt
Der Schausteller Liliom Zadowski ist Ausrufer bei der Karussellbesitzerin Frau Muskat angestellt und ihr Liebhaber. Als er sich in das Dienstmädchen Julie verliebt und diese ein Kind von ihm erwartet, kündigt Frau Muskat ihm. Ohne Arbeit lässt sich Liliom zu einem Überfall verleiten. Der Plan misslingt und Liliom begeht Selbstmord. Doch 16 Jahre später darf er in Begleitung zweier Engel für einen Tag zurück auf die Erde. Er besucht seine Tochter. In seinem Gepäck hat er einen kleinen Stern, den er vom Himmel gestohlen hat.
Inszenierungen
Berühmtheit erlangte die Inszenierung des Stückes durch Michael Thalheimer 2000 am Thalia Theater, unter anderem aufgrund des denkwürdigen Zwischenrufs von Klaus von Dohnányi: "Das ist doch ein anständiges Stück, das muss man doch nicht so spielen!»
1972 inszenierte Rainer Werner Fassbinder das Stück am Schauspielhaus Bochum. Darsteller: Liliom (Wolfgang Schenck), Julie (Hanna Schygulla), Marie (Irm Hermann), Frau Muskat (Margit Carstensen), Luise (Jutta Wachsmann), Fiscur (Kurt Raab), Frau Hollunder (Ingrid Caven), Der junge Hollunder (Rudolf Waldemar Brem), Wolf Beifeld (Peter Kern), Drechsler Linzmann (Rainer Hauer), Stadthauptmann (Ulli Lommel), Berkovice (Karl von Liebezeit), Polizeikonzipist (Margit Carstensen), Zwei Polizisten (Karl von Liebezeit, Ulli Lommel), Liliom im Himmel (Kurt Raab), El Hedi ben Salem (Engel); Musik: Peer Raben
Das Stück diente 1945 Richard Rodgers und Oscar Hammerstein als Vorlage für das erfolgreiche Broadway-Musical Carousel.
Verfilmungen
Das Stück wurde mehrmals verfilmt:
- Liliom (1919) von Michael Curtiz
- Liliom (1930) von Frank Borzage, mit Charles Farrell und Rose Hobart
- Liliom (1934) von Fritz Lang, mit Charles Boyer und Madeleine Ozeray
- Liliom (1963) von Kurt Meisel, mit Josef Meinrad, Inge Konradi, Lotte Ledl, Susi Nicoletti, Lilly Karoly, Otto Kerry, Michael Janisch, Manfred Inger, Hans Moser
- Liliom (1971) von Otto Schenk, mit Helmuth Lohner, Christine Böhm, Gertraud Jesserer, Hilde Krahl, Silvia Lukan
Zeugnisee
Alfred Polgar: Franz Molnár - Liliom
- „Liliom“ ist Franz Molnárs „gutes Werk“, das für den armen literarischen Sünderzeugen wird vor dem Richter, der über Leben oder Tod nach dem Tode bestimmt. Liliom, der Strolch, versucht einen Raubmord. Weil er für sein noch ungeborenes Kind Geld schaffen will. Er gehorcht der Liebe. Aber nicht der Liebe als sanftem Zauber, sondern der Liebe als unentrinnbarem Naturgesetz. Es ist das Schöne an dieser gefühlvollen Dichtung, daß sie Gefühl entpathetisiert. Gut und Böse sind hier nicht sittliche Kategorien, sondern: Kräfte. Unablenkbar wie die ewigen Sterne, bestimmen sie, formen des Menschen Schicksal und bauen seine innere Welt. Liebe ist ein Gegebenes, gleich etwa der Schwere oder der Zentrifugalkraft. Von der Gewalt ihres Befehlens spricht Molnárs Vorstadtlegende … das Rührende des ihr Gehorchens ist nur (weit wertloseres) dichterisches Nebenprodukt.
Die Gefühls-Ebene des Werkes ist durch eine Linie gelegt, in der Brutalität und Zartheit einander schneiden. Dort kann es geschehen, daß Prügel nicht schmerzen und daß eine Welle von Güte einen Mordplan hochschwemmt. Dieses Irrationelle des Herzens – an einem einfachsten Menschentyp in einem einfachsten Beispiel aufgezeigt – gibt dem Spiel seine höhere Ratio. Die Berliner Kritik hat das Stück hochnäsig behandelt, weil es nicht so langweilig, humorlos und verschwitzt ist wie die ihr attachierte Dramatik, deren pathetischer Bockmist längst zu üblem Staub zerfallen sein wird, wenn über Lilioms Erden- und Himmelswandel Menschen noch lachen und weinen werden. Ich bin an der Formulierung des deutschen „Liliom“-Textes beteiligt, liebe das Stück trotzdem, fühle mich befangen und bin, hat die Berliner Kritik recht, mit ganzem Herzen auf Seite des Unrechts. In „Liliom“ ist dichterischer Same, in schwarze, fruchtbare Theatererde gesenkt, zu farbiger Blüte aufgegangen. Ihren feinen Duft kann das bißchen Budapester Kraut, das aus jener mit heraufgedieh – c’est la nature! –, nicht verdecken. Luft und Licht ist in diesem schwerlosen Spiel, seine mit witzigster Akribie geformten Figürchen haben Gesicht und Atem, seine kleine Welt kreist nach ihrem Gesetz und lobt den Schöpfer.
Felix Salten: Franz Molnár – Liliom
- An all den geistreichen Komödien Molnárs, an den vielen klug gesehenen und geschickt „erwischten“ Menschen, die er über die Szene treibt, an der dialektischen Kurve seiner Dialoge hat man immer das eine ziemlich stark gespürt: Budapest. Man spürte es auch in seinem persönlichen Wesen, so oft es durch seine Werke hindurchpulsierte. In einem noch höheren Grade spürt man es an seiner Vorstadtlegende „Liliom“. Aber man spürt es angenehmer – besser.
Es ist eine von seinen früheren Arbeiten und es ist eine von seinen besten. Jugend ist darin, Frische, und ein starkes Wurzeln im heimatlichen Boden. Auch die ganze, merkwürdige Art dieses Talentes, öffnet sich schon in „Liliom“. Die besondere Mischung der Molnárschen Fähigkeiten. Seine Neigung zum Capriccio, seine Lust am Barocken. Sein Ausgleiten ins Unwirkliche. Sein Hang, sich im Phantastischen zu ergehen, ohne dabei eigentliche Phantasie zu besitzen. Vor allem aber seine merkwürdige, dramatische Schlagkraft, die immer ein wenig in Ironie getaucht ist, und sich mit dieser Ironie davor schützt, banal zu erscheinen. Die Komödie Lilioms, des Hutschenschleuderers, des Plattenbruders, der im Stadtwäldchen draußen die Dienstmädchen karessiert, der aus Unkenntnis des Lebens zum Verbrecher, aus Scham vor der Geliebten und vor dem noch ungeborenen Kind zum Selbstmörder wird, der dann in ein besseres Jenseits kommt, in eines, wie sein armes Gehirn sichs ausmalt, ein Jenseits mit Polizeiwachstube und dergleichen, der dann zur Erde wiederkehrt, im Fegefeuer gesänftigt, aber nicht verändert, und dennoch die Kraft hat, seine Hinterbliebenen im Tiefsten zu versöhnen, diese Liliom-Komödie, die halb an einer wohlbekannten, trefflich geschilderten Erde haftet, halb in einem phantasiearmen Himmel schwebt, enthält schon den ganzen Franz Molnár. Mit Ironie und doch mit Wohlwollen sind diese kleinen Leute aus der Tiefe des Volkes angeschaut. Wenn man diese Dienstmädchen vor sich sieht, wie Molnár sie auf die Bühne bringt, dann merkt man, daß er sie vermittels einer seiner stärksten Eigenschaften verstehen gelernt hat: durch seine Sinnlichkeit. Dieser Instinkt erschließt seinem dichterischen Erkennen den Weg zu solch einfachen Geschöpfen. Der sieht, wie sie gutmütig und einfach, und demütig, und selbst im Fallen noch unschuldig sind. Sieht ihr stilles Leiden und ihre Tapferkeit. Wie sie berauscht sind von ihrer Tugend und willenlos ergeben in ihr Schicksal. Er hat ein ironisches Lächeln für diese armen Geschöpfe, aber dabei sehr viel Zuneigung und sehr viel Güte. Er hat in seiner Komödie ein künstlerisch starkes Erfassen volkstümlicher Gestalten. Er sentimentalisiert sie nicht, aber er zeigt ihre Kompliziertheit mit meisterhaften Griffen. Er läßt sie bedeckt vom Staub der Armut, vom Schmutz des Lasters vor uns erscheinen. Aber unversehens, in irgend einem Moment, bläst er den Staub von ihnen fort, und da leuchtet uns eine echte, ja eine reine Menschlichkeit ergreifend entgegen. Dieser Liliom, der im Stadtwäldchen draußen von den Budenbesitzern als Ausrufer gemietet wird, weil er die Frauenzimmer anlockt, dieser Bursche, der in seinem ganzen Äußeren ein Taugenichts ist; hat doch in seinem Wesen nichts vom Verbrecher und vom schlechten Kerl. Er ist in die Irre gegangen, ist ein Verlaufener, hat vom Dasein nie etwas anderes kennen gelernt, als Schaubuden, Hutschen, Ringelspiele, Leierkästen und Weiber, die ihm ihr Geld und ihre Zärtlichkeit schenken. Er hat keine Ahnung von dieser Welt, und er gleicht darin manchen Figuren von Gorki, gleicht darin dem Nikita aus Tolstois „Macht der Finsternis“, daß er ein Kind ist. Die russischen Vorbilder Molnárs werden an dieser Gestalt am deutlichsten sichtbar. Aber seine eigene Art setzt er in diesem Charakter auch wieder am kräftigsten durch. Es ist hübsch, wie Lilioms Herbheit sich nicht bändigen läßt. Er kann nicht gezähmt werden. Sein Gefühl verbirgt er ganz tief in seiner Brust, gibt noch im himmlischen Polizeiamt dreiste Antworten, leugnet nichts so heftig, wie die Liebe und die Reue, die er empfindet, und ist selbst nach sechzehnjährigem Fegfeuer noch so wenig in seiner Art gewandelt, daß er zur Erde für eine Stunde heimgekehrt, nach seiner Tochter schlägt, der er doch etwas Schönes erweisen wollte. Trotzdem hat er ihr, hat seiner einstigen Gefährtin etwas Schönes erwiesen. Die Frau, die er einst mißhandelt hat, erfährt nun, daß man geschlagen werden kann, ohne Schmerzen zu empfinden. Eine Weisheit der Liebe. Molnár vermag es, seine Gestalten in eine interessante Perspektive zu richten, wenn es auch manchmal, wie in den letzten Bilder von „Liliom“, nicht die Molnár-Perspektive ist, sondern mehr an Anatol France erinnert. Er hat in diesem Stück eine große Kunst der Atmosphäre, er hat soziales Empfinden. Und: Talent, Talent, Talent.
Bibliografie
Schlummermärchen (Franz Molnár); aus: Des Zuckerbäckers Goldene Krone, Novellen; Deutsch-Österreichischer Verlag, Wien/Leipzig 1913.
Die Jungens sind alles so (Franz Molnár); aus: Die Panflöte; Oesterheld & Co, Berlin 1912.
Miska (Franz Molnár); aus: Die grüne Fliege, Kurzgeschichten (übersetzt und herausgegeben von Vera Thies.); Eulenspiegel Verlag, Berlin 1985.
Franz Molnár (Alfred Polgar); aus: Kleine Schriften, Band IV (herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki in Zusammenarbeit mit Ulrich Weinzierl); Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1984.
“Liliom” - Der Verfasser über sein Stück (Franz Molnár); anläßlich der “Liliom”-Uraufführung am 7. Dezember 1909 im Budapester Vigszinház Theater wurde Franz Molnár von dem Theatertageblatt “Magyar Szinpad” (“Ungarische Bühne”) aufgedordert, eine Vorankündigung zu “Liliom”in der bewährten Rubrik “Der Autor über sein Stück” zu schreiben. (aus dem Ungarischen von Andrea Seidler)
Epilog zu einem Selbstmordversuch (Franz Molnár); aus: Ferenc Molnár, der lachende Magier - Satiren, Anekdoten, Humoresken (herausgegeben von Sandor Ujváry); Verlag Interbook-Vaduz, München 1965.
Der Zauberer und das kleine Dienstmädchen (Franz Molnár); aus: Kis hármaskönyv (Drei in einem), Erzählungen; Franklin-Társulat, Budapest 1914. (aus dem Ungarischen von Andrea Seidler)
Liliom (Felix Salten); aus: Schauen und Spielen, 2. Band; Wila-Verlag, Wien/Leipzig 1921
Franz Molnar - Liliom (Alfred Polgar); aus: Kleine Schriften, Band 5 (herausgegeben von Marcel Reich-Ranicki in Zusammenarbeit mit Ulrich Weinzierl); Rowohlt-Verlag, Reinbek bei Hamburg 1985.
Alles (oder fast alles) über Franz Molnar (Friedrich Torberg); aus: Die Tante Jolesch oder der Untergang des Abendlandes in Anekdoten; Albert Langen, Georg Müller Verlag, München/Wien1975.
Praterausrufer (Anton Kuh); aus: Der unsterbliche Österreicher, in: Luftlinien - Feuilletons, Essays und Publizistik. (herausgegeben von Ruth Greuner); Löcker Verlag, Wien 1981.
Momentphotograph (Philipp Zeska); aus: Praterbuden, in: Unsterblicher Prater; Obelisk-Verlag, Velden am Wörtersee/Wien 1947.
Wurstelprater (Felix Salten); aus: Wurstelprater mit 75 Originalaufnahmen von Dr. Emil Mayer; Verlag Fritz Molden, Wien/München/Zürich 1973.
Grosse Praterschaukel (Peter Altenberg); aus: Was der Tag mir zuträgt, 1901, in: Ausgewählte Werke in 2 Bänden, Band 1: Aphorismen, Skizzen und Gedichte; Carl Hanser Verlag, München 1979.
Praterabend (Heimito von Doderer); aus: Wien im Gedicht (eine Auswahl von Helmut Leiter); Belvedere Verlag Wilhelm Meissel, Wien 1967.
Phantastische Nacht (Stefan Zweig); aus: Phantastische Nacht, Novellen (herausgegeben und mit einer Nachbemerkung versehen von Knut Beck); Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1982.
Blauboad (H.C. Artmann); us: Med ana schwoazzn dintn - gedichta r aus bradnsee; Otto Müller Verlag, Salzburg 1965.
Im Prater (Josefine Mutzenbacher); aus: Meine 365 Liebhaber - die Fortsetzung meiner Lebensgeschichte; Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1970.
Im Prater (Elfriede Jelinek); aus: Die Klavierspielerin, Roman; Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1983.