Derwisch
Der Ausdruck Derwisch bezeichnet vor allem in den europäischen Sprachen einen Sufi, einen Angehörigen einer muslimischen asketisch-religiösen Ordensgemeinschaft (tariqa), die im Allgemeinen für ihre extreme Armut und Strenge bekannt ist.
Derwische sind Bettler gewesen
Derwische praktizieren den Sufismus und gelten als Quelle der Klugheit, der Heilkunst, der Poesie, der Erleuchtung und der Weisheit. Zum Beispiel wurde Nasreddin (Mulla Nasrudin, Hodscha Nasreddin) zu einer Legende im Orient und Indien (nicht nur für Muslime).
Etymologische Herkunft
Die Bezeichnung kommt aus dem persischen Wort Darvish (درویش darwīsch), das normalerweise einen asketischen Mönch bezeichnet. Dieses letzte Wort wird auch verwendet, um eine unerschütterliche oder asketische Wendung darwaishanathabiyath auszudrücken (wie in Urdu ein asketischer Charakterzug); das heißt, eine Haltung, die materiellem Besitz und dergleichen gegenüber gleichgültig ist. Die volle persische Übersetzung für Derwisch ist „Bettler“. Dabei ist es aber nicht unbedingt wörtlich zu verstehen, dass jeder Derwisch ein Bettler ist; sondern dieser Begriff dient auch als Symbol dafür, dass derjenige, der sich auf dem Weg des Sufismus befindet, seine eigene „Armut gegenüber Gottes Reichtum“ erkennt.
Der Begriff Derwisch selbst leitet sich her vom persischen Wort dar („Tor“, „Tür“), ein Sinnbild dafür, dass der Bettler von Tür(schwelle) zu Tür(schwelle) wandert. In der sufischen Symbolik bedeutet dies auch die Schwelle zwischen dem Erkennen der diesseitigen irdischen (materiellen, siehe auch dunya) und der jenseitigen göttlichen Welt.
Religiöse Praxis
Zahlreiche Derwische legen das Armutsgelübte ab und leben in mönchisch zurückgezogener Askese. Einige wählen die Existenz als Bettler, andere sind berufstätig; ägyptische Qadiriten - in der Türkei Kadiri genannt - sind z. B. Fischer.
Es gibt Derwischvereinigungen (Sufiorden), die über eine spirituelle Kette (silsila) entweder über Ali oder Abu Bakr direkt mit dem Propheten Mohammed verbunden sind. Sie leben nach einer Mönchsregel, in gewissem Sinn manchmal mit christlichen Mönchsorden vergleichbar, es existieren aber auch Unterschiede wie beispielsweise das Gebot zur Führung eines Ehelebens. Verschiedene Ordensgemeinschaften und deren Untergruppierungen sind im Lauf der Jahrhunderte entstanden und auch wieder verschwunden.
Der ekstatische Trancetanz (sema), der im Mevlevi-Orden der Türkei ausgeübt wird, gilt als eine der körperlichen Methoden, in religiöse Ekstase (majdhb, fana) zu verfallen und mit Allah in Kontakt zu kommen (siehe auch dhikr). Rifais, die so genannten „heulenden Derwische“, durchbohren sich mit Messern, fassen rotglühende Eisen an und verzehren brennende Kohlen oder lebendige Schlangen, je nach Gruppenzugehörigkeit.
Andere Gruppen einschließlich der Bektashi, zählen zu den Janitscharen, die wie die Senussi in Nordafrika in ihrem Glauben vergleichsweise orthodox sind. Andere Orden und Untergruppen singen Koranverse, trommeln oder tanzen intensiv, gemäß ihren jeweiligen Traditionen. Einige praktizieren die stille Meditation (z. B. Naqschbandi), wie die meisten Sufiorden in Südasien, manche sind vom Chishti-Orden beeinflusst. Jede Vereinigung hat ein eigenes Ordensgewand und besondere Methoden der Aufnahme und der Initiation, einige von ihnen mit strenger Observanz.
Die tanzenden Derwische sind besonders in der Türkei zu einer touristischen Attraktion geworden, der Heimat des Mevlevi-Ordens aus Konya; einige Tänze werden allein zu diesem Zweck veranstaltet. Jedoch ist dies dort die momentan einzige Möglichkeit diese Arten von Zeremonien auszuüben, denn seitdem am 2. September 1925 Mustafa Kemâl Pascha (genannt Atatürk), der Gründer der Türkischen Republik, sämtliche religiösen Aktivitäten durch Beschluss der großen Türkischen Nationalversammlung (Türk Büyük Millî Meclisi) verbieten ließ, waren davon auch die Rituale der Mevlevi-Derwische betroffen. Seit 1954 darf der Sema anlässlich des Jahrestages von Rumis Tod am 17. Dezember wieder vollzogen werden, allerdings nicht im Mutterhaus der Tariqa, sondern in einer Sporthalle.
Bis zum heutigen Tag steht auf die Erklärung, jemand sei ein Sufi-Sheikh, die Todesstrafe in der Türkei. (Die Todesstrafe ist in der Türkei seit einigen Jahren abgeschafft!)
Historische und politische Verwendung
Westliche Autoren haben des öfteren die Bezeichnung Derwisch historisch ungenau verwendet und unter anderem mit dem Aufstand des Mahdi im Sudan und anderen antikolonialistischen Aufständen in Verbindung gebracht.
Siehe auch
Literatur
- Gerhard Schweizer: Die Derwische - Heilige und Ketzer des Islam ISBN 3-7023-0111-9
- Idries Shah: Die Sufis. Botschaft der Derwische, Weisheit der Magier.
- Michaela M. Özelzel: 40 Tage - Erfahrungsbericht einer traditionellen Derwischklausur.
- Muhyiddin Shakoor: Aufs fließende Wasser geschrieben – Mein Werdegang zum Derwisch. Der Erfahrungsbericht eines westlichen Suchers auf dem Schulungsweg der Sufis. Barth, Bern/München/Wien 1991, ISBN 3-502-67561-9
- Pir Vilayat Inayat Khan: Der Ruf des Derwisch. ISBN 3-922026-07-9
- Reshad Feild: Ich ging den Weg des Derwisch. ISBN 3-499-60456-6