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Wahl-O-Mat

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Der Wahl-O-Mat ist eine von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) betriebene Webpräsenz für interaktive Online-Wahlinformationen. Zusätzlich steht der Wahl-O-Mat seit der Europawahl 2004 auch als herunterladbare Offline-Software und seit der Bundestagswahl 2005 als Handy- und Palm-Version zur Verfügung.

Das Tool basiert auf dem „StemWijzer“ aus den Niederlanden (Instituut voor Publiek en Politiek, IPP). Seitdem wird die Wahlhilfe im Vorfeld von Wahlen auf allen politischen Ebenen eingesetzt. In Deutschland hat die Bundeszentrale für politische Bildung den WAhl-O-Mat zum ersten Mal zur Bundestagswahl 2002 online gestellt, es folgten die Bundestagswahl 2005, sowie eine Europawahl- und mittlerweile 8 Landtagswahl-Versionen.

Das Programm bietet die Möglichkeit, im Internet eine Entscheidungshilfe für Europa-, Bundestags- oder Landtagswahlen zu erhalten. Man bezieht zu circa 30 politischen Thesen Stellung. Diese Stellungnahmen werden dann mit den autorisierten Antworten verschiedener Parteien verglichen. Als Auswertung erhält man ein Diagramm, das einem zeigt, mit welcher Partei man wie stark übereinstimmt. Eine mögliche Gewichtung einzelner Antworten sowie ein detaillierter Vergleich der eigenen Antworten mit den Aussagen der entsprechenden Parteien sind weitere Bestandteile des Programms.

Der Wahl-O-Mat wurde seit 2002 etwa 15 Millionen Mal genutzt. Allein zur Bundestagswahl wurde er über 5 Millionen Mal gespielt. Der Wahl-O-Mat stand im Februar 2006 wieder für die Landtagswahlen Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt zur Verfügung; im September 2006 ebenfalls für die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus am 17. September, nicht aber für die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern am selben Tag. CDU und SPD verweigerten hier die Mitarbeit.

Kritik

Der Popularität stehen auch Einwände gegen den Einsatz des Wahl-O-Mat gegenüber. Die Leistung des Wahl-O-Mats liegt darin, die Komplexität einer politischen Wahl zu reduzieren. Dafür nimmt er einige Auswahlentscheidungen vor. Die Auswahl, Formulierung, Reihenfolge der dreissig Einzelstatements steuert die Antworten wie in jedem Interview erheblich vor. Der Wähler kann diese Auswahlentscheidung nicht nachvollziehen und Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Politikfeldern nicht erkennen. Es entsteht der Eindruck, dass es tatsächlich um diese dreissig Statements gehe und über die unabhängig voneinander ein Meinung gebildet werden könnte.

Ein weiterer Kritikpunkt geht von der Auswahl der Parteien aus. Das deutsche Wahlrecht ist als personalisiertes Verhältniswahlrecht ausgestaltet und sucht die Balance zwischen einem personenorientierten Mehrheitswahlrecht und einem parteienzentrierten Verhältniswahlrecht. Demgegenüber erweckt der Wahl-O-Mat den Eindruck, es ginge nur um Parteien. Er verstärkt damit die ohnehin zunehmend beklagte Tendenz zu einem "Parteienstaat", wie sie vor allem in der Diskussion um Politikverdrossenheit kritisiert wird. Ferner berücksichtigt der Wahl-O-Mat nur größere Parteien. Bei der Bundestagswahl 2005 waren es CDU, CSU, FDP, GRÜNE, Linkspartei und SPD. Alle anderen Parteien bleiben unberücksichtigt. Ebenso sind auch unabhängige Kandidaten und Wählerinitiativen ausgeschlossen, obwohl sie zusammengenommen immer mehr Stimmen für sich gewinnen können. Da kleine Parteien und unabhängige Kandidaten sich ohnehin nur schwer bekannt machen können, werden sie durch den Wahl-O-Mat weiter benachteiligt. Denn Nutzer des Wahl-O-Mat müssen den Eindruck gewinnen, dass es zu den genannten Parteien keine Alternativen gibt. Insofern wirkt der Wahl-O-Mat einer lebendigen und pluralen Demokratie auch entgegen. Die Bundeszentrale für politische Bildung begründet die beschränkte Auswahl der Parteien im FAQ des Wahl-O-Mat mit "der statistischen Unterscheidbarkeit und der Handhabbarkeit des Tools" und nennt zwei Kriterien für die Aufnahme: Eine Partei muss bereits im Parlament vertreten sein oder bei einer Sonntagsfrage vor der Wahl auf mindestens 3 Prozent kommen. Diese Haltung wird auch verständlich, wenn man berücksichtgt, dass in den Aufsichtsgremien des Bundeszentrale fast ausschliesslich die in den Parlamenten vertretenen Parteien präsent sind.

Die Kritik am Wahl-O-Mat entzündet sich aber auch am zugrundeliegenden Demokratiebegriff. Die Fragetechnik des Wahl-O-Mat legt nämlich nahe, dass es in der Demokratie wie auf einem Markt lediglich um die Abfrage von Wählerwünschen gehe. Gegen eine solche Ökonomische Theorie der Demokratie wenden sich zahlreich politische Philosophen (wie zum Beispiel Jürgen Habermas), wenn sie für die Demokratie als ein Verfahren deliberativer Willensbildung eintreten. Es ist schliesslich zu vermuten, dass die Parteien den Wahl-O-Mat zukünftig bei der Formulierung ihrer Parteiprogramme berücksichtigen und so noch stärker strategische Formulierungen wählen werden. Ob der Wahl-O-Mat damit dauerhaft einen wertvollen Beitrag zur Transparenz und politischen Willensbildung darstellt, kann noch nicht abschliessend beurteilt werden. Die Entwicklung der Wahlbeteiligung, die weiterhin abnimmt, lässt Zweifel an einem nachhaltig produktiven Beitrag zur politischen Kultur aufkommen.

Boykottierung

Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2006 boykottierten SPD und CDU in Absprache den Wahl-O-Mat, indem Sie sich weigerten, die darin gestellten Fragen mit ihren Wahlprogrammen abzugleichen. Kritiker sehen dies als bewußtes Vagehalten des eigenen Standpunktes und den Versuch, sich die Tür für eine große Koalition offenzuhalten.