Zum Inhalt springen

Wilhelmine von Bayreuth und ihr orchestre

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 24. November 2021 um 10:22 Uhr durch Motmel (Diskussion | Beiträge) (Verbess.). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.
Markgräfin Wilhelmine (1709–1758) und ihr Orchester 1739. Wilhelmine am Cembalo, ihr Mann, Markgraf Friedrich Flöte spielend in der hinteren Reihe. Hohenzollern-Jahrbuch 1902, S. 150.

Markgräfin Wilhelmine entwickelte ab 1737 das Hoforchester und leitete 20 Jahre lang dessen Geschicke und die Planung von Opern und Konzerten. Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es dieses bedeutende Lackkunst-Gemälde, das heute noch von dieser Arbeit erzählt, auch wenn nur ein Schwarz-Weiß-Foto erhalten ist.

Das Bild

Im Oktober 1739 schickte Wilhelmine von Bayreuth ihrem Bruder Kronprinz Friedrich in Rheinsberg einen Wandtisch, auf dessen Platte „die Hoch Markgräflich Baireuthsche Kapelle“ abgebildet war.[1][2] Das Kunstwerk, das Bayreuther Hoforchester von 1739 darstellend, ist seit dem zweiten Weltkrieg verschollen oder zerstört. Erhalten haben sich verstreut wenige schwarz-weiß-Wiedergaben. Der Kunsthistoriker Paul Seidel erwähnte diesen „Tisch“ in einem Artikel von 1888[3] und Richard Fester veröffentlichte das Bild dann erstmals im Jahr 1902.[4] Nach Seidels Beschreibung (1988), war das Möbel bereits im Berliner Hohenzollernmuseum ausgestellt, dort aber falsch zugeordnet und – so Seidel – der Flötist des Bildes mit Friedrich dem Großen verwechselt worden.[5] Dass es sich dagegen um ein Bayreuther Bild mit Friedrich des Großen Flöte-spielenden Schwagers Markgraf Friedrich handelte, stellte Seidel klar. Er lokalisierte den „lacquirten Tisch“ nach einem Inventar von 1742[6] ursprünglich ins „rote Zimmer“ der Kronprinzessin Elisabeth Christine im Rheinsberger Schloss – wobei lacquirt sich auf das Bild bezieht, obwohl er auf die Besonderheit der Malweise – chinesische Lackkunst – nicht einging. Das Tischplattenbild, um das es hier geht, war eine Rarität und in einer jahrtausendalten chinesische Mal-Tradition gemalt. Das Möbel war dafür vorgesehen, als Wandtisch aufgestellt zu werden, gestützt von „3 vergoldeten Füßen“. Der unbekannte Maler schuf es während der Ausgestaltung der Bayreuther Eremitage durch Wilhelmine; auch das berühmte „Japanische Lack-Kabinett“ befindet sich dort.[7]

Kronprinz Friedrich II., Portrait von Antoine Pesne um 1736
Kronprinzessin Elisabeth Christine, Portrait von Antoine Pesne um 1739

Wilhelmine erklärt ihrem Bruder, der Wandtisch mit dem auf ihren eigenen Entwurf zurückgehenden Bild[8] sei für seinen Musiksaal im Rheinsberger Schloss entstanden und stelle den „kleinen hiesigen Parnass“, ihr augenblickliches Orchester dar.[9] Sie selbst ist darauf als Cembalistin dargestellt, ihr Mann mit der Flöte (wie erwähnt) steht in der Reihe der Streicher. Das Bild präsentiert nicht nur das Bayreuther Markgrafenpaar, sondern zeigt auch den Empfänger Kronprinz Friedrich als Supraporte nach einem Portrait Antoine Pesnes von 1736. Demnach könnte die linke Supraporte dessen Frau Kronprinzessin Elisabeth Christine darstellen, auch wenn deren Armhaltung umgekehrt zum (vermutlichen) Original ausfiel. Die stehende Figur in Präsentierhaltung an Wilhelmines Seite dürfte der bekannte Kastrat Giovanni Carestini sein, der im Bayreuther Hofkalender von 1739 aufgeführt ist. Sie beschreibt in diesem November, ohne seinen Namen zu nennen, einen „Neuengagierten“ [italienischen Sänger], der ein „sehr großer Musiker“ sein soll und ihr von „Hasse und mehreren Personen von Ruf empfohlen“ wurde.[10] Als „sprechende“ Details des Bildes fallen noch deutlich hervorgehobene Notenseiten des Kontrabassisten und des Cellisten auf, die auf das Musikstück zu weisen scheinen, das hier geprobt wird. Leider ist die Schrift auf der kleinen Fotografie nicht mehr zu entziffern. Bruder Friedrich reagiert mit einem Dankesbrief für dieses Geschenk, indem er Wilhelmine ein kleines Gedicht mitschickt:

„Dies Werk, schöner als Indiens Lackarbeit[11]

Stellt dich und deiner Nympfen Schar

Und den Parnass, wo du gebietest, dar.

Apoll in aller seiner Herrlichkeit

Verblasst vor Dir, wie vor der Wahrheit Lichte.

Die Lüge wird zunichte.[12]

Der italienische Kastrat Giovanni Carestini

Die mythischen Bezeichnung Parnass weist auf den künstlerischen Geschmack der Geschwister im Rokoko und den Stellenwert des abgebildeten Orchesters. In diesem Herbst tauschen beide ihre Gedanken auch über selbstgeschriebene Verse aus: Friedrich bekennt, er könne nicht darauf verzichten, Verse zu machen und erinnert seine Schwester an deren gleich gelagerte Ambitionen: „Ich weiß. dass du Apollo ehedem die Ehre erwiesest, in seinem Tempel zu erscheinen, nicht nur als Euterpe [Muse der Musik], sondern auch als Kalliope [Muse der Dichtkunst]. Wie es jetzt damit steht, weiß ich nicht; nur soviel weiß ich, dass es dir damals aufs beste gelang...“.[13] Der Rest des Briefes wird in der Ausgabe von 1924[14] leider vorenthalten, aber es dürfte sich um eine Ermutigung zu Wilhelmines Vorbereitungen zu der von ihr komponierten Oper Argenore handeln, die für das nächste Jahr (1740) zur Einweihung eines neuen „Theatre de l'Opera“ geplant ist.

Wilhelmine

Im Januar 1732 war die preußische Prinzessin Wilhelmine (1709–1758) im brandenburgischen Fürstentum Bayreuth eingezogen, nachdem sie im November in Berlin den Bayreuther Erbprinzen Friedrich geheiratet hatte. Bis zur Regierungsübernahme ihres Gatten im Jahr 1735 gestaltete sie in der Residenz Konzerte, Bälle und weitere Festivitäten (z. B. Wirtschaften), bei denen sie als Cembalistin, Lautenspielerin sowie Komponistin hervortrat.[15] Ihr Mann Friedrich spielte Flöte und Gambe und am Hof ihres Schwiegervaters Georg Friedrich Carl gab es ein festes Musiker-Ensemble.[16]

Das Hoforchester 1739

Markgraf Friedrich delegierte 1737 die Organisation der Bayreuther Hofmusik an seine Frau Wilhelmine.[17] Wie an den Bayreuther Hofkalendern zu verfolgen ist, die ab 1738 erschienen, begann sie, die Musiker des Hofes zu einem modernen Ensemble zu formen und zu einem „Orchestre“ auszuweiten, um Opern zu begleiten. 1738 waren die Instrumentalisten noch unterteilt in „Virtuosen“ und „Accompagnisten“;[18] ein Jahr später wird diese Bezeichnung aufgegeben und das chorische Instumentalspiel deutet sich an.[19] Auf diesem Bild von 1739[20] sind 12 Instrumentalmusiker um ein großes Cembalo versammelt. Auf dessen gechlossenem Deckel stehen die Notenpulte für die Instrumentalmusiker. Der große Geiger von ihnen – wohl Konzertmeister, teilt sein Pult mit einem kleineren, der sich an ihn anlehnt – vielleicht ein Schüler von ihm. Seine Kleidung unterscheidet sich von der der anderen, möglicherweise handelt es sich um eine Frau. Den Grundstock des 4-stimmigen Satzes realisieren die Bassinstrumente, die vom Cembalo zur Verdeutlichung der Harmonien („Generalbass“) unterstützt werden. Das war zur Zeit Wilhelmines eine leitende Rolle. Auffallend ist der ausladende Kontrabass mit dem hohen Griffbrett. Hinter ihm stehen, wiederum eng nebeneinander mit ihren Notenständern, drei Fagotte (oder Bassoni, eine Besonderheit, die auf klangliches Experimentieren mit tiefen Bläserstimmen weist. Eine exponierte Rolle der Bassgruppe hat der Cellist in der Mitte des Bildes. Mit gespannter Haltung und Augenstellung überblickt er gleichzeitig seine Noten und richtet seine Aufmerksamkeit auf Wilhelmine am Cembalo. Das deutet auf Rezitativ-Begleitung, eine gesungene Spezialität theatralischer Musik. Hier probt das Orchester gerade ein Solo mit der Sängerin, die in der hinteren Reihe neben Markgraf Friedrich steht. Sie fällt höchstens dadurch „aus der Rolle“, dass sie als einzige der Personen im Raum keine Perücke trägt, sondern ihr dunkles Haar zeigt. Es dürfte sich um eine Oper handeln und müsste die Oper Argenore sein, die für 1740 geplant ist. In Wilhelmines Partitur zu dieser Oper gibt es tatsächlich zwei Arien mit obligater Flöte, von denen eine gerade geprobt wird, darauf weist Markgraf Friedrichs Flötenspiel. Obwohl für einen Kastraten geschrieben, wird die Arie von einer Sopranistin wiedergegeben, denn es fehlt noch die Truppe der italienischen Sänger. Leicht geneigt zu Wilhelmine ist ein Umblätterer, um die Noten-Seite des Cembalo-Heftes umzuwenden; hinter ihm drei Damen mit und ohne Noten in Wartestellung. Gegenüber, hinter der Bassgruppe, tauschen sich zwei freundliche Beobachter über das Geschehen aus.

Siehe auch

Hohenzollernmuseum

Einzelnachweise

  1. Gustav Berthold Volz: Friedrich der Große und Wilhelmine von Baireuth. Jugendbriefe 1728 – 1740. Berlin 1924, S. 424.
  2. Paul Seidel: Friedrich der Grosse als Kronprinz in Rheinsberg und die bildenden Künste. In: Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen, 9. Bd., Berlin 1888, S. 112.
  3. Wie angegeben.
  4. In: Richard Fester: Markgräfin Wilhelmine und die Kunst am Bayreuther Hofe. Hohenzollern-Jahrbuch, Berlin 1902, S. 150.
  5. Vielleicht in Anlehnung an Adolf Menzels Bild „Flötenkonzert Friedrichs des Großen“.
  6. Seidel S. 110.
  7. Siehe Weblinks.
  8. Laut ihres Briefes
  9. Jugendbriefe S. 424.
  10. Jugendbriefe S. 429, 29. November 1739.
  11. In der Literatur wird variierend von chinesischer, japanischer oder auch indischer Lackkunst gesprochen.
  12. Jugendbriefe S. 425. Deutsch von Friedrich von Oppeln-Bronikowky, dem Übersetzer der Briefausgabe.
  13. Jugendbriefe S. 427 (15. November).
  14. Volz/von Oppeln-Bronikowsky.
  15. Orte: Das Bayreuther Schloss, das Schloss im Vorort St. Georgen und die Bayreuther Eremitage.
  16. S. Hartmann: und Irene Hegen:
  17. Jugendbriefe S. 365 (Dez. 1737).
  18. Hofkalender 1738
  19. Hofkalender 1739
  20. Brief Oktober 1739