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Sichelzellanämie

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Datei:Sichelzellen.jpg
sichelförmige rote Blutkörperchen

Die Sichelzellenanämie, auch Sichelzellanämie (englisch: "sickle cell anemia", französisch: "drépanocytose", spanisch: "anemia falciforme") ist eine erbliche Erkrankung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Die Betroffenen bilden einen abnormen roten Blutfarbstoff (Hämoglobin), wodurch sich ihre roten Blutzellen insbesondere bei Sauerstoffarmut zu sichelförmigen Gebilden verformen. Die solchermaßen veränderten Erythrozyten (rote Blutkörperchen) werden vor allem in der Milz als krank erkannt und abgebaut (Hämolyse).

Merkmale

Der Verlust roter Blutkörperchen Anämie und rezidivierende Durchblutungsstörungen führen zu starken Schmerzen und multiplen Organveränderungen sowie -schäden: Milzschwellung, Lungenentzündung, Herz- und Nierenversagen. Die Lebenserwartung ist vermindert.

Nur homozygote Träger des Sichelzellgens zeigen diese starke Ausprägung der Krankheit, bei der das gesamte Hämoglobin abnormenes Sichelzell-Hämoglobin ist. In heterozygoten Trägern sind nur etwa 1 % aller Erythrozyten deformiert. Die Symptome verschlimmern sich erheblich, wenn die Patienten körperlich stark aktiv sind oder sich in großen Höhen befinden. Dies liegt daran, dass sich die Sichelform der Erythrozyten bei niedrigem Sauerstoffpartialdruck bildet, weil unter diesen Bedingungen das Hämoglobin faserig ausfällt (die Löslichkeit von Hämoglobin bei Sichelzellanämie ist 25fach geringer als die Löslichkeit von normalem Hämoglobin).

Etwa ab dem 6. Lebensmonat, wenn der Abbau des fetalen Hämoglobins bereits weit fortgeschritten ist, können erstmals Symptome auftreten. Sie äußern sich dann meist in einer sogenannten Sichelzellkrise: durch äußere Einflüsse, wie z.B. Anstrengung, sinkt der Sauerstoffpartialdruck im Blut, die Sichelzellen werden hämolytisch.

Ursache

Ursache ist eine Punktmutation im Gen der ß-Kette des Hämoglobins auf Chromosom 11. Nachfolgend ist ein Ausschnitt aus den Eiweißketten des Hämoglobins A (HbA, Bestandteil funktionstüchtiger Eythrozyten) und des Hämoglobins S (HbS, Hämoglobin der Sichelzellanämie), angegeben. Die ß-Kette des Hämoglobinmoleküls besteht aus 146 Aminosäuren.

Hämoglobin A: Met Val His Leu Thr Pro Glu Glu ...
Hämoglobin S: Met Val His Leu Thr Pro Val Glu ...
Position: Start 1 2 3 4 5 6 7 8 ...

In Position 6 des Gens ist das für die Aminosäure Glutaminsäure (Glu) codierende Basentriplett im codogenen Strang der DNA von CTC nach CAC verändert. Das Basentriplett GUG codiert aber die Aminosäure Valin (Val). Dadurch wird an dieser Stelle die hydrophile Aminosäure Glutaminsäure durch eine hydrophobe Aminosäure ersetzt. Dies führt zu einer Destabilisierung des Verbandes der Hämoglobine im roten Blutkörperchen, wodurch deren Lebensdauer von ca. vier Monaten auf vier Wochen verkürzt wird.

Genetik

Sichelzellenanämie ist ein autosomal rezessives Erbleiden.

  1. Das Erbgut eines Gesunden enthält die beiden unvollständig dominanten (Auf molekularem Niveau sind A und a codominant) Allele (AA) für das Hämoglobin A. Seine roten Blutkörperchen sind stets elastisch.
  2. Ein Überträger (Konduktor) mit dem Genotyp Aa (=heterozygot) enthält sowohl das Allel A als auch das rezessive Allel a, welches das veränderte Hämoglobin S verursacht. Seine roten Blutkörperchen enthalten HbA und HbS im Verhältnis 1:1. Unter Normalbedingungen zeigen die roten Blutkörperchen keine Veränderungen, die Krankheit kommt nicht zum Ausbruch. Erst unter sehr starkem Sauerstoffmangel verformen sich die roten Blutkörperchen zu sichelförmigen Gebilden, was die Durchblutung der Organe beeinträchtigt.
  3. Ein Träger des Genotyps aa (=homozygot) stellt nur das veränderte HbS her. Schon unter physiologischem Sauerstoffmangel, wie er z. B. in den Kapillaren Sauerstoff verbrauchender Organe herrscht, kommt es zu einer starken Verformung der roten Blutkörperchen. Sie verlieren ihre Elastizität und verhaken leicht miteinander. Dadurch kommt es zu einem Verschluss der Kapillaren. Unter normalen Bedingungen ist das Hämoglobin in den roten Blutkörperchen stets fein verteilt. Bei abnehmendem pH-Wert und Sauerstoffgehalt des Blutes kommt es beim HbS zu einer Verklumpung der Hämoglobinmoleküle zu stäbchenförmigen, kristallinen Gebilden. Dadurch wird der Erythrozyt sichelförmig verformt und verliert seine Elastizität.

Diagnose

Stammbaumanalyse

Sind die Genotypen der Eltern bekannt, kann die Wahrscheinlichkeit berechnet werden, mit der die Sichelzellenanämie bei einem Kind auftritt:

Genotyp der Eltern Genotypen der Kinder Wahrscheinlichkeit Phänotyp der Kinder
AA x AA
AA
100 % gesunde Kinder
AA x Aa
AA
50 % alle Kinder gesund
Aa
50 % die Kinder sind zwar gesund, aber auch Überträger
Aa x Aa
AA
25 % gesunde Kinder
Aa
50 % Überträger
aa
25 % Kinder haben Sichelzellenanämie
AA x aa
Aa
100 % die Kinder sind zwar gesund, aber auch Überträger
Aa x aa
Aa
50 % Überträger
aa
50 % Kinder haben Sichelzellenanämie
aa x aa
aa
100 % alle Kinder haben Sichelzellenanämie

Gelelektrophorese

Da erst unter extremem Sauerstoffmangel eine Veränderung der roten Blutkörperchen von Überträgern (Genotyp Aa) auftritt, lässt sich durch Untersuchung der roten Blutkörperchen unter dem Mikroskop der Genotyp AA nicht vom Genotyp Aa unterscheiden. Dagegen lässt sich mit Hilfe der Elektrophorese eindeutig der Genotyp bestimmen: Dazu wird den Probanden Blut entnommen und aufbereitet, bis reines Hämoglobin vorliegt. Dieses wird auf ein Gel aufgetragen. Im elektrischen Feld wandern die beiden Hämoglobinsorten unterschiedlich weit, da HbS auf Grund seiner Mutation langsamer ist als HbA.

Elektrophorese Sichelzellenanämie

Restriktionsanalyse

Zufällig enthält der Abschnitt des Beta-Globulin-Gens eine Schnittstelle für das Restriktionsenzym MstII mit der Erkennungssequenz 5´-CCTNAGG-3´ (wobei N = irgendeine Base). Durch die Punktmutation wird die Schnittstelle für MstII zerstört. Das bedeutet, dass die Mutation einen Restriktionsfragment-Längenpolymorphismus (RFLP) zur Folge hat.

Vorgehen:

  1. Isolierung der DNA
  2. Vervielfältigung durch PCR (Polymerasekettenreaktion)
  3. Zugabe von MstII
  4. Fragmentlängenanalyse per Gelelektrophorese wobei mutierte DNA-Fragmente aufgrund ihrer größeren Länge weniger Weg zurücklegen als die DNA-Fragmente gesunder Personen

Verbreitung

Auffallend ist, dass in Gebieten der Malaria das Sichelzellen-Allel relativ häufig ist. Dies erklärt sich daraus, dass es gegen Malaria eine Resistenz verleiht, so dass die gesunden Überträger (Aa) Träger des Sichelzellenallels in diesen Gebieten einen Evolutionsvorteil (den sogenannten "Heterozygotenvorteil") gegenüber denen ohne Sichelzellenallel (Genotyp AA) haben, die eher an Malaria sterben, und auch gegenüber den an Sichelzellanämie leidenden (Genotyp aa) haben, die vorzeitig an Sichelzellanämie sterben. In Afrika gibt es beispielsweise Gegenden, in denen fast ein Drittel der Bevölkerung heterozygot für dieses Merkmal ist. In den anderen Weltgegenden kommt das Sichelzellenallel praktisch nicht vor, da hier dieser Selektionsvorteil auf Grund der fehlenden Malaria nicht wirksam ist. In Deutschland werden jährlich etwa 300 Ausbrüche festgestellt. In der schwarzen Bevölkerung tritt Sichelzellenanämie mit einer Häufigkeit von 4:1000 auf und führte bei homozygoten Trägern unbehandelt oft vor dem 30. Lebensjahr zum Tod.

Malariaresistenz

Befallen die Plasmodien, die die Malaria verursachen, Erythrozyten, so setzen die Mikroben nach einiger Zeit Säuren als Abfallprodukte ihres Stoffwechsels frei. Die Folge ist klar: Die Erythrozyten, von H+Ionen angeregt, geben nun ihren Sauerstoff ab. Die Sichelform betrifft aber vor allem die Desoxyform der Erythrozyten. Also werden die befallenen Zellen schnell zu Sichelzellen und diese werden dann in der Milz samt Mikroben abgebaut. Daraus erklärt sich die Resistenz der Träger der Sichelzellenanämie gegenüber Malaria. Datei:Sza.jpg