Symbolismus (Literatur)
Der Symbolismus ist eine im späten 19. Jahrhundert in Frankreich entstandene literarische Richtung, die im Gegensatz zum Realismus und Naturalismus durch idealistische Züge gekennzeichnet ist, sich gegen den Positivismus richtet und neue Entfaltungsmöglichkeiten anstrebt.
Geschichtlicher Hintergrund
Die Epoche des Symbolismus begann etwa 1890 und endete etwa 1920. Seine Wurzeln sind in den gesellschaftlichen Umwälzungen und historischen Ereignissen des 19. Jahrhunderts zu suchen, z.B. der Industrialisierung, des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts und der Entstehung des Materialismus und philosophischen Positivismus. Mit der Zeit machte sich der Verzicht auf abstrakte Werte und idealistisch-ästhetische Empfindungen auch in der Literatur bemerkbar, hauptsächlich im Realismus und im Naturalismus. Doch das neu entstandene rationalistische Weltbild war kein einheitliches und wurde durch zahlreiche Entdeckungen in den Bereichen der Mathematik und Physik, z.B. Röntgenstrahlen, Radioaktivität und wenig später der Relativitätstheorie, immer wieder in Frage gestellt. Diese Krise des positivistischen Weltbilds und der herkömmlichen Religion und Moral sowie die Auffassung der Welt als unzulänglich erfasst führte zusammen mit der Aufbruchstimmung der Fin-de-Siècle-Kultur zu der Suche nach neuen Entfaltungsmöglichkeiten.
Stilmittel und Kennzeichen
Für die französischen Symbolisten erwies sich einzig das Symbol als ein Ganzes, als ein stil-technisches Element, welches die Ganzheit der künstlerischen Abbildung der Welt gemäß den ästhetischen Idealen ermöglicht. Daher ist das Symbol, obwohl es als subjektiver Eindruck erscheint, als einheitlich bedeutsames Stilmittel anzusehen. Der symbolistische Dichter schafft aus Bruchstücken der realen Welt Symbole, Sinnbilder, die, neu zusammengesetzt, eine Welt der Schönheit beziehungsweise der ideellen, ästhetischen und oft auch spirituellen Vollkommenheit ergeben sollen.
Wichtig dabei ist, dass ästhetische Wahrheiten nicht direkt zu beschreiben, sondern durch indirekte Stilmittel zu evozieren sind. Der Symbolist verbindet die Elemente seines Werkes nicht auf herkömmliche Art und Weise, indem er Verbindungen zwischen den Worten nur mit Hilfe von Metaphern, Vergleichen und anderen Stilmitteln schafft, sondern indem er eine Art Affinität oder tiefer Verwandtschaft zwischen Dingen und Worten ergründet und sich dadurch seinem Ideal annähern kann.
Zu diesem Zweck werden jedoch auch Stilmittel wie Synästhesie und Onomatopoeia eingesetzt, mit deren Hilfe sämtliche Zusammenhänge zwischen Geruch, Klang, Farbe sowie dem Sinn eines Wortes und seiner näheren Bedeutung erarbeitet werden. Dabei spielt oft die gesteigerte Musikalität des Gedichts eine große Rolle in der symbolistischen Poesie, wobei eine experientielle Einheit angestrebt wird, die nicht rationalisierbar ist.
Stets ist der Sinnhorizont der Sache wichtig, der viele andere Sachen miteinschließt und auf ein Gesetz im Weltganzen hindeuten soll, das immer-gegenwärtige Wesen der Sache, das gültige, zeitlose, erlesene. Ein symbolistisches Gedicht beispielsweise beschreibt die Sache beziehungsweise den höheren Sinn nicht direkt, sondern umschreibt es immer wieder von allen Seiten, bis der Mittelpunkt beziehungsweise der höhere Sinn unmissverständlich darliegt. Eine Vereinigung der inneren und äußeren Welt wird angestrebt. In diesem metaphysischen Sinne des Symbols besteht auch ein Zusammenhang zwischen der idealistischen Philosophie Immanuel Kants, dessen Unterscheidung zwischen Phänomen und Noumenon sich deutlich auf den Symbolismus auswirkt.
Der Symbolismus möchte weder die gesellschaftliche Wirklichkeit, wie z.B. der Realismus, noch persönliche Empfindungen oder subjektive Reaktionen auf äußere Ereignisse, wie Romantik und Impressionismus, darstellen. Er schafft eine ästhetische oder mystische Kunstwelt, die für ihn ebenso der "Realität" entspricht; die symbolistische Dichtung bildet im gleichen Maße ab, wie sie bildet.
Zum Teil erhoffen sich die Symbolisten gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen, vor allem während der späteren, weniger dekadenten Phase der Strömung, zum Beispiel in Russland. Manche Dichter erwarteten einen neuen Menschen (siehe Nietzsches "Übermensch") für ihre Gedichte. Teilweise besteht auch eine kritische Distanz zum Alltagsleben und den selbstzufriedenen Bürgern.
Der Symbolismus auf internationaler Ebene
Nach dem französischen Symbolismus spielen auch der russische und der deutsche Symbolismus eine größere literaturhistorische Rolle.
Französischer Symbolismus
Am 18. September 1886 veröffentlichte Jean Moréas das Manifest "Le Symbolisme", in dem er die Abneigung der Symbolisten für "klaren Sinn, Deklamationen, falsche Sentimentalität, und sachliche Beschreibung" bekundete und als ihr Ziel angab, "das Ideal in erkennbare Form zu kleiden", dessen "Ziel nicht in sich selbst liegt, sondern darin, das Ideal auszudrücken."
In Frankreich war die Entstehung des Symbolismus auch mit der Strömung der Dekadenz und der Kultur des Fin de siècle verbunden, sollte aber nicht ausschließlich damit identifiziert werden.
Nach Charles Baudelaire waren Stéphane Mallarmé (1842-1895), Paul Verlaine (1844-1896) sowie Arthur Rimbaud die wichtigsten Vertreter des französischen Symbolismus.
Russischer Symbolismus
In Russland fand der Einfluss des französischen Symbolismus großen Anklang während des silbernen Zeitalters der russischen Literatur, eine Epoche, die durch enorme kulturelle und künstlerische Tätigkeit gekennzeichnet war. Nach dem französischen gilt der russische Symbolismus mithin als wichtigster Auswuchs der Strömung und währte dort von circa 1892 bis 1920. Wie auch in Frankreich war der Symbolismus in Russland eine relativ einheitliche Bewegung, die ihre zentralen Ansichten oft in Manifesten vertrat. Darin besteht auch ein wesentlicher Unterschied zu späteren Strömungen wie der des Akmeismus.
Die Bewegung entsteht 1892 mit Dimitri Merezhkowskis Vorlesung über neue Strömungen in der zeitgenössischen Literatur. 1893 veröffentlicht Waleri Brjusow die Anthologie Russische Symbolisten. Er gilt als Führer der frühen Symbolisten, während Dimitri Merezhkowski als deren Ideologe gilt.
Auch in Russland war der Symbolismus eine Reaktion auf den Materialismus und seine Auswirkungen in der Literatur des Naturalismus. In seinen theoretischen Schriften spaltet auch Balmont die Literatur in realistische und symbolistische Tendenzen und verwirft den Realismus als ausgedient. Der Symbolismus ist für ihn eine neue gewaltige Form der Kunst, die er mit dem Typ der dionysischen Poesie verband und die für ihn die Unabhängigkeit des Individuums und die Bedeutung der Personalität bedeutete. Darüber hinaus war der Symbolismus, z.B. für Brjusow, in der Lage, die Realität in Form einer anderen, ideellen Welt zu erschließen.
In Russland lässt sich die Bewegung mit großer Genauigkeit in zwei Gruppen, die sogenannten jüngeren und älteren Symbolisten teilen, die jedoch nicht nur zeitlich, sondern hauptsächlich inhaltlich differenziert werden müssen. Zu den älteren (russisch: старшиe символисты) zählen Innokenti Annenski, Valeri Brjusow, Konstantin Balmont, Zinaida Gippius, Dimitri Merezhkowski, Fjodor Sologub, zu den jüngeren (russisch: младосимволистов), Andrei Bely, Aleksandr Blok, und Vjatscheslaw Iwanow.
Die älteren Symbolisten standen dem französischen, dekadenten Symbolismus näher, der den ästhetisierenden Aspekt betonte. Sie legten Wert auf geistig-ideelle Werte, sahen in der Kunst einen Weg zur Erschließung der Welt, legten jedoch auch großen Wert auf die Person des Dichters und sahen sich selbst als eine Art Medium. Darüber hinaus war die Poesie der älteren Symbolisten von philosophischer, spiritueller und fast mystischer Art.
Deutscher Symbolismus
Die wichtigsten Vertreter des Symbolismus in Deutschland sind Rainer Maria Rilke, der junge Stefan George und Hugo von Hofmannsthal.