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Blut und Eisen

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„Blut und Eisen“ ist eine seit den napoleonischen Kriegen verwendete politische Metapher. Mit ihr verband sich im 19. Jahrhundert die Vorstellung einer durch kriegerische Mittel herbeigeführten deutschen Nationalstaatsgründung. An Bekanntheit gewannen die Schlagworte „Blut und Eisen“ durch eine Rede, die der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck während des preußischen Verfassungskonfliktes am 30. September 1862 vor der Budgetkommission des preußischen Abgeordnetenhauses hielt. In der Folge sahen sowohl Gegner als auch Anhänger des Ministerpräsidenten „Blut und Eisen“ als einen Hauptgedanken der bismarckschen Politik an. Der Historiographie dient die Formel „Blut und Eisen“ häufig einer Umschreibung für die preußische Politik der deutschen Einigungskriege.

Vorgeschichte

Die Schlagworte „Blut und Eisen“ erlangten während der Koalitionskriege Anfang des 19. Jahrhunderts Bedeutung. Mit ihnen warben Anhänger des deutschen Nationalismus um einem Kampf gegen die Herrschaft Napoleons.[1] Dahinter stand die Idee, nur mit kriegerischer Gewalt eine deutsche Nationalstaatsgründung durchsetzen zu können. Insbesondere im liberalen Bürgertum blieb eine solche Vorstellung in den folgenden Jahrzehnten weit verbreitet.[2] Die „Blut und Eisen“-Metaphorik schlug sich auch in nationalistischen Gedichten der Schriftsteller Max von Schenkendorf, Theodor Körner und Ernst Moritz Arndt nieder. Ihre Lyrik trug laut dem Germanisten Gunnar Müller-Waldeck dazu bei, dass „Blut und Eisen“ sich zur Chiffre „eines heroisch-paternalistischen Wertesystems“ entwickelte. Inhärent sei dem Topos auch das Ideal eines „wehrhaften Volkskaisertums“.[3]

„Blut und Eisen“ spielen vor allem in einem 1813 geschriebenen Lied des Studenten und Kriegsfreiwilligen Max von Schenkendorf eine Rolle:

„Denn nur Eisen kann uns retten,
Und erlösen kann nur Blut
Von der Sünde schweren Ketten,
Von des Bösen Übermut.[4]

„Blut-und-Eisen“-Rede

Der 1862 zum preußischen Ministerpräsidenten ernannte Otto von Bismarck griff die „Blut und Eisen“-Phrase während des preußischen Verfassungskonfliktes auf. Hintergrund war ein Streit um militärpolitische Fragen zwischen preußischem Abgeordnetenhaus und der Krone. Das Abgeordnetenhaus hatte am 23. September 1862 alle Kosten für die Heeresreform aus dem Staatshaushalt gestrichen und schickte eine Budgetkommission zu Verhandlungen mit der Regierung. Bei der Sitzung am 30. September 1862 versuchte Bismarck während einer Rede, den Konflikt herunterzuspielen und stellte den Abgeordneten die Möglichkeit einer gemeinsamen Außenpolitik in Aussicht.[5] In der Rede fielen die berühmten Worte von „Eisen und Blut“:

„Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht [...] Preußen muß seine Kraft zusammenfassen und zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Male verpaßt ist; Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen –, sondern durch Eisen und Blut.“[6]

Mit der Formulierung versuchte er, das preußische Abgeordnetenhaus für die Heeresreform zu gewinnen. Er argumentierte, dass die Revolution von 1848/1849 ihr Ziel einer nationalstaatlichen Einigung aufgrund fehlender militärischer Machtmittel verfehlt habe.[7] Der Historiker Lothar Gall interpretiert Bismarcks Worte als „Kooperationsangebot im Sinne einer entschieden voranschreitenden kleindeutsch-nationalen Politik“.[8] Michael Epkenhans warnt hingegen vor einer Überbewertung der „Blut und Eisen“-Rede. Bismarck sei es in erster Linie nicht darum gegangen, „die kleindeutsche Lösung, so wie sie die Nationalbewegung forderte, zu verwirklichen“. Vielmehr sei für Bismarck entscheidend gewesen, eine gegenüber Österreich gleichberechtigte Stellung im Deutschen Bund zu erhalten. Für eine solche Machtsteigerung Preußens sei Bismarck auch bereit gewesen, „sich die Wünsche der Nationalbewegung [...] zu eigen [zu] machen“.[9] Auch Dieter Hein meint, dass die Rede auf kein „fest umrissenes nationalpolitisches Programm“ Bismarcks rückschließen lässt. Das Bild einer von Beginn an auf die nationale Einigung Deutschlands abzielenden Politik des neuen Ministerpräsidenten sei eher eine nachträgliche Zuschreibung der Zeitgenossen.[10]

Bismarcks ursprünglicher Wortlaut „Eisen und Blut“ wurde bereits wenig später in der umgestellten Form von „Blut und Eisen“ öffentlich bekannt. Die Rede löste Protest bei den Abgeordneten aus. Sie und die liberale Öffentlichkeit warfen Bismarck vor, eine „auf außenpolitische Abenteuer gestützte Gewaltherrschaft“ (Kolb) etablieren zu wollen.[11] Auch die Presse stellte Bismarck unter Verweis auf die „Blut-und-Eisen“-Rede als einen „skrupellosen Gewaltmenschen“ dar.[12] Ziel einer „Blut und Eisen“-Politik sei es durch künftige außenpolitische Erfolge von innenpolitischen Konflikten abzulenken.[13] Bismarck selbst versuchte, einer solchen Interpretation entgegenzutreten. Kurz nach seiner Rede – noch während der Sitzung – erklärte er:

„Auswärtige Konflikte zu suchen, um über innere Schwierigkeiten hinwegzukommen, dagegen müsse er sich verwahren; das würde frivol sein; er wolle nicht Händel suchen; er spreche von Konflikten, denen wir nicht entgehen würden, ohne daß wir sie suchten.[14]

Auch bekannte Persönlichkeiten Preußens äußerten sich über Bismarcks Worte. Der Schriftsteller Rudolf Löwenstein, ein Abgeordneter der Berliner Fortschrittspartei, kehrte im Oktober 1862 während einer Rede vor Parteifreunden die ursprüngliche Bedeutung von „Blut und Eisen“ um: Eine nationale Einheit Deutschlands werde so sicher „wie ein Naturgesetz mit Nothwendigkeit sich erfüllen müsse[n]; freilich nicht durch Eisen und Blut, sondern vielmehr durch Eisen und Kohle“. Damit griff Löwenstein die damals weit verbreitete Vorstellung auf, dass der damalige wirtschaftliche Boom die deutschen Staaten zusammenführen würde. „Eisen und Kohle“ bildeten dabei eine wichtige Grundlage. Allein die Menge der geförderten Steinkohle stieg im Raum des Deutschen Zollvereines von 3,5 Millionen Tonnen im Jahr 1850 auf 26,3 Millionen Tonnen im Jahr 1869. Im gleichen Zeitraum wuchs die Fertigungsmenge des Roheisens von 220.000 Tonnen auf 1.413.000 Tonnen an.[15]

Nachwirkung

Bismarck-Mythos

Das kriegerische Image als „Mann von Blut und Eisen“ wurde ein fester Bestandteil des Bismarck-Mythos.[16] Gegner wie Befürworter Bismarcks sahen „Blut und Eisen“ als einen Hauptgedanken seiner Politik an. Das Bild des „Eisernen Kanzlers“ wurde durch die Kriege gegen Dänemark 1864, gegen Österreich 1866 und gegen Frankreich 1870/1871 weiter zementiert. Bismarck stand nun endgültig in dem öffentlichen Ruf des Kriegstreibers, wobei meist übersehen wurde, dass es auch auf Seiten der preußischen Kriegsgegner Gruppen gab, die zu einer aggressiven Außenpolitik bereit waren. Die kriegerische Charakterisierung Bismarcks in der Öffentlichkeit hatte auch Bestand, nachdem Bismarck dazu überging, keine weitere Expansion des Deutschen Reiches mehr anzustreben.[17]

„Blut und Eisen“ erfuhr einige Jahre nach der Rede von 1862 eine positive Umdeutung: Bismarck habe in einem Kampf der deutschen Kultur gegen die romanischen Völker durch „Blut und Eisen“ bzw. den Einigungskriegen den deutschen Nationalstaat geschaffen. Damit sei einer jahrhundertelangen Bevormundung Deutschlands durch die Nachbarstaaten ein Ende bereitet worden. Mit der Erzählung wurde im Ersten Weltkrieg eine hohe Opferbereitschaft eingefordert.[18]

Deutsche Kaiserreich

1898 nutze Kaiser Wilhelm II. die Metapher von „Blut und Eisen“ zur Rechtfertigung der sogenannten Zuchthausvorlage. Dem gegen die sozialdemokratische Arbeiterbewegung gerichteten Gesetzentwurf ging ein Maurerstreik in Potsdam voraus. Der Monarch sah den öffentlichen Protest in unmittelbarer Nähe zu seiner Residenz als Provokation. Er sprach im Kronrat davon, sich „im Notfall auf die Bajonette zu stützen, da es scheint, dass in Deutschland ohne Blut und Eisen auch im Innern gesunde Zustände nicht herbeizuführen sind“. Damit übertrug er die „Blut und Eisen“–Phrase auch auf den Bereich der Innenpolitik. Die daraufhin ausgearbeitete Gesetzesvorlage der Regierung sollte die Möglichkeit zu streiken, massiv einschränken. Die Ablehnung des Gesetzentwurfes durch den Reichstag ließ das Vorhaben des Kaisers jedoch scheitern.[19]

Historiografie

Der Historiker Christoph Jahr betont in seiner Monografie „Blut und Eisen. Wie Preußen Deutschland erzwang“, dass nicht allein „Blut und Eisen“ die preußisch-deutsche Reichsgründung ermöglichten. Neben den kriegerischen Umständen beförderten auch weitere Faktoren wie die Industrielle Revolution und eine an Bedeutung gewinnende nationale Ideologie die Einigung.[20]

Einzelnachweise

  1. Amerigo Caruso: Nationalstaat als Telos. Der konservative Diskurs in Preußen und Sardinien-Piemont 1840–1870. Berlin 2017. ISBN 978-3-11-054207-3, S. 398.
  2. Christoph Jahr: Blut und Eisen. Wie Preußen Deutschland erzwang. 1864–1871. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75542-2, S. 99.
  3. om Durst nach Franzosenblut, Beobachtungen um Arndts Hassgesänge und ihr historisches Schicksal. In: Ernst Moritz Arndt in seiner Zeit – Pommern vor, während und nach der napoleonischen Besetzung, hrsg. von Dirk Alvermann und Irmfried Garbe in: Reihe V – Forschungen zur pommerschen Geschichte, Veröffentlichung der historischen Kommission für Pommern. Böhlau, Wien; Köln; Weimar 2021, S. 181–193, hier S. 183.
  4. Amerigo Caruso: Nationalstaat als Telos. Der konservative Diskurs in Preußen und Sardinien-Piemont 1840–1870. Berlin 2017. ISBN 978-3-11-054207-3, S. 398.
  5. Lothar Gall: Bismarck: Der weiße Revolutionär. Propyläen, Frankfurt am Main u. a. 1980, ISBN 3-549-07397-6, S. 255–256.
  6. Eberhard Kolb: Otto von Bismarck. Eine Biographie. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-66774-9, S. 72.
  7. Christoph Jahr: Blut und Eisen. Wie Preußen Deutschland erzwang. 1864–1871. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75542-2, S. 99.
  8. Lothar Gall: Bismarck: Der weiße Revolutionär. Propyläen, Frankfurt am Main u. a. 1980, ISBN 3-549-07397-6, S. 257.
  9. Michael Epkenhans: Die Reichsgründung 1870/71. Beck, München 2020, S. 32.
  10. Dieter Hein: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-67507-2, S. 84.
  11. Eberhard Kolb: Otto von Bismarck. Eine Biographie. Beck, München 2014, ISBN 978-3-406-66774-9, S. 72.
  12. Otto Pflanze: Bismarck. Band 1: Der Reichsgründer. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-54822-2, S. 188.
  13. Dieter Hein: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-67507-2, S. 84.
  14. Lothar Gall: Bismarck: Der weiße Revolutionär. Propyläen, Frankfurt am Main u. a. 1980, ISBN 3-549-07397-6, S. 258.
  15. Christoph Jahr: Blut und Eisen. Wie Preußen Deutschland erzwang. 1864–1871. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75542-2, S. 94.
  16. Otto Pflanze: Bismarck. Band 1: Der Reichsgründer. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-54822-2, S. 699.
  17. Heinrich August Winkler: Auf ewig in Hitlers Schatten?. Anmerkungen zur deutschen Geschichte. München 2007. ISBN 978-3-406-56214-3, S. 25–27.
  18. Hilmar Sack: Geschichte im politischen Raum. Theorie - Praxis - Berufsfelder (= Public History - Geschichte in der Praxis), UTB, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-8252-4619-8, S. 16.
  19. Amerigo Caruso: Blut und Eisen auch im Innern. Soziale Konflikte, Massenpolitik und Gewalt in Deutschland vor 1914. Campus, Frankfurt/New York 2021, ISBN 9783593513287, S. 29–30.
  20. Christoph Jahr: Blut und Eisen. Wie Preußen Deutschland erzwang. 1864–1871. Beck, München 2020, ISBN 978-3-406-75542-2, S. 9.