Clara Hammerl

Clara Emma Fredericke Agnes Laura Hammerl (* 15. März 1858 in Bromberg, † 9. Oktober 1931 in Rufino (Santa Fé), Argentinien) war eine deutschstämmige (Reform-)Pädagogin in Pollença (Mallorca) und erste weibliche Leitung eines Kreditinstituts in Spanien.
Familie
Clara Hammerls Vater war der Lokomotivführer Friedrich Hammerl, ihre Mutter hieß Emma Müller. Clara hatte eine um zwei Jahre jüngere Schwester, Marie Ida Bertha Hammerl. Clara Hammerl wurde evangelisch getauft. Über ihre Kindheit und Jugend ist nur wenig bekannt. Im Jahr 1885, Clara ist inzwischen 17 Jahre alt, ist ihr Vater bereits verstorben. Ihre Mutter zieht mit ihren beiden Töchtern Clara und Marie Ida Bertha nach Berlin, zunächst in die Keibelstraße 40, in der Nähe des Alexanderplatzes; zwei Jahre später wohnen die drei Frauen in einer Wohnung in Kreuzberg.
Lebensweg
Clara Hammerl studierte und arbeitete in Berlin, unter anderem als Sprachlehrerin. Im Jahr 1887 ist der vermögende und gebildete Mallorquiner Guillem Cifre de Colonya (* 18. Februar 1852 in Pollença; † 4. Juni 1908 in Lyon), Adoptivsohn eines Großgrundbesitzers, unter ihren Sprachschülern. Clara Hammerl und ihr ehemaliger Schüler heirateten am 7. Oktober 1889 auf dem Standesamt in Berlin-Kreuzberg; Clara ist zu diesem Zeitpunkt 31 Jahre alt.
Clara Hammerl war, wie ihr Ehemann, der Auffassung, dass Bildung das grundlegende Instrument für den gesellschaftlichen Fortschritt und für den Aufstieg ärmerer Gesellschaftsschichten sei. Guillem Cifre de Colonya hat in Pollença im Nord-Osten Mallorcas eine reformpädagogische Schule (Institució d'Ensenyament) gegründet, die zu den fortschrittlichsten in Spanien gehörte. Sie praktizierte als erste Schule auf Mallorca gemeinsamen Unterricht von Mädchen und Jungen. Cifre de Colonya gründete und leitete auch eine Sparkasse, die noch heute bestehende Colonya Caixa d'Estalvis de Pollença, in der Absicht, auch „kleinen Leuten“ eine Möglichkeit zum Eigentumserwerb zu eröffnen.
Clara Hammerl und Guillem Cifre de Colonya waren Anhänger der Lehren des deutschen Philosophen Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832) und des spanischen Pädagogen Francisco Giner de los Ríos, dem Gründer der Freien Lehranstalt (Institución Libre de Enseñanza). Schulunterricht sollte ihrer Auffassung nach von der Kirche abgekoppelt werden, die Ratio vom Glauben.[1]
Nach der standesamtlichen Hochzeit im Oktober 1889 in Berlin-Kreuzberg ging das Paar im November desselben Jahres nach Pollença auf Mallorca, also in den Heimatort Cifre de Colonyas. Das Ehepaar bezieht ein geräumiges Stadthaus der Familie de Colonya in der Carrer de Mallorca 32, in dem auch Guillems Eltern, also Claras Schwiegereltern, Guillem und Antonia Cifre de Colonya, leben.
Clara unterrichtet an der Schule ihres Mannes Deutsch. Für die damalige Zeit ungewöhnlicherweise – das Wahlrecht für Frauen wurde in Spanien erst 1931 eingeführt – nimmt Clara Hammerl an Treffen der republikanischen Partei (Partido Republicano) teil, für die ihr Mann ab 1885 zeitweise im Stadtrat von Pollença sitzt.
Clara Hammerl wurde als evangelische, reformorientierte Deutsche und blonde, auffällig große Frau in ihrer neuen sozialen Umgebung keineswegs allseits akzeptiert. Gegen das reformorientierte Institució d'Ensenyament gab es Boykottaufrufe; konservative mallorquinische Kirchenobere entsandten 1893 eine zweiwöchige „Heilige Mission“ aus Jesuiten-Predigern nach Pollença, die dort mit Predigten, öffentlichen Glaubensbekenntnissen und feierlichen Umzügen dem „Protestantismus und anderen Fehlern“ ein Ende bereiten sollen.
Anfang der 1890er Jahre ist Claras Mutter, Emma Hammerl geb. Müller, zu Tochter und Schwiegersohn nach Pollença gezogen.
Im August 1890 kommt Clara Hammerls erstes Kind zur Welt. Der Junge wird, wie sein Vater und Großvater, Guillem genannt. Er stirbt schon zwei Tage nach der Geburt an einem Krampfanfall. 1891 entbindet Clara Hammerl eine Tochter, Antònia. Sie überlebt. Doch 1892 stirbt ein weiteres Kind, die nach Claras Mutter benannte Emma, zwei Monate nach der Entbindung an einer Bronchitis. Am 5. November 1894 kommt eine weitere Tochter auf die Welt, die erneut Emma genannt wird. Sie stirbt mit etwas mehr als fünf Jahren, am 29. Januar 1900, an Diphtherie. Die 42-jährige Clara wird noch einmal schwanger und gebiert am 4. September 1900 einen Jungen, der wieder Guillem heißt. Er überlebt.
Der bereits zuvor zur Schwermut neigende Guillem Cifres fällt nach dem Tod von drei seiner fünf Kinder in eine tiefe Depression. Die Familie beschließt, ihr prestigeträchtiges Stadthaus zu verkaufen und auf den Ländereien des Landgutes Colonya ein neues Haus zu bauen. Wenige Jahre nach dem Umzug dorthin verliert Guillem Cifre nahezu sein gesamtes Vermögen: Ein hoch verschuldeter Freund, für den er eine Bürgschaft übernommen hat, begeht in Palma Selbstmord, und Cifre muss dessen Schulden zurückzahlen. Obwohl die Familie immer noch über Einkünfte verfügt, die weit über dem Durchschnitt jener Zeit liegen, erholt sich Guillem Cifre von diesem erneuten Schicksalsschlag nicht. Seine Depressionen werden schlimmer. Er versucht, sie bei Kuraufenthalten fernab der Insel Mallorca (u.a. in Lyon) etwas zu lindern. Clara Hammerl übernimmt von ihrem erkrankten Ehemann nach und nach die Leitung von Sparkasse und Schule.
Guillem Cifre schluckt am 29. Mai 1908 im französischen Lyon Gift und stürzt sich von einer Brücke in die Rhône. Er stirbt am 4. Juli in einem Lyoner Krankenhaus an den Folgen seines Selbstmordversuchs. Nach dem Tod ihres Mannes übernimmt Clara Hammerl auch formal die Leitung der Caixa d´Estalvis de Pollença und wird dadurch zur ersten Sparkassenchefin Spaniens. Zusammen mit einem Mitstreiter, Rafel Cortès, gelingt es ihr, das Bankgeschäft auszubauen. Sie bemüht sich um die Wiedereröffnung der Schule und findet mit Gabriel Comas einen Lehrer, der den pädagogischen Ansätzen ihres Mannes nahesteht. Daneben kümmert sich Clara Hammerl um die Investitionen der Familie, unter anderem im Import-Export-Geschäft und in Unternehmensbeteiligungen.
Die Winter 1909 und 1910 verbringt die Famile in Madrid, wo Antònia und Guillem auf der Institución Libre de Enseñanza – gewissermaßen der Mutterschule der Institució in Pollença – unterrichtet werden. 1912 geht es dann nach Berlin, wo die Kinder Deutsch lernen sollen. Antònia lässt sich in Berlin zunächst zur Fotografin ausbilden – ein Vorhaben, das sie nach der Rückkehr nach Spanien, wahrscheinlich 1914, wieder fallen lässt. Auf Mallorca mietet Clara Hammerl eine Wohnung in Palmas Stadtviertel El Terreno an, damit Guillem dort die Schule beenden kann. 1916 zieht die Familie nach Madrid, wo Guillem seine Studien als Landwirtschaftsingenieur aufnimmt. Die 58-jährige Clara Hammerl legt die Leitung der Sparkasse in Pollença nieder und widmet sich fortan ihren beiden fast erwachsenen Kindern. Offenbar fällt es ihr schwer, ihre Kinder ziehen zu lassen: Zunächst vertreibt sie in Berlin einen preußischen Offizier, der Antònia umwirbt – der junge Mann stirbt Monate später im Ersten Weltkrieg. Auf einen anderen Verehrer ihrer Tochter namens Esteve Rotger, einen jungen Mann, der bei Cifre zur Schule gegangen war und auf dem Hofe der Familie gearbeitet hatte, soll sie auf Mallorca mit einer Axt losgegangen sein. Über Antònias Beziehung zu Esteve Rotger kommt es zwischen 1916 und 1918 zum Bruch zwischen ihr und ihrer Mutter Clara. Antònia zieht mit ihrem Freund nach Barcelona, heiratet ihn und wandert mit ihm nach Rosario in Argentinien aus.
Da Antònia verlangt, das Erbe ihres Vaters ausgezahlt zu bekommen, und da auch Guillems Ausbildung einige Kosten verursacht, verkauft die Familie zwischen 1920 und 1922 ihre verbliebenen Ländereien an die Bauern, die die Felder zuvor bestellt hatten. Clara zieht mit ihrem Sohn in die USA, wo Guillem bis 1924 in Corvallis (Oregon) Landwirtschaft studiert. Aus Guillem Cifre wird der US-Bürger William Cifre. Er verlobt sich mit einer Kommilitonin und wird kurz darauf von einem multinationalen Unternehmen nach Buenos Aires, Argentinien, geschickt. Die inzwischen 66-Jährige Clara kehrt kurzzeitig nach Pollença zurück, reist dann aber bald ihrem Sohn nach Buenos Aires nach – der allerdings kurz darauf in die USA zurückkehrt und dort heiratet. In dieser Zeit besucht Clara in Argentinien auch ihre Tochter Antònia, die in der Zwischenzeit zwei Kinder zur Welt gebracht hat: Guillermo und Gustavo Adolfo Rotger. Clara nimmt den jüngeren ihrer beiden Enkelsöhne, Gustavo Adolfo, mit auf eine Reise nach Pollença. Da sie auch nach Wochen noch keine Anstalten macht, Gustavo Adolfo zu seiner Mutter Antònia nach Argentinien zurückzubringen, muss Antònia ihrem Sohn schließlich nachreisen, um ihn nach Argentinien zurückzuholen. Nun zieht auch Clara Hammerl zur Familie ihrer Tochter nach Argentinien. Ihr Schwiegersohn Esteve Rotger verliert jedoch in der Weltwirtschaftskrise der der 1920er und 1930er Jahre seine Bäckerei, so dass die Familie verarmt und bei einem Vetter Esteve Rotgers in Rufino Zuflucht suchen muss. Dort stirbt Clara Emma Friedericke Agnes Laura Hammerl am 9. Oktober 1931 im Alter von 73 Jahren.
Die Schule in Pollença, das Institució d'Ensenyament, wurde im Verlauf des spanischen Bürgerkrieges geschlossen, aber die Sparkasse Colonya Caixa d'Estalvis de Pollença, die Clara Hammerl von 1908 bis 1916 – als erste Frau in der Führung eines Finanzinstitutes in ganz Spanien überhaupt – geleitet hat, besteht noch heute.
Ehrungen und Trivia
- seit 2012 heißt die Oberschule von Port de Pollença „IES Clara Hammerl“
- über Clara Hammerl haben die beiden Regisseuren Lluís Prieto und Toti García im Jahr 2016 im Auftrag des Balearen-Senders IB3 einen dokumentarischen Spielfilm gedreht, in der Carmen Molinar die Clara Hammerl spielt[2]
- Pere Salas, „Clara Hammerl. Una dona de paraula“ („Eine Frau des Wortes“), Editorial Gall, Pollenca 2016
- „Clara Hammerl. Der Weg zur Gleicheit“, Comic von Nivola Uyà[3], vom Katalanischen ins Deutsche übersetzt durch das Deutsche Konsulat in Palma de Mallorca.[4]
- eine von der Bildhauerin Georgina Gamundí gefertigte Büste von Clara Hammerl steht auf der Plaça dels Seglars, Ecke Carrer de l'Ombra, in Pollença[5]
Quellen
- Pere Salas Vives und Fanny Llabrés Mesquida, „Späte Anerkennung für einen freien Geist: Wohl erstmals auf Mallorca wird eine Schule nach einer Deutschen benannt - ab kommenden Schuljahr heißt die Oberschule von Port de Pollença 'IES Clara Hammerl'. Die Deutsche zog 1889 nach Pollença und leitete dort unter anderem die noch heute bestehende Sparkasse. Das ist ihre Geschichte“ (Langfassung), in: Mallorca Zeitung, 14. Juni 2012, Übersetzung und journalistische Bearbeitung: Ciro Krauthausen, https://www.mallorcazeitung.es/boulevard/szene/2012/06/14/in-der-fremde-das-bewegte-54183817.html
- Deutsches Konsulat in Palma de Mallorca, „Clara Hammerl – von Berlin nach Pollenca“, 23. März 2017, https://konsulat.mallorcamagazin.com/2017/03/clara-hammerl-von-berlin-nach-pollenca.html
Einzelnachweise
- ↑ Dorothee Kammel, „Die fremde Heldin. Clara Hammerl, eine Deutsche in Pollença, wurde 1908 zu Spaniens erster Sparkassenchefin. Jetzt erscheint das erste Buch über ihr filmreifes Leben“, in: Mallorca Zeitung, 19. Oktober 2016, https://www.mallorcazeitung.es/boulevard/szene/2016/10/19/die-fremde-heldin-54167130.html
- ↑ „Doku-Film über Clara Hammerl: »Das rocke ich schon«. Der Balearen-Sender IB3 lässt mit der deutschen Schauspielerin Carmen Molinar die historische Figur der Auswanderin und Sparkassen-Chefin auferstehen“, in: Mallorca Zeitung, 30. November 2016, https://www.mallorcazeitung.es/boulevard/2016/11/30/doku-film-ueber-clara-hammerl-54165163.html
- ↑ „Gedenkjahr für Clara Hammerl vorgestellt. Podiumsdiskussionen, Comics und Führungen zu Ehren der deutschen Auswanderin, die in Pollença als erste Frau in Spanien eine Sparkasse leitete“, in: Mallorca Zeitung, 22. Mai 2017, https://www.mallorcazeitung.es/boulevard/2017/05/22/gedenkjahr-fuer-clara-hammerl-vorgestellt-54160569.html
- ↑ „Comic über 'erste' deutsche Mallorca-Auswanderin. Clara Hammerl zog 1889 wegen der Liebe nach Mallorca - für damalige Zeiten mehr als außergewöhnlich. Jetzt ist ein Comic in deutscher Sprache über ihr Leben erschienen“, in: Mallorca Zeitung, 17. Januar 2018, https://www.mallorcazeitung.es/boulevard/2018/01/17/comic-ueber-erste-deutsche-mallorca-54150801.html
- ↑ „Eine Büste in Pollença für die deutsche Mallorca-Pionierin. Der Inselrat setzte der Ende des 19. Jahrhunderts auf die Insel gereisten Clara Hammerl ein Denkmal“, in: Mallorca Zeitung, 18. Dezember 2017, https://www.mallorcazeitung.es/aktuelles/2017/12/18/eine-bueste-in-pollenca-fuer-54152030.html
Personendaten | |
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NAME | Hammerl, Clara |
ALTERNATIVNAMEN | Hammerl, Clara Emma Fredericke Agnes Laura |
KURZBESCHREIBUNG | (Reform-)Pädagogin und erste weibliche Leitung eines Kreditinstituts in Spanien |
GEBURTSDATUM | 15. März 1858 |
GEBURTSORT | Bydgoszcz, Preußen |
STERBEDATUM | 9. Oktober 1931 |
STERBEORT | Rufino (Santa Fé), Argentinien |