Europäisches Amt für Betrugsbekämpfung
Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung, kurz OLAF nach der französischen Bezeichnung Office Européen de Lutte Anti-Fraude, ist ein Amt der Europäischen Kommission. Seine Aufgabe ist die Bekämpfung der Kriminalität, die die finanziellen Interessen der Europäischen Union (EU) belastet. Dies umfasst sowohl die internationale organisierte Kriminalität, beispielsweise in den Bereichen Schmuggel Zoll, EU-Subventionen und Steuerhinterziehung, soweit die Finanzen der EU betroffen sind, als auch das Vorgehen gegen Betrug und Korruption von Bediensteten der EU.
Geschichte
OLAF wurde 1999 unter dem Eindruck einer Serie von Korruptionsaffären in der EU-Kommission (z.B. die Cresson-Affäre) auf Druck des Europaparlaments gegründet. Nicht zuletzt durch die Enthüllungen des Whistleblowers und damaligen EU-Beamten Paul van Buitenen waren die Unzulänglichkeiten von OLAFs Vorgängerorganisation UCLAF deutlich geworden. UCLAF (Unité de coordination de la lutte anti-fraude) war als eine weisungsabhängige Abteilung in der Europäischen Kommission organisiert, was die Bekämpfung von Unregelmäßigkeiten und Korruption innerhalb der EU-Institutionen behinderte.
Aufgaben
- Aufdeckung und Verfolgung von Betrug im Zollbereich
- Aufdeckung der missbräuchlichen Verwendung von EU-Subventionen
- Steuerhinterziehung (soweit sie sich auf den EU-Haushalt auswirkt)
- Bekämpfung von Korruption und schwerem Fehlverhalten, einschließlich der Auswirkungen von Interessenskonflikten, innerhalb der EU-Institutionen
- Sonstige Gesetzesverstöße, die die EU finanziell schädigen
Insgesamt ist politisch strittig, wo OLAF den Schwerpunkt seiner Ermittlungen setzen soll. Während die EU-Kommisssion den Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Produktpiraterie und grenzüberschreitendem Steuerbetrug setzen möchte, fordert beispielsweise der EU-Abgeordnete Herbert Bösch von der österreichischen SPÖ OLAF solle sich auf EU-interne Betrugsbekämpfung konzentrieren, so berichtet das österreichiosche Wirtschaftsblatt Standard im Mai 2006.
Stellung in der EU-Bürokratie und Organisation
OLAF untersteht, soweit es nicht die Ermittlungen betrifft, dem Vizepräsidenten für Verwaltung, Audit und Betrugsbekämpfung der Europäischen Kommission und ist der Kommission als Generaldirektion angegliedert. OLAF arbeitet unter der Aufsicht eines Überwachungsausschusses aus fünf unabhängigen externen Experten, dessen Mitglieder vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission einvernehmlich ernannt werden. Der Überwachungsausschuß soll durch regelmäßige Kontrolle der von OLAF durchgeführten Untersuchungen die Unabhängigkeit von OLAF sicherstellen. Der Überwachungsausschuß gibt von sich aus oder auf Bitte des Direktors Stellungnahmen zu den Tätigkeiten von OLAF ab; kann jedoch nicht in den Ablauf der Untersuchungen eingreifen.
Den Gründungsstatuten zufolge betreibt OLAF seine Ermittlungen unabhängig. Auch wenn keine direkte Einflussmöglichkeit der Kommission auf die Ermittlungen besteht, wäre es ihr durch die Organisationsform aber durchaus möglich, Druck auszuüben. In seinem Sonderbericht 2005 hat der Europäische Rechnungshof hier keine Probleme festgestellt: "Die Zwitterstellung des Amtes, das in seinen Untersuchungen zwar unabhängig, jedoch bezüglich seiner anderen Funktionen der Kommission unterstellt ist, hat die Unabhängigkeit der Untersuchungsfunktion nicht gefährdet".
OLAF wird von einem Generaldirektor geleitet - seit 1. März 2000 ist das der deutsche Staatsanwalt Franz-Hermann Brüner, der am 14. Februar 2006 für ein zweites], fünfjähriges Mandat von EU-Kommission ernannt wurde. Wie die Nachrichtenagentur AFP meldete war Brüner bei der Diskussion um eine zweite Amtszeit allerdings "für das Europaparlament nur die zweite Wahl". Auch der Ministerrat bevorzugte einen anderen Kandidaten, so eine Pressemeldung der EU-Kommission. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, soll sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso für ihren Landsmann eingesetzt haben.
Zum 31. Dezember 2005 waren bei OLAF insgesamt 390 Bedienstete beschäftigt, so der Jahresbericht 2005.
Arbeitsweise und Arbeitsbereiche
OLAF kann nur Verwaltungsuntersuchungen durchführen, so der Bericht des für OLAF zuständigen Untersuchungsausschusses an den Haushaltskontrollausschuss des EU-Parlaments. Die Behörde kann demzufolge keine Straf- oder Disziplinarverfahren einleiten - bei ersterem ist sie auf die Justiz der Mitgliedsstaaten bei letzterem auf die entsprechenden Organe der EU angewiesen. "Sobald das OLAF eine Untersuchung abgeschlossen und den Fall an den betreffenden Mitgliedstaat übergeben hat, entzieht sich das weitere Vorgehen seinem Zugriff" erklären die Mitglieder des Ausschusses. Die Effektivität von OLAF hängt demnach in hohem Maße von zwei Partnern ab, welche die Ergebnisse der Ermittlungen in förmlichen Verfahren umsetzen: Den nationalen Justizbehörden und den übrigen Behörden der EU.
Die Arbeitsbereiche von OLAF sind:
- Eigene Ermittlungen
- Unterstützung und Koordinierung anderer Ermittlungen
- Monitorung anderer Ermittlungen
- „Intelligence“-Arbeit
- Konzipierung der Betrugsbekämpfung der EU.
OLAF ermittelt selbst sowohl bei EU-Behörden (interne Verwaltungsuntersuchung) als auch in der EU nicht angehörigen Institutionen (externe Verwaltungsuntersuchung). Sie unterstützt die Ermittlungen anderer Behörden, indem sie beispielsweise auf EU-Ebeene gesammelte Informationen anbietet. Sie koordiniert in grenzübergreifenden Fällen die Ermittlungen der nationalen Behörden. Beim Monitoring wird der Verlauf der Ermittlungen anderer Behörden verfolgt. Im amtsintern "Intelligence genannnten Bereich stellt OLAF den Mitgliedsstaaten oder Drittländern multidisziplinäres Fachwissen strategische Analysen und Risikobewertungen zur Verfügung.
Dem Jahresbericht 2005 zufolge gingen bei OLAF im Zeitraum von Juli 2004 bis 31. Dezember 2005 insgesamt 531 Hinweise auf Betrugsfälle ein. Davon wurde mehr als die Hälfte (274) als sogenannte "non cases" aussortiert und nicht weiter bearbeitet. In 124 Fällen wurden externe Ermittlungen eingeleitet, in 40 Fällen EU-interne Ermittlungen. 42 mal wurden fremde Untersuchungen verfolgt (Monitoring), 34 mal die Ermittlungen nationaler Behörden grenzübergreifend koordiniert. 17 Mal leistete OLAF Amtshilfe in Strafsachen.
Ergebnisse und Fälle
Wie die deutsche Nachrichtenagentur dpa im Juli 2006 berichtete, liefen Ende des Jahres 2005 Untersuchungen in 452 Fällen. Dabei gehe es um mögliche Schäden zu Lasten der EU-Steuerzahler in Höhe rund zwei Milliarden Euro. Im Jahr 2005 habe OLAF 203 Millionen Euro in die EU-Kassen zurückgeholt, ein Jahr davor seien es 198 Millionen Euro gewesen.
Zigarettenschmuggel
Die finanziell spektakulärsten OLAF-Untersuchungen sind die Verfahren gegen Tabakkonzerne wegen Schmuggels von Zigaretten in die EU. Aufgrund der OLAF-Erkenntnisse verklagte die EU 2001 zusammen mit zehn Mitgliedsstaaten Tabak-Unternehmen vor US-Gerichten. In den ersten beiden Instanzen wurde die Klage zurückgewiesen, weil US-Gerichte keine fremden Steuern eintreiben. Die Kläger wandten sich daraufhin im Jahr 2004 an den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Der Tabakkonzern Philip Morris hat sich 2004 gütlich mit der EU geeinigt und zahlt - abhängig von verschiedenen Faktoren - maximal 1,25 Mrd Dollar an die EU und zehn Mitgliedsstaaten.
Die Eurostat-Affäre
Der politisch brisanteste OLAF-Fall war die Eurostat-Affäre um schwarze Kassen beim Luxemburger EU-Statistikamt, die die Kommission Prodi im Jahr 2003 in Bedrängnis brachte.
Die Tageszeitung Die Welt beschrieb in einem zusammenfassenden Artikel (19. November 2003) den Kern der Affäre wie folgt: Seit 1989 soll Eurostat unter seinem Direktor Yves Franchet fiktive Aufträge vergeben oder manipulierte Rechnungen ausgestellt haben. Diese Gelder seien über Jahre in schwarze Kassen geflossen, aus denen die Mitarbeiter von teure Freizeitaktivitäten finanzierten. Die Höhe des Schadens wurde den Angaben der Zeitung zufolge im Jahr 2003 von der EU-Kommission auf 930 000 Euro geschätzt. Andere Schätzungen gingen zu diesem Zeitpunkt von bis zu 40 Millionen Euro aus.
Nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (vom 6. Juli 2003) übte die EU-Kommission in der Eurostat-Affäre indirekt Kritik an den Ermittlungen von OLAF. Wie die Zeitung berichtete, ermittelte das Amt seit 1999 in dieser Sache; doch erst im Frühjahr 2003 habe OLAF die Justizbehörden in Frankreich und Luxemburg eingeschaltet, um die Ermittlungen weiterzuverfolgen. Die FAZ kam zu dem Schluss, dass "Olaf überfordert scheint, die Untersuchungen zügig abzuschließen". Die Wochenzeitschrift Stern (5. Juli 2003) behauptete, die betrügerischen EU-Statistiker hätten Helfer im EU-Betrugsbekämpfungsamt OLAF gehabt. Dort seien seit 1998 immer wieder Hinweise eingegangen. Das Blatt berief sich auf ein internes Papier von OLAF-Juristen. Diese klagten demzufolge, dass trotz schwerer Betrugsvorwürfe gegen Eurostat einschlägige Informationen nicht einmal ordentlich abgeheftet worden seien. Eine belastende Zeugenaussage sei sogar ganz verschwunden.
OLAF selbst erklärte in seinem Jahresbericht 2005, es befasse sich seit dem Jahr 2000 mit Eurostat. Im September 2003 habe man vier Eurostat-Fälle abgeschlossen. Je fünf weitere Fälle seien in den Jahren 2004 und 2005 abgeschlossen worden.
Kritik an OLAF
Sowohl von manchen EU-Parlamentariern als auch von Mitgliedern des OLAF-Überwachungsausschusses wurde immer wieder der Vorwurf erhoben, es gebe keine rechtliche Kontrolle für OLAF. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch in einer Reihe von Fällen entschieden, die OLAF-Opfer vor Gericht gebracht hatten. Am 6. April 2006 unterlag OLAF zum ersten Mal: in der Sache "Camos-Grau" (T-309/03) bekam der Kläger 10.000 Euro Schadenersatz.
Der Europäische Rechnungshof hat in seinem Sonderbericht über OLAF im Juli 2005 eine Reihe von Kritikpunkten an der Arbeit von OLAF aufgezeigt.
Das Europäische Parlament veranstaltete kurz darauf eine Anhörung über OLAF.
OLAF und die Medien
OLAF's Verhältnis zu den Medien wurde im März 2004 schwer belastet, als die belgische Polizei die Wohnung und das Büro des Brüsseler Stern-Korrespondenten Hans-Martin Tillack durchsuchte und Unterlagen beschlagnahmte. Der belgische Untersuchungsrichter hatte - auf Antrag von Olaf - ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen einer möglichen Korruptionsstraftat eröffnet. Ein Verfahren gegen Tillack wurde bis heute nicht eröffnet.
Tillack wurde mit allen Klagen, die er im Anschluss an die belgische Durchsuchungsaktion eingelegt hat, abgewiesen. Er hat daraufhin Klage gegen Belgien beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingelegt. Tillacks Klagen gegen OLAF beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg blieben bislang ohne Erfolg (siehe Pressemitteilung des Gerichtshofs). Ein endgültiges Urteil steht noch aus. In der selben Sache kritisierte der Europäische Bürgerbeauftragte OLAF in einem Sonderbericht an das Europäische Parlament.
Die Durchsuchungsaktion löste unter anderem eine Diskussion über Pressefreiheit in Belgien und in der EU aus.
Siehe auch
Literatur
- Neuhann, Florian: Im Schatten der Integration. OLAF und die Bekämpfung von Korruption in der Europäischen Union. Baden-Baden: Nomos-Verlag 2005 ISBN 3-8329-1479-X.
Weblinks
Selbstdarstellung
- OLAF-Homepage
- OLAF-Jahresbericht 2005
- OLAF-Darstellung der EU mit Aufzählung der einzelnen Rechtsakte
- Der OLAF-Überwachungsausschuss zur Tätigkeit der Behörde
- Video über OLAF aus derMediatheque der Europäischen Kommission
- Organigramm
EU-interne Berichte
- Sonderbericht über OLAF Sonderbericht 2005 des Europäischen Rechnungshofes zu O.L.A.F.
- Bilanz des Europäischen Parlamentes nach sechs Jahren OLAF
- Der OLAF-Überwachungsausschuss zur Tätigkeit der Behörde
- Bericht zum Abkommen mit der Zigarettenfirma Philip Morris
- Das Verfahren der EU gegen Tabakfirmen in den USA (engl.)
Presseberichte zur Tätigkeit von OLAF
- dpa-Bericht in der Tageszeitung Die Welt vom Juli 2006
- Bericht des österreichischen Wirtschaftsblattes Standard vom Mai 2006
- FAZ-Bericht zur Eurostat-Affäre und der Rolle OLAFs
- Bericht in der Tageszeitung Die Welt zur Eurostat-Affäre
Der Amtschef Brüner
- AFP-Meldung zur zweiten Amtszeit Brüners in der Tageszeitung die Welt
- Zweite Amtszeit für O.L.A.F.-Chef Brüner - die Hintergründe
- Bericht des Stern über Brüners Amtsführung im November 2003
- Interview der Wochenzeitung Zeit mit Brüner im August 2005
- Bericht des Stern zu Brüners zweiter Amtszeit vom März 2006
- Bericht der Zeit zu Brüners zweiter Amtszeit vom Februar 2006