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Massaker von Maillé

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Das Massaker von Maillé ist ein am 25. August 1944 von deutschen Soldaten an der Zivilbevölkerung der 30 Kilometer südlich von Tours gelegenen französischen Gemeinde Maillé im Département Indre-et-Loire begangenes Kriegsverbrechen.

Das Massaker wurde zur Vergeltung eines Anschlages französischer Widerstandstruppen auf zwei Militärfahrzeuge in der Nacht zuvor verübt. Die Soldaten töteten 124 der etwa 500 Bewohner des Dorfes, darunter 43 Kinder bis 12 Jahre.[1] Danach wurde der Ort mit Granaten beschossen und zerstört. Das Massaker von Maillé gilt nach dem Massaker von Oradour als das schwerste Kriegsverbrechen deutscher Truppen in Frankreich.

Bereits 1952 wurde Gustav Schlüter, ein deutscher Leutnant der Reserve, in Bordeaux in Abwesenheit wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Tötung zum Tode verurteilt. Er wurde nie gefasst bzw. ausgeliefert und starb 1965 in Hamburg. Dass er die Aktion leitete, wird für möglich gehalten, konnte aber nicht bewiesen werden. Außerdem konnte bislang nicht geklärt werden, welche Truppen zur Durchführung der Tat zum Einsatz kamen. Wahrscheinlich war es das in der Nähe stationierte „Feldersatz-Bataillon“ der 17. SS-Panzergrenadierdivision. Nach Schlüters Verurteilung geriet das Massaker in Vergessenheit. Es wurde wiederentdeckt, als die Vereinten Nationen (UNO) 1987 Akten zu Kriegsverbrechern freigaben. Die bei der Staatsanwaltschaft Dortmund beheimatete Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen wurde mit den Ermittlungen beauftragt, kam aber zu keinen Ergebnissen und stellte die Untersuchungen 1991 wieder ein.

Nachdem französische Historiker und Medien Recherchen zu dem Massaker wieder aufnahmen, wurde der Fall 2004 erneut eröffnet. Französische Behörden befragten über 50 Zeitzeugen und im Juli 2008 begaben sich Ermittler der Zentralstelle der Staatsanwaltschaft Dortmund unter Leitung des Staatsanwaltes Ulrich Maaß selbst für eine Woche in die Ortschaft nahe Tours an der Loire, um Einwohner zu finden, die die Gräueltat überlebt haben. Außerdem suchte er in französischen Archiven Hinweise auf die Verantwortlichen. Die Tätereinheit des Massakers war bereits vor Beginn des Verfahrens durch einen deutschen Historiker ausfindig gemacht worden. Drei Tatverdächtige wurden ermittelt, von denen zwei bereits verstorben waren. Das Schicksal des Dritten konnte nicht ermittelt werden. Die Staatsanwaltschaft Dortmund gab daraufhin am 16. Januar 2017 bekannt, dass die Ermittlungen eingestellt wurden.[2][3]

2006 wurde das Maison du souvenir de Maillé eröffnet, das sich mit 250 Dokumenten und einem Film über die Zeitzeugen* der Geschichte des Dorfes, seiner Bewohner* und der Erinnerungskultur widmet.

Am 25. August 2008 gedachte Nicolas Sarkozy als erster französischer Staatspräsident des Massakers, indem er eine kleine Gedenkstätte einweihte. Sarkozy wollte 64 Jahre nach dem Ereignis laut eigenen Aussagen ein Zeichen der Wiedergutmachung setzen. „Frankreich hat einen moralischen Fehler begangen, indem es gegenüber dem Schmerz der Überlebenden teilnahmslos blieb und die Erinnerung an die Opfer aus seiner Erinnerung tilgen ließ“, so der Präsident.[4]

Am 4. Januar 2018 wurde auf einem Feld im Bitcher Land ein Gedenkstein zu Ehren der Täter mit der Inschrift „Zu Ehren den Gefallenen der 17. SS-Panzergrenadier-Division - Drauf, dran und durch“ entdeckt.[5] Urheber soll ein polizeibekannter Rechtsextremist aus Püttlingen sein, der sich seit dem 24. Februar 2020 in Saargemünd vor dem Gericht verantworten muss. Am 25. März 2020 wurde er zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.[6]

2017 erfolgte eine Einladung von Vertreter (-innen) von Maillé an den Vorstand des Vereins Gegen Vergessen – für Demokratie in Berlin. Der Historiker Prof. Dr. Friedhelm Boll, Vorstandsmitglied dieses Vereins und langjähriges Mitglied der Internationalen Katholischen Friedensbewegung Pax Christi, legte das erste Mal zwei Blumengebinde für zivilgesellschaftliche Vereinigungen in Maillé nieder. Der Zeitzeuge Serge Martin, der seine Eltern und seine drei Geschwister bei diesem Massaker verlor, wurde Vorsitzender der Opfergemeinschaft Association pour le Souvenir de Maillé (1994). Für seine Versöhnungsarbeit wurde Serge Martin vom Europa-Staatsminister Michael Roth 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.[7] An der jährlichen Gedenkveranstaltung für die Opfer des Massakers nimmt kontinuierlich eine deutsche Delegation von Historikern* teil und setzt damit die deutsch-französische Versöhnungsarbeit fort.


Literatur:

Einzelnachweise

  1. Die Namen der Opfer auf dem Gedenkstein
  2. wdr.de: Weltkriegs-Massaker bleibt ungesühnt, vom 17. Januar 2017 (Memento vom 13. Oktober 2017 im Internet Archive)
  3. Die Welt 16. Januar 2017: Kriegsverbrechen - Dortmunder Ankläger schließt Akte Maillé Abruf am 13. März 2017.
  4. vgl. AP: Sarkozy gedenkt NS-Massakers in Frankreich bei pr-inside.com, 25. August 2008 (aufgerufen am 26. August 2008)
  5. Meldung des SR vom 4. Januar 2018, "Nazi-Denkmal im Bitcher Land" (aufgerufen am 24. Februar 2020)
  6. Nazi-Gedenkstein aufgestellt: Neun Monate Gefängnis für Püttlinger, "[1]" (aufgerufen am 18. Mai 2020)
  7. Friedhelm Boll: Das vergessene NS-Massaker von Maillé in Frankreich am 25. August 1944. Hrsg.: Gegen Vergessen-für Demokratie e.V. Nr. 95/2018. Berlin März 2018, S. 23 f.