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Weimarer Verfassung

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Buchdeckel der Weimarer Verfassung

Die Weimarer Verfassung (auch Weimarer Reichsverfassung, WRV) war die Verfassung der Weimarer Republik und somit die erste praktizierte demokratische Verfassung Deutschlands. Sie begründete eine parlamentarisch-demokratische und föderative Republik.

Einige Artikel der Weimarer Verfassung sind bis heute Bestandteil des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.

Ursprünge

Nach der Märzrevolution 1848, die in vielen Staaten Europas Ausdruck des Widerstands gegen die vorherrschende monarchische Ordnung nach der Restauration war, wurde die Verfassung des Deutschen Reichs am 27. März 1849 in der Paulskirche in Frankfurt am Main von der verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung nach langen Diskussionen beschlossen. Amtlich verkündet wurde sie einen Tag später. Aufgrund des Tagungsortes der Nationalversammlung wird sie als "Paulskirchenverfassung" bzw. als "Frankfurter Reichsverfassung" bezeichnet.

Die Paulskirchenverfassung sah die Schaffung einer Erbmonarchie mit konstitutionellen Zügen vor. Zu diesem Zweck trug die Kaiserdeputation dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone an. Dieser berief sich auf das Gottesgnadentum und lehnte ab. Damit scheiterte die Verfassung des Paulskirchenparlaments, an ihrem Inhalt orientierten sich aber die folgenden Verfassungen in Deutschland.

Am 16. April 1871 trat die sogenannte Bismarcksche Reichsverfassung als Verfassung des neu gegründeten Deutschen Reiches in Kraft. Sie ging aus der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1866 hervor. Die von Otto von Bismarck geprägte Verfassung besaß keinen Grundrechtsteil, sondern beschränkte sich auf Bestimmungen für die Zuständigkeiten der einzelnen staatlichen Organe. Sie sah außerdem weiterhin die Monarchie als Staatsform vor. Die Bismarcksche Reichsverfassung wurde erst durch das Inkrafttreten der Weimarer Verfassung 1919 abgelöst.

Der Prozess der Verfassunggebung

Am 19. Januar 1919 fanden die Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung statt. Es waren die ersten demokratischen Wahlen in Deutschland, Frauen besaßen sowohl das aktive als auch passive Wahlrecht. Die Sitze wurden nach dem Verhältniswahlrecht verteilt. Die SPD war die stärkste Fraktion und bildete mit dem Zentrum und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) die so genannte Weimarer Koalition.

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Die Nationalversammlung in Weimar

Am 6. Februar 1919 trat die Nationalversammlung das erste Mal in Weimar zusammen. Berlin war nicht der Tagungsort, weil dort Unruhen die Unabhängigkeit und Sicherheit der Abgeordneten gefährdeten. Die Wahl Weimars war wohl auch als Zeichen für die Anknüpfung an die Humanitätsideale der Weimarer Klassik gemeint, hatte aber vor allem militärische Gründe - das zuerst angedachte Erfurt wäre im Angriffsfall schlechter zu verteidigen gewesen.

Am ersten Entwurf für eine Verfassung war der spätere Reichsinnenminister Hugo Preuß maßgeblich beteiligt. Da fast alle politischen Elemente der Kaiserzeit wie zum Beispiel der Bundesrat, die in der Reichsverfassung von 1871 festgeschrieben waren, wegfielen oder bedeutungslos wurden, kam es zu Auseinandersetzungen zwischen den Parteien, die Anhänger der Monarchie waren, und denen, welche die Republik befürworteten. Am 31. Juli 1919 beschloss die Nationalversammlung die Verfassung in ihrer endgültigen Form mit 262 zu 75 Stimmen; dabei waren 84 Abgeordnete abwesend. Am 11. August 1919 unterzeichnete Reichspräsident Friedrich Ebert die Weimarer Verfassung. Sie trat mit ihrer Verkündung in Kraft. Der 11. August wurde zum Nationalfeiertag der Weimarer Republik, weil er an die "Geburtsstunde der Demokratie in Deutschland" erinnern sollte.

Aufbau der Weimarer Verfassung

  • Präambel
  • Erster Hauptteil: Aufbau und Aufgaben des Reiches
    • Erster Abschnitt: Reich und Länder
    • Zweiter Abschnitt: Der Reichstag
    • Dritter Abschnitt: Der Reichspräsident und die Reichsregierung
    • Vierter Abschnitt: Der Reichsrat
    • Fünfter Abschnitt: Die Reichsgesetzgebung
    • Sechster Abschnitt: Die Reichsverwaltung
    • Siebter Abschnitt: Die Rechtspflege
  • Zweiter Hauptteil: Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen
    • Erster Abschnitt: Die Einzelperson
    • Zweiter Abschnitt: Das Gemeinschaftsleben
    • Dritter Abschnitt: Religion und Religionsgesellschaften
    • Vierter Abschnitt: Bildung und Schule
    • Fünfter Abschnitt: Das Wirtschaftsleben
  • Übergangs- und Schlussbestimmungen

Inhalt der Verfassung

Präambel

Die Präambel der Weimarer Verfassung lautet: "Das Deutsche Volk, einig in seinen Stämmen und von dem Willen beseelt, sein Reich in Freiheit und Gerechtigkeit zu erneuen und zu festigen, dem inneren und dem äußeren Frieden zu dienen und den gesellschaftlichen Fortschritt zu fördern, hat sich diese Verfassung gegeben." Sie hebt damit den Willen zu einem Neuanfang, zum Frieden und zur Förderung des gesellschaftlichen Fortschritts hervor.

Erster Hauptteil: Aufbau und Aufgaben des Reiches

Erster Abschnitt: Reich und Länder

Der erste Abschnitt des ersten Hauptteils enthält die Begründung der Republik und der vom Volk ausgehenden Staatsgewalt (Volkssouveränität) (Art. 1). Mit der Geltung der allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts als Reichsrecht (Art. 4) stellt sich die Republik in den Kreis der zivilisierten Völkergemeinschaft. Jedes Land, das Bestandteil des Deutschen Reiches ist, muss eine freistaatliche Verfassung haben, und seine Volksvertretung muss in einer allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Verhältniswahl von Männern und Frauen bestimmt werden (Art. 17); damit wird gesichert, dass die innere Grundstruktur von Reich und Ländern gleich ist. Der erste Abschnitt regelt außerdem die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen auf das Reich und seine Länder.

Zweiter Abschnitt: Der Reichstag

Erstmals gilt für die Wahl zum Reichstag und zu den Landtagen gleiches Wahlrecht; es gibt kein Klassenwahlrecht mehr. Die Abgeordneten, die in allgemeiner, geheimer, gleicher und unmittelbarer Verhältniswahl von Männern bestimmt werden (Art. 22), sind als Vertreter des Volkes nur ihrem Gewissen unterworfen und nicht an Aufträge gebunden (Art. 21). Der Reichstag kann vom Reichspräsidenten aufgelöst werden, aber nicht zweimal aus dem selben Anlass (Art. 25).

Dritter Abschnitt: Der Reichspräsident und die Reichsregierung

Der Reichspräsident wird vom Volk gewählt. Er muss älter als 35 Jahre sein (Art. 41). Die Amtszeit des Präsidenten beträgt sieben Jahre, der Reichstag kann mit einer 2/3 Mehrheit eine Volksabstimmung zu seiner Absetzung beschließen (Art. 43). Der Reichspräsident ist völkerrechtlicher Vertreter des Reiches (Art. 45), Oberbefehlshaber der Wehrmacht des Reichs (Art. 47). Er kann zur Wiederherstellung des Reichsfriedens Grundrechte außer Kraft setzen (Art. 48).

Die Reichsregierung besteht aus dem Reichskanzler und den von diesem vorgeschlagenen Ministern, die vom Reichspräsidenten ernannt (Art. 52 und 53), nicht vom Reichstag gewählt werden. Sowohl der Reichskanzler, als auch seine Minister müssen zurücktreten, wenn der Reichstag ihnen das Vertrauen entzieht (Art. 54).

Vierter Abschnitt: Der Reichsrat

Der vierte Abschnitt regelt unter anderem die Zusammensetzung des Reichsrats. Er vertritt die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Reiches (Art. 60).

Fünfter Abschnitt: Die Reichsgesetzgebung

Im fünften Abschnitt wird die Gesetzgebung geregelt. So kann der Reichspräsident bestimmen, dass ein Gesetz durch einen Volksentscheid bestätigt werden muss (Art. 73). Außerdem wird festgesetzt, dass eine Verfassungsänderung nur mit 2/3-Mehrheit von mindestens 2/3 der Mitglieder des Reichstages beschlossen werden kann, oder durch eine Mehrheit bei einer Volksabstimmung, die aufgrund eines Volksbegehrens stattfindet. (Art. 76)

Sechster Abschnitt: Die Reichsverwaltung

Der sechste Abschnitt enthält unter anderem die Regelungen des Zollrechts, des Kolonialrechts, des Post- und Telegraphenwesens, sowie des Verkehrswesens.

Siebter Abschnitt: Die Rechtspflege

Im siebten Abschnitt findet man die Regelungen für Richter und Gerichte. Richter sind unabhängig und nur an das Gesetz gebunden (Art. 102).

Zweiter Hauptteil: Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen

Erster Abschnitt: Die Einzelperson

Der erste Abschnitt des Zweiten Hauptteiles erklärt die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz und die Abschaffung der Standesunterschiede (Art. 109). Rechtsgleichheit ist also noch ein Staatsbürgerrecht, kein Menschenrecht, wie nach dem Grundgesetz. Es werden keine weiteren Adelstitel verliehen, der Staat verleiht keine Orden und Ehrenzeichen, und kein Deutscher darf ausländische Titel oder Orden annehmen (Art. 109). Es werden weiterhin die Unantastbarkeit der Wohnung (Art. 115) und das Recht auf freie Meinung(säußerung) zugesichert.

Zweiter Abschnitt: Das Gemeinschaftsleben

Der zweite Abschnitt setzt den Schutz von Ehe und Mutterschaft (Art. 119), sowie die Versammlungsfreiheit (Art. 123), die Wahlfreiheit (Art. 125) und die Gleichberechtigung weiblicher Beamter (Art. 128) fest. Beamte sind nicht Diener einer Partei sondern die der Gesamtheit (Art. 130).

Dritter Abschnitt: Religion und Religionsgesellschaften

Im dritten Abschnitt werden Glaubensfreiheit und Gewissensfreiheit garantiert. Außerdem wird auf eine Staatskirche verzichtet; damit war das bis dahin noch geltende "landesherrliche Kirchenregiment" abgeschafft, nach dem der Landesherr Träger der Regierungsgewalt in der evangelischen Landeskirche war.

Vierter Abschnitt: Bildung und Schule

Der vierte Abschnitt erklärt, dass der Staat das Schulwesen beaufsichtigt. Es gibt öffentliche Schulen und eine allgemeine Schulpflicht. Zudem wird in diesem Abschnitt der Denkmalschutz als Aufgabe des Staates festgesetzt.

Fünfter Abschnitt: Das Wirtschaftsleben

Im fünften Abschnitt wird die wirtschaftliche Freiheit versichert, so lange sie niemanden beeinträchtigt. Außerdem enthält dieser Abschnitt die Regelung des Erbrechtes und die Schaffung von einheitlichem Arbeitsrecht. Der Schutz von Urheberrechten (Art. 158) und von Arbeitnehmerrechten wird garantiert, was auch die Bildung von Betriebsräten beinhaltet (Art. 161 bis 165).

Übergangs- und Schlussbestimmungen

Die Übergangs- und Schlussbestimmungen regeln das Inkrafttreten der einzelnen Artikel der Verfassung. Es wird außerdem bestimmt, dass die Nationalversammlung bis zum Zusammentritt des ersten Reichstages dessen Position übernimmt.

Das aus der Verfassung resultierende politische System

Die Weimarer Verfassung enthielt parlamentarische, präsidiale und plebiszitäre Elemente.

Der Parlamentarismus war dadurch gegeben, dass der Reichstag der Regierung das Vertrauen aussprechen und auch wieder entziehen konnte. Dazu kam die Mitwirkung bei der Gesetzgebung in der Weimarer Republik.

Der erste Teil der Verfassung widmete sich dem Staatsaufbau. Der erste Artikel der Weimarer Verfassung sagte aus, dass das Deutsche Reich eine Republik sei und dass alle Macht vom Volk ausgehe. Wahlberechtigt waren alle Bürger, die mindestens 20 Jahre alt waren. Jede Herrschaftsform musste vom Volk durch eine Wahl gebilligt werden.

Das wichtigste Organ war der vom Volk gewählte Reichstag, welcher die Gesetzgebung (legislative Gewalt) ausübte und die Reichsregierung überprüfte. Der Reichstag wurde auf vier Jahre gewählt. Es wurde das Prinzip der Verhältniswahl angewandt, das heißt die Zusammensetzung des Parlaments entsprach genau dem Wahlergebnis.

Die Reichsregierung bestand aus dem Reichskanzler und den Reichsministern, welche zum Regieren das Vertrauen des Reichstags benötigten. Sie war die Exekutive (ausführende Gewalt). Der Reichskanzler bestimmte die Denkrichtung der Politik und war für Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik verantwortlich.

Als weiteres Verfassungsorgan wurde der Reichsrat gebildet. Er setzte sich aus den vom Volk gewählten Länderparlamenten zusammen. Der Reichsrat vertrat die Länder bei der Gesetzgebung und hat das Recht, Veto gegen die Beschlüsse des Reichstags einzulegen. Die Anzahl der Vertreter der einzelnen Länder war abhängig von der Größe des Landes.

Um die Macht des Parlaments einzuschränken, wurde das Amt des Reichspräsidenten geschaffen. Er wurde vom Volk auf sieben Jahre gewählt und war in seiner Position mit dem starken Staatsoberhaupt der konstitutionellen Monarchie vergleichbar. Er wurde zur damaligen Zeit scherzhaft als „Ersatzkaiser“ bezeichnet. Der Reichspräsident ernannte und entließ die Reichsregierung und den Reichskanzler, repräsentierte das Volk, ernannte Richter und hatte den Oberbefehl über die Reichswehr. Besonders die Artikel 25 (Auflösung des Reichstags) und 48 (Alleinregierung bei starken Unruhen im Land) zeigten sehr deutlich seine hohe Machtposition.

Zusätzlich konnte das Volk durch ein Volksbegehren Ansprüche an den Reichstag stellen und durch einen Volksentscheid Beschlüsse des Reichstags oder Reichsrates außer Kraft zu setzen.

Das Reich hatte eine bundesstaatliche Struktur: es war in Länder gegliedert.

Die judikative (Recht sprechende) Gewalt lag bei den Richtern. Höchstes Gericht war das Reichsgericht; ein Reichsverfassungsgericht gab es nicht. Es konnte jedoch ein Staatsgerichtshof eingerichtet werden, um zum Beispiel den Reichspräsidenten oder Regierungsmitglieder anklagen zu können, falls diese gegen die Verfassung verstoßen hatten.

Fortgeltung der Verfassung in der Zeit des Nationalsozialismus

Die Weimarer Verfassung blieb nach der „Machtergreifung“ durch Adolf Hitler am 30. Januar 1933 weiterhin gültig. Sie wurde jedoch mit Gesetzen und Verordnungen blockiert. Die beiden wichtigsten sind die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, besser bekannt als Reichstagsbrandverordnung, vom 28. Februar 1933 und das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933. Erst mit der Übernahme der Regierungskontrolle durch den Alliierten Kontrollrat am 5. Juni 1945 tritt quasi auch die WRV ausser Kraft.

Einfluss auf das Grundgesetz

Als der Parlamentarische Rat zwischen dem 1. September 1948 und dem 23. Mai 1949 in Bonn das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ausarbeitete, orientierte er sich an der Weimarer Verfassung. Man lernte sozusagen aus ihren Fehlern. Das Grundgesetz ähnelt der Weimarer Verfassung in vielen Punkten, enthält aber auch große Unterschiede. So spielt der Bundespräsident nicht die herausragende Rolle wie der Reichspräsident. Insgesamt wird ein Gleichgewicht der Staatsorgane herbeigeführt. Auch die Grundrechte erhalten einen höheren Stellenwert: in der Weimarer Verfassung wurden sie als Staatsziele genannt, im Grundgesetz gelten sie als Grundlage der Gesetzgebung, die in ihrem Wesensgehalt nicht angetastet werden dürfen.

Im Artikel 140 des Grundgesetzes wird weiterhin verfügt, dass die Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Verfassung Bestandteile des Grundgesetzes sind. Sie sind die sogenannten "Religionsartikel", die den Kern des geltenden Staatskirchenrechts bilden.

Bewertung

Es ist - verständlicherweise - immer wieder diskutiert worden, inwieweit die WRV zum Untergang der Weimarer Republik beigetragen hat. Dabei wurde den Verfassungseltern schwere Vorwürfe gemacht; dies hat u.a. damit zu tun, dass die ersten Bonner Politiker auch die letzten Weimarer Politiker waren. So hatte man ein Motiv, die Katastrophe des Jahres 1933 (Hitlers Machtergreifung) der Verfassung anzulasten.

Viele der Vorwürfe erweisen sich nach näherer Betrachtung als haltlos:

  • Die mangelnde Sperrklausel und das fehlende Parteiverbot für verfassungswidrige Parteien habe es ermöglicht, dass zuviele Parteien in das Parlament gelangt sind. Aber 1919 hatte man eine Sperrklausel eben deswegen abgelehnt, weil damit der Wählerwille eingeschränkt bzw. verfälscht worden wäre. Die Kritiker übersehen, dass bei einer Sperrklausel nach bundesdeutschem Muster auch die beiden liberalen Parteien sehr bald aus dem Reichstag verschwunden wären. Außerdem ist die Weimarer Republik nicht an an den Splitterparteien zugrunde gegangen, sondern an der Stärke der KPD und der NSDAP. Übrigens hat auch das absolute Mehrheitswahlrecht des Kaiserreiches nicht wenige Parteien ins Parlament gelassen.
  • Es sei ein schwerer Fehler gewesen, die Parteien nicht in der Verfassung zu erwähnen (bzw. ein einziges Mal, negativ, in einem anderen Zusammenhang). Tatsächlich aber gibt es auf der Welt kaum eine Verfassung, die die politischen Parteien erwähnt. Dort werden Parteien entweder ebenfalls über ein einfaches Parteiengesetz oder aber durch das Vereinsgesetz kontrolliert.
  • Vor allem die schwache Machtposition des Reichspräsidenten wird kritisiert. Dabei war der Weimarer Präsident, wieder verglichen mit anderen Verfassungen, ganz und gar nicht übermächtig. Der Reichstag konnte seine Eingriffe überstimmen - doch dazu hätte sich eine handlungsfähige Mehrheit dort finden müssen, was eher selten der Fall war. Die wiederholten Eingriffe des Präsidenten in die Staatsleitung ist nicht einem Machtstreben der jeweiligen Präsidenten, sondern dem Parlament anzulasten.

Verfassungsgerichtsbarkeit, Verfassungsschutz, die Möglichkeit von Parteienverboten usw. hat es bereits in der Weimarer Zeit gegeben. Das Problem aber war, dass diese Instrumente von der damaligen Politik nicht immer so angewendet wurden, wie man es sich aus freiheitlich-demokratischer Sicht wünschen würde.

Problematisch war auch z.B. die Praxis, so genannte "verfassungsdurchbrechende" Gesetze zu beschließen. Dabei durften Gesetze der Verfassung widersprechen, wenn sie von einer Zweidrittel-Mehrheit unterstützt wurden. Die vier Ermächtigungsgesetze gehören zu dieser Entwicklung. Das Grundgesetz schreibt daher vor, dass eine Verfassungsänderung in einer expliziten Änderung des Verfassungstextes bestehen muss. Dies ist aber abermals nicht so sehr der Verfassung anzulasten, sondern der Politik. Allerdings muss man auch sagen: Ohne die Flexibilität der WRV bzw. ihrer pragmatischen Anwendung hätte die Republik wahrscheinlich die ersten fünf Jahre nicht überstanden.

Die WRV erschien so erfolgreich, dass 1929 Teile davon - namentlich die Stellung des Präsidenten - von Österreich übernommen wurden.

Das Scheitern der Republik muss daher vor allem in anderen Ursachen gesehen werden, nämlich die wirtschaftlichen Probleme, die Verrohung der Menschen durch Weltkrieg und Extremismus und schließlich eben auch das Treiben des Franz von Papen.

Vergleich mit der Reichsverfassung von 1871

Das Deutsche Kaiserreich war eine konstitutionelle Monarchie. Das Staatsoberhaupt war der Kaiser, der gleichzeitig auch preußischer König war. Er hatte die exekutive Gewalt inne: Er ernannte den Reichskanzler (Chef der Reichsregierung), war Oberbefehlshaber des Heeres und bestimmte über die Beamten. Der Deutsche Kaiser berief den Reichstag und Bundesrat ein. Er hatte außerdem ein absolutes Vetorecht gegen die von Reichstag und Bundesrat verabschiedeten Gesetze und das Recht, den Reichstag aufzulösen und konnte somit die Gesetzgebung stark beeinflussen. Der Kaiser war jeder Verantwortung gegenüber anderen Staatsorganen enthoben. Es gab keinen Kontrollmechanismus, der innerhalb der Grenzen seiner Befugnisse Missbrauch seitens des Kaisers verhindern oder ihn einschränken konnte. Die Weimarer Republik war eine parlamentarische Demokratie mit einem Reichspräsidenten als Staatsoberhaupt. Er ernannte Reichsregierung und –kanzler, konnte den Reichstag auflösen, verabschiedete per Notverordnung Gesetze, hatte den Oberbefehl über die Reichswehr und ernannte die Richter des Reichsgerichts. Der Reichspräsident hatte sowohl die exekutive und als auch (durch den Artikel 48) legislative Gewalt inne. Es gab keinerlei Kontrollfunktionen seitens des Parlaments.

Exekutive war die Reichsregierung. Der Kaiser ernannte die Reichsbeamten, welche, genauso wie der Reichskanzler, dem Kaiser gegenüber verpflichtet waren, und nicht dem Parlament. Das Parlament konnte die Regierung zwar kritisieren oder kontrollieren, jedoch nicht ihr Vertrauen entziehen und somit für eine neue Regierungsbildung sorgen. Der Kaiser selbst konnte das Parlament auflösen, welches somit in seiner Hand war und Gesetzesentwürfen seitens des Kaisers zustimmen musste. Das Parlament war in der Weimarer Verfassung nicht so stark vom Reichspräsidenten eingeschränkt, da es die Legislative bestimmte.

Der Reichstag wurde von Männern ab 25 Jahren auf 3 und ab 1888 auf 5 Jahre gewählt. Die Wahl war allgemein, gleich und geheim. In Preußen existierte jedoch noch das Dreiklassenwahlrecht. Der Reichstag bildete zusammen mit dem Bundesrat die Legislative. Er machte Gesetzesentwürfe, denen der Bundesrat zustimmen musste. In der Weimarer Republik wurde der Reichstag von Männer und Frauen ab 20 Jahren in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Die Legislative war auf den Reichspräsidenten, Reichstag, Reichsrat und das Volk aufgeteilt.

Der Bundesrat setzte sich aus den Vertretern der 25 bundesstaatlichen Regierungen zusammen. Er setze Verwaltungsvorschriften für das Reich und kontrollierte die Reichsregierung. Es gab insgesamt 58 Stimmen, wovon allein 14 für ein Veto reichten. Allein Preußen besaß 17 Stimmen. Der Reichsrat setzte sich aus den Vertretern der Länderparlamente zusammen und die Stimmenanzahl war von der Größe des jeweiligen Landes abhängig.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass das Deutsche Reich zu dem Zeitpunkt eine konstitutionelle Monarchie war. Die Stärke des Reichstages darf man nicht unterschätzen; wenn die Durchsetzung des parlamentarischen Regierungssystems nicht gelang, dann lag das vor allem an der Uneinigkeit der dort vertretenen Parteien. Das Fehlen der Grundrechte in der Verfassung wiederum darf nicht überschätzt werden, da die Deutschen ihre Rechte durch die Landesverfassungen oder die Rechtsprechung hatten.

Vergleich mit dem heutigem Grundgesetz

Beim Vergleich der WRV mit dem Grundgesetz von 1949 darf man sich nicht von Äußerlichkeiten irreführen lassen, wie etwa der Tatsache, dass die Grundrechte in der WRV nicht am Anfang des Textes standen.

Die Macht des Präsidenten wurde sehr stark eingeschränkt, zugunsten des Bundestags und des Bundeskanzlers. Heute hat der deutsche Bundespräsident vor allem eine repräsentative Funktion. Normalerweise bestätigt er mit seiner Unterschrift nur bereits getroffene Entscheidungen, z.B. vom Parlament beschlossene Gesetze.

Die Stellung der Regierung wurde gestärkt. Sie ist nur vom Deutschen Bundestag abhängig, und nicht wie früher, vom Reichstag und dem Reichspräsidenten. Der Bundestag kann einen Kanzler nur dadurch absetzen, dass er gleichzeitig einen neuen wählt ("konstruktives Misstrauensvotum"). Dieses Verfahren sorgt für mehr Stabilität, da sich in der Weimarer Zeit politische Gruppierungen zu einer Abwahl des Kanzlers vereinen konnten, ohne jedoch einen eigenen Kandidaten vorschlagen zu müssen. In der Weimarer Republik konnte man übrigens auch den Reichsministern das Vertrauen entziehen. Heute steht und fällt die Regierung mit dem Kanzler.

Verfassungsänderungen müssen - anders als in Weimarer Zeit - jetzt explizit sein. Der Artikel 79, Absatz 3 besagt ferner, dass die Artikel 1 und 20 sowie Artikel, die die Bundesstaatlichkeit betreffen, nicht verändert werden dürfen. Bundesländer können zwar (nach Volksabstimmungen) in ihrem Gebietsumfang oder in ihrer Zahl verändert werden, jedoch ist eine Abschaffung nicht möglich. Die im Artikel 20 festgeschriebene Gewaltenteilung kann nicht außer Kraft gesetzt werden.

Die Bundesländer sind durch den Bundesrat stärker in die Gesetzgebung eingebunden als früher durch den Reichsrat. Der Reichsrat besaß zwar ein Vetorecht, jedoch war dies eher schwach.

Den Oberfehl über die Armee hatte der Reichspräsident, heute der Bundesverteidigungsminister, im Verteidigungsfall der Bundeskanzler. Auch dies sollte man nicht überbewerten; so hat der österreichische Bundespräsident ebenfalls den Oberbefehl, das hat für die Verfassungspraxis aber kaum Bedeutung. Was es in einer ernsten innenpolitischen Krise bedeuten könnte, ist nicht vorhersehbar.

Das Grundgesetz spricht zwar von "Wahlen und Abstimmungen", allerdings sind Volksentscheide abgeschafft. Verzichtet wurde auf diese Partizipationsmöglichkeit, da in der Weimarer Zeit von den Kommunisten, Nationalsozialisten und anderen Parteien zur Propaganda genutzt wurde.

Nebensächlichkeiten

Die Verfassung (und damit nachfolgend die Republik) ist nach Weimar benannt, obwohl Friedrich Ebert sie in Schwarzburg unterzeichnete (womit sie rechtsgültig wurde). Ebert weilte nur für einige Tage Urlaub in Schwarzburg, während das Parlament, welches die Verfassung ausarbeitete, in Weimar tagte.

Literatur

Kommentare

  • Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. (letzte) Aufl., Berlin 1933 (fotomechanischer Nachdruck Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1960)
  • Fritz Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung vom 11. August 1919. Ein Handbuch für Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, 3. Aufl., Berlin 1928

Sammelbände

  • Eberhard Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung - Was ist geblieben?, Mohr Siebeck, Tübingen 1999, ISBN: 3-16-147167-9

Aufsätze

  • Werner Frotscher, "Direkte Demokratie in der Weimarer Verfassung", in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVBl.) 1989, S. 541-549
  • Christoph Gusy, "Das Demokratieprinzip der Weimarer Reichsverfassung", in: Juristische Ausbildung (Jura) 1995, S. 226-234
  • Felix Hammer, "Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 - die Weimarer Reichsverfassung", in: Juristische Ausbildung (Jura) 2000, S. 57-63
  • Johannes Rux, "Direkte Demokratie in der Weimarer Republik", in: Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (KritV) 2002, S. 273-297
  • Hans Mommsen, "Ist die Weimarer Republik an Fehlkonstruktionen der Reichsverfassung gescheitert?", in: Detlef Lehnert und Christoph Müller (Hrsg.): Vom Untertanenverband zur Bürgergenossenschaft, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2003, ISBN 3-8329-0067-5

Siehe auch