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Albert Reimann (Unternehmer)

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Albert Reimann (* 31. August 1898 in Ludwigshafen am Rhein; † 25. Mai 1984 in Heidelberg) war ein deutscher Unternehmer; während des nationalsozialistischen Regimes war er ein prominenter Unterstützer der NSDAP und Verbandsfunktionär.

Leben

Albert Reimann junior entstammte der Unternehmerfamilie Reimann und ist Urenkel von Karl Ludwig Reimann. Sein Vater war der gleichnamige Chemiker und Nationalsozialist Albert Reimann senior. Reimann war Mitinhaber des Chemieunternehmens Joh. A. Benckiser GmbH in Ludwigshafen am Rhein. Nach seiner naturwissenschaftlich-mathematischen Promotion 1926 in Heidelberg zum Dr. phil. nat. trat er 1928 in das Unternehmen ein, Mitte der 1930er Jahre übernahm er das Management bei Benckiser und erbte 1954 nach dem Tod des Vaters das gesamte Unternehmen.[1]

Unter Albert Reimanns Ägide entwickelte sich das Familienunternehmen ab 1954 zur Firmengruppe.[2] Mit der Änderung des Produktportfolios von Industriechemikalien zu Haushalts- und Industriereinigern und der Entwicklung oder dem Kauf[3] von Marken wie Calgon (1956), Kukident (1962), das Maschinengeschirrspülmittel Calgonit (1964) und Quanto (1966)[1] legte er den Grundstein für den Reichtum der Familie Reimann. Reimann hat den Wasserenthärter Calgon erfunden.[4] Zudem brachte er weitere Marken wie Sagrotan auf den Markt.[5] Nach 50-jähriger Tätigkeit im Familienunternehmen übergab Albert Reimann als Mehrheitsgesellschafter, Hauptgeschäftsführer sowie auch Repräsentant der fünften Generation des Unternehmens zum 1. September 1978 die Verantwortung seinem bisherigen Stellvertreter Martin Gruber (1930–2016).[6]

Reimann heiratete in erster Ehe 1935 Adelheid Löwis of Menar (1907–2000), die Tochter von Karl Reinhold Max von Löwis of Menar und Else von Löwis. Die Ehe wurde 1938 geschieden.[7] Am 3. September 1938 heiratet er in Mannheim Paula Reimann, geb. Frey.[8][3] Etwa 1941 bewarb sich die damals 19-jährige Emilie Landecker (1922–2017) bei der Firma und wurde als Sekretärin eingestellt. Reimann verliebte sich in sie und führte, obwohl sie nach NS-Ideologie „Halbjüdin“ war, eine Beziehung mit ihr. Am 24. April 1942 wurde Emilies Vater Albert Landecker von Nazis verschleppt, im Ghetto Izbica interniert und in einem Konzentrationslager umgebracht.[9] 1951 kam das erste von drei Kindern, Renate Reimann-Haas, der katholisch getauften Emilie Landecker und Albert Reimann zur Welt; Wolfgang Reimann wurde 1952 und Andrea Reimann-Ciardelli 1956 geboren.[10] Im Jahr 1965 adoptierte er diese drei Kinder. Zwei weitere Kinder (Stefan Reimann-Andersen und Matthias Reimann-Andersen) adoptierte Albert Reimann wegen Paula Reimanns Unfruchtbarkeit von einem Cousin.[11]

Reimann verschwieg zeitlebens seinen Kindern, dass er Mitinhaber von Benckiser war. Die Kinder hielten den Vater für einen Angestellten des Konzerns.[12] Nach seinem Tod 1984 wurde jedem der neun Kinder der gleiche Erbanteil an Joh. A. Benckiser zugesprochen. Die vier Kinder der Linie Reimann-Dubbers (Günter Hans Reimann-Dubbers geb. 1942, Volker Reimann-Dubbers geb. 1944, Hans Gerhard (kurz: Gerd) Reimann-Dubbers und Hedwig-Else Dürr, geborene Reimann-Dubbers), die Albert Reimann von seiner Schwester Else Dubbers adoptiert hatte, ließen sich im Jahre 1997 ihre Anteile auszahlen, um eigene Wege zu gehen.[13][14][15][16] Auch Andrea Reimann-Ciardelli, eine Biologin, ließ sich ausbezahlen und lebt heute in den USA.[17]

An Joh. A. Benckiser, seit 2012 JAB Holding mit Sitz in Luxemburg, blieben die Geschwister Renate Reimann-Haas und Wolfgang Reimann sowie deren Cousins Matthias Reimann-Andersen (* 1965) und Stefan Reimann-Andersen (* 1963) beteiligt. Heute liegt der Anteil bei rund 90 Prozent.[18][19]

Nationalsozialistische Vergangenheit

Reimann und sein Vater waren überzeugte Nationalsozialisten. Schon zu Hitlers Machtübernahme 1933 stellte sich das damals mittelständische Unternehmen als NS-Musterbetrieb auf. Im Juli 1937 schrieb er an den SS-Chef Heinrich Himmler: „Wir sind ein über hundertjähriges, rein arisches Familienunternehmen. Die Inhaber sind unbedingte Anhänger der Rassenlehre.“ Während der Nazi-Diktatur expandierte die Firma aufs Dreifache, nicht zuletzt wegen der hohen Zahl von Zwangsarbeitern. 1943 waren es 175 an der Zahl. Reimann war bekannt für seine brutale Behandlung dieser Menschen. Seinen Kindern erzählte er später, die Zwangsarbeiter hätten den Betrieb geliebt und Tränen vergossen, als der Krieg zu Ende war und sie gehen mussten. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte er sich als Opfer der Nazis dar und wurde in der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft. Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte fand erst sehr spät, nämlich ab 2016 statt, mit ersten Veröffentlichungen 2019, was dem Konzern und den Reimann-Nachfahren Kritik einbrachte.[20] Der Vertraute der Familie und Chef der JAB Holding, Peter Harf, äußerte sich 2019: "Reimann senior und Reimann junior waren schuldig. Die beiden Unternehmer haben sich vergangen, sie gehörten eigentlich ins Gefängnis."[21]

Ehrungen

Literatur

  • Albert Reimann: Über Synthesen mit dem Iminrest. Dissertation, Heidelberg, 1926
  • Marchivum: Dr. Albert Reimann jun., Mitinhaber der Johann A. Benckiser GmbH, Heidelberg, Neuenheimer Landstr. 22 - Entnazifizierungsverfahren. Zeitraum 1946–1948. Signatur 24/1972a_00549
  • Kurt Oberdorffer (Hrsg.): Ludwigshafener Chemiker. Bd. 2: Ludwig Reimann, Heinrich Caro, Carl Grünzweig, Rudolf Knietsch, Albert Reimann sen., Fritz Winkler. Unter Mitarbeit von Emil Aeckerle; Paul Feiler; Kurt Schuster; Karl Seiffert; Herbert Wolf. Econ, Düsseldorf 1960.
  • Dr. Albert Reimann 70 Jahre alt. In: Chemiker Zeitung – Chemische Apparatur, Band 92. A. Hüthig, 1968, S. 598.
  • Albert Reimann; Werner Arnhardt; Joh. A. Benckiser GmbH: 150 Jahre Benckiser, Ludwigshafen, 1973
  • Dr. phil. nat. Albert Reimann. In: Chemische Industrie: Zeitschrift für die deutsche Chemiewirtschaft, Band 25, 1973, S. 826.
  • Karl Heinz: Dr. Albert Reimann – ein Unternehmerporträt. In: Benckiser-Report, 1973, Heft 4, S. 5f.
  • Abschied von einem Mann, der seine Lebensaufgabe erfüllt hat. Zum Tode von Dr. Albert Reimann. In: Benckiser-Report 1984, Heft 2, S. 3–6.
  • Ulrich Boeyng: Die Familie Benckiser-Teil 2, Badische Heimat, 12/2018

Einzelnachweise

  1. a b Tief greifende Analyse ausgewählter langfristig erfolgreicher Unternehmerfamilien. In: Thomas Zellweger und Nadine Kammerlander: Family Business Groups in Deutschland. Generationenübergreifendes Unternehmertum in grossen deutschen Unternehmerdynastien. Center for Family Business, Universität St. Gallen, 2014, PDF, S. 22ff.
  2. Dr. Albert Reimann – 80 Jahre. In: Hansa, Band 115, 1978, S. 1328.
  3. a b Christoph Elflein: Die rätselhaften Reimanns. Deutschlands reichste Familie hat alles, nur kein Gesicht. Focus Magazin, Nr. 42 (2017).
  4. FOCUS Online: Der Unternehmer-Clan der Reimanns: Das sind Deutschlands mysteriöseste Milliardäre. In: FOCUS Online. (focus.de [abgerufen am 18. Oktober 2018]).
  5. Elisabeth Dostert: Heiß und kalt
  6. Nachruf Martin Gruber: Trauerportal Archiv - Mannheimer Morgen. Abgerufen am 14. Mai 2021.
  7. Genealogisches Handbuch des Adels, 2002, S. 257.
  8. Karen Strobel und Brigitte Zwerger: Betrachtungen und Quellenstudien zur frühen völkischen Bewegung in Mannheim bis 1922. Marchivum, abgerufen am 13. Mai 2021.
  9. Nazi Love Children. 28. September 2019, abgerufen am 15. Mai 2021 (amerikanisches Englisch).
  10. Martin Mehringer, Sven Clausen, manager magazin: Das Elend der einst reichsten Familie Deutschlands. Abgerufen am 14. Mai 2021.
  11. Wolfgang Reimann, Renate Reimann-Haas, Matthias Reimann-Andersen, Stefan Reimann-Andersen. JAB Holding. In: Hans-Jürgen Jakobs: Wem gehört die Welt. Die Machtverhältnisse im globalen Kapitalismus. Albrecht Knaus Verlag, München 2016, S. 254; eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  12. Anne-Catherine Simon: Die NS-Vergangenheit der zweitreichsten deutschen Familie. 26. März 2019, abgerufen am 12. Mai 2021.
  13. Marx-Forum: Milliardäre in Deutschland O-R (Albert Reimann)
  14. Manager-Magazin
  15. FirmenABC: Benckiser (Memento vom 29. Januar 2010 im Internet Archive)
  16. Bilanz 12/2008 – Schweizer Wirtschaftsmagazin
  17. Ursula Schwarzer, Simon Hage, manager magazin: Familie Reimann: Die Steuerkünstler. Abgerufen am 15. Mai 2021.
  18. Reimann-Holding-Chairman Bart Becht: „Kaffee bietet eine einmalige Chance“. (handelsblatt.com [abgerufen am 13. März 2018]).
  19. Hendrik Ankenbrand: Stille Großunternehmer: Immer diese Reimanns. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 15. Mai 2021]).
  20. Düstere Geschichte der Milliardärsfamilie Reimann enthüllt. In: manager-magazin.de. 24. März 2019, abgerufen am 15. Juni 2020.
  21. manager magazin: Familie Reimann: Missbrauchsskandal zur NS-Zeit enthüllt. Abgerufen am 15. Mai 2021.
  22. Tatjana Schneider: Die Reimanns von nebenan. In: Die Zeit, Nr. 16/2012, 12. April 2012.
  23. Reimann, Albert. In: Wer ist wer? Das deutsche Who’s Who, Schmidt Rönhild, 1976, S. 773.
  24. Ludwigshafener Ruderverein: Ehrenmitglieder. Abgerufen am 14. Mai 2021.
  25. Dr.-Albert-Reimann-Straße. In: Historisches Straßen- und Plätzeverzeichnis von Ladenburg. Stadtarchiv Ladenburg; Stand: 14. März 2018.