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Der Steppenwolf

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Der Steppenwolf ist ein Roman von Hermann Hesse, der 1927 zum ersten Mal veröffentlicht worden ist. (ISBN 3518366750). Er beschreibt die Situation von Harry Haller, einem sehr intelligenten, aber auch psychisch kranken Menschen, der erst durch die Begegnung mit Hermine und später dem magischen Theater lernt, lebensfähiger zu werden, indem er die Welt und sich selbst mit mehr Humor zu sehen lernt.

Allgemeines zum Buch

„Der Steppenwolf“ hat einen wesentlichen Anteil an der Begründung des Weltrufes seines Autors, Hermann Hesse. Nach der Veröffentlichung wurde das Werk jedoch sehr widersprüchlich beurteilt. Einerseits erfuhr es scharfe Ablehnung, andererseits begeisterte Zustimmung – diese v.a. in literarischen Kreisen und der Hippie-Bewegung. In Amerika ging die Ablehnung sogar so weit, dass Hesses Buch von den amerikanischen Sittenwächtern aus den Schülerbibliotheken einzelner Staaten verbannt wurde, da man „Kinder vor dieser Darstellung des exzessiven Drogenmissbrauchs und der sexuellen Perversionen schützen muss“. Dadurch hat gerade dieses Buch die neue umfangreiche Hesse-Rezeption der 1960er- 1970er Jahre in Amerika und Deutschland ausgelöst.

Entstehungssituation des Steppenwolf

Als Hesse den Steppenwolf schrieb, litt er am Phänomen der technisch-rationalisierten Welt und der Zivilisation, durch die er Geist und Seele der Menschen gefährdet sah. Das Gefühl der Bedrohtheit durch nahe Katastrophen und neue Kriege ließ ihn nicht los.

Hesse befand sich auch in einer tiefen persönlichen Krise, als er als fast 50-Jähriger in sein Tagebuch schrieb: „Ich schmeiße alles hin, mein Leben, […] ich alternder Mann. Auf eure Welt anders zu reagieren als durch Krepieren oder durch den Steppenwolf wäre für mich Verrat an allem, was heilig ist.“ Wie der Autor selbst, so überlegt sich Harry Haller, die Hauptperson des Romans, sich umzubringen. Genauso, wie auch der Steppenwolf im Tractat vom Steppenwolf sich das Ziel setzt, seinen 50. Geburtstag als den Tag festzulegen, an dem er die Möglichkeit haben würde, sich umzubringen. „Ich nahm mir vor, dass ich an meinem 50. Geburtstag, also in zwei Jahren, das Recht haben werde, mich aufzuhängen.“

Um seine Lebenskonflikte zu bewältigen nahm Hermann Hesse an therapeutischen Gesprächen mit J.B. Lang, einem Psychoanalytiker aus der Schule des C.G. Jung teil, in dessen Club er vorab Teile des Steppenwolfes veröffentlichte.

Inhalt

Protagonist des Romans ist Harry Haller. Der fast 50-jährige und äußerst gebildete Mann lebt einsam in einem tief greifenden Zwiespalt zu seiner (klein-)bürgerlichen Umwelt. Einerseits ist er ein Außenseiter und Verächter der oberflächlichen Gesellschaft der 20er Jahre, andererseits hindern ihn sentimentale Gefühle, seine Bindungen zum Bürgertum vollständig aufzulösen.

Die Hauptfigur versteht sich als zweigeteiltes Wesen, das eine menschliche und wölfische Natur hat. Oftmals liegen sie in Konflikt zueinander: Ist er menschlich (mitfühlend, kulturvoll ...), so verspottet ihn der Steppenwolf, gleicht er dagegen einem Wolf (durchsetzungsstark, triebhaft ...), so verachtet ihn der Mensch. Linderung von seinem weder so noch so als befriedigend empfundenen Leben verschafft ihm bisher nur der erlösende Gedanke durch Selbstmord: Sollte sich bis zu seinem 50. Geburtstag seine Lage nicht gebessert haben, will er sich mit Hilfe eines Rasiermessers töten.

Bei einem nächtlichen Spaziergang entdeckt Haller eine Inschrift des "Magischen Theaters" und erhält von einem Fremden das so genannte "Traktat des Steppenwolfs", in dem ein scheinbar Außenstehender kühl und objektiv die innere Zerrissenheit des Steppenwolfs analysiert. Eine Lösung des Konfliktes sieht der anonyme Autor nur in der Aneignung eines humorvollen Standpunkts. Er ermutigt Haller durch den Hinweis, dass die Zweiteilung des Menschen (Wolf und Mensch) eine zu starke Vereinfachung sei: In jedem Menschen seien hunderte verschiedener Seelen wirksam. Harry kann sich mit dem Essay identifizieren und bemerkt Analogien zu einem Gedicht, das er früher verfasst hat.

Wenig später trifft er auf einen jungen Professor, mit dem er früher viel diskutiert hat. Als er von diesem zum Essen eingeladen wird, flüchtet er, sobald es zu einem Streit über ein Goethe-Porträt kommt, das Hallers Ansicht nach zu wenig authentisch ist. In einem Gefühlszustand völliger Verzweiflung trifft er wieder auf den Fremden, der ihn in das Lokal "Zum schwarzen Adler" schickt, obwohl er nach einer Vorstellung im „Magischen Theater“ gefragt hat.

In dem genannten Lokal kommmt es zur Begegnung mit der geheimnisvolle Kurtisane Hermine, welche er als Seelenverwandte und Spiegel seiner Seele versteht, und der er sich als Schüler in Sachen Lebensgenuss anvertraut. So lernt er beispielsweise Tanzen. Die neue Freundin bringt Haller dazu, ihren Befehlen zu folgen und offenbart ihm, dass er sich in sie verlieben und sie dann töten wird. Der Steppenwolf erlebt durch Vermittlung Hermines eine kurze Liebesbeziehung mit der schönen Dirne Maria. Durch all diese neuen Lebenserfahrungen bekommt das alte Selbstbild Hallers vom Steppenwolf erste Risse, denn er lernt nun allmählich seine anderen, bisher unterentwickelten Persönlichkeitsfacetten kennen und erlebt eine glückliche Zeit.

Der Höhepunkt seiner Selbsterfahrung stellt jedoch das magische Theater dar, eine Art Seelenspiegel von Hermines Freund Pablo. Nach einer ausschweifenden Ballnacht und unter der Wirkung von Drogen entdeckt Haller in den einzelnen Logen des Theaters viele Facetten seiner Seele kennen und begegnet in Form des von ihm verehrten Mozart dem Unsterblichen. Schließlich tötet er in dem Theater tatsächlich Hermine aus Eifersucht, weil er sie mit Pablo zusammen in einer Loge entdeckt, wie sie miteinander geschlafen haben. Dafür wird er mit einer Art 'Hinrichtung' von den Unsterblichen wegen Humorlosigkeit mit dem ewigen Leben bestraft. Haller erkennt seinen Fehler, der Tötungswunsch Hermines war in Wirklichkeit nur sein eigener gespiegelter Wunsch nach edler Dramatik. Um seine Krise zu beenden, um für die Welt der Unsterblichen bereit zu sein, muss er vor allem Humor erlernen, das Lachen über sich selbst und die Welt. Nur dadurch ist die Erlösung zu erlangen, nicht durch Suizid. Haller ist am Ende optimistisch, dass sein nächster Versuch der Humorerprobung erfolgreicher sein wird.

Aufbau

Der Roman lässt drei verschiedene Erzähler zu Wort kommen: Da ist erstens das Vorwort des Herausgebers, in dem der Neffe der Hauswirtin Hallers seinen persönlichen Eindruck vom Steppenwolf schildert. Zweitens die Aufzeichnungen Harry Hallers selbst, in denen dieser seine eigenen Erlebnisse schildert. Drittens das Traktat vom Steppenwolf, in dem der Steppenwolf kühl und objektiv aus der Sicht von scheinbar Außenstehenden analysiert wird, wobei die Außenstehenden die Unsterblichen sind. Diese Abhandlung ist wie eine "innere Biographie", eine Psychoanalyse eines olympischen Erzählers. Es ist quasi ein Buch im Buch, das der Protagonist selbst liest. Danach werden seine Aufzeichnungen fortgesetzt. Die Technik, sich fiktiv als Herausgeber fremder Schriften auszugeben, verwendet Hesse auch in anderen Werken.

Schon mit seinen drei verschiedenen Erzählern, die sich aus drei Perspektiven nahezu mit der selben erzählten Zeit der Hauptfigur befassen, war der Roman eine kompositorische Innovation. Hesse war dieser dreifache Erzähler so wichtig, dass er das Traktat in den ersten Ausgaben des Romans sogar als separate gelbe Broschüre einheften ließ. Der „bürgerlichen“ Sichtweise des „Herausgebers“ auf Gesellschaft, Kultur und Harry Haller „von außen“ steht zunächst nur die Sicht Hallers auf seine Freud- und Erfolglosigkeit, die innere Sichtweise, gegenüber. Die Geistverehrung der einen und das Leiden an der Geistlosigkeit seiner Zeit in der anderen Sichtweise werden erst in der Perspektive des Traktats zueinander aufgehoben: Das Traktat untersucht wie in einem „biografischen Labor“ die Bedingungen, unter denen Haller künstlerisch wieder produktiv werden und den Weg zur eigenen Unsterblichkeit fortsetzen könnte.

Die drei gleichberechtigten Sichtweisen auf die Hauptfigur bilden den ersten Teil des Romans, umreißen das Thema der Identität und ihrer Entwicklung. Die dann folgenden beiden Teile des Romans untersuchen, wie die Aufhebung der einseitigen Sichtweisen, deren innerer Kampf Hallers Fortschreiten hemmt, in der gelebten Biografie aussehen könnte: Im zweiten Teil, der Durchführung, verdichten sich Hallers Erfahrungen zu einer Lebensalternative und im dritten beginnen sich die einseitigen Bilder der Hauptfigur zu verwandeln und aufzulösen.

Nach der Exposition der drei Perspektiven, gewissermaßen die Skizze des Problems und die Skizze einer Lösung, entfaltet sich die Hauptfigur im zweiten Teil mit den drei neuen Freunden Hermine, Maria und Pablo, die als Personifikationen innerweltlicher Sehnsüchte oder Schicksale Hallers gelesen werden können. Vor allem die Figur der Hermine wird zu einem weiblichen alter ego Hallers/Hesses, da sie sowohl sein Seelenspiegel ist als auch später ihr Geschlecht zu einem „Hermann“ wechselt. Alle drei Nebenfiguren zusammen führen Haller in die Antithese zu seinem bisherigen Leben und bereiten die Überwindung in einem dritten Schritt durch die Verwandlungen des Magischen Theaters vor.

Der dritte und letzte Teil des Romans spielt im Untergeschoss eines Tanzpalastes, das als „Hölle“ geschmückt ist (mehrfach wird auf Dantes auch dreiteilige Göttliche Komödie angespielt, die in der Hölle beginnt). In der Logik der Aufhebung der bisher noch nicht integrierten, noch getrennten Sichtweisen steht ihr mehrfacher Tod: die Tode Hallers in der Zerstörung seiner Spiegelbilder und seiner abschließenden symbolischen Hinrichtung, die symbolische Ermordung Hermines durch Haller, der bewaffnete Kampf gegen die Ordnung der Automobile mit der Opferung der Chauffeure. Diesen negativen Metaphern der Überwindung stehen die eher optimistischen Bilder gegenüber, auf die sich Haller in seiner nächsten, im Roman nicht mehr beschriebenen Lebensphase stützen könnte: Die immer neuen Konstellationen der winzigen Schachfiguren, der souveräne Umgang von Wolf und Mensch miteinander und die Vielfalt der Chancen von Liebe und sexueller Erfüllung schon in Hallers „altem“ Leben.

Ähnlichkeiten zur Figur des Faust bei Johann Wolfgang von Goethe sowie zu Hermann Hesse selbst (man beachte hierbei auch die Initialen des Protagonisten) sind offensichtlich und werden im Text benannt.

Verständnis

Die innere Zerrissenheit des Steppenwolfes und sein Versuch zur Bewältigung spiegeln das buddhistische Prinzip des Weges der Mitte wider. Hesse beschäftigt sich in vielen seiner Bücher mit dieser fernöstlichen Lehrthese, nach der der Pfad zur Erleuchtung nicht über die Extrema Askese oder Ausschweifung führt, sondern in der Kunst, diese beiden miteinander in Einklang zu bringen. Oder noch besser gesagt: In der Erkenntnis, dass gut und böse einander nicht nur bedingen, sondern ein Konstrukt menschlicher Rationalität sind. Wer dies begriffen hat, der kann aus tiefem Einverständnis mit dem Universum heraus lächeln, wie es die Unsterblichen tun. Humor erscheint als eine Art der Transzendenz. Schließlich zeigt er ja die Lächerlichkeit unserer Wünsche und Ängste vor den Gesichtspunkten der Ewigkeit auf.

Thematik

Kommentare

Hermann Hesse: "[...] es ist die Geschichte eines Menschen, welcher komischerweise darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur Hälfte ein Wolf ist. Die eine Hälfte will fressen, saufen, morden und dergleichen einfache Dinge, die andere will denken, Mozart hören und so weiter, dadurch entstehen Störungen, und es geht dem Mann nicht gut, bis er entdeckt, dass es zwei Auswege aus seiner Lage gibt, entweder sich aufzuhängen oder aber, sich zum Humor zu bekehren." (aus einem Brief an Georg Reinhardt, 18. August 1925)

Thomas Mann: "Ist es nötig zu sagen, dass der "Steppenwolf" ein Romanwerk ist, das an experimenteller Gewagtheit dem "Ulysses", den "Faux Monnayeurs" nicht nachsteht? Der "Steppenwolf" hat mich seit langem wieder gelehrt, was Lesen heißt."

THE TIMES: "Ein Autor für die siebziger Jahre: Umweltschützer, Kriegsgegner, Feind der computergesteuerten Technokratie. Für seine Freiheit ist er bereit, alles aufzugeben außer seiner Integrität."

Herbert Wehner: "Hermann Hesse hat seit meiner Jugend zu denen gehört, aus deren Schriften ich Besinnung, Hoffnung und Kraft geschöpft habe"

Auszeichnungen

Für dieses Buch erhielt Hermann Hesse 1946 den Nobelpreis für Literatur.