Leo Trotzki
Leo Dawidowitsch Trotzki, russisch Лев Давидович Троцкий (* 7. November 1879; † 21. August 1940; seltener auch mit der Namensvariante Lew Trotzkij bzw. dem eigentlichen (bürgerlichen) Namen Leib Dawidowitsch Bronstein bezeichnet), war ein bedeutender ukraino-russischer Revolutionär und ein glühender Anhänger des Marxismus.
Das Leben vor dem Umsturz
Trotzki wurde als fünftes Kind jüdischer Kolonisten im ukrainischen Janowka (im Kreis Jelisawetgrad, Gebiet von Cherson) geboren, und besuchte in seiner Jugend die Realschule der Kleinstadt Nikolajew.
Aus seiner zu bescheidenem Wohlstand gekommenen Plebejerfamilie ging mit seiner Schwester Olga noch eine weitere revolutionäre Person hervor, die Lew Kamenew, einen einflußreichen Parteitheoretiker der Bolschewiken und eine der Hauptfiguren des thermidorianischen Triumvirates der Zwanziger Jahre heiratete.
Die Jahre in Janowka, in der finstersten Provinz, erlebte der spätere Volkskommissar weder als unbeschwert, noch als bedrückt, und sprach in der Reife von einer biederen Kleinbürgerkindheit, farblos in der Schattierung, beschränkt in der Moral, nicht von Kälte und Not, aber auch nicht von Liebe, Überfluss und Freiheit geprägt. Seine Kindheit betrachtete er, wie überhaupt die meisten Dinge seines Erlebens, mit der nüchternen Wissenschaftlichkeit eines Mediziners, die ihm die Privilegiertheit seiner frühesten Jugend, die so im Widerspruch zu der "düsteren Hölle des Hungers, des Zwanges und der Beleidigungen" stand, die im Zarenreich wie anderswo die Kindheit der Mehrheit darstellte.
Nachdem Trotzki auf eigene Faust die deutsch-lutherische Schule in der großen Hafenstadt Odessa gemeistert hatte, und sein Abitur in Nikolajew von ihm mit glänzenden Noten bestanden war, war die Ideenwelt des hitzköpfigen Rebellen 1896 durch den Kampf des Überganges von einer individualistischen, radikaldemokratischen Protesthaltung zu einem der beiden großen Richtungen jener Tage, dem Marxismus und dem intelligenzlerischen Narodnikitum gezeichnet. Im Jahre 1897 war der frische Sozialist schon maßgeblich an der Gründung des sozialdemokratischen Südrussischen Arbeiterbundes beteiligt (die Eltern hatten schon vor Monaten aufgehört, ihren Sohn materiell zu unterstützen), er fungierte in dieser Organisation als Propagandist und Verbindungsmann zwischen den Gruppen in Nikolajew und der großen Hafenstadt Odessa. Ein Jahr später nahm die zaristische Polizei Trotzki im Rahmen von Massenverhaftungen, deren Anlass der Verrat des Tischlers Nesterenko war, fest und ließ ihn in den Gefängnissen von Nikolajew, Cherson und Odessa einsitzen. 1899 wurde er zur Verbannung nach Sibirien verurteilt, wo er seinem Zorn gegen das Petersburger Regime und die Ungerechtigkeit mit intensiven Studien der gesellschaftlichen Wissenschaft, das heisst des dialektischen und historischen Materialismus sowie der marxistischen Weltanschauung ein solides Fundament unter die Füße stellte.
Im Moskauer Überführungsgefängnis Butyrskaja heiratete der Revolutionär die sieben Jahre ältere Alexandra Sokolowskaja, die seine politischen Ansichten teilte und ihn in die Verbannung nach Irkutsk begleitete.
Im Jahre 1902 wur er von der Notwendigkeit der revolutionären Arbeit genötigt, seine Fraude und die beiden kleinen Töchter, deren jüngere nur vier Monate alt war, zu verlassen und aus der Verbannung zu fliehen. Um die Flucht zu bewerkstelligen, legte er sich einen gefälschten Pass auf den Namen Trotzki zu, womit er sich, seinem Hang zur Ironie folgend, nach dem Oberaufseher des Odessaer Gefängnisses benannte.
Wenig später, im Herbst 1902, kam er nach London und fand in der Wohnung von Wladimir Iljitsch Lenin Unterschlupf. In diesem Exil übernahm Trotzki die Rolle des leitenden Redakteurs der sozialdemokratischen Zeitung Iskra (Der Funke), eine Tätigkeit, die ihm übrigens den Spitznahmen Leninscher Knüppel einbrachte; nach dem Wendepunkt in der Geschichte der russischen Sozialdemokratie 1902 führte er diese Arbeit jedoch nicht mehr fort. Bald schon trat er der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) Georgi Plechanows bei und vertrat auf dem in der britischen Hauptstadt durchgeführten II. Parteitag der SDAPR den Sibirischen Bund.
Auf eben diesem zweiten Parteitag der SDAPR kam es zur Spaltung der Partei über die wichtige Frage, wer denn alles als Parteimitglied betrachtet werden kann. Scharfe Opponenten bei dieser Auseinandersetzung waren einerseits Lenin, nach dessen Meinung nur Personen Parteimitglied sein konnten, die sich persönlich engagierten, und andererseits Trotzki, der es für die Parteimitgliedschaft ausreichend hielt, dass eine Person die Partei unterstützte. Bei der folgenden Abstimmung siegten die Anhänger Lenins, die in der Folge Bolschewiki (dt. Mehrheitler) genannt wurden; ihnen standen die Menschewiki (dt. Minderheitler) entgegen. Trotzki versuchte einerseits, zwischen den Parteifraktionen zu vermitteln, andererseits schwenkte er stark in die Nähe der Menschewiki ein, und verfaßte auch Schriften, in welchen er Lenin Machtgier als grund seiner Politik unterstellte und ihn einen Diktatorenkandidaten oder auch "Maximilien de Lénine" nannte. Es ist keine Überraschung, wenn man erfährt, dass das Verhältnis der beiden künftigen Revolutionsführer durch diese Polemiken lange Zeit angeschlagen blieb.
Schon ein Jahr später brach er endgültig mit der menschewistischen Liebäugelei, und stellte mit der Theorie der permanenten Revolution die kühne Prophetie auf, dass nicht das vollkommen als zaristisch diskreditierte russische Bürgertum einen Umsturz nach dem Muster der Französischen Revolution durchführen werde, sondern dass die Arbeiterklasse, zwar von proportionalem Fliegengewicht, jedoch durch ihre Verdichtung in den Industriezentren von gewaltigem Einfluß, im Bündnis mit den ärmsten Schichten der Bauernschaft und den Landproletariern die Diktatur des Proletariats, gestützt auf den Bauernkrieg errichten werde, wie es Karl Marx bereits 1848 als Parole für das mittelalterlich dahindümpelnde Deutschland formulierte.
1905 kehrte er nach Russland zurück, wo er der ersten russischen Revolution von 1905 als Mitglied des Petersburger Sowjets der Arbeiterdeputierten diente. Doch die Reaktion machte dieser ersten wahrhaftigen Massenbewegung im Heiligen Russland den Garaus, zerschlug das ganze Arbeitertreiben und schickte Trotzki, der zum Vorsitzenden des Sowjets aufgestiegen war und sich des Engagements für die Dezemberaufstände schuldig gemacht hatte, nach einem wenig wirksamen Schauprozess ein zweites Mal in die Verbannung, dieses Mal in das Gouvernement Tobolsk. Er floh bereits auf dem Weg und tauchte bald in Wien wieder auf.
Auf dem Parteitag von 1907, abermals in London, schloss er sich weder den Bolschewiki noch den Menschewiki an, sondern stand einer zentristischen Fraktion vor, welche einen radikalisierten Wiedergänger der alten SDAPR zum Leben erwecken wollte.
Ab 1908 gab er zusammen mit seinem Kameraden Adolf Joffe die Zeitung Prawda (Wahrheit) heraus, welche man nicht mit Lenins Prawda verwechseln sollte, die ab 1912 erschien. In jener Zeit versuchte übrigens vor allem Lew Kamenew, Trotzki von der Kommunistischen Partei und Lenin zu überzeugen; Trotzki fuhr aber unverdrossen mit seiner Kritik an Lenin fort, der in seinen Augen ein sektiererischer Wirrkopf blieb.
Als nach und nach in Europa die Lichter ausgingen, reiste Trotzki auf der Flucht in die Schweiz. Auf der dortigen Zimmerwalder Konferenz 1915 gehörte er mit Lenin, dem er sich langsam, aber stetig annäherete, zu den Unterzeichnern eines Antikriegsprogrammes. Doch war er in Frankreich, in dass er wenig später ging, weniger erfolgreich: Die Regierung schob den gefährlichen Agitator nach Spanien ab, wo er ebenso verhaftet und ausgewiesen wurde. Ab 1916 verbrachte er seine Zeit frisch verheiratet, jedoch nicht untätig, mit seiner Frau Natalija Sedowa in den USA, um ein Jahr später von der russischen Februarrevolution zu erfahren, durch welche der bürgerlichen Provisorischen Regierung unter dem Fürsten Lwow und seinem Kriegsminister Kerenski die Macht in den Schoß fiel.
Auf dem Weg in das von dem Unschwung ganz und gar paralysierte neue Rußland wurde Trotzki in Halifax aber verhaftet und in ein demokratisches Internierungslager geworfen. Allerdings setzte der Petrograder Sowjet die Provisorische Regierung unter Druck, für Trotzki zu intervenieren, und so kam er im Mai 1917 in Petrograd an. Dort schloss Trotzki sich erneut einer zentristischen Arbeiterpartei an, diesmal der Überregionalen Organisation vereinigter Sozialdemokraten an, die das Ziel hatte, die Bolschewiki und Menschewiki auszusöhnen. Doch in dieser Form dauerte die Beziehung nicht lange an. Die wechselnden Verhältnisse schleuderten die noch nicht gefestigten Zwischenschichten entweder der Reaktion oder der Revolution in die Arme, und so schloss sich die Überregionale Organisation zusammen mit Trotzki, den im Theoretischen zuletzt allein noch die Frage einer sozialdemokratischen Massenpartei von Lenin unterschieden hatte, den Bolschewiki an. Denn so wie sich Trotzki nach und nach die Leninschen Prinzipien des advantgardistischen Parteiaufbaus erschlossen und angeeignet hatte, hatte Lenins ursprünglich noch sehr unklare Parole der demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern im Schmiedefeuer des sozialen Hochofens die klare, realistische Form der Theorie der permanenten Revolution angenommen, ungeaachtet dessen, dass die ganze alte Garde der Bolschewiken um Stalin, Bucharin oder Kamenew noch über die alte, überlebte Formulierung meditierte.
Oktoberrevolution
Im September 1917 wurde Trotzki abermals Vorsitzender des Petrograder Sowjets. Als am 10. Oktober 1917 das Zentralkomittee der Partei endlich den Entschluss zu einem bewaffneten Aufstand fasste, stimmte Trotzki mit der Mehrheit. Unter seiner Federführung wurde am 16. Oktober 1917 das Militärrevolutionäre Komitee des Petrograder Sowjets gegründet. Dieses Komittee setze den Befehl der Provisorischen Regierung, zwei Drittel der Petrograder Stadtgarnison an die Front des Ersten Weltkriegs zu beordern, ausser Kraft, eine Aktion, welche der eigentliche Beginn der Revolte war, zu der laut Trotzki der Aufstand des 25. Oktober 1917, also das zentrale Datum der Oktoberrevolution, lediglich zusätzlichen Charakter hatte.
Selbstverständlich war er in der Nacht zum 26. Oktober zusammen mit Lenin im Militärrevolutionären Komitee im Smolny-Institut, wo Boten mit Nachrichten aus den verschiedenen Teilen der Stadt eintrafen, um von den Ereignissen und den Erfolgen der Aufständischen zu informieren. Nach der Übernahme von Bahnhöfen, Post, Telegraphenamt, Ministerien und der Staatsbank sowie dem Sturm auf den Winterpalast erklärte am 26. Oktober um 5 Uhr morgens der am Vortag einberufene II. Gesamtrussische Kongress der Arbeiter- und Sozialdeputierten die Übernahme der Macht durch die Sowjets. Es wurde die erste Arbeiterregierung der Welt, der Rat der Volkskommissare gebildet, sowie gemäß der bolschewistischen Losung Friede, Land und Brot die berühmten Dekrete über den Frieden und über den Grund und Boden verabschiedet.
In dieser neuen Regierung saßen nur Vertreter der Bolschewiki. Indes betrachteten die gesättigten, etablierten Parteien der Duma den Umsturz als militärischen Putsch, obwohl sie die gesamte Arbeiterschaft Russlands revolutionär auf den Straßen und Plätzen tummelnd hätten sehen können, und verweigerten der neugeborenen Sowjetregierung jede Form von Unterstützung. Am 4. November traten nach erheblichen Differenzen auch einige Mitglieder der Bolschewiki aus dem Zentralkomittee der Partei und dem Rat der Volkskommissare aus. Sie verlangten die Schaffung einer Koalitionsregierung, der Vertreter aller Parteien angehören sollten.
In dieser Auseinandersetzung blieb Trotzki auf der Seite Lenins. Er war der Meinung, dass im Augenblick der Revolution die kommunistische Partei nicht einen Schritt weit zurückweichen dürfte. Seine restlose Bolschewisierung aus dieser Zeit bestätigte er in späteren Jahren offen.
Gleich nachdem die Bolschewiki die Macht erlangt hatten, wurde er zum Volkskommissar für äußere Angelegenheiten ernannt. Seine Hauptaufgabe bestand darin, Frieden mit dem Deutschen Reich und dessen Verbündeten zu schließen. Er leitete die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, die er der schwachen Position des revolutionären Russlands und der offen konterrevolutionären Position der Obersten Heeresleitung in der Frage der Sowjetukraine solange wie möglich hinauszuzögern versuchte. Dies provozierte am 18. Februar 1918 einen deutschen Einmarsch, welcher mit dem für Sowjetrussland einem Würgegriff gleichkommenden Frieden von Brest-Litowsk am 3. März endete. Trotzki trat daraufhin von seinem Amt zurück.
Die Rote Armee, der Bürgerkrieg
Kurz darauf, am 14. März 1918, wurde er zum Volkskommissar für das Kriegswesen, sowie am 6. April noch zusätzlich zum Volkskommissar für Marineangelegenheiten ernannt.
Die Lage der Revolution musste jedem strategisch geschultem Beobachter zu diesem Zeitpunkt als fatal, als hoffnungslos erscheinen. Das Territorium der Sowjets wurde zeitweise durch die Weißgardisten fast auf das Gebiet der alten Moskauer Fürstentümer reduziert, die Versorgungslage der Städte war schlecht, die Truppen der Roten Garde, deren nur schlecht ausgebildete Arbeitermilizen mit Freischärlermethoden zu kämpfen gezwungen waren, konnten den bestens geschulten und gerüsteten Streitkräften der Konterrevolution nicht standhalten. Zudem hatte die RSFSR mit einer großangelegten Invasion zu kämpfen; die USA, Großbritannien, Österreich-Ungarn, Frankreich , Japan, Italien, Griechenland, Finnland, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei, Serbien und die Türkei hatten Truppen in Russland einmarschieren lassen, und ließen desweiteren der Weißen Armee erhebliche finanzielle und materielle Unterstützung zukommen.
Währenddessen waren im Aufbau einer einheitlichen proletarischen Klassenarmee, der Roten Arbeiter- und Bauernarmee (Рабоче-крестьянская красная армия bzw. Rabotsche-Krestjanskaja Krasnaja Armija, РККА bzw. RKKA), der seit dem 11. Februar 1918 andauerte, nur wenig Fortschritte erzielt worden. Das bisherige Kriegskommissariat war zu ideologisch verblendet an seine Aufgabe herangetreten; zwar war die offizielle Doktrin der RKKA, die sich anhand der konkreten Kriegssituation wie ein Wunschzettel zu Weihnachten las, mit den Postulaten der Umwandlung der kasernierten Armee in ein Territorialheer,welche sich mit dem Verschwinden der Klassen zu einer freien Volksmiliz aufschwingen sollte,der Wählbarkeit des Kommandopersonales und der demokratischen Kontrolle des Stabes die marxistischen Vorstellungen des Militär eines Arbeiterstaates niedergeschrieben, jedoch waren sie während des Krieges, der großen Armut des Landes und der Städte sowie den immer weider vorkommenden Fahnenflucht ganzer Bataillone schlicht nicht realisierbar.
Trotzki hat dies sehr gut begriffen. Er schaffte die Demokratisierung der Armee teilweise wieder ab, verstieß das unzuverlässige und konservative Kosakentum aus der Kavallerie und verschmolz die Verteidigung der Revolution mit dem Freiheitskampf unterdrückter Nationalitäten des ehemaligen Zarenreiches, was, nebenbei bemerkt, zu der Klage der Exilrussen führte, die Bolschewiki kämpften mit lettischen Stiefeln und chinesischem Opium. Außerdem heuerte er in Ermangelung eines eigenen qualifizierten Führungsstabes ehemalige zaristische Offiziere als sogenannte Militärspezialisten wieder ein. Gerade dieser Aspekt führte zu harscher Kritik innerhalb der Partei, besonders Josef Stalin, der in jenen Tagen in Zarízyn stationiert war, beklagte sich über die diktatorischen Maßnahmen des Kriegskommissars. Er und die übrigen Opponenten der herrschenden Militärorganisation fanden aber aufgrund der Notwendigkeit von T.s Methoden kein Gehör.
Immer wieder wurde Trotzki von intelligenzlerischer und anarchistischer Seite die Niederschlagung von Bauernaufständen und der ihrem Wesen nach bäuerlichen Kronstädter Rebellion vorgeworfen, besonders in den Dreißiger Jahren, als man Trotzki zum Zielobjekt von Verleumdungskampagnen machte, was seinen eigenen Attacken gegen die den Prinzipien des Sozialismus widersprechende Bürokratie, den Tolitarismus und den Nationalismus in der Sowjetunion die erhoffte Schärfe nahm. Trotzki verteidigte sich damit, dass die Aufstände, die sich vor allem gegen die Kornkonfiskationen richteten, den Arbeiterstaat zum Tode verurteilt hätten, wären sie erfolgreich gewesen. Zu der Blutigkeit der Methoden, die der allgemeinen Barbarei und akuten Not entsprang, bemerkte er einmal:
Ich weiß nicht. .., ob es unschuldige Opfer (in Kronstadt) gab... Ich kann jetzt, so lange nach dem Ereignis, nicht darangehen zu entscheiden, wer bestraft hätte werden sollen und auf welche Weise. ..besonders da ich keine Daten zur Hand habe. Ich bin bereit zuzugeben, daß ein Bürgerkrieg keine Schule für menschliches Verhalten ist. Idealisten und Pazifisten haben der Revolution immer Exzesse vorgeworfen. Die Schwierigkeit der Sache liegt darin, daß die Ausschreitungen der eigentlichen Natur der Revolution entspringen, die selbst ein Exzess der Geschichte ist. Mögen jene, die dazu Lust haben (in ihren armseligen journalistischen Artikeln), die Revolution aus diesem Grund verwerfen. Ich verwerfe sie nicht.
Bis 1920 gelang es Trotzkis Roter Armee, die Weißen bis in den Osten des riesigen sowjetischen Reiches zurückzudrängen. Im Februar des selben Jahres erlitten die weißen Armeen eine schwere Niederlage in Sibirien; im Mai darauf fiel die Krim, die letzte ihrer Festungen.
Opposition und Exil

Nach dem Tode Lenins 1924 brach ein offener Machtkampf zwischen Trotzki und Stalin über die Zukunft der Sowjetunion und des Kommunismus aus. Stalin mit seiner ganzen bürokratischen Clique wollte einen totalitären Sozialismus im eigenen Land festigen, während Trotzki das Erbe des Marxismus mit dem Imperativ der Weltrevolution und der Arbeitderdemokratie (Proletarier aller Länder, vereinigt euch!) gegen alle reaktionären Angriffe durch den Sowjetthermidor zu verteidigen versuchte.
Nachdem Stalin immer mächtiger wurde, verlor Trotzki 1925 sein Amt als Kriegskommissar. In den nächsten zwei Jahren wurde er aus dem Politbüro und der KPdSU entlassen und am 31. Januar 1929 in die Verbannung nach Alma-Ata (in Kasachstan) geschickt. Noch im selben Jahr wies man ihn aus dem Land aus und entzog ihm die Staatsbürgerschaft, worauf er über die Türkei, Frankreich und Norwegen schließlich nach Mexiko gelangte. In seinem Exil agitierte er weiter gegen Stalins Grausamkeiten, deckte nach seinen Möglichkeiten die Verbrechen der GPU, der GULags und der anderen bürokratischen Perversionen auf und veröffentlichte verschiedene kommunistische Schriften (z.B. Die verratene Revolution, 1936).
Noch im gleichen Jahr begann Stalin, die Neue Ökonomische Politik zu revidieren, mit großer Grausamkeit die Kollektivierung der Landwirtschaft durchzusetzen und mit Arbeitsarmeen die Schwerindustrie der Sowjetunion zu errichten. Auch dies wurde von Trotzki und seinen Anhängern, der Untergrundpartei der Linken Opposition einer vernichtenden Kritik unterzogen, zumal Trotzki sich schon für eine umfassende Industrialisierung in einem vernünftigen Tempo und eine freiwillige Kollektivierung der Bauernschaft auf der Basis einer wiederauferstandenen Sowjetdemokratie ausgesprochen hatte, als Stalin noch von einem Aufbau des Sozialismus im Schneckentempo träumte und die ganze Bürokratie, die sich am Blut und Schweiß der Arbeiter vollsoff, den mittelalterlichen Großbauern verehrte.
1938 gründete Trotzki die marxistische Organisation der IV. Internationale, um Stalins III. Internationale entgegenzuwirken. Am 24. Mai 1940 überlebte er einen Angriff auf sein Haus, welcher von mehreren, Stalin treu ergebenen Assassinen durchgeführt wurde. Am 20. August griff ihn der Sowjetagent Ramon Mercader del Rio Hernandez mit einem Eispickel an, wobei Trotzki schwer am Kopf verletzt wurde. Einen Tag später starb Leo Trotzki an den Folgen des Anschlags.

"Dreiundvierzig Jahre meines bewußten Lebens bin ich Revolutionär gewesen; zweiundvierzig Jahre habe ich unter dem Banner des Marxismus gekämpft. Wenn ich von vorne beginnen könnte, würde ich natürlich versuchen, den einen oder anderen Fehler zu vermeiden, aber die große Linie niemals ändern. Ich werde als proletarischer Revolutionär, als Marxist, als dialektischer Materialist und folglich als unversöhnlicher Atheist sterben. Mein Glaube an eine kommunistische Zukunft ist heute noch stärker als in meiner Jugend.
Natascha hat das Fenster zur Hofseite noch weiter geöffnet, damit die Luft besser in mein Zimmer strömen kann. Ich kann den glänzenden grünen Rasenstreifen unter der Mauer sehen, den klaren blauen Himmel darüber und die Sonne überall. Das Leben ist schön. Die kommende Generation möge es reinigen von allem Bösen, von Unterdrückung und Gewalt und es voll genießen." (aus Trotzkis Testament)
Siehe auch: Trotzkismus , Linke Opposition
Weblinks
- "Mein Leben"-Trotzkis Autobiographie
- Politische Artikel und Schriften Trotzkis
- Biographische Zeittafel
Literatur
- I. Deutscher: Trotzki (2 Bände: I. Der bewaffnete Prophet 1879-1921; II. Der unbewaffnete Prophet 1921-1929), Stuttgart 1962