Reggaeton
Reggaeton (auch Reggaetón oder in spanischer Schreibweise Reguetón) ist eine Musikrichtung, die sich aufbauend auf Reggae, Dancehall, Hip-Hop, Merengue Hip Hop, lateinamerikanischen Musikrichtungen und Dance Musik entwickelt hat.
Der Reggaetón entstand - weitgehend unabhängig von einander - in verschiedenen Regionen:
- in den 80er Jahren in Panama, zunächst als "spanischsprachiges Reggae"
- ab Ende der 90er Jahre durch aus der Dominikanischen Republik und Puerto Rico stammende Künstler in New York, die Elemente der Genres Merengue und Salsa mit Hip-Hop- und Reggae-Elementen versahen
- und zeitgleich in den 90er Jahren in Puerto Rico, von wo aus Reggaetón schließlich in ganz Lateinamerika, kurze Zeit später auch in den USA, in Spanien und seit 2005 auch in Mitteleuropa populär geworden ist.
In den USA bauen bereits einige Majorlabel Beteiligungen an Plattenfirmen in Puerto Rico auf, um die Musik vertreiben zu können. Es existieren in Europa noch wenige Vertriebswege, dennoch erlangt der Reggaetón auch hier eine immer größere Bekanntheit. In vielen großen Städten des Kontinents findet man Clubs, in denen Reggaetón aufgelegt wird. Manche glauben, Reggaetón stünde, ähnlich dem Reggae aus Jamaika in den 1970ern, auch in nicht spanischsprachigen Ländern kurz vor einem Durchbruch. Dafür sprechen immer häufigere Collaborations zwischen Dancehall- und Reggaetón-Künstlern (wie beispielsweise Mr. Vegas/Daddy Yankee oder Sean Paul/Daddy Yankee), sowie zwischen Popkünstlern von R. Kelly oder Ricky Martin bis Nina Sky, Lumidee oder Paris Hilton mit Künstlern wie Wisin y Yandel, Julio Voltio oder Daddy Yankee.
Geschichte
Die ersten Reggaemusiker Lateinamerikas tauchten Mitte der 1970er in Panama auf. Der Reggae war hier dank der vielen jamaikanischen Einwanderer, die zum Bau des Panamakanals ins Land gekommen waren, populär geworden. Entscheidende, den Reggaetón ebenfalls charakterisierende Elemente wie Einflüsse aus Hip-Hop und House, wurden jedoch erst von Künstlern aus Puerto Rico entwickelt.
Die ersten spanischsprachigen Hip-Hop-Tapes kamen Mitte der 1980er aus Puerto Rico. Anfang der 1990er fand auch Ragga aus Jamaika auf der Insel eine breitere Aufmerksamkeit. Die CD Dancehall Reggaespanol auf dem Major-Label Columbia brachte die Musik auch nach Europa. Die spanischen Versionen von Ragga-Hits wie El desorden von Nando Boom (Original Stick it up von Cutty Ranks) und Hombre Murio von Killer Ranks (Original Nuff Man a Dead von Super Cat) muteten zwar exotisch an, waren aber richtungsweisend für den weiteren Verlauf der Entwicklung des Reggaeton.
Man nannte diese Musik damals under, als Kurzform von Underground. Auch wenn Panama eine längere Reggae- und eigentlich auch Reggaetonkultur vorzuweisen hat, blieben die neuen Riddims aus Puerto Rico nicht unbemerkt. In den folgenden Jahren mischte sich der Panamaer Reggaetón mit dem aus Puerto Rico. Es kamen ebenfalls kubanische Elemente hinzu. Der heutzutage in Lateinamerika so erfolgreiche Reggaeton war geboren.
Im Laufe der 90er Jahre wurde der Reggaetón nach und nach zu einem bedeutenden Musikstil in ganz Lateinamerika. Einer der ersten Welterfolge war Meneaito (1989) von Gaby; er wurde nach 1990 mehrmals remixt und in vielen südamerikanischen Ländern in seinen diversen Versionen zu einem beliebten Club-Hit. Der Sound des Reggaetón wurde immer weiter perfektioniert und die Bewegung insgesamt kommerzialisiert.
Erst 1995 wurde die Musikrichtung jedoch mit dem Begriff Reggaetón bedacht, vermutlich in Panama von El General, einem der Pioniere der Musikrichtung, dessen Album "Baila con El General" 1999 für einen Grammy ("Bestes Dance-Album") nominiert wurde. Ein weiterer erfolgreicher Reggaeton-Künstler aus dieser Epoche war El Chombo, ebenfalls aus Panama, der ab 1997 die Compilation-Reihe Cuentos de la Cripta mit wechsenden Sängern herausgab und dem 1999 einer der ersten Welthits des Genres, El Gato Volador, gelang. [1] Damit hatte sich Reggaetón Ende der 90er Jahre endgültig in der spanischsprachigen Welt als erfolgreiche Musikrichtung etabliert.
Massenkompatibel wurde der Reggaetón-Sound durch die Arrangements des dominikanischen Produzentenduos Luny Tunes, welches seit 2003 mehrere eigene Alben veröffentlichte und die große Mehrheit der puertoricanischen Reggaetón-Alben produziert.
In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts gelang der Stilrichtung auch der Sprung nach Europa, wo sie anfangs in Spanien populär wurde. Die bekanntesten Reggaetón-Hits in Europa waren Papi chulo...te traigo el mmmm (aus dem gleinachnamigen Film von 2003) von Lorna sowie Siéntelo von Speedy und der US-Rapperin Lumidee aus dem Jahr 2004. 2005 gelang mit Gasolina von Daddy Yankee und Loco von Pachanga erstmals Reggaeton-Hits der Sprung in die deutschen Top Ten der Charts.
Reggaetón heute
- Reggaetón-Künstler waren 2005 Gastmusiker auf dem Album Life von Ricky Martin: Julio Voltio beim Song I am, Luny Tunes beim Song Qué más da und Daddy Yankee beim Song Drop it on me.
- Wisin, Yandel und Luny Tunes gaben 2005 ein Gastspiel auf dem Album TP3(Reloaded) von R. Kelly sowie 2006 im Reggaetón-Remix von Paris Hiltons Single "Stars are blind".
- Jennifer López produzierte ebenfalls 2005 ihr Album, welches im Sommer 2006 erscheinen soll, mit dem Duo Luny Tunes.
- Auch in Kuba erschien mit Homerun con Bases Llenas des Trios Bases Llenas das erste Reggaetonalbum auf einem einheimischen Label (im Ausland produzierte Sampler gab es schon vorher).
- Sean Paul produzierte 2006 zusammen mit Luny Tunes und Daddy Yankee den Song "Oh man".
- Seit N.O.R.E.s Oye Mi Canto gibt es auch von zahlreichen Hip-Hop-Songs Reggaetón-Remixe.
- Auch bei den Veröffentlichungen von Sean Paul, Mr. Vegas, Nina Sky, Cypress Hill, R. Kelly und auch den Ruff Ryders ist ein Reggaeton-Einfluss spürbar.
- Einige Reggaeton-Künstler coverten amerikanische Hip-Hop-Stücke. So unterlegte Tego Calderón die Beats von 50 Cents P.I.M.P. und In Da Club mit spanischen Raps.
- Auch in den Produktionen der Berliner Gruppe Culcha Candela finden sich Elemente des Reggaeton.
Charakterisierende Elemente
Besonders der simple, aber effektive Grundrythmus und die sparsame Instrumentierung machen aus dem Reggaetón eine sehr eindringliche, konstant zum Tanzen animierende Musik.
Rhythmus
Der von einem Drumcomputer gespielte Grundrhythmus des Reggaeton - Dembow-Rhythmus, benannt nach dem gleichnamigem Song von Shabba Ranks -, der die Entwicklung des Reggaetón-Sounds stark beeinflusst hat, ist im 4-4-Takt gehalten und im Prinzip derselbe wie der des traditionellen Dancehall; er tendiert aber dazu, simpler arrangiert zu sein und von den verwendeten Sounds her "synthetischer" zu klingen. Das Tempo liegt bei den puertoricanischen Reggaetón-Songs meist bei etwa 95 bpm (beats per minute). Einige Songs, vor allem von El Chombo oder El General aus Panama, haben ein höheres Tempo (bis etwa 110 bpm).
Grundgerüst:
1 - - - 2 - - - 3 - - - 4 - - - Bassdrum X (X) X (X) Snare X X (X) X X Maracas X X X X
Auf der zweiten und vierten Zählzeit wird die Bassdrum manchmal weggelassen, ebenso findet man manchmal eine Snare auf dem ersten Sechzehntel nach der dritten Zählzeit, wie durch die Noten in Klammern dargestellt. Meist sind dies jedoch die einzigen Varianten, die im Reggaetón angewendet werden, im Gegensatz zu den komplexeren Rhythmusvarianten des traditionellen Dancehall. Typisch sind dagegen periodische Wechsel in der Klangfarbe der Snaredrum.
Die Fill-Ins (etwa alle 4 Takte) orientieren sich eher an denen des Techno als an denen des Dancehall. So sind schnelle Wiederholungen der Bassdrum und der Snaredrum sowie das kurzzeitige Aussetzen des Rhythmus typisch. Noise- und Sample-Collagen wie im traditionellen Dancehall waren zwar in der Anfangszeit des Reggaetón ebenfalls anzutreffen, sind aber heute meist zugunsten eines "glatteren" Klangbildes zurückgenommen.
Manchmal werden auch andere Percussion-Instrumente zur Ausschmückung dieses Rhythmus eingesetzt, z.B. Congas und Bongos, die jedoch im Vergleich zum prägnanten Grundrhythmus nur eine Nebenrolle spielen.
Vereinzelt findet man im Reggaetón auch afrikanische Elemente, die sich über die Musik der Sklaven in verschiedene lateinamerikanische Stile wie Bomba und Plena gerettet haben und sich im Reggaeton wiederfinden.
Instrumentierung
Über dem Rhythmusgerüst wird ein Synth-Bass gespielt, der meist die geraden Zählzeiten des Taktes betont und nur bei Fill-Ins einen komplexeren Rhythmus eingeht. Er besteht meist aus Quart- und Quint-Schritten.
Meist beschränkt sich die restliche Instrumentierung auf einstimmige Synth-Riffs. Nur selten findet man die für andere Reggae-Varianten typischen Klavier-, Akkordeon- oder Gitarrenakkorde, dafür manchmal Samples von traditionellen lateinamerikanischen Volkstänzen (z.B. Cumbia, Merengue, Son etc.).
Etwa ab 2003 macht sich der Einfluss des R'n'B aus den USA in der Instrumentierung bemerkbar, so werden immer häufiger melodiöse Streicher-Hooklines und Flächensounds eingesetzt. Dies hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Reggaetón von heute deutlich "poppiger" und massenkompatibler klingt als noch in den 1990er Jahren.
Texte
- Die Texte sind sehr direkt und unverblümt. Die Künstler singen über alltägliche Kriminalität und Gewalt auf der Straße oder in ihrem Viertel (Barrio), wobei dieses Leben meist als völlig normal, sogar Wunschzustand beschrieben wird.
- Beispiel: "Vivo en la calle, como siempre buscándomela." ("Ich lebe auf der Straße, wie immer auf der Suche nach ihr.")
- Themen wie die Liebe, bzw. Trennung und das Tanzen sind ebenfalls sehr häufig.
- Oft aber dreht es sich schlicht um Sex. Vielfach findet man bewusst doppeldeutige Texte, manchmal auch sehr direkte und obszöne.
- Beispiel: "Gasolina" von Daddy Yankee: Gasolina ist sowohl "Benzin" als auch ein Slang-Ausdruck für "Sperma".
- Viele Lieder verherrlichen leistungsstarke Autos und Motorräder: "Gasolina" von Daddy Yankee, "Tócale bocina" von Noriega, "Cola de motora" von Don Miguelo oder "Cuatro gomas" von Rubiote & Yésica.
- Songtitel wie "Rákata" (Wisin y Yandel auf dem Album "Luny Tunes: Más flow II"), "Ran tan tan" (Héctor y Tito) oder "Rat kataka" (Lorna), oft unterlegt mit Maschinengewehrgeräuschen, werden lautmalerisch für das Praktizieren des Koitus verwendet.
- Die Texte sind fast durchweg in spanischem Sprechgesang (Rap) gehalten, die stilistisch zwischen dem schnellen, harten "Toasting" im Dancehall und eher melodischem oder langsameren Old School Hip-Hop liegen. Der sparsam instrumentierte Stilmix spiegelt den Culture Clash der karibischen Musikstile wieder.
- Teilweise hat der verwendete Text eine politisch-sozialkritsche Funktion, z.B. in Songs von Julio Voltio oder auch bei Ranking Stone und besonders bei den Reggaetón-Künstlern aus Kuba, da hier verschlüsselte Systemkritik geübt wird.
Die Frau in den Reggaetón-Texten
In vielen Texten des Reggaetón wird die Frau als 'gata' (Katze) bezeichnet - als wilde Katze ('gata fiera') oder als Katze, die sich befreit, losgelöst hat ('gata suelta'). Diese Katze ist schön und anmutig ('gata sandunguera'), aber auch Banditin ('gata bandida', 'gata gangster') und Wegelagerin ('bandolera'), die den Männern auflauert und sie zu ihrer Beute macht. Dabei betrügt und hintergeht sie die Männer durchaus ('gata traicionera'), sie ist souverän, und man kann ihr nicht trauen. Sie ist eine Teufelin im Bett ('diabla en la cama'), eine Füchsin ('felina').
Dies ist nicht eine männliche Projektion, sondern auch die Selbstdarstellung in Songs von Ivy Queen, Glow, Sonic, Urba, Joan, Algarete, La Hill oder Lorna.
Diese Darstellung der Frau ist in etwa zusammengesetzt aus den Bildern, die schon Jahre vorher Thalía (im Song 'Mujer latina') oder Noelia (im Song 'Candela') gezeichnet haben - starke, schöne, leuchtende, unabhängige und unwiderstehliche Frauen, eben die Latina - vermischt mit ein bißchen Gangsta Rapper-Image.
Beispiele für Songs, in denen diese Metaphern zu hören sind:
- Ivy Queen: 'La gata'
- Glow: 'Gata gangster'
- Héctor El Bambino & Joan: 'Gata fiera'
- Luny Tunes & Noriega feat. Glow: 'La gata suelta'
- Glow: 'Gata gárgola'
- La Hill: 'Bandolera'
- Lito & Polaco: 'Gata traicionera'
- Glow: 'Bandolera'
- Héctor y Tito: 'Felina'
- Héctor El Bambino & Joan: 'Ella es de la calle'
- Yomo feat. DJ Joe: 'Bandida'
Tanz
Der Tanz zu Reggaetón heißt Perreo.
Bedeutende Künstler
- Daddy Yankee
- Don Omar
- El General
- El Chombo
- Ivy Queen
- Tego Calderón
- Tempo
- Speedy
- Pitbull
- Héctor y Tito (auch solo)
- Luny Tunes
- Zion y Lennox
- Wisin y Yandel
- Julio Voltio
- Khriz y Angel
Deutsche Reggaetoninterpreten
Weblinks
- Sasha Frere-Jones: Qué Caliente. A Latin genre gets bigger. In: The New Yorker, 19. Dezember 2005
- Reggaeton-music.de Dreisprachiges Reggaetónportal (Deutsch, Englisch, Spanisch), mit Reggaeton-Slang-Wörterbuch
- ReggaetonFever.com Englischsprachiges Reggaetónportal
- Reggaeton Music Englischsprachiges Reggaetónportal
- Mundoreggaeton.com spanischsprachiges Reggaetónportal