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Tieguanyin

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Kuan Yin blickt auf ihr Geschenk

Tin Kuan Yin (chin. 铁观音, auch Te Kwan Yin, Tie Guanyin, Ti Kuan Yin und andere Schreibweisen sind gebräuchlich) bezeichnet eine Varietät der Teepflanze Camellia sinensis aus der im Südosten Chinas gelegenen Küstenprovinz Fujian. Das aus dieser Pflanze gewonnene Teeblatt sowie das daraus hergestellte Aufgussgetränk können ebenfalls gemeint sein.

Auch in Taiwan wird Tin Kuan Yin kultiviert, aber dort wird die Bezeichnung losgelöst von der bestimmten Pflanzenvarietät für jeglichen Tee verwandt, der nach dem in seinen Ausführungsdetails sehr speziellen Herstellungsverfahren behandelt wurde.

Landwirtschaftliches Erzeugnis

Tin Kuan Yin Tee wird traditionell ausschließlich als Oolong produziert, indem die Fermentierung der nur sehr schonend mit der Hand gerollten Blätter durch sanftes Darren in Röstpfannen abgebrochen wird. Die vollständig getrockneten, aufgussbereiten Blätter werden in unterschiedlichen Qualitätsstufen gehandelt. Zu den leicht erkennbaren, gemeinsamen Merkmalen der Blätter aller wenigstens mittleren Qualitäten dieser Teesorte gehört die deutlich gekrümmte Form der sehr dichten, schweren und auffallend großen Blätter. Typisch samtig schwarze Farbe unterscheidet den außerordentlich stark gerösteten Tin Kuan Yin aus Taiwan von der in frischem Grün präsentierten Sorte aus seiner ursprünglichen Heimat Anxi im Bezirk Quanzhou. Die Oberfläche der schönsten Blattqualitäten ähnelt in ihrer Strukturierung einem Walnusskern.

Während die Chinesen streng darauf achten, ausschließlich Lesegut von Tin Kuan Yin Pflanzen für den einzigartigen Herstellungsprozess des Tin Kuan Yin Tees zu verwenden, bezeichnen die Taiwanesen Tee beliebiger Teepflanzen als Tin Kuan Yin, wenn er nur Blatt für Blatt mit der Hand gerollt, halbfermentiert und in der Pfanne charakteristisch geröstet wurde.

Für die feinsten unter den auch außerhalb Chinas angebotenen Qualitäten aus dem Süden Fujians erzielen international tätige Teehandelshäuser Einzelhandelspreise bis zu 500 US-Dollar je Kilogramm (2006).

Zubereitung des Aufgussgetränks

Der ungewöhnlich milde und weiche Charakter des Tin Kuan Yin entfaltet sich nur, wenn einige einfache Regeln beim Zubereiten beachtet werden. Hoher Kalkanteil im Wasser führt zu bröselartigen Ausflockungen im Aufguss, die, ähnlich wie bei feinem Blatt-Tee aus Darjeeling, als störende Rauhigkeiten auf der Zunge und am Gaumen in den Vordergrund treten und den Genuss verderben. Frisches, weiches Quell- oder Brunnenwasser eignet sich am besten. Es wird kurz aufgekocht und anschließend zum Abkühlen auf etwa 80 bis 90 Grad Celsius stehen gelassen, ehe es über die Teeblätter gegossen wird. Brüht man Tin Kuan Yin mit kochendem Wasser, wie es für Schwarztee unbedingt zu empfehlen ist, entsteht ein zu harter Aufguss, dem einige zarte Komponenten dieses halbfermentierten Tees zu fehlen scheinen. Die Temperatur darf aber auch nicht so niedrig sein, wie für grüne Tees zwingend (ca. 60 Grad Celsius, da sich bei höheren Temperaturen die unfermentierten Gerbsäuren und anderen Bitterstoffe in unverhältnismäßig hohem Anteil lösen und das grüne Getränk aus seinem Gleichgewicht drängen). Ein zu kühl gebrühter Tin Kuan Yin schmeckt wässrig, flach oder fade.

Je mehr Platz die Blätter des Tin Kuan Yin im Ziehgefäß finden, um sich während des Ziehens entrollen zu können, desto feiner und zugleich komplexer entfaltet sich ihr Aroma. Auch hier erntet man nur dann ausgewogene Ergebnisse, wenn man den hohen Platzbedarf handwerklich gefertigter Tin Kuan Yin Blätter während des Ziehens beachtet.

Wie beinahe jeder Oolong kann und sollte Tin Kuan Yin mehrmals aufgegossen werden. Durch die snobistische Unart, Oolong und grünen Tee jeweils nur einmal aufzugießen, entgehen dem Unkundigen die tiefen Einsichten über die Entwicklung, die Reifung und schließlich die Transformation des Geschmacks derartig naturnaher Genüsse. Ein chinesischer Spruch, der zu einem korrekten Umgang mit Tin Kuan Yin ermuntern will, lautet: „Die erste Schale ist von Wohlgeruch, die zweite von Wohlgeschmack und die dritte für lange Freundschaft.“ Damit drückt das Ursprungsland des Tees deutlich die von älteren Generationen noch empfundene Untrennbarkeit der Verknüpfung von Teetrinken und Philosophie aus. Wer miteinander die Geduld aufbringt, dem Tin Kuan Yin ausreichend Zeit und Raum für die notwendige Nachfermentierung in der Kanne zu gewähren, wird ganz besondere, immaterielle Schätze dafür ernten.

Geschmack des Tees

Richtig zubereiteter Tin Kuan Yin erfreut den Genießer zuerst durch einen delikaten Wohlgeruch, welcher der honiggelben und völlig klaren Flüssigkeit entsteigt. Als einmalige und unverwechselbare Besonderheit fühlt sich Tin Kuan Yin im Mund fleischig an, wenn die Menge eines Schlucks davon mit der Zunge im Mund herumgerollt wird. Da alle aromatischen Bestandteile dieses Tees sehr dezenten Charakter besitzen, wird man nur bei ausreichender Muse und Konzentration während des Trinkens in das Erlebnis eintauchen, in diesem zunächst so banal erscheinenden Agrarprodukt eine geradezu wunderbare Lebendigkeit zu finden. Tin Kuan Yin spielt mit dem Begriff ‚Geschmack’ als einer Gabe, die sich nur in der Suche nach Gemeinsamkeit offenbart. In gewisser Weise kann Tin Kuan Yin als geschmackliches Paradoxon aufgefasst werden, weil seine Reize ihre faszinierende Kraft und Stärke gerade durch ihr extrem dezentes und hauchzartes Vorkommen in allerdings perfekter Gewichtung erfahren. Anbieter dieses Tees beschreiben seinen Geschmack meist zurückhaltend als weich oder gar luftig, rühmen aber den intensiven und lange anhaltenden Nachgeschmack. Die fleischige Komponente wird selten erwähnt, da sich die Autoren nicht über den Spagat wagen, die paradoxe Fusion luftiger Leichtigkeit mit fleischlicher Lustigkeit sprachlich überzeugend hinzubekommen.

Ein gelungener, erster Aufguss enthält ein leichtes Übergewicht an flüchtigen Säuren und Phenolen, das sich als starker, markanter Duft mitteilt. Die Nase des zweiten Aufgusses wirkt abgeschwächt, während sich das Aroma im Mund als voller, geradezu körperlicher Geschmack manifestiert und noch Minuten nach dem Schlucken präsent wirkt.

Tin Kuan Yin bewusst, aufmerksam und neugierig zu trinken entspricht einer Meditation über die eigene Verbundenheit mit dieser Pflanze, der es gelingt, reproduzierbar Assoziationen zur weiblichen Öffnung hervorzurufen. Da sich dieses Erlebnis mit der Pflanze niemals aufdrängt, sondern nur demjenigen mitteilt, der sich entspannt und dankbar von Tin Kuan Yin dorthin führen lässt, wird es als ureigene Erfahrung empfunden und bezieht seine ungeheure Intensität wohl aus diesem Umstand. Serviert werden sollte Tin Kuan Yin stets in dünnwandigen Schalen aus Porzellan, deren Wände relativ flach ansteigen.

Bei vielen Qualitäten aus Taiwan steht der starke Röstcharakter der Blätter sehr weit im Vordergrund, sodass die für Tin Kuan Yin spezifischen, geschmacklichen und assoziativen Erlebnisse zurückgedrängt oder völlig überdeckt werden.

Geschichte des Namens

  • 铁 tie Eisen, eisern
  • 观 guan betrachten, anschauen, Anschauung, Ansicht, einen Blick auf etwas werfen
  • 音 yin Ton, Laut, Schall

Nach einer Legende wurde Tin Kuan Yin den Menschen von der Göttin Kuan Yin geschenkt. Kuan Yin belohnte demnach einen armen Bauern aus der Provinz Fujian für dessen freiwillig erbrachte Hausmeisterdienste an ihrem Tempel und insbesondere an ihrer Eisenstatue darin. Die Göttin teilte dem Mann in dessen Traum mit, dass sie einen Schatz hinter dem Tempel für ihn bereithalte, den er bergen und mit seinen Nachbarn teilen solle. Der Bauer fand lediglich einen kleinen Teebusch dort, grub ihn aus und pflegte ihn in seinem winzigen Garten. Er vermehrte den Busch vegetativ und brachte die Ableger seinen Nachbarn. Ein berittener Händler erkannte später in dem freilich auch auf ganz besondere Weise hergestellten Tee von diesen Sträuchern dessen Vermarktungspotenzial und verhalf damit dem ganzen Dorf zu Wohlstand auf der Grundlage des Teehandels mit dem Geschenk der Kuan Yin. (Eine hübsche Version dieser Legende ist nachzulesen in Lit. {2}).

Ob sich ‚Tin’ (eisern, aus Eisen, wie Eisen, …) als erster Begriff der Teebezeichnung auf die Farbe des Aufgusses oder auf das Material der Statue der Kuan Yin bezieht, oder ob die ungewöhnlich hohe Dichte der gedarrten Blätter zu diesem Vornamen führte (‚schwer wie Eisen’) kann heute nicht mehr sicher festgestellt werden. Verlockend scheint die These, die für Oolong charakteristische Darrpfanne aus Eisen sei für den ‚Vornamen’ des Tees herangezogen worden: „der in Eisen gedarrte Tee der Kuan Yin“. Vielleicht geschah auch in früher Zeit ein Übertragungsfehler im Handel mit den Niederländern. In Fujian wurde Tee als ‚Te’ bezeichnet, während die nördlichen Provinzen Chinas ‚Cha’ dazu sagten. Tin Kuan Yin könnte also auch etymologisch hin- und herverschliffen ‚Tee der Kuan Yin’ bedeutet haben. Allerdings scheint dies äußerst unwahrscheinlich.

Interessanter als die Frage nach dem Ursprung des Namensbestandteils ‚Tin’ erscheint die völlig unstrittige Zuordnung dieses auffallend eigentümlichen Tees zur Göttin Kuan Yin. Bisher wurde in diesem Zusammenhang nur selten die volkstümliche Verwendung des Namens der Göttin als Synonym für die Vulva (siehe Lit. {1} und Lit. {3}) diskutiert. Tin Kuan Yin macht den Unterschied zwischen dem christlichen Mutterideal und dem fernöstlichen Mutterarchetyp deutlich. Während Maria Mutter Gottes zu einem beinahe asexuellen Wesen für verklärte Barmherzigkeit und stilles Mitleiden steht, unterstreicht ihr östliches Pendant Kuan Yin die Zusammengehörigkeit von Leben und Sex, Spaß und Liebe durch ausbalancierten Gebrauch ihres Namens sowohl für mildtätige Mütterlichkeit als auch für derb freche Lüsternheit. Bisher konnte jedoch noch kein Nachweis für die These erbracht werden, dass die besondere, geschmackliche Eigenheit des Tin Kuan Yin, die genannte Assoziation hervorzurufen, zur Namensgebung führten. Umgekehrt jedoch müssten wir von einem unerklärlich passenden Zusammentreffen einer pikanten Nomenklatur mit einem geradezu erotischen Naturgenuss ausgehen. Unter diesem Aspekt betrachtet liefe eine adäquate Transkription von Tin Kuan Yin auf den deutschen Begriff ‚Mösentee’ hinaus, vorausgesetzt man fasst den Begriff Möse in seiner gängigen Bedeutung als Gesamtheit des weiblichen, von außen erreichbaren Genitaltrackts auf und nicht nur als Synonym der Scheide.

Metalegenden

Ein Anbieter des Tin Kuan Yin behauptet in seiner Beschreibung des Tees, der Bauer aus der oben erwähnten Legende sei namentlich als „Mr. Wei“ bekannt. Da diese Quelle weder das diesem Namen entsprechende Schriftzeichen, noch eine Vorschrift zur Aussprache benennt, bleibt Raum für Spekulationen:

wèi heißen 伪 wěi falsch; Marionette; Pseudo 畏 wèi fürchten 维 wéi zusammenhalten; bewahren 卫 wèi verteidigen; schützen 喂 wèi füttern; stillen; züchten 偎 wēi sich anschmiegen 煨 wēi schmoren; in heißer Asche garen 蔚 wèi gedeihen 味 wèi Geschmack; Aroma; Interessantheit 未 wèi nicht

Der Bauer mit beliebigem Namen (谓 伪) fürchtet (畏) Kuan Yin und bewahrt (维) [ihren Tempel, ihre Statue, ihr Andenken, den Respekt vor ihr], bringt [die Pflanze] in seinen Schutz (卫), pflegt und züchtet (喂) sie, behandelt [ihre Blätter] anschmiegsam (偎) und röstet sie [dann] in heißer Asche (煨). [Daraus] gedeiht (蔚) das Aroma (味).

Man darf mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass der Name „Mr. Wei“ im Zusammenhang mit der Legende zum Tin Kuan Yin in derselben Weise (未) zu interpretieren ist, wie der Name Herrn Keuners in Anspielung auf den Trick des Odysseus, sich Polyphem als „Niemand“ vorgestellt zu haben, aus den Kalendergeschichten Bertolt Brechts. Insofern kann nicht ausgeschlossen werden, dass Mr. Wei der gute Mensch von Sezuan war. Sollte sich diese Hypothese bestätigen, dann wäre Shen Te eine Parabel der Kuan Yin und Bertolt Brecht entsprechend eine Parodie seines eigenen Plagiates Mr. Weis.

Literatur

  • {1} Wolfram Eberhard: „Lexikon chinesischer Symbole. Die Bildsprache der Chinesen., Diederichs, 2004
  • {2} John Blofeld: Das Tao des Teetrinkens. Von der chinesischen Kunst, den Tee zu bereiten und zu genießen, Otto Wilhelm Barth Verlag, 1986
  • {3} Otto und Artur Kibat: „Kommentarband zur vollständigen deutschen Ausgabe des Djin Ping Meh, Anmerkung 19, d