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Stiglersches Ernährungsmodell

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Das Diätproblem (englisch: diet problem) ist ein klassisches Problem des Operations Research. Das Diätproblem wurde zunächst 1945 vom späteren Nobelpreisträger und Ökonomen George Stigler formuliert. Es behandelt die Frage wie ein Menschen ausreichend und zugleich kostengünstig ernährt werden kann. Stigler stellte den Gehalt an Nährstoffen (Fette, Proteine, Kohlehydrate) in verschiedenen Lebensmitteln (wie Gemüse, Obst und Fleisch) den Kosten ihrer Beschaffung gegenüber und fragte, wie man eine Mahlzeit für eine Person mit ausreichenden Nährstoffen zu den niedrigsten Kosten serviert[1]. Stiglers Papier steht jedoch in einem Vakuum und ist nicht mit der wirtschaftlichen und sozialen Situation der USA im Jahr 1945 verbunden. Viele Konsumgüter wurden durch den Krieg rationiert. Die kommunalen und staatlichen Sozialprogramme richteten sich an arme Menschen. Wollte Stigler die Kosten für diese Programme senken? Warum hat Stigler nach den niedrigsten Kosten gesucht, nicht nach den zweitniedrigsten oder gar den maximalen Kosten? Das seltsame Ernährungsproblem überlebte viele Jahrzehnte in den Lehrbüchern von Operations Research, ohne jegliche Erklärung, warum es nützlich sein könnte. Selbst William Thomas stellt es in seiner Geschichte des Operations Research unkritisch als ein ernst zu nehmendes Problem dar[2]. Noch im Jahre 2014 stellten Stefan Nickel, Oliver Stein und Karl–Heinz Waldmann vom Institut für Operations Research der Universität Karlsruhe in der zweiten Auflage ihres Lehrbuches Operations Research das Diet–Problem auf Seite 4 vor, ohne den mangelnden empirischen und sozialen Gehalt zu erkennen.

1947 löste der Mathematiker Jack Laderman vom Mathematical Tables Project im, der US Air Force unterstellten, National Bureau of Standards in Washington D.C. das Diätproblem mit der neuen Technik der Linearen Programmierung. Sein Ansatz bestand aus 9 Gleichungen und 77 Variablen, um eine kostenminimale Mahlzeit zu ermitteln. Er löste die Aufgabe mit Hilfe von Büro-Rechnern als eine akademische Übung ohne Anwendung. Dantzig widmete diesem Problem in seinem Buch Linear Programming von 1963 sogar ein ganzes Kapitel. Auf dem Hochgeschwindigkeits-Digitalcomputer 701 von IBM kodierte er selber das Problem bei der, der US Air Force unterstellten, RAND Corporation, aber seine berechneten, kostenminimalen Mahlzeiten wurden den Piloten von Dantzigs Arbeitgeber, der US Air Force, niemals serviert. Dantzig erkannte nicht die doppelte Kuriosität, fortschrittliche Berechnungstechniken auf ein erfundenes Problem anzuwenden, das nur auf schwachen Daten basiert – ein Problem, das weder von der Industrie, den Kommunen noch von der US Air Force formuliert wurde. Als empirische Daten zeigte er in seinem Buch Linear Programming eine Tabelle mit Nährstoffen, in welcher der Gehalt an Ascorbinsäure zwischen verschiedenen Apfelsorten um mehr als 100 Prozent variierte[3]. Dantzig konnte also die Frage nicht beantworten, ob ein Pilot der Air Force ein oder zwei Äpfel pro Tag essen sollte. Die Forschungsgruppe zur Geschichte des Operations Research klassifizierte das Diätproblem als ein ernsthaftes wissenschaftliches Problem und erkannte nicht die Kuriosität dieses Ansatzes[4].

Referenzen

  1. George Stigler: The Cost of Subsistence, in Journal of Farm Economics, vol. 27, 1945, no. 2, S. 303-314.
  2. Thomas, William: Rational Action. The Sciences of Policy in Britain and America, 1940–1960, MIT Press 2015, S. 181.
  3. George Dantzig, Linear Programming, New York 1963, S. 551-553. Georg Dantzig: The Diet Problem, in: Interfaces, vol. 20, 1990, no. 4, S. 43-47.
  4. Erickson, Paul, Judy Klein, Lorraine Daston, Rebecca Lemov, Thomas Sturm and Michael Gordin: How Reason Almost Lost Its Mind. The Strange Career of Cold War Rationality, Chicago UP 2013, S. 65.