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Gerichtsorganisation in Österreich

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In Österreich sind die ordentlichen Gerichte in vier Stufen organisiert, es besteht aber ein nur zwei- oder dreistufiger Instanzenzug.

Neben den ordentlichen Gerichten, deren Organisation hier dargestellt werden soll, gibt es auch noch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, und zwar den Verwaltungsgerichtshof und den Verfassungsgerichtshof, jeweils mit Sitz in Wien. Eine Besonderheit des österreichischen Rechtssystems ist, dass Verwaltungsgerichtshof, Verfassungsgerichtshof und Oberster Gerichtshof von Verfassungs wegen auf gleicher Stufe stehen. Wegen dieser formellen Gleichstellung ist gegen Akte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, anders als in Deutschland, auch keine Verfassungsbeschwerde an einen Gerichtshof des öffentlichen Rechts zulässig.

Bezirksgerichte

Seit Anfang 2005 bestehen in Österreich 140 Bezirksgerichte (Abkürzung BG). Sie sind zuständig

  • in Zivilrechtssachen für streitige Zivilprozesse generell mit einem Streitwert von nicht mehr als 10.000 Euro; für bestimmte Sachen aber unabhängig von der Höhe des Streitwertes (z. B. Ehe- und Familiensachen, Miet- und Pachtsachen, Grenz- und Dienstbarkeitssachen, Besitzstörungssachen).
  • Außerdem ist das Bezirksgericht für die meisten Angelegenheiten zuständig, die im Verfahren außer Streitsachen zu erledigen sind wie etwa familienrechtliche Angelegenheiten (Obsorge über Kinder, Unterhalt für Kinder, Regelung des Besuchsrechtes, Adoptionen, Bestellung von Sachwaltern, Verlassenschaftsabhandlungen u. dgl.), Todeserklärung verschollener Personen sowie Kraftloserklärung (Ungültigerklärung) verlorener Wertpapiere, Streitigkeiten zwischen Miteigentümern von Liegenschaften und bestimmte Angelegenheiten des Wohnungseigentums- und Mietrechtes;
  • für sämtliche Exekutionen (Zwangsvollstreckungen) sowie für Konkurse von Personen, die nicht Kaufleute sind (Privatkonkurs, sog. Schuldenregulierungsverfahren);
  • in Strafsachen für Vergehen, für die nur Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe angedroht ist, deren Höchstmaß ein Jahr nicht übersteigt;
  • zur Führung des Grundbuchs.

Am Bezirksgericht entscheiden immer Einzelrichter, im Verfahren außer Streitsachen, über die Erlassung von bedingten Zahlungsbefehlen, im Exekutionsverfahren und in Grundbuchssachen auch Rechtspfleger. Die Leitung obliegt dem Vorsteher des Bezirksgerichts.

In Wien gibt es ein eigenes Bezirksgericht für Handelssachen. In Graz bestanden eigene Bezirksgerichte für Zivilrechtssachen, für Strafsachen sowie ein Jugendgericht, die aber mit 1. Jänner 2005 zum Bezirksgericht Graz zusammengelegt wurden.

Landesgerichte

Die 20 Landesgerichte (Abkürzung LG; auch Gerichtshöfe erster Instanz genannt, Abkürzung GH I) sind in 16 Orten von überregionaler Bedeutung eingerichtet. Außer den Landeshauptstädten (mit Ausnahme von Bregenz) sind dies Feldkirch, Ried im Innkreis, Wels, Steyr, Krems an der Donau, Korneuburg, Wiener Neustadt und Leoben.

Ihre Zuständigkeit umfasst sowohl Aufgaben in erster als auch in zweiter Instanz.

  • In Zivilrechtssachen sind die Landesgerichte in erster Instanz für alle Zivilprozesse zuständig, die nicht vor die Bezirksgerichte gehören. Dazu gehören auch alle Arbeits- und Sozialrechtssachen und Amtshaftungssachen. In der Regel entscheidet ein Einzelrichter. Bei einem Streitwert von mehr als 50.000 Euro können jedoch die Parteien zu Beginn des Verfahrens beantragen, dass die Sache vor einem Senat aus drei Berufsrichtern (in Handelssachen: zwei Berufsrichter und ein fachmännischer Laienrichter) verhandelt wird. In Arbeits- und Sozialrechtssachen entscheidet ein Senat, der aus einem Berufsrichter und zwei fachkundigen Laienrichtern aus dem Kreis der Dienstgeber und der Dienstnehmer gebildet wird.
  • In zweiter Instanz entscheiden die Landesgerichte durch Senate, die aus drei Berufsrichtern (in Handelssachen: zwei Berufs- und einem fachmännischen Laienrichter) gebildet werden, als Rechtsmittelgericht über Berufungen und Rekurse gegen Urteile und Beschlüsse der Bezirksgerichte.
  • In Strafsachen ist das Landesgericht in erster Instanz für alle Verbrechen und Vergehen zuständig, die nicht vor das Bezirksgericht gehören. Je nach Delikt entscheidet entweder
    • ein Einzelrichter,
    • ein Schöffensenat, bestehend aus zwei Berufsrichtern, von denen einer den Vorsitz führt, und zwei Schöffen, oder
    • das Geschworenengericht, das aus drei Berufsrichtern und acht Geschworenen gebildet wird.
  • In zweiter Instanz ist das Landesgericht zuständig für Berufungen und Beschwerden gegen Urteile und Beschlüsse der Bezirksgerichte. Es entscheidet ein Drei-Richter-Senat.
  • Bei den Landesgerichten (in Wien beim Handelsgericht) wird das Firmenbuch (früher Handelsregister) geführt. Hier entscheidet ein Einzelrichter oder ein Rechtspfleger.
  • Außerdem ist das Landesgericht für Insolvenzverfahren (Konkurse, Ausgleiche) zuständig, soweit diese nicht zum Bezirksgericht gehören.

In Wien bestehen ein eigenes Handelsgericht, je ein Landesgericht für Zivilrechtssachen und Strafsachen sowie das Arbeits- und Sozialgericht Wien. Außerdem bestand ein eigener Jugendgerichtshof, welcher für Strafsachen Jugendlicher und junger Erwachsener sowohl auf Ebene des Bezirksgerichtes als auch des Gerichtshofs erster Instanz zuständig war. Dieser Gerichtshof wurde jedoch mit 30. Juni 2003 aufgelöst und seine Aufgaben wurden je nach Strafdrohung dem Landesgericht für Strafsachen Wien und den Wiener Bezirksgerichten übertragen.

An jedem für Strafsachen zuständigen Landesgericht ist eine Staatsanwaltschaft eingerichtet. Außerdem befindet sich am Sitz jedes für Strafsachen zuständigen Landesgerichts ein gerichtliches Gefangenenhaus ("Justizanstalt").

Oberlandesgerichte

Oberlandesgerichte (Abkürzung OLG; auch Gerichtshöfe zweiter Instanz genannt, Abkürzung GH II) bestehen in

Als Rechtsmittelgerichte sind sie zuständig

  • in Zivilrechtssachen für Berufungen und Rekurse gegen die in erster Instanz ergangenen Urteile und Beschlüsse der Landesgerichte,
  • in Strafsachen für (volle) Berufungen und Beschwerden gegen Urteile und Beschlüsse, die das Landesgericht durch den Einzelrichter erlassen hat, und für Berufungen gegen die Höhe der in Urteilen des Landesgerichtes als Schöffen- oder Geschworenengericht verhängten Strafen.

Die Oberlandesgerichte entscheiden in Senaten aus drei Richtern, in Arbeits- und Sozialrechtssachen hingegen aus Senaten, die aus drei Berufs- und zwei fachkundigen Laienrichtern gebildet werden.

Den Präsidenten der Oberlandesgerichte obliegen wichtige Agenden der Justizverwaltung.

An jedem Oberlandesgericht ist auch eine Oberstaatsanwaltschaft eingerichtet.

Sitz des Obersten Gerichtshofs im Justizpalast

Oberster Gerichtshof

Der Oberste Gerichtshof in Wien (Abkürzung OGH) ist die höchste Instanz der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Er entscheidet in Zivilrechtssachen in dritter Instanz über Revisionen gegen Urteile sowie Rekurse gegen Beschlüsse, welche die Landesgerichte und Oberlandesgerichte als zweite Instanz gefällt haben. In Strafsachen erkennt er über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Urteile der Landesgerichte als Schöffen- und Geschworenengerichte.

Der Oberste Gerichtshof entscheidet in der Regel in Senaten von fünf Richtern (Hofräten), in bestimmten Einzelfällen von drei Richtern. Derzeit bestehen zehn zivilrechtliche und fünf strafrechtliche Senate. Über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung erkennt ein verstärkter Senat aus insgesamt elf Richtern.

Die Rolle der staatlichen Anklagebehörde übernimmt am Obersten Gerichtshof die Generalprokuratur.

Hinweis: Links zu rechtlichen Begriffen wurden bewusst sparsam gesetzt, weil sich die meisten Artikel auf das Recht in Deutschland beziehen.