GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen
Der GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen war ein Polizeieinsatz am 27. Juni 1993, bei dem die RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im mecklenburgischen Bad Kleinen festgenommen werden sollten. Im Verlauf der Aktion kamen der GSG-9-Beamte Michael Newrzella und der Terrorist Wolfgang Grams ums Leben. Die Festnahme von Birgit Hogefeld verlief erfolgreich.
Vorbereitung
Im Jahr 1982 war es dem Verfassungsschutz gelungen, Klaus Steinmetz als V-Mann in die Rote-Armee-Fraktion einzuschleusen. Steinmetz nahm an diversen nicht militanten Aktionen teil und drang im Lauf der Jahre immer tiefer in die Szene ein. Ende Februar 1992 gelang es ihm, Birgit Hogefeld in Paris zu treffen. Im April 1993 traf Steinmetz erstmals auf Grams, allerdings ohne ihn zu identifizieren. Der Verfassungsschutz beschloss, Hogefeld und Grams festzunehmen. Die Aktion sollte so durchgeführt werden, dass Steinmetz weiter als V-Mann eingesetzt werden konnte.
Am 24. Juni 1993 trafen Hogefeld und Steinmetz sich in Bad Kleinen, fuhren weiter nach Wismar, mieteten ein Zimmer und warteten ab. Steinmetz trug während der ganzen Zeit einen Peilsender und ein Abhörgerät bei sich, so das er jederzeit zu orten war und die Gespräche belauscht werden konnten.
Ausführung
Am 27. Juni 1993 fuhren Hogefeld und Steinmetz zurück nach Bad Kleinen, um sich dort mit Grams zu treffen. Am Bahnhof und in der Umgebung waren zu diesem Zeitpunkt 38 Beamte des Bundeskriminalamtes, 37 GSG-9-Männer und 22 weitere Beamte im Einsatz.
Grams traf um 14:00 Uhr ein. Um 15:15 Uhr verließen Hogefeld, Grams und Steinmetz die Bahnhofsgaststätte "Billard-Café". Wenig später erfolgte in der Bahnhofsunterführung der Zugriff durch sieben GSG-9-Beamte. Die Festnahme von Grams misslang, und er floh zum Bahnsteig hinauf. Bei dem folgenden, wenige Sekunden dauernden Schusswechsel verletzte Grams den Beamten Michael Newrzella so schwer, dass er später im Krankenhaus starb. Die Beamten verletzten sowohl Grams als auch eine Bahnangestellte. Grams fiel auf die Gleise und blieb liegen.
Der Tod von Wolfgang Grams
Über die Details der folgenden Ereignisse gehen die Darstellungen der Zeugen und die Wertungen verschiedener Gruppen auseinander. Nach den Ermittlungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Schwerin hat Grams den Polizisten Newrzella getötet, fiel verwundet auf die Gleise und beging anschließend Selbstmord durch Kopfschuss, um nicht festgenommen zu werden. Die extremste Gegenposition besagt, Newrzella sei wahrscheinlich von Querschlägern aus den Waffen seiner Kollegen umgekommen, und ein Beamter hätte Grams aus vermeintlicher Rache oder sogar geplant mit einem aufgesetzten Schuss in den Kopf getötet.
Der "Zwischenbericht der Bundesregierung zu der Polizeiaktion am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen" formuliert: "Beamter Nr.6 stürmte vor, in kurzem Abstand gefolgt vom Beamten Nr.8. Beide sicherten in stehender, leicht vorgebeugter Haltung den in Gleis 4 liegenden Grams." Eine Kioskbesitzerin sagte dagegen aus: "Der Beamte zielte auf den Kopf und schoss aus nächster Nähe, wenige Zentimeter vom Kopf des Grams entfernt. Dann schoss auch der zweite Beamte auf Grams, aber mehr auf den Bauch oder die Beine. Auch der Beamte schoss mehrmals." Diese im TV-Magazin "Monitor" vorgestellte Aussage zog sie allerdings später wieder zurück. Ein vom "Spiegel" zitierter und namentlich nicht genannter "Antiterror-Spezialist" sagte aus: "Ein Kollege von der GSG 9 hat aus einer Entfernung von Maximum fünf Zentimetern gefeuert."
Nachbereitung
Nach den behördlichen Ermittlungsergebnissen hat sich Grams, nachdem er Newrzella durch Schüsse aus einer mitgeführten Pistole getötet hatte, selbst umgebracht, indem er sich, um der Festnahme zu entgehen, schwer verletzt im rückwärtigen Fallen auf die Gleise einen aufgesetzten Kopfschuss zufügte. In Unterstützer- und Sympathisantenkreisen der RAF ist der Verdacht verbreitet, dass Grams von einem GSG-9-Mann gezielt getötet worden sei, zumal mehrere unbeteiligte Zeugen diese Version des Hergangs gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel bestätigten. Hans Leyendecker, der Autor des Spiegel-Artikels, rückte allerdings nach Kenntnisnahme der Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft Schwerin von seiner Darstellung wieder ab. Später bezeichnete er die von ihm verfasste Spiegel-Titelgeschichte von 1993, zur angeblichen Hinrichtung des Terroristen Wolfgang Grams in Bad Kleinen, die auf zwei Quellen aufbaute, die sich später nicht verifizieren ließen, als seinen "verheerendsten Fehler".
Als die Umstände des Einsatzes genauer untersucht wurden, traten erhebliche Mängel in der Berichterstattung der verschiedenen Ermittlungsbehörden sowie bei der Spurensicherung zu Tage. Aufgrund der öffentlichen Debatte trat der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters zurück; Generalbundesanwalt Alexander von Stahl wurde später entlassen.
Die Eltern des verstorbenen Grams klagten vor der Zivilkammer des Landgerichtes Bonn gegen den Bund und forderten Schadenersatz. Das Gericht kam zu der Erkenntnis, dass die genauen Tathergänge nicht aufklärbar seien. Die Klage wurde abgewiesen. Weitere Klagen, unter anderem vor dem Europäischen Gerichtshof, blieben ebenfalls ohne Erfolg.
Der GSG 9-Einsatz in Bad Kleinen forderte zwei Menschenleben sowie einen schwer verletzten GSG 9 Beamten und sorgte auch noch in den Jahren danach für politischen Zündstoff. Der "Fall Bad Kleinen" wird von vielen kritischen Beobachtern als die Beugung der Grundsätze des Rechtsstaates angesehen, da nach ihnen ein rechtsstaatliches Verfahren gewährleistet sein sollte, das zur vollständigen Aufklärung führt.
Literarische Verarbeitung und Kritik
In seinem 2005 veröffentlichten Roman "In seiner frühen Kindheit ein Garten" stellt Christoph Hein die Ereignisse und die Ermittlungen aus der Sicht der Familie des Getöteten kritisch dar.
- Christoph Hein, In seiner frühen Kindheit ein Garten, Roman, Frankfurt am Main 2005
- Besprechungen des Romans
Die Wirren um die Rekonstruktion des Hergangs inspirierten auch Satire und Kabarett. Wiglaf Droste begann sein Was in Bad Kleinen wirklich geschah mit dem Satz: "Am 27. Juni 1993 auf dem Bahnhof in Bad Kleinen, Mecklenburg, erschießt der GSG 9-Beamte Michael Newrzella zunächst sich selbst."
Weblinks
- Die offizielle Sicht der Dinge, Butz Peters über den Terror der RAF
- Butz Peters über den Tathergang in Die Welt
- "Alles unverdächtig", Rezension der taz über Butz Peters
- Chronologie auf der Website des Verfassungsschutzes
- Darstellung der Ereignisse bei www.defence-net.com
- Darstellung der Ereignisse bei www.rafinfo.de
- Ausführliche Darstellung] (Verzeichnis mit mehreren Unterseiten) im Archiv von www.nadir.org (pro Grams)
Quellen
Eine umfangreiche Quellensammlung findet sich im Artikel Rote-Armee-Fraktion.