Narzisstische Kränkung
Narzisstische Kränkung ist ein Fachbegriff, den Sigmund Freud im Zuge der Entwicklung seiner psychoanalytischen Lehre prägte.
Als "narzisstische Kränkungen" bezeichnet er jene geistigen Errungenschaften, in deren Vermögen es liege, dem ICH oder Bewußtsein Erwachsener aufzeigen zu können, dass der Anspruch auf Geborgenheit, Versorgung, narzisstische 'Liebe' durch einen anderen Menschen, Halt in staatlichen, kirchlichen, monetären oder anderen ominösen Mächten infantil und illusorisch ist. Solche Ansprüche sind nach Freud allein bedingt von jenen Vorstellungen des Ichs, die an eine frühe Phase der psychischen Entwicklung fixiert wurden. Bei der Darstellung des Wesen der Wünsche dieser infantil gebliebenen Anteile des Ichs (- deren "orale Fixierung"), arbeitet Freud mit der Analogie der Sehnsucht nach embryonaler Geborgenheit im Mutterleib, ein archetypisches Symbol des dort erfahrenen, einstigen Glücks.
Wesen des Narzissmus
Während der psychoanalytischen Behandlung wird bewußt, was sonst in den alltäglichen Beziehungen unbewußt bleibt, diese unerträglich gestaltend (s. Wer hat Angst vor Virginia Woolf?), nämlich: die narzißtischen Erwartung nach Liebe oder deren Ersatzmittel, und die von Vorwürfen, Wut, Hass, Depression oder Verbitterung begleitete Erfahrung der Unmöglichkeit ihrer Erfüllung. Solch ein Anspruch - der Kern aller Dramen und Tragödien, 'Szenen einer Ehe'- ist unberechtigt für einen erwachsenen Menschen mit seinen nach Eigenständigkeit strebenden Lebenstrieben, seiner prinzipiellen körperlichen und geistigen Fähigkeit zur Selbstversorgung und uneigennütziger Liebe, an deren Entfaltung ihn erst der Narzissmus (der "Todestrieb", nach Freud) mit seinem Drang, wie ein Säugling gehütet, ernährt und zärtlich in all seinen Bedürfnissen befriedigt zu werden, hindert; So wird die schonend vorbereitete Begegnung mit der Aussichtslosigkeit der narzißtischen Erwartung zu einer in hohem Maße intimen, emotional schwer verkraftbaren Erfahrung. "Auch und gerade ein Analytiker, der im Vollbesitz seiner psychisch-körperlichen Kraft ist, der wahrhaft fähig zur uneigennützigen Liebe wurde, wird seinen Patienten dies nicht ersparen können, obwohl er es wünschte. Er kann nur seinen Beitrag leisten, dies Syndrom zu entdecken und zu verarbeiten." (Joshua Gruenerwald).
Übertragung und Gegenübertragung
Dies ist die letztlich heilsame Erfahrung, die jeder Patient der Psychoanlyse spätestens ab dem Beginn der Durchleuchtung seiner neurotischen Übertragungen auf die Person des Psychoanalytikers macht, denn er meint fälschlich von diesem - meist aufgrund der mindestens fachkundig entgegengebrachten, u.U. auch empathischen Zuwendung - ersatzweise geliebt werden zu können. Die Übertragung oder Projektion von Erwartungen, Furcht vor Enttäuschung und allen denkbaren Affekten, ist an sich aber keineswegs ein pathologischer Vorgang, sondern ein Vermögen des Ichs, mit dem das Ergründen (Kennenlernen) der Projektions'fläche' beginnt, entweder um den weiteren Kontakt zu 'ihr' abzubrechen oder um ihn zu vertiefen, je nach dem. Ist die Fläche der projektionen ein Mensch, projiziert sie möglicherweise zurück, und als Psychoanalytiker ist 'sie' sich außerdem der Unvermeidbarkeit dieses unter Lebewesen wechselseitig stattfindenen Phänomens bewußt - die Grundvoraussetzung für das Gelingen der psychoanalytisch geführten Beziehung (s. Übertragung (Psychologie), Gegenübertragung). Ohne sie hätte Freud nicht zuerst seinen eigenen Narzissmus entdecken können, folglich auch nicht kontrollieren; Er wäre - wie der mythische Junge "Narziss" über dem Spiegelbild seines schönen Anlitzes auf der Oberfläche des Sees, in dem er sich wie in der Mutter Leib zu regredieren sehnte - bewundernd in seiner Übertragung auf den Patient ihm gegenüber verharrt und enttäuscht bis rasend wütend geworden, dass dieser ihn nicht liebt. Oder hätte angefangen, sich mit Geld ersatzzubefriedigen.
Narzisstische Kränkung durch die Laienpsychoanalyse
Professionalität im Sinne eines Tauschhandelsabkommens (Geld, Zuwendung oder andere 'Naturalien' als Gegenleistung für den erbrachten Einsatz von Zeit, Kraft, Erfahrung) stellt kein konzeptionelles Bestandteil der Lehre Sigmund Freuds dar. Aufgrund der Entdeckung seines eigenen Narzißmus (u.a. mit Hilfe des Freien Assoziierens), war er nicht nur zurückhaltend gegen seine Reichtumsphantasien ("Geld ist kein Kinderwunsch") und Hang zur anderweitigen Ausbeutung in Not befindlicher Menschen geworden, er sah auch seine Neigung, die Psychoanalyse in eine machtvolle Institution innerhalb der staatlich geförderten, legalisierten Akademien/ Ärztekammern ect. zu verwandeln, als höchst problematisch. Von beiden abhängig - dadurch auch manipulierbar machenden Tendenzen, distanziert er sich ausdrücklich in der Abhandlung Zur Frage der Laienpsychoanalyse: Seine Lehre soll ein konstruktives, heilsames Bestandteil zwischenmenschlicher Beziehungen sein (kein Verkaufsschlager) und dadurch angeeignet werden, daß man sich ihrem anhand der Traumdeutung vermittelten Verfahren selber ausführlich unterzieht, aus der Praxis lernend, wo möglich unter Anleitung eines schon Fortgeschrittenen, erfahreneren Patienten.
"Auch diese Forderung führte zu einer Narzißtischen Kränkung, sowohl auf Seiten Freuds selbst, wie ebenso auch bei jenen naiven Mitgliedern der jungen psychoanytischen Vereinigung, die sich aus der Anwendung dieses neuen therapeutischen Instruments sehr viel eben von dem erhofft hatten - Reichtum durch die Patienten, Prestige und Macht -, was durch Freud als unberechtigte, ohnehin illusorische Forderung abgewiesen worden ist. Dies Syndrom (Narzissmus) soll nicht kultiviert werden, sondern ergründet und therapiert. Die heutige akademische Psychoanalyse nimmt dies kaum zur Kenntnis, und weißt die Narzisstische Kränkung durch Freud, durch weitgehende Ignoranz seiner Abhandlung zur Laienpsychoanalyse zurück"http://people.freenet.de/Traumdeutung-Laien-Psychoanalyse/home.html.
Kulturkreisspezifische Narzisstische Kränkungen
Zur Verdeutlichung der Narzisstischen Kränkung, die von diesen und anderen Patienten Freuds individuell erfahren werden, zitiert er gelegentlich kulturweit bekannt gewordene Beispiele von Erkenntnissen, die zumindest bei Einzelnen zum (partiellen) Verlust solcher Illusionen und des damit verbundenden, zu Tode gekränkten Stolzes geführt haben.
Vorzumerken für das Verständnis ist hierbei der hintergründige Sachverhalt der Bedeutung der jeweiligen akustisch oder schriftlich mitgeteilten Symbole ('Kosmischer Mittelpunkt'; 'Krone der Schöpfung'; 'Ich'), die ihnen während des Vorganges ihrer Bildung im Vorbewusstsein beigeordnet wird. Diese Bedeutung ist mit Affekten besetzt, die nicht zwingend dem Narzißmus entstammen; es kann sich alternativ auch um positiv emotionalisierte Symbole handeln, je nach dem, wer sie ersinnt oder verwendet. Wenn aber ja, dann hat dies zur Folge, dass das an die Wahrhaftigkeit dieser Bedeutung glaubende Ich sich an die reine Äußerlichkeit der Beibehaltung der Symbole klammert, da es sonst mit dem Illusonären seiner Wünsche konfrontiert wird und beginnt, den sich scheinbar bietenden festen Halt zu verliehren.
- Solche Reaktionen - vergleichbar der Panik aller 'Dagobert Ducks', wenn sie merken oder glauben, dass ein 'Panzerknacker' ihren monetäreren Liebesersatzhalt zu entwenden droht - ist narzisstisch / - das allmorgendliche Bad Dagoberts im Geldbunker ein Symbol der regressiven Sehnsucht nach umfassender Geborgenheit im Uterus der werdenden Mutter.
Auch ein wirklicher Überfall also, der zum Verlust eines 'real existierenden' Goldschatzes führt, kann eine schwere Narzißtische Kränkung des Opfers darstellen, vorausgesetzt natürlich, dass es sich bei ihm um einen Narzissten handelt. Es bedarf des psychologischen Einfühlungsvermögens, um zu verstehen, worauf der oft in rasende Wut mündende, auch vor Mord nicht zurückschreckende Widerstand der sich durch die Naturwissenschaft dessen beraubt Fühlenden beruht:
- durch Kopernikus' Entdeckung, wonach die Erde und mit ihr der Mensch nicht länger als Mittelpunkt des Kosmos zu denken war (wie die christliche Kirche gelehrt bzw. Galileo unter Todesdrohung zu bekennen gezwungen hatte, um ihre Position im Zentrum der 'Liebe Gottes' zu erretten)
- durch Charles Darwins Theorie über die Entstehung der Arten einschließlich der Menschheit im Reich der Primaten, mit der die 'Stolz' machende Funktion des homo sapiens als einzig mit 'Geist' begabte Sonderschöpfung Gottes ad absurdum geführt wurde (Abwehrreaktion von Seiten der Religion: siehe u.a. Affenprozess)
- und schließlich durch die Psychoanalyse, deren Verdienst es darstelle, den Menschen mit der die Vernunftsphilosophien erschütternden Erkenntnis konfrontiert zu haben, dass das Ich mit seiner potentiell machtvollen Analytik nur einen verhältnismäßig geringen Raum gegenüber den im Unbewussten verlaufenden psychischen Prozessen einnimmt, bzw. "nicht Herr im eigenen Hause ist". Es sei meistenteils beherrscht von den Affekten, körperlichen Bedürfnissen, hilflos gefangen in seinen Illusionen, Macht der frühkindlich eingeprägten Erziehung, Traumata der totemischen Pubertätsritale, Jugendweihen, Beschneidungen, Neurosen und weiteren, ent sätzlichsten Perversionen, wovon sowohl die Untersuchung der "Freudschen Fehlleistung" (s. Psychopatologie des Alltaglebens) als auch die Traumdeutung künde.
Narzisstische Kränkung und Religionskritik
Nach Freud hat der religiöse Glaube selbst seinen Ursprung in den sich nach kindisch verantwortungsfreier Geborgenheit unter einer höheren Macht (etwa der Eltern) sehnenden Ich-Anteilen, dessen Wünschen gemäß die zwischenmenschlichen Beziehungen und Institutionen ("Vater Staat", "Mutter Kirche") nach seinem Ebenbilde gestaltet und sonst als "lieber Gott" auf den Kosmos projiziert werden , diesen animistisch mit den eigenen Wünschen und Affekten 'belebend'.(Übertragung ohne Gegenübertragung.)So stellt die psychoanalytische Religionskritik (Freud: "Eiapopeia vom Himmel") eine weitere narzisstische Kränkungen dar. (Nietzsches "Gott ist tot!" als ihr Vorläufer.) Ihre Fortsetzung findet statt in der Diskussion um die möglichen Ursachen und therapeutischen Konzepte zur Behebung der Instinktverarmung des neurotisierten, infantilen homo sapiens der Gegenwart. Aktuell gipfelt sie in der Hypothese, daß der Homo sapiens von Natur aus kein Mensch bzw. Narzißt ist, sondern ein gesundes Tier - die schwerste aller denkbaren Narzisstischen Kränkungen.
Versuch der Gegenkränkung
Einige Gegner der Psychoanalyse wenden rhetorisch ein, die von ihr verabreichten "Kränkungen" würden schwerlich gesund machen, und empfählen alternativ ihre eigenen - die langbewährten Heilslehren der Religionen aller Konfessionen, rationalistische Metaphysik, bewusstseinserweiternde Drogen oder legale psychopharmazeutische Kuren. "Gesundheit" wird anhand eines statistisch erhobenen Mittelwerts ("Normalität" des Narzissmus) formuliert; Ob aus Ignoranz, oder um sich gezielt gegen die Gefahr einer Ansteckung mit Freuds Thesen zu immunisieren (Psychoanalyse als "Krankheit"), bleibt offen. So wird die Psychoanalyse, die das Phänomen der Narzisstischen Kränkung entdeckte, selber pathologisiert oder nicht zur Kenntnis genommen. Beide Seiten trennt wie eine unüberbrückbare Kluft das "Unbewusste", aus dessen symbolischen Botschaften Freud alle seine Offenbarungen gewonnen hat, ihnen Gehör schenkend, wie einst Sokrates der Stimme seines unfehlbar weisen Daimonion, als er sich von ihm warnen ließ, mit den es aktiv bekämpfenden Menschen zu diskutieren.